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Ehegattenbürgschaft (sittenwirdrige) – Ehefrau als „zweite Darlehensnehmerin“

Oberlandesgericht Dresden

Az.: 12 U 1394/06

Urteil vom 06.12.2006

Vorinstanz: LG Zwickau, Az.: 3 O 257/06


Leitsatz:

Es ist eine Frage der Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles, ob einem Rechtsgeschäft wegen Sittenwidrigkeit die Wirksamkeit zu versagen ist, weshalb auch bei der Eingehung von Verpflichtungen in einer Größenordnung von 15.000 Euro bis 25.000 Euro jedenfalls eine starre „Bagatellgrenze“, unterhalb derer die Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs zu finanziell krass überforderten Bürgschaften und Mithaftübernahmen nicht anwendbar wäre, nicht in Betracht kommt.


In dem Rechtsstreit wegen Forderung hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.11.2006 für Recht erkannt:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 06.07.2006 verkündete Urteil des Landgerichts Zwickau, Aktenzeichen 3 O 257/06, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens 1. und 2. Instanz zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Das zulässige Rechtsmittel der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Sie ist ist Würdigung der Gesamtumstände als „bloß“ Mithaftende anzusehen, weshalb ihr die Berufung auf die vom Bundesgerichtshof zu finanziell krass überfordernden Ehegattenbürgschaften entwickelten Grundsätze eröffnet ist

(1) Die Voraussetzungen, unter denen eine widerlegliche Vermutung dafür streitet, dass die ruinöse Bürgschaft oder Mithaftung allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen wurde und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat, sind hier gegeben.

(2) Der Auffassung des Landgerichts, die Annahme einer auf eine krasse finanzielle Überforderung gegründeten Sittenwidrigkeit komme bei Verbindlichkeiten, die eine Bagatellgrenze im Bereich von 30.000 DM bis 50.000 DM nicht übersteigen, nicht in Betracht, vermag sich der Senat für die hier gegebene Fallgestaltung nicht anzuschließen (3.). Und schließlich kommen auch Schadenersatzansprüche, die die Klageforderung tragen könnten, nicht in Betracht (4.). Im Einzelnen:

1.

Echter Mitdarlehensnehmer ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur, wer ein eigenes – sachliches und/oder persönliches – Interesse an der Kreditaufnahme hat und als im Wesentlichen gleichberechtigter Partner über die Auszahlung sowie die Verwendung der Darlehensvaluta mitentscheiden darf. Ob diese Voraussetzungen im konkreten Einzelfall erfüllt sind, beurteilt sich ausschließlich nach den für die finanzierende Bank erkennbaren Verhältnissen auf Seiten der Mitdarlehensnehmer. Die kreditgebende Bank hat es nicht in der Hand, etwa durch eine im Darlehensvertrag gewählte Formulierung, wie z.B. „Mitdarlehensnehmer“, „Mitantragsteller“, „Mitschuldner“ oder dgl., einen bloß Mithaftenden zu einem gleichberechtigten Mitdarlehensnehmer zu machen und dadurch den Nichtigkeitsfolgen des § 138 Abs. 1 BGB zu entgehen (vgl. nur: BGH, Urteil vom 04.12.2001, Az. XI ZR 56/01, ZIP 2002, 210 ff., zitiert nach juris; Urteil vom 25.01.2005, XI ZR 325/03).

Die Qualifizierung der von der Beklagten mit Vertrag vom 03.08.2001 übernommenen Verpflichtung als Darlehensschuld oder als Beitrittsschuld ist davon abhängig, ob sie als gleichberechtigte Vertragspartnerin neben ihrem Ehemann einen Anspruch auf Auszahlung der Darlehensvaluta haben und deshalb gleichgründig zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet sein sollte, oder ob sie aus dem Darlehensvertrag keine Rechte erwerben, sondern der Beklagten nur zu Sicherungszwecken in Höhe der noch offenen Darlehensschuld haften sollte. Maßgebend für die Abgrenzung zwischen der Verpflichtung als Mitdarlehensnehmer und der Haftung als Beitretender ist die von den Vertragsparteien tatsächlich gewollte Rechtsfolge (vgl. nur: BGH, Urteil vom 23.03.2004, XI ZR 114/03, ZIP 2004, 1039 ff., zitiert nach juris, Tz 13; BGH, Urteil vom 25.01.2005, Az.: XI ZR 325/03). Der wirkliche Parteiwille bei Abschluss des Darlehensvertrages ist in Streitfällen im Wege der Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Zu den von dem Bundesgerichtshof anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehören die Maßgeblichkeit des Vertragswortlauts als Ausgangspunkt jeder Auslegung und die Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragspartner (vgl. nur: BGH, Urteile vom 23.03.2004, Az.: XI ZR 114/03 und vom 25.01.2005, Az.: XI ZR 325/03, jeweils a.a.O.) aber auch nachvertragliches Verhalten, soweit dies Rückschlüsse auf den Vertragswillen bei Abschluss des Kreditvertrages zulässt (so: BGH, Urteil vom 23.03.2004, XI ZR 114/03, a.a.O., Tz 18). Unter Zugrundelegung dieser Auslegungsgrundsätze kann vorliegend gerade nicht von einer „echten“ Mitvertragspartnerschaft der Beklagten ausgegangen werden.

1.1.

Zwar spricht der Wortlaut des Darlehensvertrages, in dem die Beklagte als „Darlehensnehmer 2“ bezeichnet ist, für eine „echte“ Mitdarlehensnehmerschaft. Allerdings kann eine Vertragsauslegung auch zu einem vom Wortlaut abweichenden Ergebnis gelangen, wenn sich ein dies rechtfertigender übereinstimmender Wille der Vertragspartner feststellen lässt, § 133 BGB. Überdies ist dem Wortlaut angesichts der Stärke der Verhandlungsposition der kreditgebenden Bank und der – auch hier gegebenen – Verwendung von Vertragsformularen in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich geringere Bedeutung beizumessen als sonst (vgl. nur: BGH, Urteil vom 25.01.2005, Az.: XI ZR 325/03, a.a.O., TZ 14).

1.2.

Auch mit Blick auf Ziff. 10 des Vertragsbedingungen durfte die Klägerin hier nicht annehmen, dass die Beklagte als im Wesentlichen gleichberechtigter Partner über die Auszahlung der Darlehensvaluta mitentscheiden durfte. Zwar sollte danach im Falle eines gemeinschaftlich beantragten und eingeräumten Kreditrahmens jeder Darlehensnehmer innerhalb des Kreditrahmens alleine über das Konto verfügen können. Diese, die Darlehensauzahlung betreffende Bestimmung konnte aber nach den übrigen vertraglichen Abreden tatsächlich nicht zum Tragen kommen. Weiter sah der Kreditvertrag nämlich vor, dass „Verfügungen zu Lasten des Abrufkreditkontos (…) nur auf ein vom Kontoinhaber zu nennendes Referenzkonto möglich“ sein sollten. Nach den das – zunächst – bei der Deutschen Bank 24 geführte „Referenzkonto“ betreffenden Einfügungen handelte es sich ausweislich der der Klägerin erteilten Einziehungsermächtigung um ein solches des Ehemannes der Beklagten und die Klägerin ist dem weitergehenden Vortrag, wonach es sich um ein Geschäftskonto gehandelt habe, nicht entgegengetreten.

Hiermit in Übereinstimmung steht auch der von dem Zeugen W im Rahmen der Vernehmung vor dem Amtsgericht Augsburg am 01.03.2006 zu den Akten gereichte Schriftwechsel. Danach hat Abrufaufträge allein der Ehemann der Beklagten erteilt. An diesen sind die Überweisungen erfolgt, er hat die vertraglich zu erbringenden Zahlungen als „meine monatlichen Raten“ bezeichnet und daran erinnert, der Klägerin „meine neue Kontonummer“ mitgeteilt zu haben. Auch nachvertraglich hat sich, was Rückschlüsse auf ihren Vertragswillen bei Abschluss des Kreditvertrages zulässt (vgl. auch: BGH, Urteil vom 23.03.2004, XI ZR 114/03, a.a.O., Tz 18), die Beklagte mithin nicht wie eine „echte“ Mitdarlehensnehmerin verhalten. In Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof (a.a.O.) ist auch der Senat der Ansicht, dass ein „bloß“ Mithaftender, der die Verpflichtung nur zur Absicherung des Kreditgebers eingegangen ist, regelmäßig hofft, der „eigentliche“ Darlehensnehmer werde seinen Pflichten nachkommen. Er wird daher – wie auch hier die Beklagte – Zahlungen an den Kreditgeber grundsätzlich nicht vor Eintritte des Sicherungsfalles leisten.

Dass die Beklagte das als Anlage K8 vorgelegte Schreiben vom 10.01.2003 mitunterzeichnet hat, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Zwar wurden ein als ASK bezeichnetes Konto – näheren Aufschluss hat auch die Erörterung in der Verhandlung nicht ergeben – der Eheleute H gekündigt und die Klägerin um Verbuchung des Guthabens zugunsten des streitgegenständlichen

Abrufkredites gebeten. Die Gutschrift hat indes, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anhand der als Anlage K6 zu den Akten gereichten Forderungsaufstellung nachvollzogen werden konnte, lediglich EUR 11,69 betragen. Schon der Höhe nach lässt dieser Betrag mithin keine Rückschlüsse auf einen Tilgungswillen der Beklagten in Bezug auf die Kreditvaluta zu.

Hinzu kommt, dass auch nicht ersichtlich ist, dass die Beklagte im Innenverhältnis der Eheleute untereinander das Guthaben auf dem ASK-Konto überhaupt hätte beanspruchen können.

1.3.

Dass die Beklagte auch nicht als im Wesentlichen gleichberechtigte Partnerin über die Verwendung der Darlehensvaluta mitentscheiden durfte, folgt aus dem Umstand, dass der „Allianz Agentur-Abrufkredit“ zur Finanzierung der Eröffnung einer Allianz Versicherungsagentur in Plauen dienen sollte. Hiervon vermochte sich der Senat ohne Erhebung des von der Beklagten insoweit angebotenen Beweises zu überzeugen, die Gegenbeweisantritte der Klägerin sind demgegenüber unbeachtlich.

a) So spricht bereits der Vertragswortlaut für das mögliche Vorliegen eines „Geschäftskredites“. Dieser wird als „Allianz Agentur-Abrufkredit“ bezeichnet und weist als „Vertreter/Darlehensnehmer“ den – „selbständig“ – für die Allianz Versicherungs AG tätigen Ehemann der Beklagten, dessen zukünftige Geschäftsadresse sowie dessen zukünftige „Vertreternummer“ aus. Wegen der „Einkommensverhältnisse (Vertreter/Darlehensnehmer I)“ wird auf eine „Vertreterkalkulation vom (…) bzw (…) Provisionsaufstellung mit neuester Gewinnermittlung vom Steuerberater“ verwiesen. Vor diesem Hintergrund musste die Klägerin jedenfalls damit rechnen, dass der Ehemann der Beklagten als selbständiger Handelsvertreter, §§ 84, 92 HGB, ein Handelsgewerbe im Sinne des § 1 Abs. 2 HGB betreibt oder gemäß § 2 HGB im Handelsregister eingetragen ist und das Darlehen zu Geschäftszwecken aufnimmt.

b) Überdies wurde der Darlehensvertrag nicht etwa – der Lesart der Klägerin entsprechend – über eine Allianz-Agentur eingereicht, sondern in der Filialdirektion G der Allianz Versicherungs AG von dem dort tätigen Herrn K ausgefüllt. Letzteres hat die Klägerin zwar – unter Beweisantritt – mit Nichtwissen bestritten.

Allerdings kann sie sich nicht durch arbeitsteilige Organisation ihres Betätigungsbereichs ihren prozessualen Erklärungspflichten entziehen. Vielmehr hätte sie Erkundigungen anstellen (vgl. hierzu auch: Zöller-Greger, ZPO, 25. Aufl., Rz. 16 zu § 138) und dem Vortrag der Beklagten konkret entgegentreten müssen, anderenfalls dieser als zugestanden zu erachten und der Gegenbeweisantritt damit unbeachtlich ist, § 238 Abs. 2, 3 und 4 ZPO. Es kann nicht angehen, dass sich eine Bank über eine im Konzern verbundene Versicherungsgesellschaft – nach Angaben des Zeugen W gehörte die Klägerin bis Mitte 2002 „zur Allianz Gruppe“ – Kunden vermitteln lässt und sich in der Folgezeit hinsichtlich der konkreten Umstände des Zustandekommens des Vertrages mit Erfolg auf Nichtwissen beruft. Vielmehr sind die an der Kreditvermittlung beteiligten Mitarbeiter der Allianz Versicherungs AG, Filialdirektion G , als Abschlussvermittler für die Klägerin aufgetreten, weshalb sie sich entsprechend § 166 BGB auch deren Kenntnisse nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zurechnen lassen muss (vgl. nur: Palandt-Heinrichs, BGB, 65. Aufl., Rz. 15 vor § 164, Rz. 6a zu § 166).

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c) Nachdem infolgedessen davon auszugehen ist, dass der Mitarbeiter der Filialdirektion G K das Kreditvertragsformular ausgefüllt hat, kommt dem Umstand, dass dieser am 03.08.2001 auch eine die Eröffnung einer „Hauptberufsvertretung“ durch den Ehemann der Beklagten betreffende „Aktennote/Bericht“ gefertigt hat, in der beispielsweise die in dem Kreditvertrag erwähnte „Vertreternummer“ Eingang gefunden hat, für die Vertragsauslegung erhebliche Bedeutung zu, §§ 133, 157 BGB. Dies umso mehr, als in der Zweigniederlassung Leipzig für die Finanzdirektion G auch eine „Kalkulation“ zur Agenturgründung erstellt wurde, in der ein „Kreditantrag bei der Allianz Vermögensbank AG“ mit einer Kredithöhe von DM 23.000,00 und einem „aktuellen AVB-Nominalzins“ von 7,20 % Erwähnung finden; dies entspricht im Wesentlichen den dann auch in dem „Allianz Agentur-Abrufkredit“ vorgesehenen Konditionen.

d. Soweit die Klägerin auch die von dem Ehemann der Beklagten beabsichtigte Agenturgründung mit Nichtwissen bestritten hat, ist dies aus den vorstehend dargestellten Gründen als unzulässig zu erachten. Der Zeuge W hat im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Amtsgericht Augsburg im Übrigen auch angegeben, die Kreditnehmer nicht persönlich zu kennen; es ist daher auch nicht ersichtlich, welche Angaben dieser zu den Hintergründen der Kreditaufnahme hätte machen sollen.

Die weitergehende Behauptung der Klägerin, sie habe „nie Geschäfts- oder Existenzgründungsdarlehen vergeben“, die sie in das Wissen der Zeugin F gestellt hat, begegnet mit Blick auf die Bezeichnung des Kreditvertrages als „Allianz Agentur-Abrufkredit“ und die in dem Vertragsformular vorgesehene Eintragung einer Versicherungsgesellschaft, einer Büroadresse und der Vertreternummer Bedenken, berücksichtigt man zudem, dass Geschäftszweck der Klägerin Bankgeschäfte aller Art sind, „wie sie der Gesellschaft durch Erlaubniserteilung des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen gestattet oder ohne besondere Erlaubnis zulässig sind, sowie Dienstleistungsgeschäfte mit Handels- und Versicherungsgesellschaften“.

Ihr Beweisantritt ist allerdings deshalb unbeachtlich, weil sie sich auch insoweit Wissen und Handlungen der für sie als Kreditvermittlerin auftretenden Filialdirektion G der Allianz Versicherungs AG zurechnen lassen muss, die jedenfalls im konkreten Fall einen Existenzgründungskredit vermittelt hat.

e) Diesem Auslegungsergebnis steht die insoweit in Bezug genommene „Widerrufsbelehrung gemäß § 7 VerbKrG“ nicht entgegen, weil sich dieser Klausel bei verständiger Würdigung gerade nicht der übereinstimmende Wille der Vertragsparteien, dass es sich um einen „Konsumentenkredit“ handeln solle, entnehmen lässt. Zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsabschlusses am 03.08.2001 wurden Darlehensnehmer auch dann als Verbraucher im Sinne des damaligen § 5 Abs. 1 VerbKrG angesehen, wenn der ihnen gewährte Kredit für den Aufbau einer neuen gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit (sog. Existenzgründung) vorgesehen war (vgl. nur: BGH, 8. Zivilsenat, Urteil vom 22.12.1999, XIII ZR 124/99, WM 2000, 429 ff., zitiert nach juris; Münchener Kommentar zum BGB, Ullmer, 3. Aufl., Rz. 25, 26 zu § 1 VerbKrG), eine hiervon abweichende Auffassung hat der 3. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs dann erst mit Urteil vom 24.02.2005 (III ZB 36/04, BGHZ 162, 253 ff., zitiert nach juris) vertreten. Dass sich die Klägerin die maßgebliche Widerrufsbelehrung hat unterzeichnen lassen, trägt vor dem Hintergrund der damaligen Rechtslage mithin nicht die Annahme, im Verhältnis zu dem Ehemann der Beklagten habe es sich nicht um ein Existenzgründungsdarlehen gehandelt.

1.4.

Ein eigenes – sachliches und/oder persönliches – Interesse der Beklagten an der Kreditaufnahme ist nicht ersichtlich.

Solches lässt sich insbesondere auch nicht aus einem allenfalls mittelbaren wirtschaftlichen Interesse an einer mit den mit übernommenen Verbindlichkeiten zusammenhängenden Verbesserung der Ertragslage ihres Ehemannes herleiten (vgl. auch: BGH, Urteil vom 25.01.2005, aaO).

2.

Nachdem die Beklagte „bloß“ Mithaftende ist, sind auf sie die vom Bundesgerichts zu finanziell ruinösen Ehegattenbürgschaften entwickelten Grundsätze anwendbar.

Danach reicht zwar selbst der Umstand, dass der Betroffene voraussichtlich nicht einmal die vertragliche Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens oder Vermögens tragen kann, regelmäßig nicht aus, um das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit zu begründen. In einem solchen Falle krasser finanzieller Überforderung wird aber widerleglich vermutet, dass die ruinöse Bürgschaft oder Mithaftung allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen wurde und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (st. Rspr., vgl. nur: BGH, Urteil vom 04.12.2001, aaO; BGH, Urteil vom 25.01.2005, aaO). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, insbesondere verfügte die Beklagte ausweislich der im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Kreditvertrages erteilten Selbstauskunft nicht über Immobilien und dass anderweitiges Vermögen nicht vorhanden war, hat auch die Klägerin nicht in Frage gestellt.

2.1.

Abweichend von den erstinstanzlichen Feststellungen – hierauf kommt es allerdings im Ergebnis ohnedies nicht an – verfügte die Beklagte auch nicht über monatliche Nettoeinkünfte von bis zu DM 1.866,23; die dahingehenden Behauptungen der Klägerin mit Schriftsatz vom 19.12.2005 sind mit Blick auf die zu den Akten gereichten Gehaltsabrechnungen vielmehr als unschlüssig zu erachten.

Den Gehaltsnachweisen zufolge beliefen sich die monatlichen Nettoeinkünfte der Beklagten auf zwischen DM 1.400,00 und DM 1.650,00 (einschließlich Urlaubsgeld) monatlich; ihre Angaben in den Kreditvertragsformular waren – mit DM 1.550,00 netto monatlich – mithin nicht unzutreffend. Selbst wenn die Klägerin der ihr abzuverlangenden Prognose hätte zugrunde legen dürfen, dass die Unterhaltspflichten der Beklagten gegenüber ihrem bei Vertragsabschluss bereits 17-jährigen Sohn alsbald wegfallen würden, würde das pfändungsfreie Einkommen der einem weiteren, damals 12-jährigen Sohn gegenüber zum Unterhalt verpflichteten Beklagten doch keinesfalls ausgereicht haben, die auf den ihrem Ehemann eingeräumten Kreditrahmen von DM 23.400,00 monatlich entfallenden Zinsen von DM 145,47 zu tragen. Solches würde – unter Zugrundelegung der bis zum 01.01.2002 geltenden Pfändungsfreigrenzen (vgl. nur: Zöller-Stöber, ZPO, 22. Aufl., Anhang nach § 850c) – monatliche Nettoeinkünfte von mindestens DM 1.980,00 vorausgesetzt haben.

2.2.

Dass es den Eheleuten H bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit der Beklagten gelungen ist, die vertraglich geschuldeten Zins- und Tilgungszahlungen zu erbringen, nimmt der Mithaftübernahme vor diesem Hintergrund nicht das Gepräge der Sittenwidrigkeit. Insbesondere verweist die Beklagte zu Recht darauf, dass bei der Beurteilung der krassen finanziellen Überforderung die Einkünfte des Ehegatten, hinsichtlich dessen Verbindlichkeiten die Mithaftübernahme erfolgte, außer Betracht zu bleiben haben. Dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu krass überfordernden Mithaftübernahmen auf den der Pfändung unterliegenden Teil des Einkommens abstellt, erscheint, wie ausführlich mit den Parteien erörtert, schon im Interesse der Wahrung der Rechtseinheit, zwingend.

2.3.

Der Umstand, dass die Beklagte die gemäß Kreditvertrag vom 14.11.1998 für den Kauf eines PKW geschuldeten monatlichen Raten von DM 343,00 aus ihren unpfändbaren Einkünften beglichen haben mag, rechtfertigt auf Seiten der Klägerin kein berechtigtes Vertrauen, dass solches auch in Bezug auf die ihr gegenüber eingegangene Mithaft der Fall sein werde. Vielmehr musste sie, nachdem diese Verbindlichkeit – allerdings lediglich mit DM 323,00 – bei Abschluss des hier maßgeblichen Abruf-Kreditvertrages offengelegt worden war, diesem die Bonität der Beklagten zusätzlich in Frage stellenden Umstand bei ihrer Kreditvergabeentscheidung besondere Bedeutung beimessen.

3.

Abweichend vom Landgericht kann nach der Überzeugung des Senats nicht davon ausgegangen werden, dass eine etwaige „Bagatellgrenze“ hier der aus der krassen finanziellen Überforderung der Beklagten herzuleitenden Vermutung für eine sittlich anstößige Ausnutzung ihres emotionalen Verhältnisses zu ihrem Ehemann durch die Klägerin entgegensteht.

Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.10.1993 (I BvR 467/98 u.a., NJW 1994, 36 ff., 37 und 39) lässt sich solches jedenfalls nicht herleiten, nachdem es sich „im Falle der Beschwerdeführerin zu 2)“ um einen Verbraucherkredit handelte, der zur Begleichung von Anschaffungskosten bei der Gründung eines Hausstandes diente. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass die Begründung des Bundesverfassungsgerichts auch auf die mit DM 30.000,00 für derartige Anschaffungen „nicht ungewöhnliche Höhe“ des Kredites abgestellt hat. Darüber hinaus wurde allerdings auch ein unmittelbares Eigeninteresse an der Kreditgewährung bejaht.

Und jedenfalls an Letzterem fehlt es, wie ausgeführt, hier. Die Berufung der Klägerin auf das Urteil des Oberlandesgericht Koblenz vom 16.03.1999 (3 U 1343/97, NJW-RR 2000, 639 ff.) vermag allerdings auch aus weiteren Gründen nicht zu überzeugen. Die vom Oberlandesgericht Koblenz zur Unterlegung seiner Auffassung zitierten Entscheidungen (aaO, 640) sind bei näherer Betrachtung auf die hier gegebene Fallgestaltung nämlich nicht übertragbar. So hat zwar der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 24.11.1992 (XI ZR 98/92, NJW 1993, 322 ff., 324) die Übernahme einer Höchstbetragsbürgschaft über DM 50.000 durch einen mittellosen Ehegatten als wirksam erachtet. Dies allerdings unter Zugrundelegung einer vom Bundesgerichtshof nicht beanstandeten Prognose, dass die dortige Bürgin in absehbarer Zukunft wieder erwerbstätig und damit in der Lage sein werde, einen Beitrag zur Erfüllung der Kreditverpflichtungen zu leisten. Demgegenüber sind hier keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin bei Vertragsabschluss annehmen durfte, die Beklagte werde in Zukunft ein über das bisher als Verkäuferin erzielte Gehalt hinausgehendes Einkommen haben. Das vom Oberlandesgericht Koblenz weiter in Bezug genommene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 05.01.1995 (IX ZR 85/94, NJW 1995, 592 ff.) trägt nicht die Auffassung, eine wie auch immer geartete „Bagatellgrenze“ könne der Annahme der Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft oder Mithaftübernahme mit Erfolg entgegengehalten werden.

Diese Entscheidung betrifft vielmehr die Frage, inwieweit eine Bank ein berechtigtes Interesse daran haben kann, sich durch eine Ehegattenbürgschaft gegen die Gefahr von Vermögensverschiebungen zu sichern. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 14.05.2002, XI ZR 81/01, ZIP 2002, 1190 ff.), bedarf es insoweit einer ausdrücklichen Haftungsbeschränkung, zu etwaigen „Bagatellgrenzen“ besagen indes beide Entscheidungen nichts.

Für die hier gegebene Fallgestaltung schließt sich der Senat daher der Auffassung des Oberlandesgerichts Celle an, das sich mit Urteil vom 11.12.2002 (3 U 69/02, ZGS 2003, 206, zitiert nach juris), Beschlüssen vom 30.12.2003 (3 W 109/03, OLG-Report 2004, 311 ff.) und vom 24.08.2005 (3 W 119/05, OLG-Report 2005, 612 ff.) ebenfalls umfassend mit der Auffassung des Oberlandesgerichts Koblenz (Urteil vom 16.03.1999, aaO) und den dortigen Zitaten auseinandergesetzt hat und auf dessen Ausführungen ergänzend Bezug genommen wird. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt deutlich gemacht, dass die Grundsätze zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften naher Angehöriger bereits „bei nicht ganz geringen Bankschulden“ Geltung beanspruchen (Urteil vom 14.10.2003, XI ZR 121/02, MDR 2004, 162). Ob einem Rechtsgeschäft wegen Sittenwidrigkeit die Wirksamkeit zu versagen ist, erfordert zudem stets eine Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Umstände (so bereits: BGH, Urteil vom 24.11.1992, aaO, 323). Vor diesem Hintergrund kommt jedenfalls eine „starre“ Bagatellgrenze nicht in Betracht.

Maßgebend kann vielmehr allein das Maß des Missverhältnisses zwischen der finanziellen Leistungsfähigkeit einerseits und der mitübernommenen Darlehensverpflichtung andererseits im konkreten Einzelfall sein. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Summe der mitübernommenen Verpflichtungen das – ohnedies unpfändbare – Jahresnettoeinkommen des Mithaftenden erheblich übersteigt, erscheint die Annahme, es könne sich um „ganz geringe Bankschulden“ handeln, auf die die Sittenwidrigkeitsrechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht anwendbar sein könne, nicht haltbar.

4.

Dem kann die Klägerin schließlich auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Klageforderung sei jedenfalls aus § 826 BGB gerechtfertigt, weil die Beklagte und ihr Ehemann sie in kollusivem Zusammenwirken über den Darlehenszweck getäuscht hätten. Die Behauptung, die Beklagte habe gewusst, dass die Klägerin nie Geschäfts- oder Existenzgründungsdarlehen vergeben habe, ist aus der Luft gegriffen und wurde im Übrigen auch nicht unter Beweis gestellt. Schließlich ist auch nicht erkennbar, weshalb die Beklagte für etwaiges Fehlverhalten ihres Ehemannes einstehen sollte.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens beträgt EUR 5.939,23.

III.

Eine Vorlage des Rechtsstreits zur Entscheidung über die Übernahme gemäß § 526 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO war nicht angezeigt.

Der Senat hat über die Frage, ob der Sache mit Blick auf eine etwaige „Bagatellgrenze“ grundsätzliche Bedeutung beizumessen sein mag, im Vorfeld der Beschlussfassung nach § 526 Abs. 1 ZPO – schon wegen der Vorgaben des § 526 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO – ausführlich beraten. Solches war auch mit Rücksicht auf das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 16.03.1999 (a.a.O.) nicht anzunehmen, weil diese Entscheidung vereinzelt geblieben ist (vgl. hierzu auch: Zöller-Gummer, a.a.O., Rdz. 11 zu § 543) und nur vermeintlich in Übereinstimmung mit der dort zitierten – überdies auf den hier gegebenen Fall aus den dargestellten Gründen nicht übertragbaren – höchstrichterlichen Rechtsprechung steht. Eine wesentliche Änderung der Prozesslage ist in der Folge nicht eingetreten.

Unter diesen Umständen kommt auch eine Revisionszulassung nicht in Betracht, § 543 Abs. 2 ZPO.

 

 

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