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Bürgschaftsvertrag – Anfechtung wegen arglistiger Täuschung durch Hauptschuldner

OLG Köln – Az.: 13 U 65/10 – Beschluss vom 21.04.2011

Der Antrag des Beklagten auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.

Gründe

Die beantragte Prozesskostenhilfe ist nicht zu bewilligen, weil die beabsichtigte Rechtsverteidigung keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 ZPO). Die vom Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 25.2.2010, durch das er zur Zahlung des mit der Klage geltend gemachten Betrages aus dem mit der der Klägerin geschlossenen Bürgschaftsvertrag vom 10.7.2008 verurteilt worden ist, erhobenen Einwendungen sind unbegründet.

1. Der Beklagte macht – wie in erster Instanz – geltend, dass er den Bürgschaftsvertrag wegen einer arglistigen Täuschung durch den Zeugen T. U., den Geschäftsführer der Hauptschuldnerin, angefochten habe. Die Auffassung des Landgerichts, diese Täuschung sei der Klägerin nicht zuzurechnen, weil es sich bei dem Zeugen um einen „Dritten“ iSv § 123 Abs. 2 BGB gehandelt habe, sei unter Berücksichtigung der speziellen Interessenlage der Beteiligten im vorliegenden Fall unrichtig. Zudem habe die Klägerin selbst dann, wenn man diese rechtliche Bewertung zugrunde lege, die Täuschung zumindest fahrlässig nicht erkannt.

2. Diese Einwendungen greifen nicht durch. Der Vertrag ist entgegen der Auffassung des Beklagten wirksam. Eine Anfechtung nach § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung kommt auf der Grundlage des vom Beklagten unterbreiteten Sachverhalts nicht in Betracht.

a. Nach § 123 Abs. 1 BGB kann der zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung Bestimmte seine Erklärung anfechten. Sofern die Täuschung durch einen „Dritten“ im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB verübt worden ist, gilt das allerdings nur, wenn derjenige, dem gegenüber die Erklärung abzugeben war, die Täuschung kannte oder kennen musste. „Dritter“ im Sinne dieser Vorschrift ist grundsätzlich nur eine am Geschäft unbeteiligte, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dem Kreis des Erklärungsempfängers zuzurechnende Person. Kein Dritter ist dagegen, wer auf Seiten des Erklärungsempfängers steht und maßgeblich am Zustandekommen des Vertrages mitgewirkt hat, wenn sein Verhalten also dem des Anfechtungsgegners rechtlich gleichzusetzen ist, (BGH NJW 1989, 287; NJW 1996, 1051; Palandt/Ellenberger, Kommentar zum BGB, 69. Auflage 2010, § 123 BGB Rdn. 13 f). Das gilt insbesondere für den vom Erklärungsempfänger beauftragten Verhandlungsführer oder -gehilfen sowie für den Beteiligten, der wegen seiner engen Beziehungen zum Erklärungsempfänger als dessen Vertrauensperson erscheint (BGH, NJW 1990, 1661).

b. Eine derartige Stellung hatte – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – im vorliegenden Fall der Geschäftsführer der Hauptschuldnerin im Verhältnis zur Klägerin nicht. Dass der Gläubiger die Bürgschaftsurkunde entworfen und den Anstoß für die Verhandlungen mit dem Bürgen gegeben hat, macht den Schuldner noch nicht zur Vertrauensperson des Gläubigers (BGH NJW-RR 1992, 1005; Kramer, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 123 Rdn. 19; Palandt, aaO, Rdn. 14). Der Schuldner, der auf Veranlassung des Gläubigers mit jemandem auf der Grundlage wirtschaftlicher oder persönlicher Beziehungen wegen Übernahme einer Bürgschaft verhandelt, ist nicht schon deshalb Verhandlungsbeauftragter des Gläubigers, weil der Gläubiger ihn zu den Verhandlungen veranlasst hat und ein dem Interesse des Schuldners gleichgerichtetes Interesse daran hat, dass jener die Bürgschaft übernimmt.

c. Auch die weiteren vom Beklagten vorgetragenen Umstände reichen für die Annahme, dass der Zeuge U. nicht „Dritter“ im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB war, nicht aus. Der Beklagte hat insoweit behauptet, dass die Klägerin es in Kenntnis des Umstandes, dass die sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation befindliche Hauptschuldnerin dringend auf die Kreditgewährung angewiesen gewesen sei, allein und ohne jeden eigenen persönlichen Kontakt zu ihm deren Geschäftsführer überlassen habe, seine Unterzeichnung des Bürgschaftsvertrages zu erwirken. Zudem habe die Klägerin auch keinerlei Erkundigungen über seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eingeholt und nicht geprüft, inwieweit er aufgrund seiner Herkunft und seiner mangelnden Sprachkenntnisse die Bedeutung von Erklärungen der fraglichen Art überhaupt habe erfassen können.

Dieser Vortrag ist unerheblich; für die Einstufung des Zeugen U. als „Dritter“ im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB spielt er keine Rolle. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes des BGH ist anerkannt, dass dem Gläubiger gegenüber dem künftigen Bürgen grundsätzlich nicht die Pflicht zur Aufklärung über das Bürgschaftsrisiko obliegt, weil dieses allgemein bekannt ist und außerdem durch die erforderliche Schriftform (§ 766 BGB) offengelegt wird. Solange der Gläubiger insoweit nicht durch den künftigen Bürgen befragt wird, kann er davon ausgehen, dass dieser sich über die für seine Entschließung maßgeblichen Umstände, insbesondere auch über die Wahrscheinlichkeit seiner Inanspruchnahme, ausreichend unterrichtet hat. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur dann, wenn der Bürgschaftsgläubiger durch sein Verhalten und auch für ihn erkennbar einen Irrtum des Bürgen über dessen erhöhtes Risiko veranlasst hatte. Ist dies – wie hier auch nach dem Vortrag des Beklagten – nicht der Fall, so ist der Gläubiger grundsätzlich nicht verpflichtet, die eigene Einschätzung des Risikos zu offenbaren oder sich über den Wissensstand des künftigen Bürgen zu unterrichten (BGH, NJW-RR 1986, 210; WM 1986, 11; NJW 1994, 1278; NJW 1997, 3230). Jedermann darf grundsätzlich davon ausgehen, dass sich sein künftiger Vertragspartner selbst über die Umstände, die für seine Vertragsentscheidung maßgeblich sind, sowie über Art und Umfang seiner Vertragspflichten im eigenen Interesse Klarheit verschafft hat. Es ist im allgemeinen nicht rechtliche Aufgabe des Vertragsgegners, gegenüber dem anderen Teil die Nachteile und Gefahren zu verdeutlichen, die mit den Pflichten aus dem beabsichtigten Vertrag verbunden sind, und diese bei einem gegenseitigen Vertrag gegen die Vorteile abzuwägen. Nutzt der Erklärende – wie hier der Beklagte – eine zumutbare Möglichkeit, sich Kenntnis von dem Inhalt der abzugebenden Erklärung zu verschaffen, nicht, so muss er das mit der Unterzeichnung der ungelesenen bzw. unverstandenen Urkunde verbundene Risiko tragen, dass der Inhalt der Urkunde nicht seinen Vorstellungen entspricht. Diese Grundsätze muss auch ein ausländischer Bürge in gleicher Weise gegen sich gelten lassen, sofern er nicht für den Geschäftsgegner erkennbar außer Stande ist, die Bedeutung seiner Erklärung zu verstehen. Allein aus einer etwaigen Kenntnis der Klägerin über die syrische Herkunft des Beklagten kann eine solche Kenntnis allerdings nicht hergeleitet werden. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhaltes, dass mögliche Geschäftspartner ausländischer Herkunft vertragliche Erklärungen nicht in gleicher Weise wie solche inländischer Herkunft verstehen und ihre Bedeutung erfassen können.

Weitergehende Kenntnisse der Klägerin trägt der Beklagte selbst nicht vor. Aus dem Vortrag des Beklagten ergeben sich demzufolge auch bei dessen unterstellter Richtigkeit keine Anhaltspunkte, die gegen eine Bewertung des Zeugen U. als „Dritter“ im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB sprechen.

3. Die Zurechnung einer etwaigen Täuschung des Beklagten kommt daher nur dann in Betracht, wenn diese der Klägerin entweder bekannt oder nur aufgrund fahrlässigen Verhaltens unbekannt gewesen wäre. Dass der Klägerin die behauptete Täuschung positiv bekannt war, behauptet der Beklagte selbst nicht. Eine fahrlässige Unkenntnis kommt grundsätzlich zwar auch schon dann in Betracht, wenn der Erklärungsempfänger seinen Überprüfungspflichten nicht nachgekommen ist. Solche Überprüfungspflichten bestehen aber nur dann, wenn die Umstände des einzelnen Falles den Vertragspartner veranlassen mussten, sich danach zu erkundigen, ob die ihm übermittelte Willenserklärung auf einer Täuschung beruht oder nicht (vgl. RGZ 104, 191; BGH NJW 1990, 387; NJW-RR 1992, 1005), wenn – mit anderen Worten – also genügend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sind, die Zweifel wecken, ob eine Willenserklärung einwandfrei zustande gekommen ist. In diesem Fall gebietet es die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, dass der Erklärungsempfänger diesen Zweifeln nachgeht. Unterlässt er dies, so beruht seine Unkenntnis auf Fahrlässigkeit.

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte nicht einmal behauptet, dass die Klägerin die vorgetragene Täuschung als solche kennen musste, sondern (lediglich) die Auffassung vertreten, dass sich Verdachtsmomente in dem soeben dargestellten Sinne aus den soeben bereits erörterten Umständen ergäben, die allerdings aus den dargestellten Gründen (soeben Ziffer 2) die Annahme fahrlässigen Handelns nicht rechtfertigen. Auch für die Behauptung, die Klägerin habe sich bewusst des Zeugen U. bedient, um vor dessen täuschendem Handeln die Augen verschließen zu können, fehlt es an jedem Anhaltspunkt.

4. Soweit der Beklagte der Klägerin über die arglistige Täuschung im Sinne von § 123 BGB hinaus die Verletzung vorvertraglicher Sorgfaltspflichten vorwirft, verkennt er, dass diese nicht weiter reichen als die Prüfung im Zusammenhang mit einer solchen Täuschung (BGH NJW-RR 1992, 1005, 1006 unter Gliederungsziffer I.3.). Eine Haftung der Klägerin aus diesem Gesichtspunkt kommt also wiederum nur bei durch Tatsachen begründeten konkreten Zweifeln über eine durch Täuschung nicht beeinflusste Willenserklärung des Geschäftspartners in Betracht, an der es hier nach den vorstehenden Ausführungen fehlt.

5. Unzutreffend ist auch die Auffassung des Beklagten, die rechtliche Behandlung seiner Einwendungen habe das Landgericht nicht abschließend treffen, sondern der Beurteilung im Nachverfahren vorbehalten müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes entfaltet das Vorbehaltsurteil insoweit Bindungswirkung für das Nachverfahren, als es nicht auf den eigentümlichen Beschränkungen der Beweismittel für das Urkundsverfahren beruht. Daraus folgt, dass diejenigen Teile des Streitverhältnisses, die im Vorbehaltsurteil beschieden werden mussten, damit es überhaupt ergehen konnte, im Nachverfahren als endgültig beschieden dem Streit entzogen sind. Dazu gehören neben den allgemeinen Prozessvoraussetzungen insbesondere auch solche vom Beklagten erhobenen materiellen Einwendungen, die im Vorbehaltsurteil (etwa wegen Unschlüssigkeit) als unbegründet behandelt worden sind (BGH NJW 1960, 576; NJW 2004, 1159; Zöller/Greger, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 27. Auflage 2009, § 598 ZPO Rdn. 3 sowie § 600 ZPO Rdn. 19) und damit auch für die der Rechtsverteidigung des Beklagten zugrunde liegenden Ausführungen zur Bewertung der Stellung des Geschäftsführers der Hauptschuldnerin und die Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von einer etwaigen Täuschung.

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