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Übersicht:
- ✔ Kurz und knapp
- Autobahnunfall: Kettenauffahrt führt zu Millionen-Streit vor Gericht
- ✔ Der Fall vor dem Amtsgericht Erfurt
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen: Kettenauffahrunfall auf der Autobahn
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⬇ Das vorliegende Urteil vom Amtsgericht Erfurt
✔ Kurz und knapp
- Der Anscheinsbeweis spricht bei Kettenauffahrunfällen gegen die auffahrenden Verkehrsteilnehmer, da sie gegen die Sorgfaltspflicht aus § 4 StVO verstoßen haben.
- Weder die Beklagten 1/2 noch 3/4 konnten den Anscheinsbeweis entkräften, dass ein atypischer Geschehensablauf vorlag.
- Die Aussagen der Zeugen und Parteien zum Bremsvorgang und Anstoß sind widersprüchlich.
- Das Sachverständigengutachten konnte den Hergang nicht zweifelsfrei klären.
- Somit ist von einer vollständigen Verursachung durch die auffahrenden Beklagten auszugehen.
- Der Schaden wurde durch beide Auffahrunfälle verursacht, ein Ausschluss der Schadenserweiterung durch den zweiten Aufprall ist nicht feststellbar.
- Die Haftung der Beklagten ergibt sich aus §§ 7, 18 StVG, 249 ff., 421 ff., 840 BGB, 115 VVG.
- Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten für Schadensersatz und Zinsen ist somit begründet.
Autobahnunfall: Kettenauffahrt führt zu Millionen-Streit vor Gericht
Unfälle im Straßenverkehr sind leider Alltag. Besonders brisant sind sogenannte Kettenauffahrunfälle, bei denen ein Fahrzeug auf ein anderes auffährt, das wiederum auf ein davor befindliches Fahrzeug geschoben wird. In solchen Fällen stellt das Gesetz einen Anscheinsbeweis auf, wonach die nachfolgenden Fahrzeugführer gegen ihre Sorgfaltspflicht verstoßen und den Unfall verschuldet haben.
Dieser Anscheinsbeweis kann jedoch widerlegt werden, etwa wenn der Vorausfahrende plötzlich und ohne triftigen Grund eine Vollbremsung eingeleitet hat. Die Beweislast liegt dann bei den Auffahrenden, die den ungewöhnlichen Geschehensablauf nachweisen müssen. Nur so können sie sich von der Haftung befreien.
Ob und unter welchen Umständen der Anscheinsbeweis greift und wie er entkräftet werden kann, zeigt ein aktuelles Gerichtsurteil zu einem Kettenauffahrunfall auf der Autobahn, das im Folgenden näher beleuchtet wird.
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✔ Der Fall vor dem Amtsgericht Erfurt
Kettenauffahrunfall auf der Autobahn bei Erfurt: Rechtsstreit zwischen mehreren Fahrzeugführern
Der Fall behandelt einen Kettenauffahrunfall, der sich am 26. Januar 2019 auf der Bundesautobahn 71 in der Nähe des Autobahnkreuzes Erfurt ereignete. Die Klägerin, die mit einem Peugeot 206 unterwegs war, beabsichtigte, von der BAB 71 auf die BAB 4 zu wechseln. Dabei kam es zu einem Unfall, bei dem zwei Fahrzeuge hinter ihrem Wagen beteiligt waren: ein VW Polo, gefahren vom Beklagten zu 1, und ein VW T6, gefahren von der Beklagten zu 3. Der Unfallhergang stellte sich wie folgt dar: Der Beklagte zu 1 fuhr auf das Fahrzeug der Klägerin auf, während die Beklagte zu 3 anschließend auf das Fahrzeug des Beklagten zu 1 auffuhr und dieses weiter auf den Peugeot 206 der Klägerin schob.
Die Klägerin forderte aufgrund des wirtschaftlichen Totalschadens eine Summe von 3.060,00 Euro für den Wiederbeschaffungswert, 462,55 Euro für die Sachverständigengebühren, 165,90 Euro für Übernachtungskosten und 25,00 Euro für eine Auslagenpauschale. Sie argumentierte, dass die Beklagten zu 1 und 3 durch Unachtsamkeit und unangepasste Geschwindigkeit für den Unfall verantwortlich seien.
Die Beklagten hingegen beantragten die Abweisung der Klage. Der Beklagte zu 1 behauptete, die Klägerin habe ohne zwingenden Grund abrupt gebremst, was ihn zu einer Vollbremsung zwang. Der Beklagte zu 1 blieb zunächst hinter dem Fahrzeug der Klägerin stehen, bevor die Beklagte zu 3 auf sein Fahrzeug auffuhr und es auf das klägerische Fahrzeug schob. Die Beklagten zu 3 und 4 behaupteten, dass der Beklagte zu 1 bereits auf das Fahrzeug der Klägerin aufgefahren war, bevor es zu dem zweiten Aufprall durch das Fahrzeug der Beklagten zu 3 kam.
Gerichtliche Entscheidung im Kettenauffahrunfall
Das Amtsgericht Erfurt entschied zugunsten der Klägerin und verurteilte die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 3.713,45 Euro sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 413,64 Euro, jeweils zuzüglich Zinsen. Das Gericht stützte seine Entscheidung auf mehrere rechtliche Grundlagen, darunter §§ 7 Abs. 1, 18 StVG, 249 ff., 421 ff., 840 BGB und 115 Abs. 1 S. 4 VVG.
Das Gericht stellte fest, dass die Beklagten zu 1 und 2 nicht nachweisen konnten, dass ein atypischer Geschehensablauf vorlag, wie beispielsweise ein abruptes und grundloses Bremsen der Klägerin. Zudem konnten sie nicht beweisen, dass der Unfall für den Beklagten zu 1 unabwendbar war. Ebenso wenig konnten die Beklagten zu 3 und 4 nachweisen, dass durch das Aufschieben des Pkw des Beklagten zu 1 kein weitergehender Schaden am Fahrzeug der Klägerin entstand.
Das Gericht argumentierte, dass in Fällen von Auffahrunfällen der Anscheinsbeweis zu Lasten der Auffahrenden spricht. Dies bedeutet, dass die nachfolgenden Verkehrsteilnehmer in der Regel gegen die Sorgfaltspflicht gemäß § 4 S. 1 StVO verstoßen haben, da sie den Abstand oder die Geschwindigkeit nicht angemessen gewählt oder nicht die notwendige Aufmerksamkeit aufgebracht haben. Selbst ein grundloses Bremsen des Vorausfahrenden entkräftet den Anscheinsbeweis nicht ohne weiteres.
Bewertung der Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten
Das Gericht zog verschiedene Zeugenaussagen und ein unfallanalytisches Gutachten heran, um den Unfallhergang zu klären. Die Aussagen der Zeugen und der betroffenen Parteien waren jedoch widersprüchlich. Während die Klägerin und ihre Zeugin aussagten, dass es zwei Aufschläge gab und sie ohne abruptes Bremsen langsamer geworden sei, behauptete die Zeugin der Beklagten zu 1 und 2, dass die Klägerin abrupt gebremst habe.
Das unfallanalytische Gutachten konnte ebenfalls keine eindeutige Klärung bringen. Der Sachverständige stellte fest, dass sowohl ein abruptes Bremsen als auch ein teilgebremster Zustand der Fahrzeuge möglich gewesen seien. Auch die technischen Untersuchungen konnten keinen klaren Nachweis erbringen, welcher der vorgetragenen Unfallhergänge zutraf. Aufgrund der verbleibenden erheblichen Restzweifel konnte das Gericht keine hinreichend sichere Überzeugung gemäß § 286 ZPO bilden.
Haftung und Anspruchshöhe
Rechtlich stellte das Gericht fest, dass mehrere Schädiger für den entstandenen Schaden verantwortlich waren. Dies führte zur Anwendung von § 840 Abs. 1 BGB, wonach die Beklagten gesamtschuldnerisch haften. Die Klägerin hatte den wirtschaftlichen Totalschaden zutreffend nach dem Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts berechnet. Die Einwände der Beklagten zu 3 und 4 bezüglich eines möglichen Vorschadens wurden als unsubstantiiert und somit unbeachtlich bewertet.
Auch die Sachverständigengebühren, Übernachtungskosten und die Kostenpauschale wurden als adäquate Schadensfolge anerkannt. Die Klägerin konnte zudem die geltend gemachten Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten als Verzugsschaden gemäß §§ 286, 288 Abs. 1 bzw. 4 BGB beanspruchen.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Das Urteil verdeutlicht, dass bei Auffahrunfällen der Anscheinsbeweis zu Lasten der Auffahrenden spricht. Trotz widersprüchlicher Zeugenaussagen und eines nicht eindeutigen Sachverständigengutachtens haften die nachfolgenden Verkehrsteilnehmer gesamtschuldnerisch für den entstandenen Schaden, wenn sie nicht nachweisen können, dass ein atypischer Geschehensablauf vorlag oder der Unfall für sie unabwendbar war. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Sorgfaltspflicht im Straßenverkehr und die Beweislastverteilung bei Auffahrunfällen.
✔ FAQ – Häufige Fragen: Kettenauffahrunfall auf der Autobahn
Was ist ein Anscheinsbeweis und wie wirkt er sich bei Auffahrunfällen aus?
Ein Anscheinsbeweis, auch als Prima-facie-Beweis bekannt, ist eine Methode der mittelbaren Beweisführung, die auf allgemeinen Erfahrungssätzen basiert. Er ermöglicht es, von bewiesenen Tatsachen auf zu beweisende Tatsachen zu schließen, wenn ein typischer Geschehensablauf vorliegt. Der Anscheinsbeweis erleichtert die Beweisführung, indem er die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Ursache oder Folge annimmt, ohne dass die genauen Einzelumstände strikt bewiesen werden müssen. Diese Methode wird häufig im Zivilprozess angewendet, insbesondere bei der Feststellung von Kausalität und Verschulden.
Bei Auffahrunfällen spielt der Anscheinsbeweis eine zentrale Rolle. In der Regel wird vermutet, dass der Auffahrende die erforderliche Sorgfalt im Straßenverkehr nicht beachtet hat, indem er entweder den Sicherheitsabstand nicht eingehalten, unaufmerksam gewesen oder mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren ist. Diese Vermutung basiert auf der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Hintermann typischerweise die Kontrolle über sein Fahrzeug behalten muss, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Der Anscheinsbeweis führt dazu, dass der Auffahrende zunächst als schuldhaft angesehen wird.
Um den Anscheinsbeweis zu erschüttern, muss der Auffahrende nachweisen, dass ein atypischer Geschehensablauf vorlag. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Vorausfahrende ohne zwingenden Grund abrupt bremst. In solchen Fällen kann eine Haftungsteilung oder sogar eine vollständige Haftung des Vorausfahrenden in Betracht kommen. Der Auffahrende trägt die volle Beweislast, um zu zeigen, dass die Vollbremsung des Vorausfahrenden grundlos war.
Das Oberlandesgericht Hamm hat den Anscheinsbeweis in einem Urteil gestärkt, indem es feststellte, dass der Auffahrende in einem Kreisverkehr den Unfall schuldhaft verursacht hat, weil er den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hatte. Der Anscheinsbeweis kann nur erschüttert werden, wenn der Auffahrende beweisen kann, dass der Vorausfahrende grundlos stark gebremst hat. Dies zeigt, dass der Anscheinsbeweis eine erhebliche Beweiserleichterung für den Vorausfahrenden darstellt, während der Auffahrende eine hohe Beweislast trägt, um seine Unschuld zu beweisen.
In anderen Rechtssystemen, wie beispielsweise in den Niederlanden, wird der Anscheinsbeweis bei Auffahrunfällen anders gehandhabt. Dort lässt sich aus der Tatsache, dass der Auffahrende sein Fahrzeug nicht rechtzeitig zum Stillstand bringen konnte, kein Anscheinsbeweis ableiten, dass dieser den Unfall verursacht oder verschuldet hat. Dies zeigt, dass die Anwendung des Anscheinsbeweises je nach Rechtsordnung variieren kann.
Wie können Auffahrende den Anscheinsbeweis entkräften?
Auffahrende können den Anscheinsbeweis entkräften, indem sie nachweisen, dass ein atypischer Geschehensablauf vorlag, der den Unfall verursacht hat. Ein solcher atypischer Geschehensablauf könnte beispielsweise ein abruptes und grundloses Bremsen des vorausfahrenden Fahrzeugs sein. Um den Anscheinsbeweis zu erschüttern, müssen Auffahrende konkrete Beweise vorlegen, die den typischen Ablauf eines Auffahrunfalls widerlegen.
Ein Beispiel für einen atypischen Geschehensablauf ist, wenn der Vorausfahrende ohne zwingenden Grund stark abbremst. Nach § 4 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) darf ein Fahrzeugführer nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen. Ein solcher zwingender Grund könnte das plötzliche Auftauchen eines Hindernisses wie ein Kind oder ein großes Tier auf der Fahrbahn sein. Fehlt ein solcher Grund, kann das grundlose Bremsen des Vorausfahrenden zur Teilschuld oder sogar zur alleinigen Schuld des Vorausfahrenden führen.
In der Rechtsprechung wird anerkannt, dass der Anscheinsbeweis zugunsten des Auffahrenden erschüttert werden kann, wenn dieser nachweist, dass der Vorausfahrende plötzlich und ohne ersichtlichen Grund stark gebremst hat. Beispielsweise hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden, dass plötzliches und grundloses Bremsen zur Teilschuld des Vorausfahrenden führen kann.
Ein weiteres Beispiel ist ein Spurwechsel des Vorausfahrenden unmittelbar vor dem Unfall. Wenn der Vorausfahrende den Fahrstreifen wechselt und dabei den nachfolgenden Verkehr nicht beachtet, kann dies ebenfalls als atypischer Geschehensablauf gewertet werden. In solchen Fällen muss der Auffahrende nachweisen, dass der Spurwechsel des Vorausfahrenden den Unfall verursacht hat.
Die Beweisanforderungen zur Erschütterung des Anscheinsbeweises sind hoch. Der Auffahrende muss detaillierte und glaubwürdige Beweise vorlegen, die den atypischen Geschehensablauf belegen. Dies kann durch Zeugenaussagen, Unfallrekonstruktionen oder andere Beweismittel geschehen. Es reicht nicht aus, lediglich die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs zu behaupten; es müssen konkrete und nachvollziehbare Beweise vorgelegt werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Auffahrende den Anscheinsbeweis entkräften können, indem sie nachweisen, dass der Unfall durch einen atypischen Geschehensablauf verursacht wurde, wie etwa ein abruptes und grundloses Bremsen oder ein plötzlicher Spurwechsel des Vorausfahrenden. Die Beweisanforderungen sind hoch, und es müssen konkrete Beweise vorgelegt werden, um den Anscheinsbeweis erfolgreich zu erschüttern.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG): Haftung des Fahrzeughalters für Schäden, die beim Betrieb eines Fahrzeugs entstehen. Im vorliegenden Fall wird die Haftung des Halters der nachfolgenden Fahrzeuge bei einem Auffahrunfall relevant.
- § 18 StVG: Haftung des Fahrzeugführers. Dieser Paragraph stellt klar, dass auch der Fahrer des Fahrzeugs für Schäden haftet, die beim Betrieb des Fahrzeugs entstehen. Im konkreten Fall sind dies die Beklagten, die die nachfolgenden Fahrzeuge geführt haben.
- § 249 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Art und Umfang des Schadensersatzes. Dieser Paragraph regelt, dass der Geschädigte so zu stellen ist, wie er ohne das schädigende Ereignis gestanden hätte. Hier ist dies relevant für die Berechnung des Wiederbeschaffungswerts des beschädigten Fahrzeugs.
- § 421 ff. BGB: Gesamtschuldnerische Haftung. Dieser Paragraph bestimmt, dass mehrere Personen für denselben Schaden haften. Im Fall des Kettenauffahrunfalls haften die Beklagten als Gesamtschuldner.
- § 840 Abs. 1 BGB: Haftung bei mehreren Schädigern. Dieser Paragraph regelt die Haftung, wenn mehrere Personen gemeinsam einen Schaden verursachen. Hier wird klargestellt, dass alle Beklagten gesamtschuldnerisch haften.
- § 115 Abs. 1 S. 4 Versicherungsvertragsgesetz (VVG): Direktanspruch gegen den Versicherer. Dieser Paragraph ermöglicht es dem Geschädigten, direkt den Versicherer des Schädigers in Anspruch zu nehmen. Dies ist relevant, da die Fahrzeuge der Beklagten haftpflichtversichert sind.
- § 4 Satz 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO): Sicherheitsabstand. Dieser Paragraph verpflichtet Fahrzeugführer, einen ausreichenden Sicherheitsabstand einzuhalten, um Auffahrunfälle zu vermeiden. Der Verstoß gegen diese Regel wird im Fall der Beklagten thematisiert.
- § 286 Zivilprozessordnung (ZPO): Freie Beweiswürdigung. Dieser Paragraph besagt, dass das Gericht nach freier Überzeugung entscheidet, welche Beweise es als erwiesen ansieht. Dies wird im Fall zur Bewertung der Zeugenaussagen und Gutachten herangezogen.
- § 17 Abs. 3 StVG: Unabwendbares Ereignis. Hier wird geregelt, unter welchen Bedingungen ein Unfall für einen Fahrzeugführer unabwendbar ist. Dies ist relevant, weil die Beklagten zu 1 und 2 geltend machen, der Unfall sei für sie unabwendbar gewesen.
- § 91 Abs. 1 ZPO: Kostentragungspflicht. Dieser Paragraph regelt, dass die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Im Urteil wird festgelegt, dass die Beklagten diese Kosten übernehmen müssen.
- § 709 Satz 1 ZPO: Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung. Dieser Paragraph ermöglicht die vorläufige Vollstreckung eines Urteils, wenn eine Sicherheitsleistung erbracht wird. Dies ist relevant für die Durchsetzung des Urteils gegen die Beklagten.
⬇ Das vorliegende Urteil vom Amtsgericht Erfurt
AG Erfurt – Az.: 5 C 1742/19 – Urteil vom 19.07.2023
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 3.713,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5%punkten über Basiszinssatz seit 27.02.2019 zu zahlen.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 413,64 € nebst Zinsen wie vor seit 27.02.2019 zu zahlen.
Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin beansprucht Schadensersatz aus einem Verkehrsunfallereignis vom 26.01.2019 auf der BAB 71 in Höhe der Ausfahrt zur BAB 4. Die Klägerin fuhr mit dem Pkw vom Typ Peugeot 206 (amtl. Kennz.: … ) die vorbezeichnete Autobahnen und beabsichtigte, diese am Autobahnkreuz Erfurt zu verlassen, um auf die BAB 4 aufzufahren. Bei Annäherung an die Ausfahrt mit einer Geschwindigkeit von ca. 70 km/h befanden sich hinter dem Pkw der Klägerin der Beklagte zu 1. mit dem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Fahrzeug vom Typ VW Polo (amtl. Kennz.: … ) sowie dahinter die Beklagte zum 3. mit ihrem bei der Beklagten zu 4. haftpflichtversicherten Kfz vom Typ VW T6 (amtl. Kennz.: … ). Es kam zur Kollision zwischen dem Pkw der Klägerin und demjenigen des Beklagten zu 1. Die Beklagte zu 3. fuhr auf das Fahrzeug des Beklagten zu 1. auf.
Die Klägerin beansprucht von den Beklagten infolge eingetretenen wirtschaftlichen Totalschadens den Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 3.060,00 € sowie Sachverständigengebühren in Höhe von 462,55 €, Kosten für eine Übernachtung in Höhe von 165,90 € und die Auslagenpauschale in Höhe von 25,00.
Die Klägerin trägt vor, die Beklagten zu 1. und 3. seien infolge Unachtsamkeit und nicht angepasster Geschwindigkeit sukzessiv aufgefahren, wobei zunächst der Beklagte zu 1. mit dem Heck ihres Pkw kollidiert sei, und sodann die Beklagte zu 3. das Fahrzeug des Beklagten zu 1. noch weiter aufgeschoben habe.
Die Beklagte beantragt: Wie erkannt.
Die Beklagten beantragen: Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagten zu 1. und 2. behaupten, die Klägerin sei auf der rechten Spur gefahren und habe ihr Fahrzeug auf Höhe der beginnenden Ausfahrt ohne zwingenden Grund, plötzlich und unvorhersehbar mit einer Vollbremsung zum Stehen gebracht. Sie habe weder einen Blinker gesetzt noch eine Warnleuchte eingeschaltet. Der Beklagte zu 1. habe ebenfalls eine Vollbremsung ausgeführt und sei ca. einen Meter hinter dem Pkw der Klägerin noch zum Stehen gekommen, ohne diesen zu beschädigen. Knapp zwei sec. später sei die Beklagte zu 3. auf sein Fahrzeug aufgefahren und habe dies – erstmals – auf das Heck des klägerischen Fahrzeugs geschoben. Der Unfall sei damit für den Beklagten zu 1. unabwendbar gewesen.
Die Beklagten zu 3. und 4. behaupten, der Beklagte zu 1. sei bereits auf das Fahrzeug der Klägerin aufgefahren. Der Sekundäranstoß habe keinen Einfluss auf die Schadensentstehung am klägerischen Fahrzeug gehabt. Jedenfalls sei ein abgegrenzt bezifferbarer weiterer Schaden am klägerischen Pkw durch den Aufprall des Fahrzeugs der Beklagten zu 3. nicht gegeben. Es sei im Übrigen nicht ausgeschlossen, dass ggf. Vorschäden mit betroffen seien.
Wegen der weitergehenden Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.
Die Beklagten zu 1./2. haben den Beklagten zu 3./4. den Streit verkündet.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen F …, G … und H … sowie Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. I … . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsprotokolle vom 30.09. 2020 und 16.06.2021 sowie den Inhalt des Gutachtens vom 04.10.2022 verwiesen. Die Klägerin, der Beklagte zu 1. und die Beklagte zu 3. sind informatorisch zum Unfallgeschehen angehört worden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Beklagten sind gesamtschuldnerisch zur Zahlung des mit der Klage eingeforderten Betrages gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 StVG, 249 ff., 421 ff., 840 BGB, 115 Abs. 1 S. 4 VVG verpflichtet.
Im Einzelnen: Die Beklagten zu 1. und 2. trifft – als Haftungseinheit – die Verpflichtung nach o. g. Normen, da sie weder nachweisen konnten, dass ein atypischer Geschehensablauf vorlag (abruptes, grundloses Bremsen der vorausfahrenden Klägerin), noch dass der Unfall für den Beklagten zu 1. unabwendbar war, weil er mit ca. einem Meter Abstand hinter dem Fahrzeug der Klägerin noch zum Stillstand gekommen war, bevor er auf den Pkw der Klägerin aufgeschoben wurde.
Die Beklagten zu 3. und 4. trifft – als weitere Haftungseinheit – die Verpflichtung nach o. g. Normen, da auch sie weder nachweisen konnten, dass der voraufgeführte atypische Geschehensablauf vorlag, noch dass durch das Aufschieben des Pkw des Beklagten zu 1. kein weitergehender Schaden als durch den – streitigen – Erstaufprall entstanden war.
An der Aktivlegitimation der Klägerin besteht nach Vorlage der Unterlagen (insbes. Kaufvertrag vom 24.01.2019) kein durchgreifender Zweifel.
Der Unfall ereignete sich bei dem Betrieb (§ 7 Abs. 1 StVG) der von den Beklagten zu 1. bzw. 3. gehaltenen / gesteuerten sowie bei der Beklagten zu 2. bzw. 4. jeweils haftpflichtversicherten Fahrzeugen.
Nachdem keine der Parteien darlegen oder nachweisen konnte, dass der Unfall für sie ein unabwendbares Ereignis im Sinne der Voraussetzungen darstellte (s. o.), die die ständige Rechtsprechung gemäß § 17 Abs. 3 StVG an den „optimalen und idealen Fahrer“ stellt (vgl. grundlegend BGHZ Bd. 117, S. 334 noch zu § 7 Abs. 2 StVG a. F.), bestimmte sich die Haftung gemäß § 17 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 StVG danach, inwieweit der Unfall (vorwiegend) von der Klägerin oder von den Beklagten zu 1. bzw. 3. verursacht worden ist.
Vorauszuschicken ist diesbezüglich Folgendes: Im Ausgangspunkt ist unstreitig, dass es zu einer Kollision des Pkw des Beklagten zu 1. mit dem Fahrzeugheck des klägerischen Fahrzeugs kam sowie des Weiteren dass die Beklagte zu 3. auf das Fahrzeug des Beklagten zu 1 auffuhr und dieses auf dasjenige der Klägerin aufschob.
In einer solchen Fallkonstellation spricht zu Lasten der nachfolgenden Verkehrsteilnehmer der Anschein, dass sie gegen die in § 4 S. 1 StVO niedergelegte Sorgfaltspflicht verstoßen haben und deshalb aufgefahren sind, weil sie Abstand oder Geschwindigkeit nicht angemessen gewählt oder nicht die nötige Aufmerksamkeit an den Tag gelegt haben (vgl. statt aller: BGH NJW 2017, S. 1177 mwN). Nachfolgende Verkehrsteilnehmer müssen sich auf jederzeitiges, auch unerwartetes Bremsen und Anhalten der Vorausfahrenden einstellen. Selbst ein grundloses Bremsen des Vorausfahrenden vermag den zu Lasten des Auffahrenden bestehenden Anscheinsbeweis nicht ohne Weiteres zu entkräften (vgl. Hentschel/Dauer, 43. Aufl., Rn. 8 und 33 zu § 4 StVO m.w.N.).
Dieser Anscheinsbeweis greift auch bei Kettenauffahrunfällen im Hinblick auf einen – wie hier allein in Streit stehenden – Heckschaden am ersten Pkw zu Lasten der jeweils nachfolgenden Verkehrsteilnehmer ein (OLG Celle, Urteil vom 16.12.2020, AZ.: 14 U 87/20; OLG Hamm, Schaden-Praxis 2010, S. 351; OLG Düsseldorf; Urteil vom 12.06.2006, AZ.: 1 U 206/05; LG Karlsruhe, Urteil vom 16.08.2018, AZ.: 6 O 5/18).
Diese tatsächliche Vermutung haben nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme weder die Beklagten zu 1. und 2. noch die Beklagten zu 3. und 4. zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) dahingehend entkräften können, dass der eingangs aufgeführte atypische Geschehensablauf vorgelegen hätte (nämlich abrupte Vollbremsung ohne zwingenden Grund). Für die hinreichend sichere Überzeugung des Gerichtes i. S. des § 286 ZPO muss keine absolute oder unumstößliche Gewissheit bzw. auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ vorliegen; es reicht vielmehr ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit aus, welcher Zweifeln Schweigen gebietet, ohne diese völlig auszuschließen (vgl. z. B. BGH NJW 2021, S. 2281).
Im vorliegenden Fall verbleiben jedoch derart erhebliche Restzweifel, die einer Überzeugungsbildung des Gerichts bei Gesamtschau aller erhobenen Beweise entgegenstehen.
Zunächst sind die Aussagen der einvernommenen Zeugen und angehörten Parteien sowohl zum Bremsvorgang des klägerischen Fahrzeuges einerseits als auch zum Anstoß des Fahrzeugs des Beklagten zu 1. auf das Heck des klägerischen Pkw andererseits äußerst widersprüchlich.
Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass das Unfallgeschehen durch die betroffenen Fahrzeuginsassen aufgrund der erlebten Schrecksituation stets subjektiver wahrgenommen und wiedergegeben wird als durch die Feststellungen eines ausschließlich an objektive Grundlagen anknüpfenden Sachverständigengutachtens.
Die Klägerin sowie die Zeugin H … haben zum Unfallhergang mitgeteilt, dass die Klägerin langsamer gefahren sei (ca. 50 km/h). Es habe dann einen ersten Aufschlag gegeben, und ein paar Sekunden später einen zweiten Anstoß. Insbesondere sei die Klägerin normal, ohne abruptes Bremsen langsamer geworden, es habe auch nichts an ihrem Auto blockiert. Der zweite Aufprall sei stärker gewesen. Dazwischen hätten ein paar Sekunden gelegen.
Demgegenüber hat die von den Beklagten zu 1./2. benannte Zeugin F … bekundet, der Beklagte zu 1. sei an der Ausfahrt mit ca. 70 km/h hinter dem klägerischen Pkw gefahren und habe einen Schulterblick gemacht. In dem Augenblick habe das Fahrzeug der Klägerin abrupt gebremst. Der Beklagte zu 1. habe ebenfalls eine Vollbremsung eingeleitet und sei durch das ABS mit einem Abstand von ca. einem Meter zum Stehen gekommen. Ein bis zwei Sekunden später sei es zu einem Aufprall durch das Kfz der Beklagten zu 3. Gekommen, und der Pkw des Beklagten zu 1. sei – erstmals – auf denjenigen der Klägerin aufgeschoben worden. Die Klägerin habe sich entschuldigt und gemeint, dass mit ihrem Fahrzeug irgendetwas nicht in Ordnung gewesen sei.
Hingegen hat der von den Beklagten zu 3./4. benannte Zeuge G … zwar ein abruptes Bremsen der Klägerin bekundet, im Übrigen aber auch deren Vortrag bestätigend (und damit im Widerspruch zu demjenigen der Beklagten zu 1./2.) ausgesagt, dass der Beklagte zu 1. trotz Vollbremsung bereits auf das Kfz der Klägerin aufgefahren sei, bevor es zu dem weiteren Heckanstoß durch Aufschieben des Pkw des Beklagten zu 1. gekommen sei.
Auch nach dem auf Antrag ergänzend eingeholten unfallanalytischen Gutachten ist zum Einen die zu Lasten der Beklagten bestehende tatsächliche Vermutung wegen eines atypischen Geschehensablaufs nicht hinreichend entkräftet: Der Sachverständige hat im Ergebnis nämlich gerade nicht feststellen können, inwieweit die höhendynamische Veränderung von rund 4,0 cm beim Aufprall auf das klägerische Fahrzeug auf den vollgebremsten Fahrzustand des klägerischen Pkw oder einen teilgebremsten Zustand beider Fahrzeuge zurückzuführen ist. Um den Vermutungstatbestand (ganz oder teilweise) entkräften zu können, hätte jedenfalls der Gutachter mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad feststellen müssen, dass der beklagtenseits vorgetragene Unfallhergang (grundlose Vollbremsung der Klägerin) zutraf. Hiervon ist das Gutachten im Ergebnis jedoch deutlich entfernt; vielmehr ist insoweit Unaufklärbarkeit gegeben, weshalb der oben bereits näher begründete Beweis des ersten Anscheins gegen die auffahrenden Beklagten sprach. In diesen Fällen ist regelmäßig auch die vollständige Verursachung durch die nachfolgenden Verkehrsteilnehmer zu vermuten; die Betriebsgefahr des vorausfahrenden Fahrzeuges muss zurücktreten (vgl. dazu beispielsweise OLG Saarbrücken NZV 2014, S. 569).
Nach dem Ergebnis des Gutachtens ist im Weiteren auch der Vortrag der Beklagten zu 1./2., der Unfall sei unabwendbar i. S. des § 17 Abs. 3 StVG gewesen, weil die Beklagte zu 3. das noch kollisionsfrei zum Stillstand gekommene Fahrzeug lediglich aufgeschoben habe, nicht feststellbar.
Der Sachverständige hat festgehalten, aus technischer Sicht sei es zwar grundsätzlich darstellbar, dass der Beklagte zu 1. sein Fahrzeug zunächst durch eine Vollbremsung hinter dem klägerischen Pkw im Abstand von weniger als 1 m zum Stillstand brachte, erst danach die Beklagte zu 3. auf den stehenden Pkw des Beklagten zu 1. auffuhr und diesen – erstmals – auf den klägerischen Pkw aufschob.
Ebenso lässt sich nach seiner Begutachtung jedoch technisch ein Szenario in Einklang bringen, wonach der Beklagte zu 1. zunächst leicht auf das klägerische Fahrzeug auffuhr und danach die Beklagte zu 3. das Fahrzeug des Beklagten zu 1. auf den klägerischen Pkw aufschob (so der Vortrag der Beklagten zu 3./4.). Auch anhand des dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. zuzuordnenden Splitterfelds sowie der dem linken Vorderrad zuzuordnenden Reifenspuren und der dokumentierten Endposition des Fahrzeuges der Beklagten zu 3. hat der Sachverständige lediglich feststellen können, dass dies sowohl mit einem Stillstand des Pkw des Beklagten zu 1. oder einer geringen Bewegung von maximal ca. 10 km/h in Einklang zu bringen ist. Dies bleibt nach allem ebenfalls unaufklärbar.
Schließlich konnte der Sachverständige den von den Beklagten zu 3./4. vorgetragenen Ausschluss einer Schadenserweiterung oder -vertiefung durch die Zweitkollision gerade nicht bestätigen. Nach dem Gutachten fand die Hauptkollision zwischen dem Pkw des Beklagten zu 1. und dem klägerischen Fahrzeug zeitlich nach dem Auffahren des Fahrzeugs der Beklagten zu 3. statt. Im Ergebnis hat der Sachverständige dazu festgehalten, dass der Vortrag der Beklagten zu 3./4., eine Schadenserweiterung am klägerischen Fahrzeug sei durch das Auffahren der Beklagten zu 3. nicht entstanden, technisch nicht widerspruchsfrei in Einklang zu bringen ist.
Der Sachverständige hat zur Begründung dieser Ergebnisse sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen umfangreich ausgewertet und seiner Begutachtung widerspruchsfrei und plausibel zugrunde gelegt. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung bloßer Wiederholungen auf die unter Ziff. 3.4. detailliert erfolgte Kollisionsanalyse Bezug genommen.
In rechtlicher Hinsicht ist hierzu ergänzend auszuführen: Waren nach allem für den eingetretenen Unfallschaden mehrere Schädiger (= Beklagter zu 1. und 3.) mitverantwortlich, liegt eine sogen. (fahrlässige) Nebentäterschaft vor, wobei die Beklagten als Nebentäter im Außenverhältnis nach § 840 Abs. 1 BGB gesamtschuldnerisch ohne Rücksicht auf das Gewicht ihres jeweiligen Verantwortungsbeitrages haften. § 840 Abs. 1 BGB findet insbesondere auch bei Ansprüchen aus – wie hier – Gefährdungshaftung entsprechende Anwendung. Das unterschiedliche Gewicht der Verantwortungsbeiträge der Schädiger wäre allein im Innenverhältnis der jeweiligen Haftungseinheiten (Beklagter zu 1./2. einerseits und Beklagte zu 3./4. andererseits) zu berücksichtigen und ggf. zu klären (vgl. zu allem: BGH NJW 2006, S. 896 sowie OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.08.2017, Az.: 1 U 33/16; ferner: OLG Hamm RuS 2020, S. 170).
Abschließend zur Anspruchshöhe: Die Klägerin hat den wirtschaftlichen Totalschaden zutreffend nach dem vorprozessual gutachterlich festgestellten Wiederbeschaffungswert abzgl. des Restwerts zugrunde gelegt. Das Vorbringen der Beklagten zu 3./4. zu einem in den Raum gestellten Vorschaden ist ohne Substanz („ins Blaue hinein“) erfolgt und damit unbeachtlich.
Die Klägerin durfte sich darüber hinaus veranlasst sehen, zur Schadensfeststellung ein Gutachten einzuholen; die dadurch entstanden Gebühren stellen eine adäquate Schadensfolge i. S. des § 249 BGB dar.
Die Übernachtungskosten sind durch Vorlage des Belegs (IBIS Erfurt-Altstadt vom 28.01.2019) hinreichend untermauert und ebenfalls als Schadensfolge gemäß § 249 BGB zu erstatten.
Die Kostenpauschale von 25,00 € hält sich noch im Rahmen des Vertretbaren (§ 287 ZPO).
Die geltend gemachten Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten kann die Klägerin als Verzugsschaden in gesetzlich geschuldeter Höhe von den Beklagten gemäß §§ 286, 288 Abs. 1 bzw. 4 BGB beanspruchen.
Prozessuale Nebenentscheidungen:
– § 91 Abs. 1 ZPO (Kosten),
– § 709 S. 1 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit).