LG Darmstadt, Az.: 7 S 176/14, Urteil vom 21.10.2015
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 23.10.2014 (3 C 3999/13) wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Berufungsurteil und das angefochtene amtsgerichtliche Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 1.200,– € festgesetzt.
Gründe
Die Parteien streiten um Ausgleichszahlungen nach der EG Verordnung Nr. 261/2014 (EG-VO), nachdem der von den Klägern gebuchte und für den 07.05.2013 um 02.15 Uhr … geplante Rückflug von Puerto Plata nach Frankfurt/Main unstreitig (vollständig) erst am 09.05.2013 um 23.20 Uhr … durchgeführt wurde. Streitig ist, ob der Abbruch des Fluges nach zunächst planmäßig erfolgtem Start und die erneute Landung in Punta Cana auf durch Vogelschlag verursachte Schäden am linken Triebwerk zurückzuführen war.
Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 23.10.2014 die auf Zahlung von insgesamt 1200,– € sowie vorgerichtlicher Anwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen.
Gegen das Urteil haben die Kläger Berufung eingelegt und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils 600,– € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie die Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 155,30 € freizuhalten.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Berufung der Kläger wurde form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der antragsgemäß verlängerten Frist begründet; sie ist somit zulässig.
In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
Zunächst wird auf die tatsächlichen Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs.1 Ziff. 1 ZPO). Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen sind nicht ersichtlich (§ 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO).
Auch die Kammer geht nach Vernehmung der Zeugen … und … im Rahmen der Beweisaufnahme in zweiter Instanz ebenso wie das Amtsgericht Rüsselsheim und das Amtsgericht Frankfurt/Main in einem Parallelverfahren (30 C 2166/13) davon aus, dass es vorliegend nach dem Start zu einer Beschädigung am linken Triebwerk durch Vogelschlag gekommen ist, was zu Triebwerksvibrationen geführt hat.
Der Zeuge … hat anschaulich seine Wahrnehmungen geschildert, insbesondere die Tatsache, dass die Vibrationen auch nach Einfahren des Fahrwerks nicht weniger geworden waren und deshalb die Entscheidung gefallen sei, den Atlantikflug aus Sicherheitsgründen abzubrechen und auf dem besser geeigneten Flughafen in Punta Cana wieder zu landen. Er will nach dem Start in Puerto Plata einen kleinen Vogel, eine kleine Möwe vielleicht, gesehen haben, aber selbst keinen Aufschlag oder ähnliches wahrgenommen haben; er konnte lediglich die Wahrnehmung einer Flugbegleiterin wiedergeben, welche im mittleren Teil des Fluggerätes unmittelbar nach dem Start eine Erschütterung bemerkt haben will. Soweit die Kläger jetzt nochmals anzweifeln, dass ein Vogel etwa in der Größe einer Meise einen derartigen Schaden anrichten kann, so war das dazu beantragte Sachverständigengutachten nicht einzuholen. Zum einen steht nicht fest, dass genau das von dem Zeugen … gesichtete Tier in das Triebwerk geraten ist und nicht ein anderes, größeres Tier mit anderer Flugrichtung, weshalb der Zeuge es nicht sehen konnte. Zum anderen hat der Zeuge … bekundet, dass er dem Bodenpersonal in Punta Cana die Sichtung des kleinen Vogels nicht mitgeteilt hatte, sondern dort sei man allein aufgrund der Begutachtung der Beschädigungen zu dem Schluss gelangt, dass es sich um einen „bird strike“ handelte. Auch der Zeuge … hat aufgrund seiner gerichtsbekannten langen Erfahrung bestätigt, dass es sich bei dem, was auf den zur Akte gereichten Lichtbildern zu erkennen ist, um das typische Schadensbild nach einem Vogelschlag handelt.
Die Kammer hat daher keine Zweifel daran, dass hier ein Vogelschlag vorlag und damit ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 EG-VO. Nach zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung stellen nämlich nicht im Zusammenhang mit der Abfertigung der Maschine am Boden stehende Einwirkungen von außen auf das Flugzeug, etwa in die Triebwerke einfliegende oder eingesogene Vögel, einen solchen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der EG-VO und Nr. 14 der Erwägungsgründe dieser Fluggastrechteverordnung dar, der zu einer Haftungsbefreiung des auf Ausgleichszahlung in Anspruch genommenen ausführenden Luftfahrtunternehmens führt (BGH, Urteil vom 16.09.2014, X ZR 102/13, abrufbar in Juris; LG Frankfurt/Main, Urteil vom 9.11.2012, 2-24 S 111/12, abgedruckt in RRa Heft 2/2013, S. 85-88 mit weiteren Nachweisen; ständige Rechtsprechung der erkennenden Kammer, z.B. ausführlich im Urteil vom 24.07.2013, 7 S 242/12 und zuletzt Urteil vom 01.07.2015, 7 S 16/15).
Zwar ist die Möglichkeit eines Vogelschlags als ein typisches und nicht ganz fern liegendes Risiko im Rahmen des Betriebs eines Flugzeugs zu bewerten; gleichwohl stellt sich der durch einen Vogelschlag verursachte technische Defekt bei wertender Betrachtung nicht als Teil der normalen Ausübung der Luftfahrttätigkeit dar. Vogelschlag lässt sich de facto nicht vermeiden. Vorbeugende Sicherungsvorkehrungen können allenfalls von Seiten der Flughafenbetreiber, nicht aber von den Fluglinien selbst, getroffen werden. Das Risiko des Vogelschlags unterfällt daher nicht (mehr) der Zurechnungssphäre des Luftfahrtunternehmens. Bei dieser Bewertung ist auch zu berücksichtigen, dass die Ausgleichszahlungsverpflichtung neben der Wiedergutmachungsfunktion der Disziplinierung der Luftfahrtunternehmen dient. Ausfall- und Verspätungsrisiken sollen durch Optimierung der organisatorischen Abläufe soweit als möglich vermieden werden. Es würde nach Auffassung des Gerichts jedoch zu weit führen, die verschuldensunabhängige Haftung nach Art. 7 Abs. 1 der Fluggastrechteverordnung auch auf nicht vorhersehbare Naturereignisse zu erstrecken; Art. 5 Abs. 3 der Verordnung würde anderenfalls weitestgehend leer laufen.
Soweit in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten wird, die Fluggesellschaft müsste darlegen, welche anderen personellen, materiellen und finanziellen Mittel ihr zur Verfügung standen, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen und aus welchen Gründen es ihr ggf. nicht zumutbar war, auf diese Ressourcen zurückzugreifen (BGH, Urteil vom 14.10.2010, Az. Xa ZR 15/10, Tz. 29), hat die Beklagte ausreichend dargelegt, welche Anstrengungen sie unternommen hat, diese Verspätung möglichst gering zu halten. Im vorliegenden Fall sind keine Umstände erkennbar, dass die Verspätung durch andere zumutbare Maßnahmen der Beklagten als durch den dann tatsächlich vorgenommenen Einsatz eines Ersatzflugzeuges, welches erst am 09.04.2013 zur Verfügung stand, hätte verhindert werden können. Es ist gerichtsbekannt, dass bei derartigen Beschädigungen durch Vogelschlag nach der Landung zunächst eine sorgfältige Untersuchung des betroffenen Triebwerks, zumeist mittels einer aufwändigen Boroskopie, vorgenommen werden muss, um die Möglichkeiten einer Reparatur auszuloten. Vorliegend war nach den nachvollziehbaren Bekundungen des Zeugen … das – paarweise – Auswechseln der sog. Fanblades aufgrund der Deformierungen durch Vogelschlag erforderlich. Dieser Austausch bzw. der Probelauf darf nur durch lizensierte Mechaniker von Boeing vorgenommen werden, welche jedoch nicht vor Ort waren. Die Beklagte ist aber nicht gehalten, für solche Fälle jeweils ein Mechaniker-Team und Ersatzteile auf allen Destinationen vorzuhalten, ebenso wie sie nicht verpflichtet ist, Ersatzmaschinen bereitzuhalten. Eine derartige große Verspätung ist zwar bedauerlich, aber der Beklagten hier nicht vorzuwerfen.
Ergänzend wird auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verwiesen.
Im Ergebnis war daher die Berufung der Kläger mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung, aber mit Abwendungsbefugnis, ergibt sich aus § 708 Ziff. 10 ZPO in Verbindung mit § 711 ZPO.
Die Bemessung des Gegenstandswertes folgt dem Umfang der Anfechtung des amtsgerichtlichen Urteils bzw. dem bezifferten Rechtsmittelantrag, wobei die vorgerichtlichen Anwaltskosten als Nebenforderung gemäß § 4 Abs. 1 ZPO außer Betracht zu bleiben hatten.