Oberlandesgericht Brandenburg
Az: (2 B) 53 Ss-Owi 186/11 (89/11)
Beschluss vom 09.08.2011
Ein sehr unscharfes Geschwindigkeitsmessfoto oder ein Foto, auf dem das Gesicht des Fahrers nur zu einem geringen Teil abgebildet ist, ist für eine Identifizierung durch bloßen Vergleich mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen nach den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens regelmäßig nicht geeignet (Oberlandesgericht Brandenburg, Az: (2 B) 53 Ss-Owi 186/11 (89/11), Beschluss vom 09.08.2011).
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Cottbus vom 10. Februar 2011 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Cottbus zurückverwiesen.
Gründe
I. Das Amtsgericht Cottbus hat gegen die Betroffene mit Urteil vom 10. Februar 2011 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 160,- Euro sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt.
Nach den Feststellungen habe die Betroffene am 9. Juni 2010 als Fahrerin eines Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen … in … die im … Weg zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 35 km/h überschritten.
Dagegen hat die Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 11. April 2011 rechtzeitig begründet. Sie rügt die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt zu entscheiden, wie geschehen.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
II. Die Rechtsbeschwerde ist mit der Sachrüge zulässig und begründet.
Die Urteilsgründe tragen die Feststellung der Fahrereigenschaft der Betroffenen nicht.
Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Die Feststellung, ob eine auf einem Foto abgebildete Person mit dem Betroffenen identisch ist, unterliegt daher prinzipiell nicht der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht (BGH NZV 1996, 157 [BGH 19.12.1995 – 4 StR 170/95] = BGHSt 41, 376). Die Freiheit der tatrichterlichen Würdigung findet aber dort ihre Grenze, wo sie gegen Denkgesetze verstößt oder auf der Hand liegende Umstände außer Acht lässt.
So lässt etwa ein sehr unscharfes Foto oder ein Foto, auf dem das Gesicht nur zu einem geringen Teil abgebildet ist, eine Identifizierung durch bloßen Vergleich mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen nach den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens regelmäßig nicht zu. Je nach Qualität und Inhalt des Bildes können sich ein Vergleich mit dem persönlich anwesenden Betroffenen und der Schluss auf seine Täterschaft von vornherein als schlechterdings unmöglich und willkürlich erweisen. Sieht der Tatrichter den Betroffenen gleichwohl auf Grund des Lichtbildes als überführt an, so leidet das Urteil an einem Rechtsfehler, der im Rechtsbeschwerdeverfahren mit der Sachrüge beanstandet werden kann. Dabei kann das Rechtsbeschwerdegericht aus eigener Anschauung prüfen, ob sich das in Bezug genommene Foto überhaupt zur Identifizierung eignet (BGH aaO., OLG Hamm NZV 2006, 162). Bestehen danach Zweifel an der Eignung eines qualitativ schlechten Bildes zur Identifikation des Betroffenen, so hat der Tatrichter zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind umso höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die auf dem Foto erkennbaren charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu beschreiben (BGHaaO., OLG Hamm aaO.; st. Rspr. des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 8. Juni 2007, Az.: 2 Ss (OWi) 171 B/06; OLG Rostock VRS 108, 29, 30).
Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
Das Amtsgericht hat zwar noch auf das bei der Akte Bilder gemäß §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen. Damit kann der Senat aus eigener Anschauung das zum Inhalt der Urteilsurkunde gemachte Lichtbild würdigen und beurteilen, ob das Tatgericht zutreffend die Identität des Betroffenen mit der auf dem Lichtbild abgebildeten Person festgestellt hat.
Der Senat beurteilt die Qualität des in Bezug genommenen und von dem Amtsgericht allein zur Identifikation herangezogenen Messbildes als vergleichsweise gering. Es ist unscharf und kontrastarm. Die Konturen des aufgenommenen Gesichts sind flach und kaum erkennbar, die Körnung des Fotos ist grob. Zudem sind die Ohren und der Bereich der rechten Wange nicht zu erkennen.
Soweit das Amtsgericht ausführt, weshalb es gleichwohl von der Fahrereigenschaft des Betroffenen ausgegangen ist (UA S.5), erschöpft sich dies in der Benennung von Merkmalen des Vergleichsbildes der Betroffenen, die aber auf dem Messbild nicht oder jedenfalls nicht hinreichend deutlich zu erkennen sind.