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Corona-Pandemie – Gesangsverbot für Besucher von Gottesdiensten

OVG Lüneburg – Az.: 13 MN 145/21 – Beschluss vom 24.03.2021

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert des Verfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

A.

Der Antragsteller begehrt die vorläufige Außervollzugsetzung der Regelung einer infektionsschutzrechtlichen Verordnung, wonach jeglicher Gesang der Besucherinnen und Besucher von Gottesdiensten und ähnlichen religiösen Veranstaltungen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen geschlossenen Räumlichkeiten zu unterlassen ist.

Der Antragsteller ist ein eingetragener Verein mit Sitz in Niedersachsen. Als freikirchliche Gemeinde fördert er ein christliches Leben im Sinne der Bibel und unterstützt dabei das christliche Zeugnis des Einzelnen. Er unterhält im Landkreis Gifhorn ein Gotteshaus und veranstaltet dort regelmäßig auch Gottesdienste.

Am 30. Oktober 2020 erließ das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, handelnd durch die Ministerin, die (8.) Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung, Nds. GVBl. 2020, 368), die unter anderem folgende Regelungen enthielt (Anm.: Hervorhebungen im Folgenden durch den Senat):

㤠9

Religionsausübung, sonstige Regelungen für Sitzungen, Zusammenkünfte und Versammlungen

(1) Abweichend von den §§ 5 bis 8 sind Zusammenkünfte in Kirchen, Friedhofskapellen oder entsprechend genutzten Einrichtungen, Moscheen, Synagogen sowie Cem- und Gemeindehäusern und die Zusammenkünfte anderer Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, einschließlich der Zusammenkünfte in Gemeindezentren und gemeindlichen Einrichtungen zur Durchführung von Veranstaltungen kirchlicher Bildungsträger und von sozialen und karitativen Veranstaltungen der Gemeinden, sowie zur Unterweisung und Vorbereitung von Personen auf religiöse Feste und Ereignisse, wie zum Beispiel Erstkommunion, Firmung, Konfirmation, humanistische Jugendfeier, Bat Mizwa und Bar Mizwa, sowie Trauungen, Trauerandachten und die Teilnahme am letzten Gang zur Grab- oder Beisetzungsstelle mit dem dortigen Aufenthalt unabhängig von der Zahl der teilnehmenden Personen zulässig, wenn sichergestellt ist, dass Maßnahmen aufgrund eines Hygienekonzepts nach § 4 Abs. 1 und 2 getroffen werden.

(2) …“

Diese Regelungen wurden in der Folge mehrfach geändert und erhielten folgende Fassungen durch die Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung vom 27. November 2020 (Nds. GVBl. S. 408):

㤠9

Religionsausübung, sonstige Regelungen für Sitzungen, Zusammenkünfte und Versammlungen

(1) Abweichend von den §§ 5 bis 8 sind Gottesdienste und ähnliche religiöse Veranstaltungen in dafür geeigneten Räumlichkeiten und im Freien sowie Zusammenkünfte in Kirchen, Friedhofskapellen oder entsprechend genutzten Einrichtungen, Moscheen, Synagogen sowie Cem- und Gemeindehäusern und die Zusammenkünfte anderer Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, einschließlich der Zusammenkünfte in Gemeindezentren und gemeindlichen Einrichtungen zur Durchführung von Veranstaltungen kirchlicher Bildungsträger und von sozialen und karitativen Veranstaltungen der Gemeinden, sowie zur Unterweisung und Vorbereitung von Personen auf religiöse Feste und Ereignisse, wie zum Beispiel Erstkommunion, Firmung, Konfirmation, humanistische Jugendfeier, Bat Mizwa und Bar Mizwa, sowie Trauungen, Trauerandachten und die Teilnahme am letzten Gang zur Grab- oder Beisetzungsstelle mit dem dortigen Aufenthalt unabhängig von der Zahl der teilnehmenden Personen zulässig, wenn sichergestellt ist, dass Maßnahmen aufgrund eines Hygienekonzepts nach § 4 Abs. 1 und 2 getroffen werden.

…“,

durch die Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 15. Dezember 2020 (Nds. GVBl. S. 488):

㤠9

Religionsausübung, sonstige Regelungen für Sitzungen, Zusammenkünfte und Versammlungen

(1) 1Abweichend von den §§ 5 und 6 sind Gottesdienste und ähnliche religiöse Veranstaltungen in dafür geeigneten Räumlichkeiten und im Freien sowie Zusammenkünfte in Kirchen, Friedhofskapellen oder entsprechend genutzten Einrichtungen, Moscheen, Synagogen sowie Cem- und Gemeindehäusern und die Zusammenkünfte anderer Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, einschließlich der Zusammenkünfte in Gemeindezentren und gemeindlichen Einrichtungen zur Durchführung von Veranstaltungen kirchlicher Bildungsträger und von sozialen und karitativen Veranstaltungen der Gemeinden, sowie zur Unterweisung und Vorbereitung von Personen auf religiöse Feste und Ereignisse, wie zum Beispiel Erstkommunion, Firmung, Konfirmation, humanistische Jugendfeier, Bat Mizwa und Bar Mizwa, sowie Trauungen, Trauerandachten und die Teilnahme am letzten Gang zur Grab- oder Beisetzungsstelle mit dem dortigen Aufenthalt unabhängig von der Zahl der teilnehmenden Personen zulässig, wenn sichergestellt ist, dass Maßnahmen aufgrund eines Hygienekonzepts nach § 4 Abs. 1 und 2 getroffen werden. 2In Bezug auf Gottesdienste und ähnliche religiöse Veranstaltungen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen geschlossenen Räumlichkeiten und in Bezug auf Zusammenkünfte anderer Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften in geschlossenen Räumlichkeiten ist bei zu erwartenden Besucherzahlen, die zu einer Auslastung der vorhandenen Personenkapazitäten in den Räumlichkeiten führen können, in dem Hygienekonzept nach Satz 1 auch ein Anmeldeerfordernis für die Besucherinnen und Besucher vorzusehen. 3In Veranstaltungen im Sinne des Satzes 2 haben Besucherinnen und Besucher abweichend von § 3 Abs. 5 auch dann eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, soweit und solange sie einen Sitzplatz eingenommen haben; das Abstandsgebot nach § 2 Abs. 2 und 3 Nr. 1 bleibt unberührt. 4In Veranstaltungen im Sinne des Satzes 2 ist jeglicher Gesang der Besucherinnen und Besucher untersagt.

(2) …

(4) Veranstaltungen, die nicht durch diese Verordnung zugelassen sind, sind verboten.“,

durch die Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 22. Januar 2021 (Nds. GVBl. S. 26):

㤠9

Religionsausübung, sonstige Regelungen für Sitzungen, Zusammenkünfte und Versammlungen

(1) 1Abweichend von den §§ 5 und 6 sind Gottesdienste und ähnliche religiöse Veranstaltungen in dafür geeigneten Räumlichkeiten und im Freien sowie Zusammenkünfte in Kirchen, Friedhofskapellen oder entsprechend genutzten Einrichtungen, Moscheen, Synagogen sowie Cem- und Gemeindehäusern und die Zusammenkünfte anderer Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, einschließlich der Zusammenkünfte in Gemeindezentren und gemeindlichen Einrichtungen zur Durchführung von Veranstaltungen kirchlicher Bildungsträger und von sozialen und karitativen Veranstaltungen der Gemeinden, sowie zur Unterweisung und Vorbereitung von Personen auf religiöse Feste und Ereignisse, wie zum Beispiel Erstkommunion, Firmung, Konfirmation, humanistische Jugendfeier, Bat Mizwa und Bar Mizwa, sowie Trauungen, Trauerandachten und die Teilnahme am letzten Gang zur Grab- oder Beisetzungsstelle mit dem dortigen Aufenthalt unabhängig von der Zahl der teilnehmenden Personen zulässig, wenn sichergestellt ist, dass Maßnahmen aufgrund eines Hygienekonzepts nach § 4 Abs. 1 und 2 getroffen werden. 2In Bezug auf Gottesdienste und ähnliche religiöse Veranstaltungen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen geschlossenen Räumlichkeiten und in Bezug auf Zusammenkünfte anderer Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften in geschlossenen Räumlichkeiten ist bei zu erwartenden Besucherzahlen, die zu einer Auslastung der vorhandenen Personenkapazitäten in den Räumlichkeiten führen können, in dem Hygienekonzept nach Satz 1 auch ein Anmeldeerfordernis für die Besucherinnen und Besucher vorzusehen. 3In Veranstaltungen im Sinne des Satzes 2 haben Besucherinnen und Besucher abweichend von § 3 Abs. 5 auch dann eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, soweit und solange sie einen Sitzplatz eingenommen haben; das Abstandsgebot nach § 2 Abs. 2 und 3 Nr. 1 bleibt unberührt. 4In Veranstaltungen im Sinne des Satzes 2 hat eine Besucherin oder ein Besucher abweichend von § 3 Abs. 3 Satz 1 eine medizinische Maske zu tragen; Atemschutzmasken mit Ausatemventil sind nicht zulässig. 5In Veranstaltungen im Sinne des Satzes 2 ist jeglicher Gesang der Besucherinnen und Besucher untersagt. 6Ist zu erwarten, dass eine Veranstaltung im Sinne des Satzes 2 von zehn oder mehr Personen besucht wird, so hat die Veranstalterin oder der Veranstalter die örtlich zuständigen Behörden mindestens zwei Werktage vor der Veranstaltung über die Art, den Ort, den Zeitpunkt und den Umfang der Veranstaltung zu informieren, es sei denn, es bestehen zwischen den betreffenden Veranstalterinnen und Veranstaltern sowie den örtlich zuständigen Behörden Absprachen über die Durchführung von Veranstaltungen und erforderliche Informationen.

…“,

durch die Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung vom 12. Februar 2021 (Nds. GVBl. S. 55):

㤠9

Religionsausübung, sonstige Regelungen für Sitzungen, Zusammenkünfte und Versammlungen

(1) 1Abweichend von den §§ 5 und 6 sind Gottesdienste und ähnliche religiöse Veranstaltungen in dafür geeigneten Räumlichkeiten und im Freien sowie Zusammenkünfte in Kirchen, Friedhofskapellen oder entsprechend genutzten Einrichtungen, Moscheen, Synagogen sowie Cem- und Gemeindehäusern und die Zusammenkünfte anderer Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, einschließlich der Zusammenkünfte in Gemeindezentren und gemeindlichen Einrichtungen zur Durchführung von Veranstaltungen kirchlicher Bildungsträger und von sozialen und karitativen Veranstaltungen der Gemeinden, sowie zur Unterweisung und Vorbereitung von Personen auf religiöse Feste und Ereignisse, wie zum Beispiel Erstkommunion, Firmung, Konfirmation, humanistische Jugendfeier, Bat Mizwa und Bar Mizwa, sowie Trauungen, Trauerandachten und die Teilnahme am letzten Gang zur Grab- oder Beisetzungsstelle mit dem dortigen Aufenthalt unabhängig von der Zahl der teilnehmenden Personen zulässig, wenn sichergestellt ist, dass Maßnahmen aufgrund eines Hygienekonzepts nach § 4 Abs. 1 und 2 getroffen werden. 2In Bezug auf Gottesdienste und ähnliche religiöse Veranstaltungen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen geschlossenen Räumlichkeiten und in Bezug auf Zusammenkünfte anderer Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften in geschlossenen Räumlichkeiten sind die Anforderungen nach den folgenden Sätzen 3 bis 6 einzuhalten. 3Bei zu erwartenden Besucherzahlen, die zu einer Auslastung der vorhandenen Personenkapazitäten in den Räumlichkeiten führen können, ist in dem Hygienekonzept nach Satz 1 auch ein Anmeldeerfordernis für die Besucherinnen und Besucher vorzusehen. 4Die Besucherinnen und Besucher haben abweichend von § 3 Abs. 5 auch dann eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, soweit und solange sie einen Sitzplatz eingenommen haben; das Abstandsgebot nach § 2 Abs. 2 und 3 Nr. 1 bleibt unberührt. 5Jeglicher Gesang der Besucherinnen und Besucher ist zu unterlassen. 6Die Veranstalterin oder der Veranstalter hat die örtlich zuständigen Behörden mindestens zwei Werktage vor der Veranstaltung über die Art, den Ort, den Zeitpunkt und den Umfang der Veranstaltung zu informieren, wenn zu erwarten ist, dass eine Veranstaltung von zehn oder mehr Personen besucht wird, es sei denn, es bestehen zwischen den betreffenden Veranstalterinnen und Veranstaltern sowie den örtlich zuständigen Behörden Absprachen über die Durchführung von Veranstaltungen und die erforderlichen Informationen.

(2) …

(5) Veranstaltungen, die nicht durch diese Verordnung zugelassen sind, sind verboten.“,

und durch die Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 12. März 2021 (Nds. GVBl. S. 120):

§ 20

Inkrafttreten, Außerkrafttreten

(1) Diese Verordnung tritt am 2. November 2020 in Kraft und mit Ablauf des 28. März 2021 außer Kraft.“

Corona-Pandemie - Gesangsverbot für Besucher von Gottesdiensten
(Symbolfoto: Von MikeDotta/Shutterstock.com)

Am 18. März 2021 hat der Antragsteller einen Normenkontrollantrag (13 KN 144/21) und einen darauf bezogenen Normenkontrolleilantrag (13 MN 145/21) gestellt, mit denen er sich gegen das Gesangsverbot nach § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung wendet. Er macht geltend, der Verordnungsregelung fehle es bereits an einer tauglichen Rechtsgrundlage. Die unterschiedlich hohen Inzidenzen in den einzelnen niedersächsischen Landkreisen schlössen ein landesweit einheitliches Verbot aus. Das Verbot verletze ihn – den Antragsteller – in seinem Grundrecht der Religionsfreiheit. Der kultische Gesang während des Gottesdienstes sei als zentrales Element der Glaubensvermittlung vom Schutzbereich des Art. 4 GG umfasst. Der Gemeindegesang sei aus theologischer Sicht ein wesentlicher und unverzichtbarer integraler Bestandteil der von ihm veranstalteten Gottesdienste, der in fundamentaltheologischer, seelsorgerischer und historischer Hinsicht geboten sei. Seine Gottesdienste konstituierten sich durch Gottes Reden in seinem Wort und die Reaktion der Gemeinde in ihren Gebeten und ihrem Gesang. Das gemeindliche gemeinschaftliche Singen sei nach dem gesamtbiblischen Befund ein Wesensmerkmal seines authentischen Gottesdienstes und unverzichtbarer Teil der Anbetung Gottes und Ausdruck der sich aus dem Glauben ergebenden Freude und Dankbarkeit. Die Untersagung des Gemeindegesangs sei nicht erforderlich. Bestehenden Infektionsgefahren könne durch Hygienekonzepte hinreichend vorgebeugt werden. Die Untersagung sei erstmals im Dezember 2020 vorgenommen worden, um kurzfristig ein dynamischen Infektionsgeschehen zu durchbrechen. Der Antragsgegner habe in der Verordnungsbegründung aber schon nicht aufgezeigt, dass hierzu das Gesangsverbot erforderlich gewesen sei und dass es auch weiterhin aufrechterhalten bleiben müsse. Vielmehr genügten die im Übrigen angeordneten Infektionsschutzmaßnahmen, wie die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auch nach Einnahme des Sitzplatzes, das Abstandsgebot und die Pflicht zur Einhaltung eines individuellen Hygienekonzeptes aus. Insbesondere durch das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und regelmäßiges Lüften könne der Ansteckung über infektiöse Aerosole hinreichend vorgebeugt werden. Dies belege auch die Entwicklung des Infektionsgeschehens in Niedersachsen, das trotz eines zunächst fehlenden allgemeinen Gesangsverbots zurückgegangen sei. In seiner Gemeinde habe es keinen Infektionsfall gegeben. Das Verbot sei auch unangemessen. Es lote nicht aus, welche Maßnahmen in der individuellen Situation besonders effektiv für eine Infektionsvermeidung seien und dabei möglichst gering in die Religionsfreiheit eingriffen. Das absolute Gesangsverbot berücksichtige die Bedeutung von Gemeindegesang für die einzelnen Religionen gar nicht. Ein umfassender Infektionsschutz müsse vom Staat nicht gewährleistet werden. Dem Grundrechtsträger müsse die Entscheidung überlassen bleiben, ob er zur Ausübung seiner Religion ein höheres Infektionsrisiko hinzunehmen bereit sei. Das Gesangsverbot sei auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar. Körpernahe Dienstleistungen dürften ohne Wahrung des Abstandsgebots ausgeführt werden.

Der Antragsteller beantragt,

1. § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO vorläufig außer Vollzug zu setzen,

2. hilfsweise: § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO vorläufig außer Vollzug zu setzen, soweit die 7-Tage-Inzidenz im Landkreis Gifhorn unter 50 sinkt.

Der Antragsgegner verteidigt die angefochtene Verordnungsregelung und beantragt, den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

B.

Der Normenkontrolleilantrag bleibt ohne Erfolg.

Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 – 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

I. Der zulässige Hauptantrag zu 1. ist unbegründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht in Normenkontrollverfahren auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag voraussichtlich Erfolg haben wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind im Rahmen der sog. „Doppelhypothese“ die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe müssen die gegenläufigen Interessen deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.4.2019 – BVerwG 4 VR 3.19 -, juris Rn. 4 (zur Normenkontrolle eines Bebauungsplans); OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.10.2019 – 6 B 11533/19 -, juris Rn. 5 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags); Sächsisches OVG, Beschl. v. 10.7.2019 – 4 B 170/19 -, juris Rn. 20 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung zur Bildung und Arbeit des Integrationsbeirats); Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 11.5.2018 – 12 MN 40/18 -, juris Rn. 24 ff. (zur Normenkontrolle gegen die Ausschlusswirkung im Flächennutzungsplan) jeweils m.w.N.).

Die hiernach bestehenden Voraussetzungen für eine vorläufige Außervollzugsetzung der streitgegenständlichen Verordnungsregelung sind nicht erfüllt. Der Senat vermag den Erfolg des in der Hauptsache (13 KN 144/21) gestellten Normenkontrollantrags derzeit nicht verlässlich abzuschätzen (1.). Die danach gebotene Folgenabwägung führt aber nicht dazu, dass die von dem Antragsteller geltend gemachten Gründe für die einstweilige Außervollzugsetzung die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe überwiegen (2.).

1. Derzeit ist offen, ob § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in einem Hauptsacheverfahren für unwirksam zu erklären sein wird.

a. Der Senat geht zwar davon aus, dass diese Verordnungsregelung in § 32 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2, 28a Abs. 1 Nr. 10 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG -) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) in der durch das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) geänderten Fassung eine tragfähige Rechtsgrundlage findet.

Eine Verfassungswidrigkeit dieser Rechtsgrundlage, insbesondere mit Blick auf die Bestimmtheit der getroffenen Regelungen und deren Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes, ist für den Senat – ebenso wie offenbar für das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Spruchpraxis betreffend die Corona-Pandemie (vgl. bspw. BVerfG, Beschl. v. 15.7.2020 – 1 BvR 1630/20 -; v. 9.6.2020 – 1 BvR 1230/20 -; v. 28.4.2020 – 1 BvR 899/20 -, alle veröffentlicht in juris) – jedenfalls nicht offensichtlich (vgl. hierzu im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 23.12.2020 – 13 MN 506/20 -, juris Rn. 27 ff.; Bayerischer VerfGH, Entsch. v. 21.10.2020 – Vf. 26-VII-20 -, juris Rn. 17 ff.; OVG Bremen, Beschl. v. 9.4.2020 – 1 B 97/20 -, juris Rn. 24 ff.; Hessischer VGH, Beschl. v. 7.4.2020 – 8 B 892/20.N -, juris Rn. 34 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 26.10.2020 – 13 B 1581/20.NE -, juris Rn. 32 ff.; Beschl. v. 6.4. 2020 – 13 B 398/20.NE -, juris Rn. 36 ff.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 30.3.2020 – 20 NE 20.632 -, juris Rn. 39 ff.; Beschl. v. 30.3.2020 – 20 CS 20.611 -, juris 17 f.; offengelassen: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 9.4.2020 – 1 S 925/20 -, juris Rn. 37 ff.).

Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt im Hinblick auf Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen darf. Dabei betrifft die Normierungspflicht nicht nur die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand überhaupt gesetzlich geregelt sein muss, sondern auch, wie weit diese Regelungen im Einzelnen zu gehen haben (sog. „Wesentlichkeitsdoktrin“, BVerfG, Urt. v. 19.9.2018 – 2 BvF 1/15 u.a. -, juris Rn. 199). Inwieweit es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, hängt vom jeweiligen Sachbereich und der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstands ab (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.9.2003 – 2 BvR 1436/02 -, juris Rn. 67 f. m.w.N.). Auch Gesetze, die zu Rechtsverordnungen und Satzungen ermächtigen, können den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts genügen, die wesentlichen Entscheidungen müssen aber durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst erfolgen. Das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage bei Delegation einer Entscheidung auf den Verordnungsgeber aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen, stellt insoweit eine notwendige Ergänzung und Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts und des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dar. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG führt als eine Ausprägung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts den staatlichen Eingriff durch die Exekutive nachvollziehbar auf eine parlamentarische Willensäußerung zurück. Eine Ermächtigung darf daher nicht so unbestimmt sein, dass nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (vgl. BVerfG, Urt. v. 19.9.2018 – 2 BvF 1/15 u.a. -, juris Rn. 198 ff. m.w.N.). Die Ermächtigungsnorm muss in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein; sie hat von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm. Welche Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich daher nicht allgemein festlegen. Zum einen kommt es auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen an. Je schwerwiegender die grundrechtsrelevanten Auswirkungen für die von einer Rechtsverordnung potentiell Betroffenen sind, desto strengere Anforderungen gelten für das Maß der Bestimmtheit sowie für Inhalt und Zweck der erteilten Ermächtigung. Zum anderen hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Dies kann es auch rechtfertigen, die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.9.2016 – 2 BvL 1/15 -, juris Rn. 54 ff. m.w.N.).

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Nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen und auch nur gebotenen summarischen Prüfung ist für den Senat nicht offensichtlich, dass einerseits § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG und andererseits § 32 Satz 1 und 2 IfSG diesen Anforderungen nicht genügen könnten.

Mit § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG hat der Bundesgesetzgeber bewusst eine offene Generalklausel geschaffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012 – BVerwG 3 C 16.11 -, BVerwGE 142, 205, 213 – juris Rn. 26 unter Hinweis auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468, S. 27 f.), ohne aber den zuständigen Infektionsschutzbehörden eine unzulässige Globalermächtigung zu erteilen. Der Bundesgesetzgeber hat für den fraglos eingriffsintensiven Bereich infektionsschutzrechtlichen staatlichen Handelns selbst bestimmt, dass die zuständigen Behörden nur dann, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, „die notwendigen Schutzmaßnahmen“ treffen dürfen, und zwar insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, dies aber auch nur „soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist“. Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ ist dabei umfassend angelegt, um den Infektionsschutzbehörden insbesondere bei einem dynamischen, zügiges Eingreifen erfordernden Infektionsgeschehen ein möglichst breites Spektrum geeigneter Maßnahmen an die Hand zu geben (vgl. Senatsbeschl. v. 29.5.2020 – 13 MN 185/20 -, juris Rn. 27; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 2.4.2020 – 3 MB 8/20 -, juris Rn. 35). Zugleich ist der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ nach Inhalt und Zweck der Rechtsgrundlage mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln hinreichend zu begrenzen (vgl. etwa Senatsbeschl. v. 11.6.2020 – 13 MN 192/20 -; v. 14.8.2020 – 13 MN 283/20 -, juris Rn. 49 ff.; v. 6.7.2020 – 13 MN 238/20 -, juris; v. 28.8.2020 – 13 MN 307/20 -, juris Rn. 29; v. 14.10.2020 – 13 MN 358/20 -, juris Rn. 28 ff.; v. 24.8.2020 – 13 MN 297/20 -, juris Rn. 36). Darüber hinaus sind dem behördlichen Einschreiten durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 9.4.2020 – 1 B 97/20 -, juris Rn. 30). Dass diese durch Auslegung bestimmten Grenzen nicht vom Willen des Bundesgesetzgebers gedeckt wären, vermag der Senat nicht zu erkennen. Vielmehr hat der Bundesgesetzgeber mit dem Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) den Satz 1 des § 28 Abs. 1 IfSG um den zweiten Halbsatz „sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten“ ergänzt und gleichzeitig den bis dahin geltenden Satz 2 Halbsatz 2 gestrichen. Unabhängig von der Frage, ob es sich bei dieser Änderung um eine bloße Anpassung aus Gründen der Normenklarheit handelt, besteht für den Senat kein vernünftiger Zweifel, dass damit der Gesetzgeber selbst hinreichend bestimmt zum Ausdruck gebracht hat, dass über punktuell wirkende Maßnahmen hinaus allgemeine oder gleichsam flächendeckende Verbote erlassen werden können. Dafür spricht nicht nur der Wortlaut von § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG. Auch der Umstand, dass es sich bei der Gesetzesänderung um eine Reaktion auf das aktuelle Bedürfnis zum Erlass von landesweit geltenden Schutzmaßnahmen handelt, trägt dieses Auslegungsergebnis, zumal der Gesetzgeber in Kenntnis der bereits erlassenen Länderverordnungen bei gleichzeitig bestehender Kritik an der ursprünglichen Gesetzesfassung gehandelt hat (so ausdrücklich OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 6.4.2020 – 13 B 398/20.NE -, juris Rn. 52 m.w.N.). Eine weitergehende Konkretisierung der Eingriffsgrundlagen erscheint angesichts der Besonderheiten des Infektionsschutzrechts, die bei Eintritt eines Pandemiegeschehens kurzfristige Reaktionen des Verordnungsgebers auf sich ändernde Gefährdungslagen erforderlich machen können, verfassungsrechtlich nicht geboten. Ungeachtet der danach mangelnden verfassungsrechtlichen Notwendigkeit hat der Gesetzgeber durch den mit dem Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) mit Wirkung vom 19. November 2020 geschaffenen § 28a IfSG („Besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)“) die zulässigen Maßnahmen weiter spezifiziert. Zu diesen zählen nach § 28a Abs. 1 Nr. 10 IfSG auch die „Untersagung von oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen, Versammlungen sowie religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften“.

Genügt danach § 28 Abs. 1 IfSG (in Verbindung mit § 28a IfSG) den an eine gesetzliche Rechtsgrundlage für staatliche Eingriffe zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß, gilt dies auch für die Verordnungsermächtigung in § 32 Satz 1 und 2 IfSG. Denn diese Verordnungsermächtigung knüpft hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen auch an § 28 Abs. 1 IfSG an und ermächtigt die Landesregierungen bzw. von ihr befugte Stellen nur dazu, „unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen“. Der Gesetzgeber gibt also nicht verordnungstypisch einen Regelungsbereich in bestimmten Grenzen aus der Hand, um diesen der Exekutive zur eigenverantwortlichen abstrakten Ausfüllung zu übertragen. Die Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 und 2 IfSG stellt lediglich ein anderes technisches Instrument zur Verfügung, um konkret notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG zu erlassen und insbesondere bei flächendeckenden Infektionsgeschehen nicht auf Einzel- oder Allgemeinverfügungen angewiesen zu sein, denen aber durchaus eine vergleichbare flächenhafte Wirkung zukommen kann.

b. Für den Senat besteht auch kein Anlass, an der formellen Rechtmäßigkeit der Verordnungsregelung zu zweifeln (vgl. hierzu im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 11.3.2021 – 13 MN 70/21 -, juris Rn. 18 ff.; v. 11.11.2020 – 13 MN 485/20 -, juris Rn. 19 ff. m.w.N.).

c. Der Senat geht unter Zugrundelegung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. zuletzt mit eingehender Begründung und weiteren Nachweisen etwa den Senatsbeschl. v. 5.1.2021 – 13 MN 582/20 -, Umdruck S. 4 ff.; v. 30.11.2020 – 13 MN 519/20 -, juris Rn. 26 ff.) und unter Berücksichtigung des aktuellen Infektionsgeschehens (vgl. hierzu die Angaben im täglichen Situationsbericht des Robert Koch-Instituts unter www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html und des Niedersächsischen Landesgesundheitsamts unter www.niedersachsen.de/Coronavirus/aktuelle_lage_in_niedersachsen/) auch weiterhin davon aus, dass die materielle Rechtmäßigkeit der Niedersächsischen Corona-Verordnung im Hinblick auf das „Ob“ eines staatlichen Handelns und den Adressatenkreis keinen durchgreifenden Bedenken ausgesetzt ist.

d. Auch die in der streitgegenständlichen Verordnungsregelung gewählte Art der Schutzmaßnahme ist nicht zu beanstanden.

§ 28 Abs. 1 IfSG liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012 – BVerwG 3 C 16.11 -, BVerwGE 142, 205, 213 – juris Rn. 26 unter Hinweis auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468, S. 27 f.). Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist, wie dargestellt (siehe oben B.I.1.a.), umfassend und eröffnet der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum geeigneter Maßnahmen (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 2.4.2020 – 3 MB 8/20 -, juris Rn. 35).

„Schutzmaßnahmen“ im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG können daher auch Untersagungen oder Beschränkungen von religiösen Zusammenkünften in Kirchengebäuden sein (vgl. Senatsbeschl. v. 23.4.2020 – 13 MN 109/20 -, juris Rn. 42 (insoweit unbeanstandet von BVerfG, Beschl. v. 29.4.2020 – 1 BvQ 44/20 -, juris Rn. 13 ff.); Thüringer OVG, Beschl. v. 9.4.2020 – 3 EN 238/20 -, juris Rn. 52 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 8.4.2020 – OVG 11 S 21/20 -, juris Rn. 5 ff.). Die mangelnde Erwähnung des Grundrechts nach Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG in § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG steht der dargestellten Auslegung nicht entgegen. Denn das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, welches § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG zu erfüllen sucht, besteht nur, soweit im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG „ein Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann“. Hingegen findet es keine Anwendung auf vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 -, juris Rn. 85 m.w.N.), wie die hier in Rede stehende Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG, die nur auf die ihnen immanenten Schranken treffen, welche durch sog. kollidierendes Verfassungsrecht – hier: die aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) folgende staatliche Schutzpflicht (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 10.4.2020 – 1 BvQ 28/20 -, juris Rn. 14) – gezogen sind.

e. Offen ist aber, ob § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung, wonach jeglicher Gesang der Besucherinnen und Besucher von Gottesdiensten und ähnlichen religiösen Veranstaltungen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen geschlossenen Räumlichkeiten zu unterlassen ist, in seinem konkreten Umfang als notwendige Schutzmaßnahme anzusehen ist.

Der weite Kreis möglicher Schutzmaßnahmen wird durch § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG dahin begrenzt, dass die Schutzmaßnahme im konkreten Einzelfall „notwendig“ sein muss. Der Staat darf mithin nicht alle Maßnahmen und auch nicht solche Maßnahmen anordnen, die von Einzelnen in Wahrnehmung ihrer Verantwortung gegenüber sich selbst und Dritten bloß als nützlich angesehen werden. Vielmehr dürfen staatliche Behörden nur solche Maßnahmen verbindlich anordnen, die zur Erreichung infektionsschutzrechtlich legitimer Ziele objektiv notwendig sind (vgl. Senatsbeschl. v. 26.5.2020 – 13 MN 182/20 -, juris Rn. 38). Diese Notwendigkeit ist während der Dauer einer angeordneten Maßnahme von der zuständigen Behörde fortlaufend zu überprüfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.4.2020 – 1 BvQ 31/20 -, juris Rn. 16).

(1) Zweifelsohne verfolgt der Verordnungsgeber weiterhin die legitimen Ziele (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 6.11.2020 – 13 MN 411/20 -, juris Rn. 43), im Interesse des Schutzes von Leben und Gesundheit eines und einer jeden die Bevölkerung vor der Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zu schützen, die Verbreitung der Krankheit COVID-19 zu verhindern und eine Überlastung des Gesundheitssystems infolge eines ungebremsten Anstiegs der Zahl von Ansteckungen, Krankheits- und Todesfällen zu vermeiden. Zur Vorbeugung einer akuten nationalen Gesundheitsnotlage sollen die Kontakte in der Bevölkerung drastisch reduziert werden, um das Infektionsgeschehen insgesamt zu verlangsamen und die Zahl der Neuinfektionen wieder in durch den öffentlichen Gesundheitsdienst nachverfolgbare Größenordnungen zu senken (vgl. hierzu auch die Angaben in der Begründung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und ihrer Änderungsverordnungen, Nds. GVBl. 2020, 411 ff., 457, 491 f. und 2021, 6 ff., 28 f., 58 und 101 f.).

Diese Zielrichtung wahrt die besonderen Anforderungen des § 28a Abs. 3 Satz 1 IfSG (vgl. Senatsbeschl. v. 23.12.2020 – 13 MN 506/20 -, juris Rn. 61). Unerheblich ist dabei, dass der Verordnungsgeber fehlerhaft annimmt, mit der Niedersächsischen Corona-Verordnung habe er noch keine „umfassenden“ Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28a Abs. 3 Satz 5 IfSG, sondern nur „breit angelegte“ Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28a Abs. 3 Satz 6 IfSG ergriffen (vgl. die Begründung zur Änderungsverordnung v. 6.3.2021, Nds. GVBl. S. 101:

„Richtschnur ist dabei das IfSG, wobei das Land Niedersachsen nach wie vor keine umfassenden Schutzmaßnahmen ergreift, die nach § 28 a Abs. 3 Satz 5 IfSG bei einer Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner innerhalb von sieben Tagen wie gegenwärtig in Niedersachsen vorgesehen sind, sondern beschränkt sich weiterhin darauf, breit angelegte Schutzmaßnahmen vorzusehen, die nach Satz 6 der genannten Vorschrift bei einer Überschreitung eines Schwellenwertes von über 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner innerhalb von sieben Tagen zu ergreifen sind. Die Maßnahmen erfassen zwar eine Vielzahl von Lebensbereichen, schränken sie jedoch nicht umfassend ein. Beispielhaft sei genannt, dass die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht umfassend gilt, keine nächtlichen Ausgangssperren vorgesehen sind, die Sportausübung mit abgestuften Einschränkungen möglich bleibt, keine Untersagung des Alkoholkonsums in der Öffentlichkeit erfolgt ist, lediglich die Durchführung touristischer Bus-, Schiffs- und Kutschfahrten und nicht jegliche privaten Reisen untersagt wird, Beherbergungen u. a. im Rahmen von Dienst- oder Geschäftsreisen erlaubt sind, in der Gastronomie der Außer-Haus-Verkauf und der Betrieb in bestimmten Einrichtungen zulässig bleibt, nicht sämtliche Betriebe und Gewerbe geschlossen zu halten sind und auch der Betrieb von Einrichtungen der außerschulischen Bildung nicht umfänglich untersagt ist.“).

Abgesehen davon, dass dieses Vorgehen die Pflicht zum Handeln nach § 28a Abs. 3 Satz 5 IfSG („sind“) nicht beachtete, liegen „umfassende Schutzmaßnahmen“ nicht erst dann vor, wenn alle in § 28a Abs. 1 IfSG beispielhaft genannten Schutzmaßnahmen oder gar alle Lebensbereiche vollständig erfassende und jedwedes Handeln berührende staatliche Maßnahmen ergriffen worden sind. In Abgrenzung zu den „breit angelegten“ Schutzmaßnahmen liegen „umfassende Schutzmaßnahmen“ vielmehr schon dann vor, wenn sie zu „schwerwiegenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens“ führen (so ausdrücklich Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BT-Drs. 19/23944, S. 13 und 34 betreffend die zunächst vorgesehene Unterscheidung zwischen „schwerwiegenden Schutzmaßnahmen“ und „stark einschränkenden Schutzmaßnahmen“, die durch die nun in § 28a Abs. 3 IfSG Gesetz gewordenen Begrifflichkeiten aber nur redaktionell klargestellt werden sollte, vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drs. 19/24334, S. 24 und 73). Diese Schwelle überschreiten die in der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordneten Verbote und Beschränkungen unter Berücksichtigung ihrer flächendeckenden Anordnung, der mit ihnen verbundenen erheblichen Eingriffe in die Grundrechte der Normadressaten und der massiven negativen Auswirkungen für Dritte und auch die Allgemeinheit nach dem Dafürhalten des Senats ohne jeden Zweifel (vgl. hierzu bereits den Senatsbeschl. v. 15.2.2021 – 13 MN 44/21 -, juris Rn. 22 ff.).

Ob darüber hinaus für die Gesamtheit der in der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordneten Schutzmaßnahmen die konkrete Erreichung einer 7-Tage-Inzidenz (Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen) von 50

oder gar 35 legitim ist, erscheint zweifelhaft (vgl. Senatsbeschl. v. 20.1.2021 – 13 MN 10/21 -, juris Rn. 20 ff. (zur 50er Inzidenz) und v. 15.2.2021 – 13 MN 44/21 -, juris Rn. 25 ff. (zur 35er Inzidenz)), bedarf in diesem Verfahren aber keiner abschließenden Entscheidung. Denn abgesehen davon, dass derzeit eine landesweite Erreichung dieser Inzidenzen in Niedersachsen (Stand: 23.3.2021: 96,8; vgl. www.niedersachsen.de/Coronavirus/aktuelle_lage_in_niedersachsen/) nicht absehbar ist, ist die hier streitgegenständliche Betriebsschließung nach den Verordnungsbestimmungen mit keiner dieser Inzidenzen unmittelbar verknüpft, sondern unter Berücksichtigung auch aller weiteren für das Infektionsgeschehen relevanten Umstände angeordnet worden (siehe unten B.I.1.e.(3)(b)).

(2) Im Hinblick auf die verfolgten legitimen Ziele ist auch die Eignung der streitgegenständlichen Verordnungsregelung gegeben.

Angesichts der hohen Infektiosität und der Übertragungswege steht für den Senat außer Zweifel, dass Beschränkungen von Zusammenkünften und Ansammlungen mehrerer Personen – vor allem in geschlossenen Räumen – geeignet sind, die Verbreitung von SARS-CoV-2 zu verhindern (vgl. Senatsbeschl. v. 18.11.2020 – 13 MN 448/20 -, juris Rn. 81; v. 11.6.2020 – 13 MN 192/20 -, juris Rn. 52).

Dies gilt auch für das in § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Verbot jeglichen Gesangs der Besucherinnen und Besucher von Gottesdiensten und ähnlichen religiösen Veranstaltungen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen geschlossenen Räumlichkeiten. Denn in der verbotenen Fallgestaltung wird das mit der Zusammenkunft einer Vielzahl von Personen für eine gewisse Dauer in geschlossenen Räumen verbundene Grundrisiko durch den Gesang der Besucherinnen und Besucher als einer Vielzahl von Personen noch deutlich erhöht. Nach den vom Robert Koch-Institut (RKI) gewonnenen und gemäß § 4 Abs. 2 IfSG den zuständigen Gesundheitsbehörden zur Verfügung gestellten Erkenntnissen ist

„der Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 die respiratorische Aufnahme virushaltiger Partikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen und Niesen entstehen… Je nach Partikelgröße bzw. den physikalischen Eigenschaften unterscheidet man zwischen den größeren Tröpfchen und kleineren Aerosolen, wobei der Übergang zwischen beiden Formen fließend ist. Während insbesondere größere respiratorische Partikel schnell zu Boden sinken, können Aerosole auch über längere Zeit in der Luft schweben und sich in geschlossenen Räumen verteilen. Ob und wie schnell die Tröpfchen und Aerosole absinken oder in der Luft schweben bleiben, ist neben der Größe der Partikel von einer Vielzahl weiterer Faktoren, u.a. der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit, abhängig…

Beim Atmen und Sprechen, aber noch stärker beim Schreien und Singen, werden Aerosole ausgeschieden…; beim Husten und Niesen entstehen zusätzlich deutlich vermehrt größere Partikel… Neben der steigenden Lautstärke können auch individuelle Unterschiede zu einer verstärkten Freisetzung beitragen… Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber infektiösen Partikeln jeglicher Größe im Umkreis von 1-2 m um eine infizierte Person herum erhöht…

Bei längerem Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen kann sich die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als 1,5 m erhöhen, insbesondere dann, wenn eine infektiöse Person besonders viele kleine Partikel (Aerosole) ausstößt, sich längere Zeit in dem Raum aufhält und exponierte Personen besonders tief oder häufig einatmen. Durch die Anreicherung und Verteilung der Aerosole im Raum ist das Einhalten des Mindestabstandes zur Infektionsprävention ggf. nicht mehr ausreichend. Ein Beispiel dafür ist das gemeinsame Singen in geschlossenen Räumen über einen längeren Zeitraum, wo es z. T. zu hohen Infektionsraten kam, die sonst nur selten beobachtet werden…“. (RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, dort Nr. 2, Stand: 18.3.2021, veröffentlicht unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html;jsessionid=F5B8992C03346FB0A15EF60563F589EE.internet102?nn=2386228#doc13776792bodyText2; Hervorhebungen durch den Senat)

Zur Vermeidung dieses erhöhten Infektionsrisikos ist das in § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Gesangsverbot ersichtlich geeignet.

(3) Zweifelhaft ist aber, ob der Verordnungsgeber das in § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Gesangsverbot für erforderlich halten darf.

(a) Diese Zweifel bestehen bei summarischer Prüfung aber nicht im Hinblick auf das tätigkeitsbezogene Infektionsgeschehen. Insoweit stehen derzeit mildere, in ihrer Wirkung aber ähnlich effektive Mittel wie das Gesangsverbot nicht zur Verfügung.

Ein solches milderes Mittel sieht der Senat – entgegen der Auffassung des Antragstellers – zunächst nicht darin, dass anstelle des Gesangsverbots alleine die Einhaltung der bestehenden Pflichten

– zum Tragen einer medizinischen Maske nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3, Abs. 3 Satz 3 Nr. 4, 9 Abs. 1 Satz 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung,

– zur Einhaltung des Abstandsgebots nach §§ 2 Abs. 2 und 3, 9 Abs. 1 Satz 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung und

– zur Aufstellung und Einhaltung eines Hygienekonzepts insbesondere mit Vorgaben zur höchstzulässigen Personenzahl, zur Vermeidung von Ansammlungen, zur Einhaltung des Abstandsgebots und zur regelmäßigen Zufuhr von Frischluft nach § 4 Abs. 1 und 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung

eingefordert wird. Für den Senat ist nicht geklärt, dass die Kombination dieser Maßnahmen die bestehenden Infektionsgefahren hinreichend reduzieren. Hiergegen spricht schon, dass die Kombination dieser Maßnahmen bereits seit mehreren Monaten auf verschiedenste Zusammenkünfte und Ansammlungen von Personen in geschlossenen Räumlichkeiten angewendet wird, die Dynamik des Infektionsgeschehens auch im Land Niedersachen seit einiger Zeit gleichwohl aber wieder deutlich zunimmt (vgl. zu deren Entwicklung die Angaben des Niedersächsischen Landesgesundheitsamts unter https://www.niedersachsen.de/Coronavirus/aktuelle_lage_in_niedersachsen/). Ein regelmäßiges Vollzugsdefizit, dem – in gewissen Grenzen – durch verstärkte behördliche Kontrollen entgegengewirkt werden könnte (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 28.8.2020 – 13 MN 307/20 -, juris Rn. 32), ist insoweit nicht zu erkennen. Nach den Erkenntnissen des RKI kann zwar eine „Maske (Mund-Nasen-Schutz oder Mund-Nasen-Bedeckung) … das Risiko einer Übertragung durch Partikel jeglicher Größe im unmittelbaren Umfeld um eine infizierte Person reduzieren“ (vgl. RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, dort Nr. 2, Stand: 18.3.2021). Offen ist aber, in welchem Umfang diese Reduzierung eintritt und ob sie auch die Aerosolbelastung und damit alle in einem geschlossenen Raum befindlichen Personen betrifft. Erste Ergebnisse der Aerosol-Studie mit dem Chor des BR durch das LMU Klinikum München in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Erlangen deuten zudem darauf hin, dass Gesang mit medizinischen Masken zwar die großen Tröpfchen komplett, die Aerosole aber nur zum Teil herausfiltert, da ein Teil der Aerosole leicht strahlartig nach oben und zur Seite austritt, weil die Masken an den Seiten und der Nase nicht vollständig dicht abschließen (vgl. die Pressemitteilungen des LMU Klinikum München unter https://www.lmu-klinikum.de/aktuelles/pressemitteilungen/erste-ergebnisse-zu-aerosol-studie-mit-dem-chor-des-br/caf8e9f9c407a2bd, Stand: 3.7.2020, und des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst unter https://www.stmwk.bayern.de/pressemitteilung/12004/nr-180-vom-11-08-2020.html, Stand: 11.8.2020). Das RKI weist zudem darauf hin, dass durch die Anreicherung und Verteilung der Aerosole im Raum das Einhalten des Mindestabstandes zur Infektionsprävention ggf. nicht mehr ausreichend ist (vgl. RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, dort Nr. 2, Stand: 18.3.2021).

Ebenso steht für den Senat derzeit nicht fest, dass ein Zugang zu Gottesdiensten und ähnlichen religiösen Veranstaltungen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen geschlossenen Räumlichkeiten nur nach Durchführung eines PoC-Antigen-Tests auf das Vorliegen des Corona-Virus SARS-CoV-2 (vgl. § 5a Satz 1 Nr. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung) und Bestätigung der Infektionsfreiheit ein milderes, in seiner Wirkung aber ähnlich effektives Mittel wie das Gesangsverbot sein könnte. Zum einen hängt die Aussagekraft und damit Verlässlichkeit der PoC-Antigen-Tests stark von der Vortestwahrscheinlichkeit sowie der Sensitivität und Spezifität der Tests ab (vgl. hierzu die Erläuterungen des RKI unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Teststrategie/Nat-Teststrat.html, Stand: 9.2.2021, und unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Infografik_Antigentest_Tab.html, Stand: 25.2.2021). Zum anderen bewirkt eine mangelnde Verfügbarkeit der PoC-Antigen-Tests für alle potentiellen Besucherinnen und Besucher von Gottesdiensten und ähnlichen religiösen Veranstaltungen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen geschlossenen Räumlichkeiten ein Zugangsverbot, das in seiner Eingriffswirkung deutlich über das Gesangsverbot hinausgeht und das schon deshalb kein milderes, die Erforderlichkeit des Gesangsverbots infrage stellendes Mittel sein kann.

Die Erforderlichkeit wird – entgegen der Auffassung des Antragstellers – auch nicht dadurch infrage gestellt, dass der Antragsgegner das generelle Gesangsverbot erst mit der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung vom 12. Februar 2021 (Nds. GVBl. S. 55) angeordnet und zuvor, bei einem deutlich ungünstigeren Infektionsgeschehen, von einem generellen Gesangsverbot abgesehen und ein solches nur „bei zu erwartenden Besucherzahlen, die zu einer Auslastung der vorhandenen Personenkapazitäten in den Räumlichkeiten führen können“ (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 und 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in der durch die Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 15. Dezember 2020 (Nds. GVBl. S. 488) geänderten Fassung), vorgesehen hätte. Vielmehr hat der Antragsgegner mit der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung und der Niedersächsischen Quarantäne-Verordnung vom 12. Februar 2021 nur klargestellt, dass auch nach den zuvor geltenden Verordnungsfassungen stets ein generelles Gesangsverbot gelten sollte (Begründung zur Änderungsverordnung v. 12.2.2021, Nds. GVBl. S. 59).

(b) Bei summarischer Prüfung ist aber nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass mildere, in ihrer Wirkung aber ähnlich effektive Mittel im Hinblick auf das gebietsbezogene Infektionsgeschehen ergriffen werden können.

Dabei stellt der Senat nicht in Abrede, dass der Verordnungsgeber die Erforderlichkeit auch der hier zu beurteilenden Verordnungsregelung – anders als bei den zuvor angeordneten Beherbergungsverboten (vgl. Senatsbeschl. v. 15.10.2020 – 13 MN 371/20 -, juris Rn. 59) und Sperrzeiten im Gastronomiebereich (vgl. Senatsbeschl. v. 29.10.2020 – 13 MN 393/20 -, juris Rn. 57) – nicht nur anhand der 7-Tage-Inzidenz, also der Zahl der Neuinfizierten im Verhältnis zur Bevölkerung je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner kumulativ in den letzten sieben Tagen, beurteilt, sondern, wie in dem von der Niedersächsischen Landesregierung erstellten „Handlungskonzept zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens in der COVID 19 Pandemie“ (veröffentlicht unter: www.stk.niedersachsen.de/startseite/presseinformationen/vorsorgliches-handlungskonzept-zur-bekampfung-eines-gegebenenfalls-weiter-ansteigenden-infektionsgeschehens-in-der-covid-19-pandemie-193263.html, Stand: 5.10.2020) und dem von der Niedersächsischen Landesregierung entworfenen „Stufenplan 2.0“ (veröffentlicht unter: www.niedersachsen.de/Coronavirus/stufenplan-fur-niedersachsen-196849.html, Stand: 18.2.2021) vorgesehen, auch alle anderen für das Infektionsgeschehen relevanten Umstände in seine Bewertung einbezogen hat (vgl. zu dieser Verpflichtung zuletzt: Senatsbeschl. v. 29.10.2020 – 13 MN 393/20 -, juris Rn. 57).

Diese vom Verordnungsgeber getroffene Bewertung rechtfertigt es, die hier zu beurteilende infektionsschützende Maßnahme landesweit einheitlich anzuordnen. Die Mitte Dezember 2020 bestehende 7-Tage-Inzidenz von mehr als 120 ist zwar vorübergehend deutlich gesunken. Landesweit beträgt die 7-Tage-Inzidenz nunmehr aber wieder fast 100 und steigt weiter (vgl. zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit des landesweiten Durchschnitts der 7-Tage-Inzidenz für die Anordnung von Infektionsschutzmaßnahmen nach §§ 28, 28a Abs. 3 IfSG: Senatsbeschl. v. 4.3.2021 – 13 MN 89/21 -, juris Rn. 42; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 5.2.2021 – 1 S 321/21 -, juris Rn. 51 m.w.N.). Die Mehrheit der Landkreise und kreisfreien Städte weist eine 7-Tage-Inzidenz von mehr als 50 auf. Im Landkreis Gifhorn, in dem der Antragsteller ein Gotteshaus unterhält, beträgt die 7-Tage-Inzidenz 101,4 (Stand: 23.3.2021). Hinzu kommt ein landesweit durchaus diffuses Infektionsgeschehen. Die Ausbruchsgeschehen sind überwiegend keinen bestimmten Ereignissen oder Örtlichkeiten zuzuordnen, die ausschließlicher oder vorrangiger Gegenstand verordneter Schutzmaßnahmen sein könnten. Die örtlichen Gesundheitsämter sind trotz personeller und sachlicher Verstärkung erheblich damit belastet, Infektionsketten nachzuverfolgen. Die Zahl infizierter und erkrankter Menschen, die älter als 60 Jahre sind und die ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, ist deutlich angestiegen. Auch die Sterbefallzahlen und die Auslastung medizinischer und insbesondere intensivmedizinischer Kapazitäten befinden sich weiterhin auf hohem Niveau, wobei der Antragsgegner seine Maßnahmen nicht erst dann treffen darf, wenn diese (nahezu) erschöpft sind (vgl. hierzu im Einzelnen die Angaben des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes unter https://www.niedersachsen.de/Coronavirus/aktuelle_lage_in_niedersachsen/ und des RKI im täglichen Lagebericht unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html?nn=13490888).

Zweifelhaft erscheint aber, ob der Antragsgegner die nun bereits mehrere Monate verordneten Beschränkungen auch für die Religionsausübung noch für erforderlich erachten darf. Auch wenn insoweit eine abschließende Sachaufklärung im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes von Amts wegen nicht geboten ist und daher eine abschließende Bewertung dieser Frage derzeit nicht erfolgen kann, erscheint es bei summarischer Prüfung nicht schlechthin abwegig, dass dem Verordnungsgeber mildere, zur Erreichung aller verfolgten legitimen Ziele aber durchaus ähnlich effektive Mittel im Hinblick auf das gesamte gebietsbezogene Infektionsgeschehen zur Verfügung stehen könnten. Dies betrifft in erster Linie Maßnahmen, die ein noch aktiveres Handeln staatlicher Stellen bei der Pandemiebekämpfung erfordern, etwa

– die Intensivierung der Erforschung von Infektionsumfeldern, um die Zielgenauigkeit von Schutzmaßnahmen zu erhöhen,

– die Effektivierung der Kontaktnachverfolgung, sowohl durch Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes als auch durch Verbesserung technischer Instrumente (vgl. hierzu bereits den Senatsbeschl. v. 20.1.2021 – 13 MN 10/21 -, juris Rn. 37),

– die Erarbeitung und auch praktische Umsetzung einer landesweiten Teststrategie (vgl. hierzu die immer noch vagen Angaben unter www.niedersachsen.de/Coronavirus/Testung/hinweise-zur-testung-auf-corona-198156.html, Stand: 10.3.2021: „Die so ergänzte nationale Teststrategie soll bis Anfang April schrittweise umgesetzt werden. … Die niedersächsische Teststrategie wird aktuell überarbeitet und mit allen beteiligten Akteurinnen und Akteuren abgestimmt. Aktuell werden intensive Gespräche mit den zuständigen Kammern und Verbänden geführt. Erste Vereinbarungen wurden unterzeichnet.“),

– die Optimierung der Impfkampagne im Land Niedersachsen (vgl. die Angaben des RKI unter https://impfdashboard.de/, Stand: 23.3.2021, an das Land Niedersachsen gelieferte Impfdosen: 1.376.700; im Land Niedersachsen verabreichte Impfdosen:1.026.759).

(4) Die danach bestehenden Zweifel an der Erforderlichkeit setzen sich bei der Beurteilung der Angemessenheit des in § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordneten Gesangsverbots fort. Es ist für den Senat derzeit offen, ob die streitgegenständliche Verordnungsregelung noch als angemessen angesehen werden kann.

Das in § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Gesangsverbot greift in die grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit des Antragstellers ein.

Der einer Religionsgemeinschaft zukommende Grundrechtsschutz umfasst das Recht zu eigener weltanschaulicher oder religiöser Betätigung, zur Verkündigung des Glaubens sowie zur Pflege und Förderung des Bekenntnisses. Hierzu gehören nicht nur kultische Handlungen, die Beachtung und Ausübung religiöser Gebote und Gebräuche wie Gottesdienst, Sammlung kirchlicher Kollekten, Gebete, Empfang der Sakramente, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen und Glockengeläut, sondern auch religiöse Erziehung, Feiern und andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens sowie allgemein die Pflege und Förderung des jeweiligen Bekenntnisses. Fällt ein Verhalten danach in den Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, kommt es insoweit nicht mehr darauf an, welche konkrete Bedeutung ihm nach den Glaubenslehren zukommt. Denn das Recht, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze, sondern auch solche religiösen Überzeugungen, die ein Verhalten als das zur Bewältigung einer Lebenslage richtige bestimmen. Dies gilt sowohl für Verhaltensweisen, die nicht über den Bereich der innergemeinschaftlichen Pflege und Betätigung des Glaubens hinausreichen, als auch – ungeachtet ihres spezifisch-religiös abgeleiteten Verpflichtungsgrades – für Betätigungen, die über den Kreis der Gemeinschaftsmitglieder in die Gesellschaft hineinwirken (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.5.2016 – 1 BvR 2202/13 -, juris Rn. 49 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Der hier vom Verbot des § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung betroffene Gesang der Besucherinnen und Besucher von Gottesdiensten und ähnlichen religiösen Veranstaltungen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen geschlossenen Räumlichkeiten ist als Bestandteil der Ausübung religiöser Gebote und Gebräuche zweifelsohne von der grundrechtlich geschützten Glaubensfreiheit auch des Antragstellers umfasst.

Es ist für den Senat aber nicht ausgeschlossen, dass die mit dem Verbot des § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung verbundene Einschränkung der grundrechtlich geschützten Glaubensfreiheit des Antragstellers unter Berücksichtigung gegenläufiger Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang hinzunehmen ist. Der Verordnungsgeber verfolgt mit den genannten legitimen Zielen (siehe oben B.I.1.e.(1)) den Schutz von hochrangigen, ihrerseits den Schutz der Verfassung genießenden wichtigen Rechtsgütern. Auch die streitgegenständliche Verordnungsregelung dient dazu, Gefahren für das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potenziell großen Zahl von Menschen abzuwehren und die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems in Deutschland durch die Verlangsamung des Infektionsgeschehens sicherzustellen. Der Verordnungsgeber kommt damit der ihn aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich treffenden Schutzpflicht nach. Der Senat misst diesen vom Verordnungsgeber verfolgten Zielen ein sehr hohes Gewicht bei und geht insbesondere davon aus, dass die Gefahren, deren Abwehr die angefochtenen Vorschriften dienen, nach wie vor in hohem Maße bestehen. Das RKI führt in seiner aktuellen „Risikobewertung zu COVID-19“ (Stand: 15.03.2021, veröffentlicht unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html/) hierzu unter anderem aus:

„Es handelt sich weltweit, in Europa und in Deutschland um eine ernst zu nehmende Situation. Insgesamt nimmt die Anzahl der Fälle weltweit zu, die Fallzahlen entwickeln sich aber von Staat zu Staat unterschiedlich: Manche Staaten erleben nach vorübergehendem Rückgang einen dritten Anstieg der Fallzahlen, in anderen Ländern gehen die Fallzahlen momentan zurück. In vielen Staaten wurde mit der Impfung der Bevölkerung begonnen, werden die hohen Altersgruppen priorisiert.

Ziel der Anstrengungen in Deutschland ist es, einen nachhaltigen Rückgang der Fallzahlen, insbesondere der schweren Erkrankungen und Todesfälle zu erreichen. Nur wenn die Zahl der neu Infizierten insgesamt deutlich sinkt, können auch Risikogruppen wie ältere Personen und Menschen mit Grunderkrankungen zuverlässig geschützt werden.

Nach einem Rückgang ab Ende Dezember steigen die 7-Tage-Inzidenz und Fallzahlen im Bundesgebiet seit Februar wieder an und beschleunigt sich aktuell, dies betrifft alle Altersgruppen unter 65 Jahren. Ein besonders rascher Anstieg wird bei Kindern und Jugendlichen beobachtet.

Auch der Rückgang der COVID-19-Fallzahlen auf Intensivstationen setzt sich nicht weiter fort, sondern die ITS-Belegung mit COVID-19-Fällen stagniert aktuell oder steigt leicht an.

Schwere Erkrankungen an COVID-19, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, betreffen dabei auch Menschen unter 60 Jahren. …

Die Dynamik der Verbreitung einiger neuer Varianten von SARS-CoV-2 (B.1.1.7, B.1.351 und P1) ist besorgniserregend. Diese besorgniserregenden Varianten (VOC) werden auch in Deutschland nachgewiesen, der Anteil der Variante B 1.1.7 nimmt – mit regionalen Unterschieden – rasch zu. Aufgrund der vorliegenden Daten hinsichtlich einer erhöhten Übertragbarkeit der Varianten und potenziell schwererer Krankheitsverläufe trägt dies zu einer schnellen Zunahme der Fallzahlen und der Verschlechterung der Lage bei. Alle Impfstoffe, die aktuell in Deutschland zur Verfügung stehen, schützen nach derzeitigen Erkenntnissen sehr gut vor einer Erkrankung durch die in Deutschland hauptsächlich zirkulierende Variante B.1.1.7, und sie schützen auch vor schweren Erkrankungen durch die anderen Varianten.

Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern. …

Bei SARS-CoV-2 spielt die Übertragung über Aerosole eine besondere Rolle. Die Aerosolausscheidung steigt bei lautem Sprechen, Singen oder Lachen stark an.“

Die danach widerstreitenden verfassungsrechtlich verankerten Schutzgüter hat der Verordnungsgeber in seine Bewertung einbezogen und das bestehende Spannungsverhältnis unter Berücksichtigung des Toleranzgebots im Wege praktischer Konkordanz (vgl. zu diesem Gebot: BVerfG, Beschl. v. 9.5.2016 – 1 BvR 2202/13 -, juris Rn. 53 mit zahlreichen weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) dahin zu einem Ausgleich gebracht, dass nur ein besonders infektionsrelevanter Teil der Religionsausübung (siehe hierzu oben B.I.1.e.(2) und (3)(a)) mit einem Verbot belegt wird. Dass dieser Ausgleich den verfassungsrechtlichen Vorgaben von vorneherein nicht genügen könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Denn der Verordnungsgeber hat die kollektive Glaubensausübung in Form von Gottesdiensten und ähnlichen religiösen Veranstaltungen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen geschlossenen Räumlichkeiten nicht den allgemeinen Kontaktbeschränkungen für Ansammlungen und Zusammenkünfte von Personen in der Öffentlichkeit und im Privaten nach § 2 Abs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung unterworfen. Vielmehr

„sind Gottesdienste und ähnliche religiöse Veranstaltungen in dafür geeigneten Räumlichkeiten und im Freien sowie Zusammenkünfte in Kirchen, Friedhofskapellen oder entsprechend genutzten Einrichtungen, Moscheen, Synagogen sowie Cem- und Gemeindehäusern und die Zusammenkünfte anderer Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, einschließlich der Zusammenkünfte in Gemeindezentren und gemeindlichen Einrichtungen zur Durchführung von Veranstaltungen kirchlicher Bildungsträger und von sozialen und karitativen Veranstaltungen der Gemeinden, sowie zur Unterweisung und Vorbereitung von Personen auf religiöse Feste und Ereignisse, wie zum Beispiel Erstkommunion, Firmung, Konfirmation, humanistische Jugendfeier, Bat Mizwa und Bar Mizwa, sowie Trauungen, Trauerandachten und die Teilnahme am letzten Gang zur Grab- oder Beisetzungsstelle mit dem dortigen Aufenthalt unabhängig von der Zahl der teilnehmenden Personen zulässig“

und bedarf es zur Reduzierung von Infektionsgefahren grundsätzlich nur eines geeigneten Hygienekonzepts, des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung und der Einhaltung des Abstandsgebots. Der religiöse Gesang ist nicht in Gänze untersagt. Die Untersagung ist beschränkt auf den Gesang der Besucherinnen und Besucher von Gottesdiensten und ähnlichen religiösen Veranstaltungen in Kirchen, Synagogen, Moscheen und anderen geschlossenen Räumlichkeiten. Von der Untersagung nicht betroffen ist danach zum einen der Gesang der Pfarrer, Priester und Kantoren sowie der „Solisten im Gottesdienst“ (vgl. die Begründung zur Änderungsverordnung v. 15.12.2020, Nds. GVBl. S. 493), zum anderen aber auch der Gemeindegesang, also der Gesang von Besucherinnen und Besuchern religiöser Veranstaltungen, soweit diese nicht in geschlossenen Räumlichkeiten, sondern im Freien stattfinden (so ausdrücklich die Begründung zur Änderungsverordnung v. 15.12.2020, Nds. GVBl. S. 492).

Unter Berücksichtigung der Zweifel an der Erforderlichkeit (siehe hierzu oben B.I.1.e.(3)) bleibt derzeit indes offen, ob das so in § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Gesangsverbot als angemessen anzusehen ist.

f. Einen Verstoß der streitgegenständlichen Verordnungsregelung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vermag der Senat hingegen nicht festzustellen.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.2.2012 – 1 BvL 14/07 -, BVerfGE 130, 240, 252 – juris Rn. 40; Beschl. v. 15.7.1998 – 1 BvR 1554/89 u.a. -, BVerfGE 98, 365, 385 – juris Rn. 63). Es sind nicht jegliche Differenzierungen verwehrt, allerdings bedürfen sie der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.2012 – 1 BvL 16/11 -, BVerfGE 132, 179, 188 – juris Rn. 30; Beschl. v. 21.6.2011 – 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49, 69 – juris Rn. 65; Beschl. v. 21.7.2010 – 1 BvR 611/07 u.a. -, BVerfGE 126, 400, 416 – juris Rn. 79).

Hiernach sind die sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Grenzen für die Infektionsschutzbehörde weniger streng (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.4.2020 – OVG 11 S 22/20 -, juris Rn. 25). Auch kann die strikte Beachtung des Gebots innerer Folgerichtigkeit nicht eingefordert werden (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 26.3.2020 – 5 Bs 48/20 -, juris Rn. 13). Zudem ist die sachliche Rechtfertigung nicht allein anhand des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades der betroffenen Tätigkeit zu beurteilen. Vielmehr sind auch alle sonstigen relevanten Belange zu berücksichtigen, etwa die Auswirkungen der Ge- und Verbote für die betroffenen Unternehmen und Dritte und auch öffentliche Interessen an der uneingeschränkten Aufrechterhaltung bestimmter unternehmerischer Tätigkeiten (vgl. Senatsbeschl. v. 14.4.2020 – 13 MN 63/20 -, juris Rn. 62). Auch die Überprüfbarkeit der Einhaltung von Ge- und Verboten kann berücksichtigt werden (vgl. Senatsbeschl. v. 9.6.2020 – 13 MN 211/20 -, juris Rn. 41).

Dies zugrunde gelegt verstoßen – entgegen der Auffassung des Antragstellers – differenzierte Beschränkungen einerseits für körpernahe Dienstleistungen in § 10 Abs. 1c

(„1Nimmt eine Kundin oder ein Kunde eine Dienstleistung eines Betriebs der körpernahen Dienstleistungen oder der Körperpflege wie eines Friseurbetriebs, eines Kosmetikstudios, einer Massagepraxis, eines Tattoo-Studios oder eines ähnlichen Betriebs einschließlich Einrichtungen für medizinisch notwendige Behandlungen wie Praxen für Physiotherapie, Ergotherapie, Podologie oder Fußpflege, die Betriebe des Orthopädieschuhmacher-Handwerks und des Handwerks der Orthopädietechnik sowie die Praxen der Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker entgegen, bei der die nach § 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 erforderliche medizinische Maske nicht dauerhaft getragen werden kann, so hat die Kundin oder der Kunde das Vorliegen des Corona-Virus SARS-CoV-2 bei ihr oder ihm durch einen Test nach § 5a auszuschließen. 2Im Übrigen ist die Betreiberin oder der Betreiber eines Betriebs oder einer Einrichtung nach Satz 1 verpflichtet, die dienstleistenden Personen der Einrichtung nach einem Testkonzept mindestens einmal in der Woche auf das Vorliegen des Corona-Virus SARS-CoV-2 zu testen; das Testkonzept ist auf Verlangen der zuständigen Behörde vorzulegen.“)

und andererseits für die Religionsausübung in § 9 Abs. 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Es handelt sich offensichtlich nicht um im Wesentlichen gleiche Sachverhalte. Zudem verkennt der Antragsteller, dass im Bereich der körpernahen Dienstleistungen, bei denen die erforderliche medizinische Maske nicht dauerhaft getragen werden kann, erhebliche Zugangsbeschränkungen angeordnet worden sind, wie sie für die Religionsausübung in geschlossenen Räumlichkeiten gerade nicht gelten.

2. Die wegen der danach offenen Erfolgsaussichten gebotene Folgenabwägung führt dazu, dass die von dem Antragsteller geltend gemachten Gründe für die vorläufige Außervollzugsetzung und auch die Interessen Dritter oder der Allgemeinheit die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe derzeit nicht überwiegen.

Würde der Senat das in § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Gesangsverbot vollständig (vgl. zur Unzulässigkeit von Normergänzungen im Normenkontrollverfahren: Senatsbeschl. v. 14.5.2020 – 13 MN 156/20 -, juris Rn. 5 m.w.N.) außer Vollzug setzen, bliebe der Normenkontrollantrag in der Hauptsache aber ohne Erfolg, könnte der Antragsteller zwar vorübergehend die mit der Schutzmaßnahme verbundene Beschränkung seiner Religionsausübung vermeiden. Ein gerade in der bevorstehenden Karwoche und an Ostern durchaus wichtiger Baustein der komplexen und bundesweit abgestimmten (vgl. die inhaltsgleichen Regelungen anderer Bundesländer:

– § 1g Abs. 1 der Verordnung der Landesregierung Baden-Württemberg über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 i.d.F. v. 7.3.2021 („Während Veranstaltungen von Religions-, Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften zur Religionsausübung sowie Veranstaltungen bei Todesfällen im Sinne des § 12 Absätze 1 und 2 ist der Gemeindegesang in geschlossenen Räumen untersagt.“),

– § 6 Nr. 4 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung i.d.F. v. 5.3.2021 („Gemeindegesang ist untersagt.“),

– § 6 Nr. 5 der Siebten Verordnung über befristete Eindämmungsmaßnahmen aufgrund des SARS-CoV-2-Virus und COVID-19 im Land Brandenburg i.d.F. v. 6.3.2021 („Untersagung des Gemeindegesangs in geschlossenen Räumen“),

– § 11 Abs. 1 der Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in der Freien und Hansestadt Hamburg i.d.F. v. 11.2.2021 („Der gemeinsame Gesang der Gemeinde ist untersagt.“),

– § 1 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2 der hessischen Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung i.d.F. v. 4.3.2021 („Zusammenkünfte von Glaubensgemeinschaften zur gemeinschaftlichen Religionsausübung … sind zulässig, wenn… kein Gemeindegesang stattfindet“),

– Nr. I.7. der Anlage 39 zu § 8 Abs. 4 der Corona-Landesverordnung Mecklenburg-Vorpommern i.d.F. v. 6.3.2021 („Der Gemeindegesang ist untersagt.“),

– § 1 Abs. 3 der nordrhein-westfälischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 i.d.F. v. 11.3.2021 („Sie … verzichten auf Gemeindegesang.“),

– § 3 Abs. 1 Satz 2 der Siebzehnten Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz i.d.F. v. 5.3.2021 („Gemeinde- oder Chorgesang ist nicht zulässig.“)

– § 2a Abs. 2 Satz 2 der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung i.d.F. v. 5.3.2021 („Für Zusammenkünfte in Kirchen und von Religionsgemeinschaften zum Zweck der Religionsausübung sind die aufgestellten Hygienekonzepte, insbesondere durch verbindliche Vorgaben zum Verzicht auf gemeinschaftlichen Gesang, der besonderen Infektionslage anzupassen.“),

– § 13 Abs. 1 Satz 3 der Landesverordnung Schleswig-Holstein zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 i.d.F. v. 6.3.2021 („Der Gemeindegesang ist untersagt.“))

Pandemiebekämpfungsstrategie des Antragsgegners würde aber in seiner Wirkung deutlich reduziert (vgl. zur Berücksichtigung dieses Aspekts in der Folgenabwägung: BVerfG, Beschl. v. 1.5.2020 – 1 BvQ 42/20 -, juris Rn. 10), und dies in einem Zeitpunkt eines weiterhin ernst zu nehmenden Infektionsgeschehens. Die Möglichkeit, eine geeignete und erforderliche Schutzmaßnahme zu ergreifen und so die Verbreitung der Infektionskrankheit zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung, einem auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (vgl. BVerfG, Urt. v. 30.7.2008 – 1 BvR 3262/07 u.a. -, BVerfGE 121, 317, 350 – juris Rn. 119 m.w.N.), noch effektiver als bisher zu verhindern, bliebe hingegen zumindest zeitweise bis zu einer Reaktion des Verordnungsgebers (irreversibel) ungenutzt.

Würde hingegen das in § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Gesangsverbot nicht vorläufig außer Vollzug gesetzt, hätte der Normenkontrollantrag aber in der Hauptsache Erfolg, wäre der Antragsteller vorübergehend zu Unrecht zur Befolgung der – für den Fall der Nichtbefolgung bußgeldbewehrten – Schutzmaßnahme verpflichtet und müsste sich in seiner Religionsausübung beschränken. Dabei verkennt der Senat nicht die erhebliche Bedeutung des Gemeindegesangs gerade für die Religionsausübung des Antragstellers. Die Möglichkeit des Gemeindegesangs wird dem Antragsteller aber, wie dargestellt (siehe oben B.I.1.e.(4)), nicht in Gänze genommen, sondern nur in geschlossenen Räumlichkeiten untersagt. Dies lässt die Beschränkung vorübergehend hinnehmbar erscheinen. Denn ohne diese könnte sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung zahlreicher weiterer Personen, der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtungen bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimmstenfalls des Todes von Menschen auch nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen noch weiter erhöhen (vgl. zu dieser Gewichtung: BVerfG, Beschl. v 7.4.2020 – 1 BvR 755/20 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 28.4.2020 – 1 BvR 899/20 -, juris Rn. 12 f.).

In diese Folgenabwägung wird auch eingestellt, dass die Verordnung gemäß ihres § 20 Abs. 1 zeitlich befristet wurde. Damit ist sichergestellt, dass die Verordnung unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen der Corona-Pandemie fortgeschrieben werden muss. Hierbei hat der Antragsgegner – auch außerhalb der Konferenzen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder – bei jeder weiteren Fortschreibung der Verordnung hinsichtlich der im vorliegenden Verfahren relevanten Schließung zu untersuchen, ob es angesichts neuer Erkenntnisse etwa zu den Verbreitungswegen des Virus, zu die Gefahrenbewertung objektiv beeinflussenden Varianten des Virus oder zur Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems verantwortet werden kann, die Betriebsverbote und -beschränkungen unter – notwendigenfalls strengen – Auflagen und gegebenenfalls nur versuchsweise wieder zu lockern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.4.2020 – 1 BvQ 28/20 -, juris Rn. 16).

II. Der Hilfsantrag zu 2. ist bereits unzulässig.

Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist die Gültigkeit einer Rechtsvorschrift. Die Norm muss – wie es in § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO heißt und auch für § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gilt – „erlassen“, also jedenfalls bereits verkündet sein. Eine Normenkontrolle, die auf Erlass einer untergesetzlichen Regelung gerichtet ist, ist daher unstatthaft. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, dass die Rechtsvorschrift (teilweise) ungültig ist, so erklärt es sie nach § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO (teilweise) für unwirksam. Ein Rechtsgrund für eine Unwirksamkeit kann darin liegen, dass der Normgeber unter Verstoß gegen höherrangiges Recht einen bestimmten Sachverhalt nicht berücksichtigt und damit eine rechtswidrige, unvollständige Regelung erlassen hat. Zielt ein Normenkontrollantrag dagegen auf Ergänzung einer vorhandenen Norm, ohne deren Wirksamkeit in Frage zu stellen, ist der Weg der Normenkontrolle nicht eröffnet. Auch der Wortlaut des § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO ist eindeutig und lässt keinen Raum für Ergänzungen des Tenors über die Feststellung der Unwirksamkeit hinaus. Das Normenkontrollgericht hat sich auf die (teilweise) Kassation von Rechtsvorschriften zu beschränken und muss sich nicht zu Möglichkeiten einer Fehlerbehebung verhalten. Es ist nicht Aufgabe des Normenkontrollverfahrens, eine bestimmte Art der Fehlerbehebung durch Feststellungen, die über den Ausspruch der Unwirksamkeit hinausgehen, in den Raum zu stellen, bevor der Normgeber darüber entschieden hat. Denn es ist grundsätzlich Sache des Normgebers, welche Konsequenzen er aus der gerichtlich festgestellten Fehlerhaftigkeit zieht. Das folgt aus der im Gewaltenteilungsgrundsatz angelegten Entscheidungsfreiheit der rechtsetzenden Organe. Auch die Verpflichtung des Normgebers, die Entscheidungsformel im Falle der Erklärung als unwirksam nach § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre, spricht dafür, dass eine stattgebende Normenkontrollentscheidung (nur) die (teilweise) Kassation der Norm zur Folge hat. Mit dem actus contarius der Veröffentlichung wird spiegelbildlich zur Verkündung inter omnes Kenntnis von der Unwirksamkeit vermittelt und der Rechtsschein der Norm verlässlich beseitigt. Damit verträgt sich ein Ausspruch nicht, der die Ergänzungsbedürftigkeit einer Norm zum Gegenstand hat (vgl. im Einzelnen: BVerwG, Urt. v. 16.4.2015 – BVerwG 4 CN 2.14 -, BVerwGE 152, 55, 56 f. – juris Rn. 4 m.w.N.).

Eben dies begehrt der Antragsteller mit dem Hilfsantrag zu 2. Denn dieser ist auf eine Aufhebung des Gesangsverbots mit der Maßgabe gerichtet, dass „die 7-Tage-Inzidenz im Landkreis Gifhorn unter 50 sinkt“. Die damit verbundene Aufgabe einer landesweit einheitlich angeordneten Infektionsschutzmaßnahme und auch deren Anknüpfung einen konkreten Inzidenzwert ist aber nur eine von mehreren möglichen Formen der Behebung der von dem Antragsteller als fehlerhaft angesehen Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung. Es ist aber nicht Aufgabe des Senats – im Falle der Unwirksamkeit der genannten Bestimmung -, dem Normgeber eine von mehreren Korrekturmöglichkeiten vorzugeben (vgl. Senatsbeschl. v. 14.5.2020 – 13 MN 156/20 -, juris Rn. 5 f. (zu einem Antrag auf Außervollzugsetzung der Schließung von Fitnessstudios mit bestimmten Maßgaben)).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der ständigen Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 – 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. – juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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