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Intransparente Gerichtsstandsvereinbarung unwirksam?

LG Karlsruhe – Az.: 10 O 129/22 – Beschluss vom 31.10.2022

1. Das Landgericht Karlsruhe erklärt sich für örtlich unzuständig.

2. Der Rechtsstreit wird auf Antrag der Klägerin an das Landgericht Frankenthal verwiesen.

Gründe

Die Entscheidung beruht auf § 281 Abs. 1 ZPO. Das angegangene Gericht ist örtlich unzuständig. Auf den hilfsweise gestellten Antrag der Klägerin hat sich das angegangene Gericht nach erfolgter Anhörung des Gegners, der die örtliche Zuständigkeit nunmehr seinerseits ausdrücklich rügt, für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Gericht zu verweisen.

1. Im Bezirk des Landgerichts Karlsruhe ist weder der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten (§ 12, 17 ZPO) noch der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) gegeben. Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten folgt ihrem Sitz in Frankenthal (Pfalz). Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes für den hier streitigen Vergütungsanspruch der Klägerin dürfte richtigerweise gleichfalls dort anzusiedeln sein (§§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 1, 4 BGB). Selbst wenn man auch bei dem hier streitgegenständlichen Vertragsverhältnis, das nicht als Werkvertrag i.S.d. § 631 ff. BGB, sondern als Werkliefervertrag gem. § 650 BGB einzuordnen sein wird (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2009 – VII ZR 151/08 -, BGHZ 182, 140-150), abweichend von § 270 Abs. 1, 4 BGB aufgrund der Umstände, insbesondere der Natur des Schuldverhältnisses (§ 269 Abs. 1 BGB), von einem einheitlichen Erfüllungsort am Ort des Bauvorhabens ausgehen wollte (vgl. zum Bauvertrag BGH, Beschluss vom 5. Dezember 1985 – I ARZ 737/85 -), läge dieser vorliegend jedenfalls nicht im Bezirk des Landgerichts Karlsruhe, sondern am Ort des fraglichen Bauvorhabens in Mannheim.

2. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Karlsruhe ergibt sich auch nicht gemäß § 38 Abs. 1 ZPO aus einer Gerichtsstandsvereinbarung.

a) In den AGB der Klägerin befindet sich zwar folgende Gerichtsstandsklausel:

„Sind die Vertragsparteien Vollkaufleute, so ist Gerichtsstand für alle Ansprüche der Vertragsparteien, auch für Wechsel- und Geschäftsklage der Sitz der Firma F.“.

Auch würde diese Gerichtsstandsvereinbarung ungeachtet ihrer sonstigen Unklarheiten unzweifelhaft jedenfalls die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Karlsruhe begründen, da die Klägerin ihren Sitz im hiesigen Bezirk hat.

b) Die Gerichtsstandsvereinbarung in den AGB der Klägerin ist jedoch insgesamt unwirksam, da sie gegen das Transparenzgebot verstößt (§ 307 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB).

aa) Wenngleich Gerichtsstandsvereinbarungen im Verhältnis zwischen den Parteien als Formkaufleute grundsätzlich auch im Voraus möglich sind (§ 38 Abs. 1 ZPO), unterliegen sie, soweit sie in AGB i.S.d. § 305 Abs. 1 BGB getroffen wurden, der AGB-Kontrolle.

bb) Im Rahmen der eigentlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB begegnen Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Unternehmern zwar keinen Bedenken, soweit für den gewählten Gerichtsstand ein schutzwürdiges Interesse besteht, etwa da der Verwender seinen eigenen Sitz als Gerichtsstand bestimmt – zumal dies im Handelsverkehr gebräuchlich ist (§ 310 Abs. 1 Satz 2 BGB, s. nur OLG Karlsruhe, Urteil vom 22. März 1996 – 10 U 249/95 -, NJW 1996, 2041; Rodi, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2019, Anh. zu §§ 305-310 M 1, Rn. M 62a m.w.N.).

cc) Auch ihrem Inhalt nach unbedenkliche Gerichtsstandsvereinbarungen müssen jedoch dem Transparenzgebot in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB genügen (vgl. jüngst etwa BayObLG, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 101 AR 148/21 -, zum Zusatz „soweit gesetzlich zulässig“ mit zust. Anm. Schmidt, EWiR 2022, 430 ff.; ferner z.B. OLG Naumburg, Beschluss vom 21. Juli 2011 – 1 AR 15/11 -; AG Hamburg, Urteil vom 26. Januar 2017 – 25b C 59/16 -).

Intransparente Gerichtsstandsvereinbarung unwirksam?
(Symbolfoto: fotoknips/Shutterstock.com)

Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung entgegen den Geboten von Treu und Glauben i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist (sog. Transparenzgebot). Treu und Glauben verpflichten den Verwender dabei, die Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner für diese möglichst klar und durchschaubar darzustellen (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2017 – XII ZR 1/17 -, Rn. 13). Er muss einerseits die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Der Vertragspartner soll andererseits ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte und Pflichten feststellen können, damit er die rechtliche Tragweite der Vertragsbedingungen bei Vertragsschluss hinreichend erfassen kann und im Rahmen der Vertragsabwicklung nicht von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird (st. Rspr., s. nur BGH, Urteil vom 18. Februar 2020 – VI ZR 135/19 -, Rn. 8; BGH, Urteil vom 3. Februar 2021 – XII ZR 29/20 -, BGHZ 228, 353-373, Rn. 53 – jeweils m.w.N.). Selbstverständlich begründet dabei nicht jede Auslegungsbedürftigkeit einen Verstoß gegen das Transparenzgebot. Selbst Unklarheiten i.S.d. § 305c Abs. 2 BGB müssen nicht zugleich gegen das Transparenzgebot verstoßen (Bonin, in: BeckOGK-BGB, Stand 01.09.2022, § 305c Rn. 87). Es kann schließlich nicht verlangt werden, jede Bestimmung gleichsam mit einem Kommentar zu versehen, der alle Eventualitäten aufgreift. Der Verwender ist aber gehalten, bei der Formulierung von vornherein auf die Verständnismöglichkeiten des Durchschnittskunden Rücksicht zu nehmen und, wenn das ohne unangemessene Ausweitung des Textumfangs möglich ist, zwischen mehreren möglichen Klauselfassungen diejenige zu wählen, die möglichst klar und verständlich ist (BGH, Urteil vom 10. Juli 1990 – XI ZR 275/89 -, BGHZ 112, 115-122; BGH, Beschluss vom 24. April 2018 – XI ZR 335/17 -). Letztlich ist zu fragen, ob eine klarere Formulierung im Interesse des Verwendungsgegners geboten und dem Verwender möglich und in Abwägung der Interessen des Verwenders und seiner Vertragspartner zumutbar gewesen wäre (vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Oktober 2017 – XII ZR 1/17 -, Rn. 13).

Die Anforderungen an die Transparenz von Vertragsbestimmungen sind auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr nicht generell geringer als im Rechtsverkehr mit Verbrauchern. Zwar ist bei Unternehmern aufgrund ihrer Geschäftserfahrung von einer besseren Erkenntnis- und Verständnismöglichkeit als bei Verbrauchern auszugehen. Dies führt jedoch nicht zu einer generellen Absenkung des durch § 307 Abs. 1 BGB gewährleisteten Schutzniveaus (BGH, Urteil vom 8. Oktober 2015 – I ZR 136/14 -, Rn. 27). Verstöße gegen das Transparenzgebot entsprechen nicht den Gebräuchen und Gepflogenheiten des Handelsverkehrs i.S.d. § 310 Abs. 1 Satz 2 BGB (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2017 – XII ZR 1/17 -, Rn. 13).

dd) Gemessen an diesen Maßstäben verstößt die vorliegend durch die Klägerin verwendete Gerichtsstandsklausel gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.

(1) Die Gerichtsstandsklausel der Klägerin ist nicht klar und verständlich i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, da der Verwendungsgegner ihr nicht entnehmen kann, ob nur ein zusätzlicher Wahlgerichtsstand gem. § 35 ZPO vereinbart oder ein ausschließlicher Gerichtsstand geschaffen wird, was ebenfalls möglich wäre (Schultzky in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 38 Rn. 18 m.w.N.).

Bei der Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen streitet im rein inländischen Kontext – anders als nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 EuGVVO – eine generelle Vermutung weder für noch gegen die Ausschließlichkeit des vereinbarten Gerichtsstandes (st. Rspr. seit RG, Urteil vom 16. Februar 1939 – IV 201/38 -, RGZ 159, 254, 256; s. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 1998 – II ZR 286/97 -; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2019 – III ZR 42/19 -, BGHZ 223, 269-290, Rn. 39). Was gemeint ist, muss vielmehr anhand der Umstände, insbesondere des Wortlautes und der Interessenlage der Beteiligten im Einzelfall ermittelt werden (BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 1 AR 78/20 -). Entsprechend schwer vorhersehbar ist die Auslegung von nicht aussagekräftigen Formulierungen wie „Gerichtsstand ist (…)“ im Einzelfall.

Namentlich der BGH neigt dazu, es bei der positiven Begründung eines (weiteren) Wahlgerichtsstandes bewenden zu lassen, wenn besondere Umstände nicht erkennbar sind, da für einen gleichzeitigen Ausschluss anderer Gerichtsstände Anhaltspunkte erkennbar sein müssten (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1972 – VIII ZR 118/71 -, BGHZ 59, 116-124; BGH, Beschluss vom 16. August 1995 – X ARZ 699/95 -; BGH, Urteil vom 25. Januar 2007 – VII ZR 105/06 -; OLG Köln, Beschluss vom 22. März 2005 – 5 W 36/05 -).

An anderer Stelle wird mitunter schon in „imperativen“ Formulierungen wie „als Gerichtsstand wird (…) vereinbart“ oder „Gerichtsstand ist (…)“ ein Indiz für die Ausschließlichkeit gesehen (so BGH, Urteil vom 17. Oktober 2019 – III ZR 42/19 -, BGHZ 223, 269-290, Rn. 38 f.; BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 1 AR 78/20 -, Rn. 37; BayObLG, Beschluss vom 12. Februar 2020 – 1 AR 94/19 -). Das erscheint allerdings allenfalls ein schwaches Indiz für den Parteiwillen, das allein keine bestimmte Auslegung trägt (BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022 – 101 AR 105/22 -), da diese Formulierungen grammatikalisch gar nichts über die Ausschließlichkeit des vereinbarten Gerichtsstandes besagen. Ebenso verhält es sich mit der hier verwendeten Formulierung, wonach der Gerichtsstand für „alle Ansprüche der Vertragsparteien“ bestehen soll (vgl. aber BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022 – 101 AR 105/22 -, wo auch diese ggf. wohl zumindest als Indiz heranzogen werden soll).

Vielfach stellen die Gerichte daher diffizile Interessenabwägungen an, um zu ermitteln, was der Klauselverwender wohl gewollt habe. Dabei wird bei der Vereinbarung eines Gerichtsstandes am Sitz des Verwenders häufig angenommen, dieser wolle alle Prozesse an diesem Gerichtsstand konzentrieren, sodass dieser als ausschließlich anzusehen sei (für Bauverträge etwa OLG Stuttgart, Urteil vom 15. September 1997 – 5 U 99/97 -; BeckRS 1997, 30892254; BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 1 AR 78/20 -; zur Billigung einer entsprechenden Auslegung als jedenfalls möglich vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 1993 – X ARZ 340/93 -; BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 – X ARZ 45/08 -; für die internationale Zuständigkeit außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO bei gleichzeitiger Rechtswahl zuletzt BGH, Urteil vom 17. Oktober 2019 – III ZR 42/19 -, BGHZ 223, 269-290, Rn. 39 f.). Auch zu § 18 Abs. 1 VOB/B entspricht dies der zwar nicht einhelligen, aber herrschenden Ansicht (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 3. Januar 2019 – 32 SA 59/18 -; BayObLG, Beschluss vom 12. Februar 2020 – 1 AR 94/19 -; wohl auch BGH, Urteil vom 18. April 1985 – VII ZR 359/83 -, BGHZ 94, 151-160; s. ferner Kölbl, in: Beck’scher VOB-Kommentar, Teil B, 3. Aufl. 2013, § 18 Abs. 1 Rn. 47 m.w.N. zum Streitstand).

Auch diese Auslegung ist indes nicht frei von Zweifeln, da der Verwender sich dann nicht nur vor Passivklagen an anderen Gerichtsständen schützen, sondern sich selbst die Möglichkeit nehmen würde, am allgemeinen Gerichtsstand seines Vertragspartners oder ggf. am besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes zu klagen (BGH, Urteil vom 5. Juli 1972 – VIII ZR 118/71 -, BGHZ 59, 116-124; OLG Köln, Beschluss vom 22. März 2005 – 5 W 36/05 -). Gerade an letzterem kann ein Interesse bestehen, z.B. um die Beweisaufnahme zu erleichtern (vgl. zur Begründung eines einheitlichen Erfüllungsortes und Gerichtsstandes nach § 29 ZPO am Ort des Bauvorhabens BGH, Beschluss vom 5. Dezember 1985 – I ARZ 737/85 -).

Verbreitet wird daraus – auch bei AGB – eine asymmetrische Auslegung abgeleitet, wonach die Vereinbarung entsprechend dem Interesse des Verwenders, nur für Passivprozesse ausschließlich sein soll, Aktivprozesse des Verwenders aber auch an anderen Gerichtsständen zulassen soll (OLG Hamm, Beschluss vom 29. Januar 2014 – 32 SA 2/14 -; OLG Hamm, Beschluss vom 25. September 2015 – 32 SA 50/15 -; OLG Hamm, Beschluss vom 27. November 2015 – 32 SA 58/15 -; OLG Schleswig, Beschluss vom 2. Juni 2006 – 2 W 80/06 -; KG, Beschluss vom 31. Januar 2008 – 2 AR 63/07 -, sämtlich unter unzutreffender Berufung auf BGH, Urteil vom 5. Juli 1972 – VIII ZR 118/71 -, BGHZ 59, 116-124, wo der BGH dergleichen gerade nicht angenommen hat; gegen eine solche Auslegung namentlich auch Rodi, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2019, Anh. zu §§ 305-310 M 1, Rn. M 58a f.).

Diese Rechtsprechung entfernt sich bei AGB allerdings von den hierfür anerkannten Auslegungsmethoden. In erster Linie ist hier vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind nur zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Verwendungsgegner erkennbar sind und der Wortlaut nicht eindeutig ist (BGH, Urteil vom 11. November 2015 – IV ZR 426/14 -, BGHZ 207, 358-365, Rn. 10; BGH, Urteil vom 5. Mai 2022 – VII ZR 176/20 -, Rn. 29). Schließlich darf sich die Auslegung von AGB auch nicht einseitig an den Interessen des Verwenders orientieren. AGB sind vielmehr nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden (st. Rspr., zuletzt etwa BGH, Urteil vom 8. August 2022 – KZR 8/19 -, Rn. 43 m.w.N.). Auf dieser Grundlage erscheint die asymmetrische Auslegung einer Gerichtsstandsklausel, die hierfür im Wortlaut keinerlei Anhalt liefert, ebenfalls zweifelhaft (vgl. bereits zur internationalen Zuständigkeit BGH, Urteil vom 5. Juli 1972 – VIII ZR 118/71 -, BGHZ 59, 116-124: der Wille (nur) Passivprozesse zu beschränken, müsse deutlich zum Ausdruck kommen; ferner BGH, Urteil vom 23. Juli 1998 – II ZR 286/97 -, wo der BGH bei einer Individualabrede zur internationalen Zuständigkeit Anhaltspunkte für den Willen, eine Partei einseitig zu begünstigen, verlangt; ferner BGH, Urteil vom 2. Juli 1987 – III ZR 219/86 -, BGHZ 101, 271-275, wo eine gespaltene Auslegung in einem Verbrauchervertrag abgelehnt wird, wenn die Klausel nicht zwischen Aktiv- und Passivprozessen unterscheidet).

Mit guten Gründen wird daher, wenn AGB in Rede stehen und die Umstände keine eindeutige Auslegung zulassen, die Anwendung der Unklarheitenregel gem. § 305c Abs. 2 BGB befürwortet (BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022 – 101 AR 105/22 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Juli 2002 – 19 Sa 38/02 -; Rodi, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2019, Anh. zu §§ 305-310 M 1, Rn. M 58a f.; Quantz, in: BeckOGK-BGB, Stand 01.12.2021, § 307 Rn. 15.1; Behme, in: Leuschner, AGB-Recht im unternehmerischen Rechtsverkehr, 2021, Klauseln (G) Gerichtsstandsklauseln Rn. 19; offenlassend OLG Schleswig, Beschluss vom 2. Juni 2006 – 2 W 80/06 -). Auch das macht das Ergebnis der Auslegung für den Verwendungsgegner aber kaum vorhersehbarer. Die Unklarheitenregel kann bereits nur zur Anwendung kommen, wenn nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden nicht behebbare Zweifel verbleiben und mindestens zwei Auslegungen vertretbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2022 – III ZR 81/21 -, Rn. 23 m.w.N.). Das aber ist im vorliegenden Zusammenhang mitunter schon aufgrund schwacher Indizien in die eine oder andere Richtung abgelehnt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 1 AR 78/20 -, Rn. 42; OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Oktober 1995 – 5 U 176/94 -) oder gar nicht erst in Betracht gezogen worden. Und auch die Anwendung der Unklarheitenregel selbst erfordert wieder eine diffizile abstrakte Interessenbetrachtung, die ihrerseits nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen führt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 1 AR 78/20 -, Rn. 38, wonach ein einheitlicher Gerichtsstand unter Ausschluss des Gerichtsstandes des Erfüllungsortes am Ort des Bauvorhabens im übereinstimmenden Interesse der Beteiligten liegen können soll).

Auch wenn man für die hier in Rede stehenden AGB eines Lieferanten von Betonfertigteilen eine Auslegung auf Grundlage der Unklarheitenregel gem. § 305c Abs. 2 BGB befürworten wollte, etwa dahingehend, dass lediglich ein Wahlgerichtsstand für Aktivklagen des Verwenders geschaffen wird (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022 – 101 AR 105/22 -; Rodi, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2019, Anh. zu §§ 305-310 M 1, Rn. M 58a f.), würde dies nichts daran ändern, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ist. Maßgeblich für die Transparenzkontrolle ist schließlich nicht, ob der Regelungsgehalt von AGB mit Hilfe von juristischen Auslegungsmethoden zutreffend bestimmt werden kann, sondern ob dem Verwendungsgegner die zutreffende Erfassung des Regelungsgehaltes unangemessen erschwert wird (BGH, Urteil vom 8. Oktober 2015 – I ZR 136/14 -, Rn. 44). Es gibt nach zutreffender herrschender Ansicht, die auch der BGH in nahezu ständiger Rechtsprechung implizit zu Grunde legt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. Juli 2018 – VI ZR 274/17 -, Rn. 9 ff. und 11; BGH, Urteil vom 18. Februar 2020 – VI ZR 135/19 -, Rn. 10; BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – VII ZR 28/07 -; BGH, Urteil vom 23. Februar 2011 – XII ZR 101/09 -; vereinzelt geblieben dagegen BGH, Urteil vom 9. April 2014 – VIII ZR 404/12 -, BGHZ 200, 362-387, Rn. 35, 55), daher auch keinen Vorrang der Unklarheitenregel in dem Sinne, dass die Auflösung von Unklarheiten im Rahmen der Auslegung durch § 305c Abs. 2 BGB etwas daran ändern könnte, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ist (Rodi, in: Leuschner, AGB-Recht im unternehmerischen Rechtsverkehr, 2021, § 305c Rn. 108; Bonin, in: BeckOGK-BGB, Stand 01.09.2022, § 305c Rn. 87).

(2) Dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist, begründet unabhängig von der i.E. zu befürwortenden Auslegung eine faktisch vermittelte Benachteiligung des Verwendungsgegners i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB. Er läuft Gefahr, die Gerichtsstandsklausel falsch auszulegen und sich daher entweder unbemerkt rügelos vor einem unzuständigen Gericht einzulassen (§ 39 ZPO), vor allem aber zu übersehen, dass er auch an einem anderen, ihm genehmeren Gerichtsstand klagen könnte, oder seinerseits ein unzuständiges Gericht anzurufen. Letzteres begründet für ihn nicht nur die Gefahr, mit dadurch verursachten Mehrkosten belastet zu werden (§ 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Die Klage vor dem „falschen“ Gericht kann auch zu einer erheblichen Verzögerung der Rechtsverfolgung führen, zumal wenn es zu einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen verschiedenen Gerichten und in der Folge zu einer Gerichtsstandbestimmung durch das übergeordnete Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO kommt. Letzteres ist keine theoretische Gefahr, sondern, wie schon die veröffentlichte Rechtsprechung zeigt, bereits in unzähligen Fällen bei vergleichbaren Gerichtsstandsklauseln geschehen.

(3) Die durch die Intransparenz faktisch vermittelte Benachteiligung widerspricht den Geboten von Treu und Glauben und ist daher auch unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB. Die Auslegungsproblematik ist nicht nur lange bekannt. Sie steht der Bestimmung geradezu auf die Stirn geschrieben und muss sich jedem verständigen Verwender aufdrängen. Auch welche Schwierigkeiten und faktisch vermittelte Benachteiligungen sich daraus für seine Verwendungsgegner ergeben können, ist für jeden Verwender ohne weiteres erkennbar. Es geht auch nicht um Randfragen der Auslegung in seltenen Sonderkonstellationen, sondern um eine zentrale Kernfrage der Bestimmung. Zugleich wäre es problemlos möglich, durch das Hinzufügen eines einzigen Wortes unmissverständlich klarzustellen, ob ein ausschließlicher oder nur ein weiterer Gerichtsstand vereinbart werden soll. Es sind auch sonst keinerlei Umstände ersichtlich, die eine solche Klarstellung unzumutbar machen könnten. Stattdessen werden dem Verwendungsgegner durch die Klauselfassung interessenbezogene Erwägungen abverlangt, die ihn absehbar überfordern. Das ist unangemessen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2018 – VI ZR 274/17 -, Rn. 10).

ee) Unerheblich ist, dass sich die unklar geregelte Frage, ob der vereinbarte Gerichtsstand ein ausschließlicher ist, vorliegend gar nicht stellt. Die Transparenzkontrolle ist ein abstrakter Kontrollansatz. Darauf, ob die einer Klausel innewohnende Benachteiligung sich im Einzelfall tatsächlich ausgewirkt hat, kommt es nicht an (vgl. zur Inhaltskontrolle BGH, Urteil vom 18. Dezember 1985 – VIII ZR 47/85 -, Rn. 21; BGH, Urteil vom 10. Oktober 1991 – III ZR 141/90 -, BGHZ 115, 324-329).

ff) Rechtsfolge des Verstoßes gegen das Transparenzgebot ist, dass die Bestimmung insgesamt unwirksam ist (§ 307 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB). An die Stelle der unwirksamen Bestimmung treten die gesetzlichen Vorschriften (§ 306 Abs. 2 BGB), hier also die Gerichtsstände nach der ZPO. Eine geltungserhaltende Reduktion auf einen zulässigen Inhalt findet nicht statt (BGH, Urteil vom 23. August 2018 – III ZR 192/17 -, Rn. 13) und wäre hier auch nicht sinnvoll möglich, da das Problem der Bestimmung nicht in ihrem Inhalt, sondern in ihrer Transparenz liegt. Die Teilaufrechterhaltung der für sich genommen klaren Begründung eines zusätzlichen Aktivgerichtsstandes für die Klägerin an ihrem Sitz scheidet ebenfalls aus, da die Bestimmung sprachlich nicht teilbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2003 – VIII ZR 344/02 -, Rn. 15).

c) Soweit die Klägerin schließlich vorbringt, ihre Gerichtsstandsklausel sei (durch das Landgericht Karlsruhe) noch nie beanstandet worden, mag dies zutreffen. Der Kammer sind auch sonst keine Präzedenzfälle bekannt, in denen vergleichbare Bestimmungen wegen Intransparenz verworfen worden wären, obgleich sicherlich Gelegenheit dazu bestanden hätte. Das ist aber kein rechtlich relevanter Aspekt und zeugt im Übrigen nicht einmal von einer abweichenden herrschenden Ansicht, sondern lediglich davon, dass die Problematik bislang offenbar nicht gesehen wurde. Jedenfalls hat die Kammer allein nach Recht und Gesetz zu entscheiden (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG). Eine Bindung an Präjudizien kennt das deutsche Recht grundsätzlich nicht (explizit zu Verweisungsbeschlüssen BGH, Beschluss vom 9. Juli 2002 – X ARZ 110/02 -). Die Kammer kann und darf sich besserer Rechtseinsicht daher nicht verschließen.

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