OLG Hamm
Az: 4 Ss OWi 75/03
Beschluss vom: 06.02.2003
Beschluss Bußgeldsache wegen Verkehrsordnungswidrigkeit (Geschwindigkeitsüberschreitung).
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg gegen das Urteil des Amtsgerichts Meschede vom 6. November 2002 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 02. 2003 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Meschede zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 29 km/h außerorts zu einer – erhöhten – Geldbuße von 150,- € verurteilt und dazu Folgendes ausgeführt:
„Der Betroffene ist von Beruf als Servicetechniker beschäftigt.
Straßenverkehrsrechtlich ist der Betroffene wie folgt in Erscheinung getreten:
Durch Bußgeldbescheid des Hochsauerlandkreises vom 12.03.2002, rechtskräftig seit dem 28.03.2002, wurde gegen ihn wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 75 Euro festgesetzt.
Am 25.04.2002 gegen 14.05 Uhr befuhr der Betroffene mit seinem Pkw, amtliches Kennzeichen XXXXXXXXX, die B 55 in Eslohe-Nichtinghausen in Fahrtrichtung Reiste. In dem betreffenden Bereich ist die Geschwindigkeit durch Verkehrszeichen 274 auf 50 km/h begrenzt. Dort wurde am 25.04.2002 eine Geschwindigkeitsmessung mittels Radarmessgerät Traffipax speedophot durch einen Messbeamten des Hochsauerlandkreises durchgeführt. Dabei wurde eine Geschwindigkeit des Betroffenen von 82 km/h gemessen. Abzüglich einer Toleranz von 3 km/h ergibt sich damit eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h.
Der Betroffene hat die Ordnungswidrigkeit eingeräumt.“
Gemäß § 4 Abs. 4 BKatV hat das Amtsgericht von der Verhängung des gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV vorgesehenen Fahrverbots mit folgender Begründung abgesehen:
„Ein Absehen ist möglich, wenn die Verhängung des Fahrverbotes für den Betroffenen eine erhebliche Härte bedeutet, die trotz der groben Pflichtverletzung die Verhängung des Fahrverbotes als unangemessen erscheinen lässt.
Eine solche unangemessene Härte durch die Verhängung eines Fahrverbotes ist im vorliegenden Fall gegeben. Der Betroffene hat glaubhaft gemacht, als Servicetechniker ständig mit dem Fahrzeug unterwegs sein zu müssen, um Reparaturaufträge erledigen zu können. Er ist auch nicht in der Lage, sich für diese Fahrten eines anderen Angestellten oder eines Familienangehörigen zu bedienen. Er hat glaubhaft gemacht, dass sein Arbeitsplatz bei einer Einstellung der Fahrtätigkeit für einen Monat gefährdet wäre.
Das Gericht ist zudem davon überzeugt, dass bei dem Betroffenen eine Erhöhung des Bußgeldes um das Doppelte ausreicht, ihm zur Warnung zu dienen und ihn dazu zu bewegen, künftig die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung auch ohne die Verhängung eines Fahrverbotes einzuhalten.
Daher war es hier ausnahmsweise gerechtfertigt, unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen.“
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist.
II.
Das Rechtsmittel hat einen zumindest vorläufigen Erfolg.
Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, so dass die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Beschränkung der Rechtsbeschwerde wirksam ist.
Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruches lässt aber Rechtsfehler erkennen, die zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung insoweit führen.
Zwar kann von der Verhängung eines gemäß § 4 Abs. 1 BKatV indizierten Regelfahrverbots ausnahmsweise – unter Erhöhung der Regelgeldbuße – abgesehen werden, wenn erhebliche Härten oder eine Vielzahl gewöhnlicher Umstände vorliegen, die es unangemessen erscheinen lassen, den Betroffenen trotz des groben bzw. beharrlichen Pflichtverstoßes mit einem Fahrverbot zu belegen (vgl. BGHSt 38, 125, 134; ständige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 25 StVG Rdnr. 24 m.w.N.). Der Tatrichter muss für diese seine Überzeugung vom Vorliegen eines Ausnahmefalles jedoch eine auf Tatsachen gestützte Begründung geben (vgl. BGHSt 38, 231, 237), die sich nicht nur in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpfen darf (vgl. OLG Hamm VRS 95, 138, 140; OLG Rostock NZV 2002, 137; OLG Düsseldorf NZV 1999, 477; Hentschel a.a.O. Rdnr. 26 m.w.N.). Zwar ist es dem Tatrichter nicht schlechthin verwehrt, einer Behauptung zu glauben. Entlastende Angaben des Betroffenen, der sich auf das Vorliegen einer persönlichen Ausnahmesituation beruft und regelmäßig ein großes Interesse daran haben wird, die Verhängung eines Fahrverbotes zu vermeiden, dürfen jedoch nicht ohne weitere Prüfung hingenommen werden. Vielmehr muss das Amtsgericht darlegen, aufgrund welcher Erwägungen es die Angaben des Betroffenen für glaubhaft erachtet.
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Das Amtsgericht hat die Behauptung des Betroffenen, im Falle der Verhängung eines Fahrverbotes sei sein Arbeitsplatz gefährdet, offenbar ungeprüft hingenommen. In aller Regel lässt sich indes der Verlust des Arbeitsplatzes durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch Urlaub, wobei die Regelung des § 25 Abs. 2 a S. 1 StVG zusätzliche Dispositionsmöglichkeiten bietet, vermeiden. Macht der Betroffene gleichwohl die Gefährdung seines Arbeitsplatzes geltend, wird derartiges Vorbringen, um missbräuchliches Behaupten auszuschließen, in den Urteilsgründen besonders kritisch zu würdigen sein. Gegebenenfalls ist darüber Beweis zu erheben, etwa durch die zeugenschaftliche Vernehmung des Arbeitgebers.
Dieser Prüfungs- und Darlegungspflicht ist das Amtsgericht im vorliegenden Fall nicht nachgekommen.
Wegen dieses Mangels unterliegt das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch der Aufhebung, so dass die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Meschede zurückzuverweisen war.