Bundesarbeitsgericht
Az: 10 AZR 43/09
Urteil vom 24.03.2010
In Sachen hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. März 2010 für Recht erkannt:
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 18. Dezember 2008 – 5 Sa 768/07 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer Jahressonderzahlung.
Der Kläger war seit dem Jahr 1996 bei der D GmbH & Co. KG beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis ging zum 1. Januar 2004 infolge eines Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Der Kläger ist als Betriebsschlosser und Schichtleiter tätig und Betriebsratsvorsitzender im Werk H der Beklagten. Er ist Mitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt.
Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag über die Gewährung einer Jahressonderzahlung für die Arbeitnehmer in der Steine- und Erden-Industrie und im Betonsteinhandwerk in Bayern vom 17. Juni 2000 – gültig ab dem 1. Januar 2000 – Anwendung. In dessen § 2 Ziffer 1 ist geregelt, dass gewerbliche Arbeitnehmer Anspruch auf eine Jahressonderzahlung in Höhe von 165 Tarifstundenlöhnen auf der Basis der tariflichen Jahressonderzahlung 1999 haben.
Der Tarifstundenlohn des Klägers stieg von 12,25 Euro im Jahr 1999 auf 13,49 Euro im Jahr 2006. Seine Jahressondervergütung für 2006 betrug 2.226,00 Euro.
Mit der Klageschrift hat der Kläger dargelegt, er habe folgende Jahressonderzahlungen bezogen:
1999 3.672,90 DM 1.875,05 Euro
2000 3.750,45 DM 1.914,64 Euro
2001 3.750,45 DM 1.914,64 Euro
2002 1.965,15 Euro
2003 2.154,90 Euro
2004 2.191,20 Euro
2005 2.041,00 Euro
Die Beklagte schloss für ihre bayerischen Werke in N und F im Jahr 2001 einen Überleitungstarifvertrag, wonach ab dem 1. Mai 2001 die Tarifverträge des Landesverbands Beton- und Bimsindustrie Rheinland-Pfalz e. V. gelten sollten. Für die Lohn-/Gehaltsgruppeneinteilung und die Stundenlohnhöhe sollte der Tarifvertrag des bayerischen Landesverbands in der jeweiligen Fassung gelten. Für gesondert genannte Mitarbeiter sollte ua. für die Jahressondervergütung eine besondere Vereinbarung erfolgen. Gegenüber dem Betriebsrat der Werke N und F versicherte der Geschäftsleiter G am 28. November 2000, dass die Jahressonderzahlung nach dem Tarifvertrag Bayern abgerechnet werde.
Dem Kläger sowie sämtlichen betroffenen Arbeitnehmern wurde Ende des Jahres 2003 mitgeteilt, dass ihr „Arbeitsverhältnis zum 1. Januar 2004 automatisch“ auf die Beklagte übergehe, die „in sämtliche Rechte und Pflichten“ ihres Arbeitsverhältnisses eintrete.
Die Berechnung der Jahressondervergütung erfolgte bis zum Jahr 2003 selbständig durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten. Ab dem Jahr 2004 übernahm der Lohnsachbearbeiter der Beklagten, Herr O, die Berechnung und ab dem Jahr 2005 Frau C.
Am 5. Januar 2007 schrieb die Beklagte an den Kläger, dass sie in den Jahren 2004, 2005 und 2006 eine zu hohe Jahressondervergütung ausgezahlt habe. Die Zahlung für 2006 sei auf der Grundlage des Tariflohns für das Jahr 2005 erfolgt, während nach dem Tarifvertrag die Zahlung auf der Basis von 1999 eingefroren sei. Die Differenz von 205,00 Euro brutto werde mit der Januarabrechnung einbehalten. Dies geschah auch bei den übrigen Arbeitnehmern der bayerischen Werke H, N und E. Der Betriebsrat des Werks H wies die Beklagte mit Schreiben vom 16. Januar 2007 darauf hin, dass schon seit dem Jahr 1995 von der D GmbH & Co. KG und sodann von der Beklagten die ansteigenden Jahressonderzahlungen gezahlt worden seien und darin eine betriebliche Übung zu sehen sei.
Der Kläger meint, die Beklagte habe den Betrag von 205,00 Euro nicht einbehalten dürfen. Es sei auch festzustellen, dass die Jahressonderzahlung weiterhin auf der Basis des jeweiligen Kalenderjahres zu berechnen sei. Er habe darauf einen Anspruch aus betrieblicher Übung erworben. Diese Übung sei bereits bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten entstanden, die Beklagte habe sie fortgesetzt. Die Arbeitnehmer hätten darauf vertrauen dürfen, dass sowohl die D GmbH & Co. KG als auch die Beklagte die höhere Leistung bewusst als Leistungsäquivalent erbracht hätten. Ein Irrtum sei nicht erkennbar gewesen. Der Beklagten sei der Inhalt der bayerischen Tarifverträge seit den Verhandlungen über die Übernahmetarifverträge im Jahr 2000 bekannt gewesen, ihrer Rechtsvorgängerin als Mitglied des einschlägigen Arbeitgeberverbands ohnehin. Spätestens anlässlich der Betriebsübernahme habe die Beklagte sich intensiv mit den tarifvertraglichen Vergütungsregeln und mit den übergehenden Rechten und Pflichten befasst. Ab diesem Zeitpunkt hätten die Arbeitnehmer erst recht davon ausgehen müssen, dass ihnen die höhere Leistung bewusst gewährt werden sollte.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 205,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 15. Februar 2007 zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte auch in Zukunft verpflichtet ist, die Jahressonderzahlung abweichend von § 2 Ziffer 1 des Tarifvertrags über die Gewährung einer Jahressonderzahlung für die Steine und Erden-Industrie und das Betonsteinhandwerk in Bayern vom 1. Januar 2000 auf der Basis des Lohnes des jeweiligen Kalenderjahres bis zu einer individualvertraglichen Änderung zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, eine betriebliche Übung sei nicht entstanden. Sie und ihre Rechtsvorgängerin hätten erkennbar immer nur den tariflichen Anspruch erfüllen wollen und sich bei der Berechnung in der Höhe geirrt.
Die Beklagte hat behauptet, der damalige Lohnsachbearbeiter Herr O habe die Tarifänderung so interpretiert, dass die Basis für die Auszahlung der Jahressondervergütung immer das Tarifgehalt des Vorjahres sein sollte. Bis zum Kalenderjahr 2001 habe Herr O so für die Werke F, N und E abgerechnet. Im Jahr 2002 habe Frau K die Werke F und N, 2004 das Werk E übernommen. Ab dem Jahr 2004 habe Herr O die Lohnabrechnung für das Werk H in der K-Gruppe übernommen, ab dem Jahr 2005 sei dies durch Frau C geschehen. Die falsche Interpretation des Tarifvertrags sei von Herrn O jeweils an die anderen Lohnsachbearbeiter weitergegeben worden. Erst im Januar 2007 habe man den Irrtum bemerkt und sodann unverzüglich die Rückforderung veranlasst.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht sowohl den Zahlungs- als auch den Feststellungsantrag abgewiesen. Die Beklagte hat den Betrag von 205,00 Euro zu Recht einbehalten, da der Kläger in dieser Höhe überzahlt worden ist (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ein Anspruch aus betrieblicher Übung auf die übertariflichen Teile der Jahressonderzahlung ist nicht entstanden.
1. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Beurteilung, ob aus den vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen eine betriebliche Übung hinsichtlich der Gewährung von Leistungen entstanden ist, uneingeschränkt revisionsrechtlich zu überprüfen (BAG 28. Juni 2006 – 10 AZR 385/05 – BAGE 118, 360).
2. Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend ist nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste und durfte (st. Rspr., zB BAG 16. Juni 2004 – 4 AZR 417/03 -).
3. Grundsätzlich kann eine betriebliche Übung auch bezüglich übertariflicher Leistungen und übertariflicher Anteile einer einheitlichen Leistung entstehen (vgl. Senat 1. April 2009 – 10 AZR 393/08 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 84; BAG 16. Juni 2004 – 4 AZR 417/03 -). Dem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers muss aber aus der Sicht der Arbeitnehmer der Wille zugrunde liegen, eine bestimmte übertarifliche Leistung zu erbringen. Dafür hat der Kläger keine genügenden Anhaltspunkte vorgetragen.
a) Nach seinem Vorbringen ist nicht davon auszugehen, dass bereits in den Jahren 2001 bis 2003 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine betriebliche Übung entstanden ist. In der Klageschrift trägt der Kläger vor, dass eine Erhöhung nur zweimal eingetreten ist, nämlich in den Jahren 2002 und 2003. Bei jährlichen Leistungen kann aber in der Regel erst nach dreimaliger Gewährung davon ausgegangen werden, die Leistung solle auch in der Zukunft gewährt werden.
b) Auch nach der Betriebsübernahme ist keine betriebliche Übung durch das Verhalten der Beklagten begründet worden. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, welchen Inhalt das Angebot der Beklagten oder ihrer Rechtsvorgängerin überhaupt hätte haben sollen. Der Kläger hat nicht dargelegt, welche Regel den jährlichen Zahlungen zugrunde lag. Die vorgetragenen Zahlen lassen weder eine Berechnung auf der Grundlage des jeweils aktuellen Tarifstundenlohns noch eine sonstige nachvollziehbare Regelhaftigkeit im Sinn einer übertariflichen Vergütung zugunsten der Arbeitnehmer erkennen.
Es kann nicht einmal nachvollzogen werden, dass die Sonderzahlung sich seit dem Jahr 2002 kontinuierlich erhöht hätte. Demnach bleibt unklar, wie der Kläger die Berechnungsweise der Beklagten verstanden haben will. Eine betriebliche Übung auf eine wie auch immer geartete stetige Steigerung der Sonderzuwendung, ohne dass deren Höhe und Berechnung eindeutig festzustellen wären, kann jedenfalls nicht entstehen.
4. Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die vom Kläger oder von der Beklagten angenommene Berechnungsweise grundsätzlich geeignet wäre, als Angebot gewertet zu werden, und einen Anspruch auf die sich so ergebenden Sonderzahlungen aus betrieblicher Übung hätte begründen können, fehlt es doch an ausreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Beklagte erkennbar nicht irrtümlich gezahlt hat, sondern bewusst mehr zahlen wollte, als sie musste.
Während in dem Fall, der der Entscheidung des Senats vom 1. April 2009 (- 10 AZR 393/08 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 84) zugrunde lag, der übertarifliche Teil der Sonderzahlung in den Abrechnungen jeweils genau ausgewiesen wurde und auch zu anderen Zeitpunkten erfolgte, als dies tarifvertraglich vorgesehen war, fehlt es im vorliegenden Fall an einer solchen eindeutigen Willenskundgabe. Die Sonderzahlung wurde in einem einheitlichen Betrag ausgewiesen.
Aus der Sicht der betroffenen Arbeitnehmer gab es zwar mehrere Anlässe dafür, dass die Beklagte den von ihr reklamierten Irrtum hätte bemerken müssen. Bei den Verhandlungen über den Übernahmetarifvertrag für andere bayerische Werke im Jahr 2000 und anlässlich der Betriebsübernahme in den Jahren 2003/2004 hat sich die Beklagte mit den einschlägigen Tarifwerken befasst. Dies muss auch bezüglich der Jahressondervergütung geschehen sein, da diese gesondert im Überleitungstarifvertrag erwähnt wurde. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Beklagte sich über die Berechnungsweise geirrt hat. Hätte die Beklagte eine übertarifliche Leistung erbringen wollen, hätte es nahe gelegen, dies in irgendeiner Weise zum Ausdruck zu bringen.
5. Zu Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die Mitteilungen über den Betriebsübergang nicht mehr ausdrücken als die gesetzlichen Folgen des § 613a BGB. Da bereits bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten keine betriebliche Übung entstanden ist, hat auch die Mitteilung, an der Vergütung ändere sich nichts, keinen eigenen rechtsgeschäftlichen Inhalt.
6. Da kein Anspruch auf eine betriebliche Übung entstanden ist, ist auch der Feststellungsantrag unbegründet.