BGH, Az.: VI ZR 143/91, Urteil vom31.03.1992
Tatbestand
Der Kläger verlangt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 9. Mai 1987, für welchen die volle Einstandspflicht der Beklagten – die Beklagte zu 2) ist Haftpflichtversicherer der Beklagten zu 1) – außer Streit steht. Der Kläger hat bei dem Unfall schwere Verletzungen (u.a. Lungenquetschung, Schädelhirntrauma, Wirbelbrüche und Schlüsselbeinbruch) erlitten. Als Dauerfolge besteht eine keilförmige Deformierung der Wirbelkörper. Neben einem Schmerzensgeld von 40.000 DM hat die Beklagte zu 2) zum Ausgleich eines bis zum 31. Dezember 1987 eingetretenen Erwerbsschadens 16.000 DM gezahlt.
Der Kläger, welcher seit dem 21. Februar 1983 ein Bestattungsunternehmen betreibt und von März 1986 bis Juni 1987 zusätzlich ein Blumengeschäft betrieben hatte, verlangt Ersatz weiteren Erwerbsschadens mit der Begründung, daß er im Bestattungsunternehmen Gewinneinbußen erlitten habe, weil er – bedingt durch den Ausfall der eigenen Arbeitskraft – in größerem Umfang als früher Hilfskräfte habe beschäftigen müssen und deshalb erhöhte Kosten entstanden seien. Gegenüber ca. 45.000 DM pro Jahr vor dem Unfall habe er 1987 67.920,80 DM (die Angabe von 97.920,80 DM im Tatbestand des Berufungsurteils beruht offensichtlich auf einem Versehen) und 1988 67.750,87 DM für Hilfskräfte aufgewendet. Insgesamt betrage sein Erwerbsschaden über die gezahlten 16.000 DM hinaus für das Bestattungsunternehmen 37.000 DM. Für das Blumengeschäft hat er für die Zeit vom 1. Juli 1987 bis 31. Dezember 1989 entgangenen Gewinn in Höhe von 19.100 DM geltend gemacht. Daneben hat er Erstattung von Fahrtkosten für Arztbesuche etc. in Höhe von 1.368,60 DM und Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für zukünftigen immateriellen Schaden verlangt.
Das Landgericht hat den Ersatz der Fahrtkosten und den Feststellungsanspruch zuerkannt; den Anspruch auf Ersatz von Erwerbsschaden hat es abgewiesen. Mit seiner Berufung hat der Kläger seine Klage um den Antrag auf Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz künftiger materieller Schäden erweitert. Diesem Feststellungsantrag hat das Berufungsgericht stattgegeben. Im übrigen ist die Berufung des Klägers erfolglos geblieben. Den Zahlungsantrag auf Ersatz von Erwerbsschaden verfolgt der Kläger mit der Revision weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch auf Ersatz von Erwerbsschaden verneint, weil sich aus den Darlegungen des Klägers ein Gewinnausfall nicht ergebe. Als ersatzfähiger Schaden könne sich im Bestattungsunternehmen der Wegfall der Arbeitsleistung des Klägers nur im Verlust der bis zum Unfall bezogenen Einnahmen oder dem Ausbleiben sonst zu erwartender Gewinne ausgewirkt haben. Hierfür sei auf die tatsächliche Entwicklung des Unternehmens abzustellen, wobei die Kosten für Ersatzkräfte einzubeziehen seien. Diese Kosten könnten jedoch entgegen der Auffassung des Klägers nicht allein und losgelöst von der Gesamtbetrachtung der Unternehmensentwicklung als Erwerbsschaden geltend gemacht werden. Die Bilanzen sowie die Gewinn- und Verlustrechnung ergäben nicht, daß sich die Kosten für Ersatzkräfte vorliegend ausgabensteigernd ausgewirkt hätten. Es sei nämlich mit Ausnahme des Jahres 1987 ein im Vergleich zu den Einnahmen auffallend höherer Anstieg der Ausgaben nicht zu verzeichnen. Vielmehr sei der Gewinn – mit Ausnahme des Jahres 1987 – seit Geschäftsbeginn in etwa gleichgeblieben. Lediglich 1987 seien höhere Ausgaben angefallen, die jedoch durch den als Erwerbsschaden für 1987 bereits gezahlten Betrag von 16.000 DM ausgeglichen seien.
Auch für das Blumengeschäft sei kein entgangener Gewinn festzustellen, weil nach dem Gutachten des Dr. B. 1986 und 1987 lediglich Verluste erwirtschaftet worden seien und die Umsatzentwicklung 1987 bis zum Unfall rückläufig gewesen sei. Es gebe keine zuverlässigen Zahlen, die eine Beurteilung des Geschäftsablaufs ohne den Unfall zuließen.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Zwar ist der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts zutreffend, daß nicht bereits der Wegfall der Arbeitskraft als solcher, sondern erst die negative Auswirkung des Ausfalls der Arbeitsleistung im Vermögen des Verletzten einen Schaden im haftungsrechtlichen Sinn darstellt, so daß der Unternehmer seinen Schaden nicht abstrakt in Höhe des Gehalts einer gleichwertigen Ersatzkraft geltend machen kann (Senatsurteil BGHZ 54, 45, 50, 54). Vielmehr kommt es darauf an, ob sich der Ausfall oder die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit als konkreter Verlust in der Vermögensbilanz ausgewirkt hat.
Mit Recht rügt die Revision jedoch, daß das Berufungsgericht den Klägervortrag unvollständig gewürdigt hat, wenn es dem Kläger vorhält, daß Kosten für Ersatzkräfte „allein und losgelöst aus der Gesamtbetrachtung“ einen Erwerbsschaden nicht begründen könnten. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger nämlich – anders als in dem vom Berufungsgericht herangezogenen, der oben zitierten Senatsentscheidung zugrundeliegenden Fall – nicht versucht, einen Schaden durch bloße Bezugnahme auf das Gehalt von Ersatzkräften darzulegen. Vielmehr hat er bereits mit der Klageschrift eine Aufstellung über seine jährlichen konkreten Aufwendungen für Fremd- und Hilfsarbeiten vorgelegt, aus denen sich nach in etwa gleichbleibenden Ausgaben für den Zeitraum 1984 bis 1986 für die Jahre ab 1987 eine deutliche Steigerung dieser Ausgaben, nämlich um jeweils ca. 50 %, ergibt. Dazu hat er vorgetragen, infolge der unfallbedingten Verringerung seines körperlichen Einsatzes verstärkt auf die Beschäftigung von Hilfskräften angewiesen zu sein. Zugleich hat er gegenüber einer Vermutung der Beklagten, daß die erhöhten Aufwendungen für Arbeitskräfte ab 1987 sich wohl aus einer Vermehrung des Arbeitsanfalls (mehr Sterbefälle) ergäben, substantiiert vorgetragen, der zusätzliche Einsatz von Arbeitskräften ab 1987 sei nur wegen des Unfalls und nicht etwa wegen verstärkten Arbeitsanfalls erforderlich geworden, da nämlich die Zahl der Sterbefälle in etwa gleichgeblieben sei. Die Erhöhung der Gewinnzahlen ab Anfang 1987 erkläre sich daraus, daß von diesem Zeitpunkt an teurere Särge verkauft worden seien.
Mithin konnte sein Vortrag zum unfallbedingten Einsatz fremder Arbeitskräfte nicht anders verstanden werden, als daß ohne diese Erhöhung der Ausgaben ab 1987 höhere Gewinne erzielt worden wären. Bei dieser Sachlage durfte das Berufungsgericht sich nicht darauf beschränken, die Ergebnisse der Gewinn- und Verlustrechnungen für die Jahre ab 1983 dahin zu würdigen, daß die Gewinne mit Ausnahme des Jahres 1987 annähernd gleichgeblieben seien und deshalb ein Gewinnausfall außer für das Jahr 1987 nicht festgestellt werden könne. Mit dieser Betrachtungsweise schöpft das Berufungsgericht den Sachvortrag des Klägers nicht aus (§ 286 ZPO). Gleichzeitig verkennt es, daß der Kläger den bei der Darlegung eines Schadens im Rahmen des § 287 ZPO herabgesetzten Anforderungen (hierzu BGHZ 74, 221, 226 und Senatsurteil vom 18. Februar 1992 – VI ZR 367/90 – zur Veröffentlichung vorgesehen) genügt und hinreichend substantiiert einen unfallbedingten Kostenaufwand zur Überbrückung des Ausfalls in seinem Unternehmen behauptet hat, der das Geschäftsergebnis belastet habe; für diesen konkreten Schaden kann der Verletzte – in den Grenzen des § 254 Abs. 2 BGB – von dem Schädiger Ersatz verlangen. Konnte sich mithin aus dem Klägervortrag zum unfallbedingten Ausbleiben andernfalls zu erwartender Gewinnsteigerungen nach den Grundsätzen des § 252 BGB ein erstattungsfähiger Schaden ergeben (BGHZ 54, 45, 53), so hätte das Berufungsgericht dem Klägervortrag zum unfallbedingten Einsatz zusätzlicher Hilfskräfte nachgehen und die hierzu angebotenen Beweise erheben müssen. Dabei wäre zu beachten gewesen, daß dem Kläger die Beweiserleichterungen des § 252 BGB und des § 287 ZPO zugute kommen.
2. Erfolgreich bekämpft die Revision auch die Auffassung des Berufungsgerichts, beim Blumengeschäft sei entgangener Gewinn nicht feststellbar, weil es an zuverlässigen Kriterien für eine Prognose der Geschäftsentwicklung fehle.
Das Berufungsgericht hat sich für seine Auffassung, in diesem Geschäft seien für die Jahre 1986 und 1987 lediglich Verluste erwirtschaftet worden, auf das Gutachten des Dr. B. gestützt, bei welchem es sich jedoch, wie die Revision mit Recht rügt, um ein Privatgutachten für die zweitbeklagte Versicherung handelt. Demgegenüber hatte der Kläger sich in der Berufungsbegründung auf ein Sachverständigengutachten für seine Behauptung berufen, nach Anlaufschwierigkeiten wäre pro Jahr ein Reingewinn von 10.000 DM angefallen. Er hat dazu eine Gewinn- und Verlustrechnung für 1986 vorgelegt, die mit einem Gewinn von 5.348,73 DM abschließt und zusätzlich darauf hinweist, die Werbekosten seien im Zusammenhang mit der Eröffnung angefallen und würden in Zukunft nicht mehr entstehen, auch seien im ersten Jahr die Anlaufschwierigkeiten größer. Bei dieser Sachlage konnte das Berufungsgericht die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens auch nicht mit der Erwägung unterlassen, das Geschäft sei schon in den ersten Monaten des Jahres 1987, also bereits vor dem Unfall, rückläufig gewesen, zumal der Kläger das mit saisonbedingten Besonderheiten im Blumengeschäft zu erklären gesucht hat. Wenn das Berufungsgericht demgegenüber meint, es gebe keine zuverlässigen Zahlen für eine Beurteilung des Geschäftsverlaufs ohne den Unfall, so verkennt es dabei, daß die Darlegung solcher hypothetischen Entwicklung eines Geschäftsbetriebs typischerweise Schwierigkeiten bereitet und dem Geschädigten gerade wegen dieser Schwierigkeiten die oben aufgezeigten Beweiserleichterungen zugutekommen.
III.
Da das angefochtene Urteil auf den aufgezeigten Rechts- und Verfahrensfehlern beruht, war es aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses unter Hinzuziehung eines Sachverständigen, dessen Sachkunde möglicherweise auch für die Beurteilung eines Gewinnausfalls im Bestattungsunternehmen erforderlich sein wird, die erforderlichen Feststellungen treffen kann.