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Wirksame Streitverkündung bei Bezugnahme auf Anlagen?

OLG Frankfurt – Az.: 29 U 197/21 – Urteil vom 26.09.2022

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 1.10.2021 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Gießen aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das vorliegende Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 146.124,06 Euro festgesetzt.

Gründe

A.

Die Klägerin nimmt den Beklagten als ihren Nachunternehmer auf die Bevorschussung von Mängelbeseitigungskosten im Wesentlichen mit der Behauptung in Anspruch, der Beklagte habe seine Leistungen zum Einbau und zur Abdichtung von Dachflächenfenstern in verschiedener Hinsicht fehlerhaft erbracht. Die Klägerin war von einer Wohnungseigentümergemeinschaft mit einem selbstständigen Beweisverfahren zu zahlreichen Mängeln überzogen worden, in dessen Rahmen die Klägerin dem Beklagten unter dem 16.11.2011 den Streit verkündet hatte (Anlage HSM 06, BI. 143 ff. d. A). Die das volle Rubrum der Hauptparteien des selbstständigen Beweisverfahrens ausweisende Streitverkündungsschrift hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

„den Streit verbunden mit der Aufforderung, dem Beweisverfahren auf Seiten der Antragsgegnerin hinsichtlich der Mangelpunkte im Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens und im Beweisbeschluss des Landgerichts vom 15. August 2011 zu B. 2. und A 3, A 9, A 11, A 18, A. 19. beizutreten.

Es wird beantragt, den Streitverkündeten diesen Schriftsatz sowie die Antragsschrift vom 19. Mai 2011, die Verfügung des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. Mai 2011 und die Schriftsätze der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2011, 23. Juni 2011 und 29. Juni 2011, den Schriftsatz der Streitverkündeten zu 11.) vom 14. Juli 2011 nebst Anlage, den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 27. Juli 2011, den Schriftsatz der Streitverkündeten zu 1.) vom 3. August 2011, den Schriftsatz der Antragstellerin vom 15. Juli 2011 nebst Anlage, den Beweisbeschluss vom 15. August 2011, den Schriftsatz der Streitverkündeten zu 12.) vom 15. August 2011, die Ladung der Sachverständigen Dipl.-Ing. (…) vom 19. September 2011, den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 21. September 2011, den Schriftsatz der Streitverkündeten zu 1.) vom 30. August 2011, den Schriftsatz der Streitverkündeten zu 11.) vom 14. September 2011, die Ladung der Sachverständigen Dipl.-Ing. (…) vom 27. September 2011, den Beschluss vom 26. September 2011, den Schriftsatz der Sachverständigen Dipl.-Ing. (…) vom 19. September 2011 und den Schriftsatz der Streitverkündeten zu 7.) vom 14. September 2011 alsbald förmlich zuzustellen und der Antragsgegnerin den Zustellungszeitpunkt gemäß § 160 Abs. 1 ZPO zu bescheinigen.

Begründung:

Wirksame Streitverkündung bei Bezugnahme auf Anlagen?
(Symbolfoto: U. J. Alexander/Shutterstock.com)

Bei dem gegenständlichen Rechtsstreit beantragt die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin (…) die Beweiserhebung über die in der Antragsschrift vom 19. Mai 2011 behaupteten Mängel. Soweit Mängel oder Mängelansprüche der Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin bestehen, hätte die Antragsgegnerin gegenüber den Streitverkündeten entsprechende Regress- und Haftungsansprüche, insbesondere Gewährleistungs- bzw. Mängelansprüche nach Abnahme, da die Antragsgegnerin die Leistungen nicht selbst sondern durch die Streitverkündeten ausgeführte.

Der Streitverkündete zu 17.) (…) hat an dem gegenständlichen Objekt Dachdecker- und Klempnerarbeiten, Abdichtung von Laubengängen und Terrassen aufgrund des Nachunternehmervertrages Nr. … vom 4. Oktober 2005/28. September 2005 ausgeführt. Insoweit wäre er für die behaupteten Mängel gemäß dem obigen Beitrittsantrag zuständig und rechtlich verantwortlich.

Es besteht daher ein rechtliches Interesse der Antragsgegnerin, dass die Feststellungen des Sachverständigen gegenüber dem weiteren Streitverkündeten zu 17.) Bindungswirkung entfalten. Darüber hinaus dient die Streitverkündung der Verjährungshemmung.

Zum Stand des Verfahrens wird mitgeteilt, dass ein erster Ortstermin am 15. November 2011 stattgefunden hat, im Rahmen dessen eine erste oberflächliche Besichtigung der Mangelbehauptungen erfolgt ist. Mit der Terminierung eines Fortsetzungstermins wird in den nächsten Wochen bzw. Monaten gerechnet.“

Die Streitverkündungsschrift wurde dem mit „Streitverkündete zu 17.“ bezeichneten Beklagten am 19.11.2011 zugestellt. Beigefügt waren Abschriften der dem Beweisverfahren zugrundeliegenden Antragsschrift, Verfügungen und Beschlüsse des Gerichts und diverse Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten und der dort bestellten Sachverständigen.

Der Beklagte bestreitet seine Verantwortung für die zutage getretenen Mangelerscheinungen und erhebt die Einrede der Verjährung mit der Begründung, die Streitverkündungsschrift sei wegen formeller Mängel zur Hemmung der Verjährung nicht geeignet gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes einschließlich der Anträge nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.

Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen und sich der Ansicht des Beklagten zur Unzulässigkeit der Streitverkündung wegen formeller Fehler der Streitverkündungsschrift angeschlossen, sich dabei auf ein Urteil des erkennenden Senats vom 22.02.2021 (29 U 166/19, NJW 2021, 1825 ff.) berufen. Die Lage des Rechtsstreits und der Grund der Streitverkündung seien im Schriftsatz unzureichend bezeichnet; beides sei in hinreichender Deutlichkeit nur dessen Anlagen zu entnehmen gewesen, was nicht ausreiche.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung die erstinstanzlichen Anträge weiter und meint, das Landgericht habe die Anforderungen an den für die Verjährungshemmung notwendigen Inhalt einer Streitverkündungsschrift überspannt. Insbesondere bestehe entgegen der Ansicht des Landgerichts kein Verbot der Bezugnahme auf Anlagen im angenommenen Sinne.

Sie beantragt sinngemäß, unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 146.124,06 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle über den in Ziffer 1 genannten Betrag hinausgehenden Kosten und Schäden zu ersetzen, die der Klägerin im Rahmen der Beseitigung der streitgegenständlichen Mängel entstanden sind oder noch entstehen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen, vorsorglich Zurückverweisung gem. § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise Zurückverweisung.

Er verteidigt das landgerichtliche Urteil.

B.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und im ausgesprochenen, vorläufigen Sinne begründet. Die Klageforderung ist nicht verjährt, weil die Streitverkündung zulässig, insbesondere in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden war.

I.

Das Landgericht geht in Übereinstimmung mit den Parteien im Ansatz zu Recht davon aus, dass die vereinbarte Verjährungsfrist ohne hemmende Maßnahmen am 1.12.2011 geendet hätte.

II.

Die Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes vom 16.11.2011 nebst Anlagen am 19.11.2011 bewirkte rechtzeitig eine Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB. Der Senat teilt die Bedenken des Landgerichts gegen die formale Ordnungsmäßigkeit der Streitverkündungsschrift nicht; das Landgericht kann sich insoweit auch nicht auf das Senatsurteil vom 22.2.2021 (29 U 166/19, NJW 2021, 1825 ff.) stützen.

1. Die Streitverkündungsschrift und die ihr beigefügten Anlagen unterrichteten den Beklagten in ausreichender Form über den Stand des Verfahrens.

a) Die Streitverkündungsschrift enthält auf S. 4 (Bl. 146 d. A.) durchaus Angaben zum Stand des Verfahrens, wenn auch zusammenfassender Art. Hinzu kommt, dass der wesentliche Akteninhalt, aus dem sich der Verfahrensstand ergab, den beigefügten Kopien aus der Akte entnehmen ließ; im Fall 29 U 166/19 war demgegenüber nicht festzustellen, dass der Streitverkündungsempfänger die Kopien aus der Akte mit der Streitverkündungsschrift erhalten hatte (Senat a. a. O., Tz. 36). Die hiesige Klägerin hat sich in der Streitverkündungsschrift gerade nicht darauf beschränkt, auf die Akte Bezug zu nehmen (so aber Senatsurteil a. a. O., Tz. 35), sondern hat deren wesentlichen Inhalt in Kopie beigefügt. Damit war der Beklagte insgesamt umfassend über die Lage des Verfahrens unterrichtet, und das ist für die Zulässigkeit der Streitverkündung der entscheidende Gesichtspunkt. Für ein Verbot der Bezugnahme auf Anlagen ist in diesem Kontext keine rechtliche Grundlage, kein vernünftiger Grund erkennbar.

b) Im Übrigen spricht viel dafür, dass die Verjährungshemmung von der Unterrichtung über den Verfahrensstand von vornherein nicht abhängt (vgl. Staudinger/Peters/Jacoby [2019] BGB § 204 Rn. 77 unter c; OLG Hamm BeckRS 2011, 1909 unter 2 d bb 2a der Gründe; offen Meier NZBau 2021, 470 f.). Die Unterrichtung ergibt nur einen Sinn für die Entscheidung des Streitverkündungsempfängers über einen Beitritt; die Verjährungshemmung ist von dieser Entscheidung völlig unabhängig. Der Senat kann die Frage im Streitfall offenlassen, eben weil die Angaben zum Verfahrensstand vorliegend ausreichten.

2. Auch hinsichtlich der Angabe des Streitverkündungsgrundes ist die vorliegende Streitverkündungsschrift nicht zu beanstanden. Der vorliegende Fall ist auch insoweit mit dem Fall, der dem Senatsurteil vom 22. 1. 2021 zugrunde lag, nicht zu vergleichen. Dort hatte die Streitverkündungsschrift völlig unklar gelassen, wegen welcher Mängel der Streitverkündungsempfänger im Unterliegensfalle in Regress genommen werden sollte (a. a. O., Tz. 38). Davon kann hier keine Rede sein. Die Mängel waren hier durch konkrete Bezugnahme auf den der Streitverkündungsschrift u. a. beigefügten Beweisbeschluss ausreichend und klar bezeichnet worden. Eine derartige Bezugnahme ist keineswegs verboten, sondern wird vom BGH als selbstverständlich zulässig angesehen (VIZ 2000, 688, 689). Für den Beklagten war es durch die konkrete Bezugnahme auf anhand der Bezifferung abgrenzbare Mängel unschwer möglich zu erkennen, weswegen ihm ein Regress angedroht wurde. Seinem Informationsinteresse war insoweit genügt, auch hier gibt es für ein Bezugnahmeverbot keinen vernünftigen Grund.

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III.

Der Senat hat die Sache in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens auf den beiderseitigen Hilfsantrag nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO zurückverwiesen. Die Streitfragen zur Mängelhaftung des Beklagten bedürfen noch umfangreicher ergänzender Aufklärung, mit der das Landgericht – nach seiner Auffassung folgerichtig – nicht einmal begonnen hat. Den Parteien ginge eine volle Tatsacheninstanz verloren, wenn der Senat diese Sachaufklärung erstmals und abschließend betreiben würde, abgesehen davon, dass dies angesichts seiner massiven Überlastung nach mehreren langfristigen Vakanzen nicht zu einer Beschleunigung führen könnte.

IV.

Über die Kosten des Berufungsverfahrens wird das Landgericht mitzuentscheiden haben. Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 543 Abs. 2 ZPO. Der vorliegende Fall wirft bei zutreffender Abgrenzung zum Fall des Senatsurteils vom 22. 1. 2021 keine klärungsbedürftigen Grundsatzfragen auf.

V.

Der Streitwert der Berufung entspricht der mit dem Zahlungsantrag verfolgten Klagehauptforderung. Der ergänzende Feststellungsantrag erhöht den Streitwert neben der Vorschussklage nicht, da er allenfalls klarstellende Bedeutung ohne einen eigenständigen wirtschaftlichen Wert hat.

 

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