OLG Celle – Az.: 24 W 3/22 – Beschluss vom 15.09.2022
I. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die Beschlüsse des Landgerichts Verden vom 8. Februar 2022 und vom 12. April 2022 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Erfüllung eines Kaufvertrags über ein gebrauchtes Wohnmobil in Anspruch.
Am 22. September 2020 schlossen der Beklagte zu 1 als Verkäufer und der Kläger als Käufer einen Kaufvertrag über ein gebrauchtes Wohnmobil der Marke R./A. zum Preis von 35.000 Euro. Wegen der Einzelheiten wird auf den Kaufvertrag vom 22. September 2020 Bezug genommen (Anlage K1, Bl. 8 Bd. I d. A.). Der Kläger leistete vereinbarungsgemäß eine Anzahlung von 500 Euro. Am 16. Oktober 2020 teilten die Beklagten dem Kläger mit, das Wohnmobil sei von einem Mieter falsch betankt worden und deshalb reparaturbedürftig (Anlage K5, Bl. 12 Bd. I d. A.). Mit Schreiben vom 2. November 2020 (Anlage K7, Bl. 14 Bd. I d. A.) forderte der Kläger den Beklagten zu 1 unter einer Frist von zehn Tagen zur Mängelbeseitigung auf. Mit Schreiben vom 11. November 2020 (Anlage K8, Bl. 15 Bd. I d. A.) erklärte der Beklagte zu 1 den Rücktritt vom Kaufvertrag mit der Begründung, „dass die Parameter des Kaufvertrages nicht eingehalten werden können“.
Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1 habe beim Abschluss des Kaufvertrages im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit der Vermietung und des Verkaufs von Wohnmobilen gehandelt. Die Beklagte zu 2 hafte unter dem Gesichtspunkt der Firmenfortführung, weil der Beklagte zu 1 seinen Betrieb am 8. April 2021 eingestellt und auf die Beklagte zu 2 übertragen habe.
Der Kläger behauptet, für den Erwerb eines vergleichbaren Wohnmobils müsse er mindestens 44.000 Euro aufwenden.
Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 1 habe das Wohnmobil mit Vertrag vom 14. September 2020 (Bl. 183 Bd. I d. A.) an den Zeugen W. veräußert und sei deshalb nicht mehr imstande, den mit dem Kläger geschlossenen Vertrag zu erfüllen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10. November 2021 hat der Kläger beantragt, wie folgt für Recht zu erkennen:
1. Die Beklagten werden verurteilt, das gebrauchte Wohnmobil der Marke R. Fahrzeugidentifikationsnummer … an den Kläger zu übergeben und zu übereignen, Zug um Zug gegen Zahlung des Klägers in Höhe von 34.500 Euro brutto.
Hilfsweise: Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 9.500 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13. November 2020 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.474,89 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat Termin zur Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen W. und zur mündlichen Verhandlung auf den 8. Februar 2022 anberaumt. Durch Beschluss vom 1. Februar 2022 hat es den Parteien und Parteivertretern sowie dem Zeugen gestattet, sich während der Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen.
Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2022, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 234 Bd. II d. A.), erschienen bei Aufruf der Sache im Wege der Bild- und Tonübertragung der Klägervertreter und der Kläger persönlich sowie der Zeuge W.. Eine Verbindung zum Beklagtenvertreter konnte nicht hergestellt werden. Der Klägervertreter beantragte eine Entscheidung durch Versäumnisurteil. Das Gericht erließ folgenden Beschluss: „Neuer Termin von Amts wegen.“
Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2022 führte der Kläger seine Auffassung näher aus, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils erfüllt seien. Habe eine Säumnis nicht vorgelegen, so sei der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils durch Beschluss zurückzuweisen, gegen den die sofortige Beschwerde statthaft sei.
Die Beklagten tragen vor, sie seien zum Verhandlungstermin am 8. Februar 2022 zusammen mit ihrem Prozessbevollmächtigten im Besprechungsraum in dessen Kanzlei anwesend gewesen, in dem eine Videokonferenzanlage installiert sei. Aus ungeklärten Gründen sei es trotz mehrfacher Versuche nicht möglich gewesen, über die vom Gericht zur Verfügung gestellten Zugangsdaten eine Verbindung zur Videokonferenz herzustellen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe daraufhin mit dem zuständigen Einzelrichter telefoniert, der ihm einen neuen Einwahllink übersandt habe. Auch darüber sei eine Einwahl nicht möglich gewesen.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze des Klägervertreters vom 9. Februar 2022 (Bl. 236 f Bd. II d. A.) und vom 15. März 2022 (Bl. 255-257 Bd. II d. A.) sowie die Schriftsätze des Beklagtenvertreters vom 28. Februar 2022 (Bl. 240-242 Bd. II d. A.) und vom 7. April 2022 (Bl. 260 f Bd. II d. A.) Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 12. April 2022, dem Klägervertreter zugestellt am 19. April 2022, hat das Landgericht den Antrag des Klägers auf Erlass eines Versäumnisurteils zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Beklagten seien am 8. Februar 2022 nicht schuldhaft säumig gewesen, weil der Beklagtenvertreter, wie er durch Versicherung an Eides statt (Bl. 260 Bd. II d. A.) glaubhaft gemacht habe, alle notwendigen Vorbereitungen getroffen habe, um eine Bild- und Tonübertragung im Termin sicherzustellen. Es habe nicht erwartet werden können, dass die Beklagten oder ihr Vertreter das aufgetretene technische Problem innerhalb der kurzen Zeit, die für die Verhandlung und Vernehmung des Zeugen zur Verfügung gestanden habe, hätten lösen können.
Mit am 2. Mai 2022 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten (Bl. 267-269 Bd. II d. A.) hat der Kläger sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er seinen Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils weiterverfolgt. Er macht geltend, die Beklagten hätten einen Fall schuldloser Säumnis nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Ihr Prozessbevollmächtigter habe sich mit dem für die Videokonferenz genutzten Programm, das er erstmalig verwendet habe, nicht hinreichend vertraut gemacht. Auch sei nicht klar, welches konkrete technische Problem aufgetreten sei.
Die Beklagten sind der sofortigen Beschwerde entgegengetreten und beantragen deren Zurückweisung (Bl. 271 Bd. II d. A.); sie verteidigen die Entscheidung des Landgerichts.
Mit Beschluss vom 16. Juni 2022 hat das Landgericht entschieden, der sofortigen Beschwerde nicht abzuhelfen.
II.
Die sofortige Beschwerde des Klägers ist nicht begründet.
Das Rechtsmittel richtet sich nicht nur gegen den Beschluss vom 12. April 2022, sondern zugleich auch gegen den Vertagungsbeschluss vom 8. Februar 2022.
1. Mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2022 verkündeten Beschluss „Neuer Termin von Amts wegen“ hat das Landgericht die Verhandlung über den Erlass des Versäumnisurteils gemäß § 337 Satz 1 ZPO von Amts wegen vertagt. Die sofortige Beschwerde richtet sich vor diesem Hintergrund nicht nur gegen den Beschluss vom 12. April 2022, durch den das Landgericht den Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils zurückgewiesen hat, sondern auch gegen den Vertagungsbeschluss vom 8. Februar 2022.
a) Gemäß § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO muss die Beschwerdeschrift die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt werde. Wegen der geringen Formstrenge reicht es dabei aus, wenn die Schrift bei großzügiger Auslegung den Beschwerdeführer, die angefochtene Entscheidung und das Anliegen der Überprüfung derselben durch die höhere Instanz hinreichend klar erkennen lässt (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 – IX ZB 369/02, NJW 2004, 1112, 1113). Bei der Auslegung ist der Grundsatz zu berücksichtigen, dass eine Partei mit ihrem Rechtsmittel im Zweifel dasjenige anstrebt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 1991 – XI ZB 6/91, NJW 1992, 243 und vom 22. September 2010 – IX ZB 195/09, WM 2010, 2122 Rn. 16).
b) Die Beschwerdeschrift vom 2. Mai 2022 ist dahingehend auszulegen, dass sie sich nicht nur gegen den in ihr ausdrücklich bezeichneten Beschluss vom 12. April 2022 richtet, sondern insgesamt gegen die Entscheidung des Landgerichts, das beantragte Versäumnisurteil nicht zu erlassen. Damit richtet sie sich auch gegen den Vertagungsbeschluss vom 8. Februar 2022. Denn durch diesen hat das Landgericht zwar den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils nicht förmlich zurückgewiesen, aber doch entschieden, ein Versäumnisurteil nicht zu erlassen, sondern von Amts wegen einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, in dem die Beklagten, wenn sie nicht erneut säumig sind, durch ihr Verhandeln zur Sache den Erlass eines Versäumnisurteils abwenden können (OLG Nürnberg, MDR 1963, 507; LAG Frankfurt, NJW 1963, 2046, 2047; Büscher in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 337 Rn. 26; Bartels in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 337 Rn. 14; Anders in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl., § 337 Rn. 8; aA OLG Dresden, Urteil vom 28. August 1995 – 2 U 921/95, BeckRS 1995, 12462; LAG Düsseldorf, NJW 1961, 2371, 2372). Daneben kommt der förmlichen Zurückweisung des Antrags auf Erlass des Versäumnisurteils durch den Beschluss vom 12. April 2022 in der Sache letztlich keine weitergehende eigenständige Bedeutung zu. Da ein Vertagungsbeschluss nach § 337 Satz 1 ZPO nach der in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Ansicht (OLG München, MDR 1956, 684; OLG Nürnberg aaO; OLG Hamm, NJW-RR 1991, 703; OLG Hamburg, NJW-RR 2022, 1073; Büscher aaO Rn. 28 mwN) mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist, ist unter Berücksichtigung der Interessenlage des Klägers anzunehmen, dass er auch diesen Beschluss einer Überprüfung durch das Beschwerdegericht unterstellen wollte.
c) Der Kläger hat die sofortige Beschwerde gegen den Vertagungsbeschluss vom 8. Februar 2022 rechtzeitig innerhalb der zweiwöchigen Beschwerdefrist nach § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt.
aa) Nach § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die sofortige Beschwerde binnen einer Notfrist von zwei Wochen einzulegen. Die Frist beginnt nach § 569 Abs. 1 Satz 2 mit der Zustellung der Entscheidung, spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses. Auch in Fällen, in denen ein Beschluss durch Verkündung bekanntgegeben wird, beginnt die Beschwerdefrist erst mit der – nach § 329 Abs. 3 ZPO erforderlichen – Zustellung (MüKoZPO/Hamdorf, 6. Aufl., § 569 Rn. 4, 6; Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 24. November 2000, BT-Drucks. 14/4722, S. 112; aA Anders aaO Rn. 9 unter Hinweis auf die vor dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses ergangene Entscheidung OLG Braunschweig, MDR 1992, 292). Eine nur formlose Mitteilung setzt die Frist nicht in Lauf (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 1993 – XI ZB 14/93, WM 1993, 2078; MüKoZPO/Hamdorf aaO Rn. 6 mwN). Dass die Partei den Beschluss auf Grund seiner Verkündung auch ohne Zustellung kennt, ist insofern unerheblich (Bartels aaO § 336 Rn. 1; Begründung der Bundesregierung aaO). Wird ein verkündeter Beschluss nicht zugestellt, beginnt die Beschwerdefrist daher nach § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO erst mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
bb) Der in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2022 verkündete Vertagungsbeschluss ist nicht zugestellt worden; vielmehr ist das Verhandlungsprotokoll, wie sich aus den Akten ergibt, den Parteivertretern lediglich formlos übermittelt worden (Bl. 234 Bd. II d. A.). Die Beschwerdefrist begann daher nach § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO erst am 9. Juli 2022 und ist somit durch die am 2. Mai 2022 beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde gewahrt worden.
2. Ob die sofortige Beschwerde gegen den Vertagungsbeschluss vom 8. Februar 2022 statthaft ist (s. o. unter 1. b bb; vgl. Büscher aaO; Göbel in Prütting/Gehrlein, ZPO, 14. Aufl., § 337 Rn. 11; Toussaint in BeckOK ZPO, § 336 Rn. 5.1 [Stand: 1. Juli 2022]; jew. mwN zum Meinungsstand), kann offenbleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2006 – IX ZB 171/04, NJW-RR 2006, 1346 Rn. 4 mwN). Denn unabhängig von der Frage, ob die sofortige Beschwerde zulässig ist, ist sie jedenfalls, ebenso wie die sofortige Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss vom 12. April 2022, in der Sache nicht begründet. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagten und ihr Prozessbevollmächtigter ohne ihr Verschulden verhindert waren, im Wege der Bild- und Tonübertragung an der Verhandlung teilzunehmen, so dass diese gemäß § 337 Satz 1 ZPO zu vertagen war.
a) Nach § 337 Satz 1 ZPO vertagt das Gericht die Verhandlung über den Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils von Amts wegen, wenn es dafür hält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist.
aa) Die Frage, ob die Partei ein Verschulden trifft, ist im Rahmen des § 337 Satz 1 ZPO nicht anders zu beurteilen als bei § 233 ZPO (BGH, Urteil vom 16. Juli 1998 – VII ZR 409/97, NJW 1998, 3125 und Beschluss vom 13. Mai 2004 – V ZB 59/03, NJW 2004, 2309, 2311, insofern in BGHZ 159, 153 nicht abgedruckt). Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gebietet es dabei, die Sorgfaltsanforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, nicht zu überspannen (BGH, Urteil vom 25. November 2004 – VII ZR 320/03, NJW 2005, 678, 679 und Beschluss vom 22. November 2017 – VII ZB 67/15, FamRZ 2018, 281 Rn. 21). Entscheidend ist der Maßstab der üblichen, von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernden Sorgfalt (BGH, Urteil vom 19. November 1998 – IX ZR 152/98, NJW 1999, 724 mwN). Eröffnet das Gericht die Nutzung technischer Kommunikationsmedien und bedient sich ein Verfahrensbeteiligter derselben, so dürfen die aus deren technischen Gegebenheiten herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden (BGH, Urteil vom 25. November 2004 aaO zur Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax). Gleiches gilt für nicht vorhersehbare und nicht vermeidbare technische Störungen einer EDV-Anlage (BGH, Beschluss vom 22. November 2017 aaO Rn. 23 mwN).
bb) Die Beurteilung der Frage, ob die Säumnis der Partei unverschuldet ist, macht § 337 Satz 1 ZPO vom Dafürhalten des Gerichts abhängig. Entscheidend ist damit ein subjektiver Beurteilungsmaßstab (vgl. Loyal, ZZP 126 [2013], 491, 496 f). Eine Glaubhaftmachung wie in § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO verlangt das Gesetz bei der Entscheidung über die Vertagung nach § 337 Satz 1 ZPO nicht. Damit trägt es dem Umstand Rechnung, dass im Termin eine Beweisführung nicht möglich ist (MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl., § 337 Rn. 8; aA Anders aaO Rn. 5: Glaubhaftmachung wie bei Wiedereinsetzung erforderlich). § 337 Satz 1 ZPO eröffnet dem Gericht einen Beurteilungsspielraum (Bartels aaO § 337 Rn. 14; Göbel aaO Rn. 10; Loyal aaO S. 500). Bei plötzlich eintretenden Ereignissen können einseitige Angaben des verhinderten Verfahrensbeteiligten genügen, ohne dass es einer weitergehenden Glaubhaftmachung bedürfte (Büscher aaO Rn. 25).
b) Das Landgericht hat im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums zutreffend wegen unverschuldeter Säumnis der Beklagten die Verhandlung nach § 337 Satz 1 ZPO vertagt.
aa) Die Beklagten waren in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2022 säumig, weil ihr Prozessbevollmächtigter weder im Gerichtssaal physisch zugegen war noch eine Verbindung zum Zwecke der Bild- und Tonübertragung hergestellt werden konnte. Wird die Verhandlung gemäß § 128a Abs. 1 ZPO im Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführt, ist eine Partei säumig, wenn sie weder im Gerichtssaal physisch erscheint und verhandelt noch eine Bild- und Tonübertragung zustande kommt (Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 128a Rn. 4; Windau, NJW 2020, 2753, 2757). Allein die Anwesenheit des Verfahrensbeteiligten an dem anderen Ort, von dem aus Verfahrenshandlungen vorzunehmen das Gericht ihm gemäß § 128a Abs. 1 Satz 1 ZPO gestattet hat, schließt als solche die Säumnis nicht aus, solange eine Bild- und Tonübertragung nicht zustande kommt (aA MüKoZPO/Fritsche, 6. Aufl., § 128a Rn. 9). Dies entspricht dem Grundsatz, dass nach § 333 ZPO auch bei physischer Anwesenheit im Gerichtssaal das Nichtverhandeln einer Partei dem Nichterscheinen gleichsteht; dieser Grundsatz gilt auch für die Beurteilung der Säumnis im Rahmen des § 337 Satz 1 ZPO (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2016 – VIII ZB 25/15, NJW 2016, 3248 Rn. 14 ff).
bb) Ob die Säumnis eines Verfahrensbeteiligten, der an einer nach § 128a Abs. 1 ZPO durchgeführten Verhandlung nicht teilnimmt, weil aus technischen Gründen eine Bild- und Tonübertragung nicht zustande kommt, als schuldhaft anzusehen ist, hängt davon ab, ob ein aufgetretenes technisches Problem dem Beteiligten zugerechnet werden kann (Stadler aaO). Dies ist eine Wertungsfrage, bei deren Beurteilung der Zweck der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 128a Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen ist. Der Norm, die durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) eingeführt wurde und durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren vom 25. April 2013 (BGBl. I S. 935) ihre heutige Fassung erhielt, liegt das Bestreben zugrunde, durch die Nutzung moderner Kommunikationstechnik das Verfahren effektiver und prozessökonomischer zu gestalten (Kern in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 128a Rn. 1; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 15. Mai 2001, BT-Drucks. 14/6036 S. 116, 119). Dass Gerichte und Verfahrensbeteiligte von dieser Möglichkeit in der Praxis Gebrauch machen, ist im Interesse der Ersparnis von Zeit und Kosten wünschenswert (Gesetzentwurf des Bundesrates vom 24. März 2010, BT-Drucks. 17/1224 S. 10 f). Im Sinne der Akzeptanz dieser Verfahrensweise darf daher ihre Nutzung nicht derart erschwert werden, dass sie für den Verfahrensbeteiligten, der im Wege der Bild- und Tonübertragung an der Verhandlung teilzunehmen beabsichtigt, riskanter ist als das persönliche Erscheinen im Gericht (Mantz/Spoenle, MDR 2020, 637, 643; Windau aaO). Vorbehaltlich der im Rahmen des § 337 Satz 1 ZPO vorzunehmenden Würdigung des Einzelfalls (vgl. MüKoZPO/Prütting aaO Rn. 4) ist eine Partei daher regelmäßig ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert, wenn sie an der Verhandlung nicht teilnehmen kann, weil trotz Beobachtung der als erforderlich anzusehenden Sorgfalt (vgl. Windau aaO) auf Grund nicht mehr aufklärbarer technischer Umstände eine Bild- und Tonübertragung nicht zustande kommt (vgl. LG Bonn, Urteil vom 2. März 2022 – 1 O 347/20; Zschieschack in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl., § 15 Rn. 87).
cc) Danach waren die Beklagten unverschuldet verhindert, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Die im einzelnen nicht mehr aufklärbaren technischen Gründe, aus denen eine Bild- und Tonübertragung nicht zustande kam, können ihnen nicht zugerechnet werden. Ein Verstoß gegen die erforderliche Sorgfalt kann ihnen nicht zur Last gelegt werden. Zwar mag es zur erforderlichen Sorgfalt eines Rechtsanwalts gehören, eine vom Gericht angebotene Testmöglichkeit wahrzunehmen (vgl. Windau aaO) und im Vorfeld erteilte technische Hinweise des Gerichts zu berücksichtigen. Das Landgericht hat vorliegend aber weder eine Testmöglichkeit angeboten noch Hinweise erteilt. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten durfte sich daher darauf verlassen, dass eine Bild- und Tonübertragung mit dem ihm vom Gericht zur Verfügung gestellten Einwahllink zustande kommen würde. Ob er das vom Gericht verwendete Videokonferenzprogramm zu ersten Mal nutzte, ist unerheblich, weil besondere technische Kenntnisse zur Teilnahme an der Verhandlung vermittels Videokonferenztechnik nicht gefordert werden können (Windau aaO). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Prozessbevollmächtigte mit dem Auftreten technischer Probleme rechnen musste, sind ebenso wenig ersichtlich wie Hinweise auf missbräuchliches Vorschieben einer technischen Panne.
Entgegen der Argumentation des Klägers (Schriftsatz vom 15. März 2022, S. 2, Bl. 256 Bd. II d. A.) war dem Beklagten und ihrem Prozessbevollmächtigten nicht zuzumuten, sich vermittels eines oder mehrerer Mobiltelefone in die Videokonferenz einzuwählen. Auch wenn dies technisch möglich gewesen sein mag, hätte eine solche Verbindung für eine den Anforderungen des § 128a Abs. 1 ZPO genügende Bild- und Tonübertragung nicht genügt. Damit die Videokonferenz der Situation einer Verhandlung unter Anwesenden hinreichend nahekommt und das rechtliche Gehör aller Beteiligten sowie die Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Verhandlung gewahrt werden, ist es erforderlich, dass jeder Beteiligte zeitgleich alle anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen kann (MüKoZPO/Fritsche aaO Rn. 6; Windau aaO S. 2754). Dabei müssen verbale und nonverbale Äußerungen wie bei persönlicher Anwesenheit wahrnehmbar sein (Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 128a Rn. 6; Windau aaO). Dies wäre bei Verwendung der nur vergleichsweise kleinen Bildschirme von Mobiltelefonen nicht möglich gewesen, zumal außer den Prozessbevollmächtigten auch die Parteien im Wege der Bild- und Tonübertragung zugeschaltet sein sollten und der Termin der Beweisaufnahme einer Zeugenvernehmung diente, bei der es in besonderer Weise auf die Wahrnehmung von Details ankommen kann.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 ZPO ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Dieser Zulassungsgrund ist erfüllt, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen. Ein solcher Anlass besteht für die Entwicklung höchstrichterlicher Leitsätze nur dann, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 292). Das ist hier der Fall. Zu der – auf Grund des vermehrten Einsatzes von Videokonferenztechnik im Zivilprozess praktisch relevanten – Frage, ob die Säumnis einer Partei unverschuldet ist, wenn die Teilnahme an der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung aus ungeklärten technischen Ursachen scheitert, fehlt es an höchstrichterlichen Leitlinien. Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt, welcher Grad an Überzeugungsbildung für das „Dafürhalten“ des Gerichts im Sinne von § 337 Satz 1 ZPO erforderlich ist.