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Übersicht:
- ✔ Kurz und knapp
- Schockschaden: Kein Schadensersatz für psychische Folgen bei Verkehrsunfällen
- ✔ Der Fall vor dem Landgericht Potsdam
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen: Psychische Folgen von Verkehrsunfällen auf Angehörige
- Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit psychische Beeinträchtigungen von Angehörigen nach einem Unfall als Gesundheitsschäden anerkannt werden?
- Wie wird beurteilt, ob die psychischen Beeinträchtigungen von Angehörigen über das hinausgehen, was in solchen Situationen als normal betrachtet wird?
- Welche Rolle spielen Sachverständigengutachten bei der Beurteilung von psychischen Beeinträchtigungen nach einem Unfall?
- Welche Faktoren können die individuelle Belastbarkeit von Angehörigen nach einem schweren Unfall beeinflussen?
- Welche rechtlichen Ansprüche haben Angehörige, wenn sie nach einem Unfall psychische Beeinträchtigungen erleiden, die als Gesundheitsschäden anerkannt werden?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⬇ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Potsdam
✔ Kurz und knapp
- Kein Schmerzensgeldanspruch der Eltern wegen psychischer Beeinträchtigungen nach schwerem Unfall des Sohnes.
- Pathologisch fassbare Gesundheitsbeeinträchtigung der Eltern lag nicht vor.
- Psychische Störungen reichten nicht über übliche Belastungen bei Verletzung naher Angehöriger hinaus.
- Seelische Erschütterungen und depressive Verstimmungen allein begründen keine Gesundheitsschädigung.
- Hoher Einsatz der Eltern bei Betreuung des Sohnes schließt relevante psychische Erkrankung aus.
- Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Unfalls war nicht begründet.
- Kein Ersatz der Anwaltskosten, da kein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch besteht.
- Kein Feststellungsinteresse für zukünftige immaterielle Schäden gegeben.
Schockschaden: Kein Schadensersatz für psychische Folgen bei Verkehrsunfällen
Verkehrsunfälle können neben den physischen Verletzungen oft auch erhebliche psychische Folgen für die Betroffenen und deren Angehörige haben. Wenn ein naher Angehöriger schwer verletzt wird, können die Familienangehörigen selbst seelische Schäden erleiden. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob der Schädiger auch für die psychischen Traumata der Angehörigen haften muss.
Das Zivilrecht sieht grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch für Gesundheitsbeeinträchtigungen vor. Dabei sind auch psychische Störungen von Krankheitswert als Gesundheitsschäden anerkannt. Allerdings hat der Bundesgerichtshof für sogenannte „Schockschäden“ von Angehörigen Einschränkungen entwickelt. Entscheidend ist, ob die psychischen Beeinträchtigungen die üblichen Belastungen übersteigen, mit denen Angehörige in solchen Fällen rechnen müssen.
Im Folgenden werden wir ein aktuelles Gerichtsurteil zu diesem Thema näher betrachten und analysieren, welche Voraussetzungen für eine Haftung des Schädigers vorliegen müssen.
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✔ Der Fall vor dem Landgericht Potsdam
Verkehrsunfall und seine psychischen Auswirkungen auf Angehörige: Klageabweisung des LG Potsdam
Der vorliegende Fall behandelt einen schweren Verkehrsunfall und die daraus resultierenden psychischen Beeinträchtigungen der nahen Angehörigen des Unfallopfers. Am 31. August 2018 verunglückte der Sohn der Kläger schwer als Beifahrer auf einem Motorrad, das bei der Beklagten haftpflichtversichert war. Zum Unfallzeitpunkt war der Sohn 16 Jahre alt und Schüler der 11. Klasse. Aufgrund des Unfalls verlor er das Bewusstsein, schwebte mehrere Tage in Lebensgefahr und lag wochenlang im Koma. Eine einjährige Frührehabilitationsbehandlung in einem Fachkrankenhaus folgte, und die Rehabilitationsmaßnahmen dauern bis heute an. Der Sohn ist infolge des Unfalls schwerbehindert und 24 Stunden am Tag auf Hilfe angewiesen.
Die Kläger, die Eltern des Verunglückten, erlitten nach eigenen Angaben einen behandlungsbedürftigen schweren Schock aufgrund der Nachricht vom Unfall. Sie behaupten, dass die psychischen Folgen ihr Leben massiv negativ beeinflusst haben, weit über das hinaus, was normalerweise bei Angehörigen in solchen Fällen zu erwarten ist. Beide Kläger gaben an, dass sie seit dem Unfall langfristig arbeitsunfähig waren und schwerwiegende physische und psychische Erkrankungen entwickelten.
Gerichtliche Beurteilung und Entscheidungsfindung
Das Landgericht Potsdam hat die Klage abgewiesen. Das Gericht stellte fest, dass die Kläger keine pathologisch fassbare Gesundheitsbeeinträchtigung erlitten haben, die einen Schadensersatzanspruch rechtfertigen würde.
Die Kläger stützten ihre Forderungen auf die §§ 823 Abs. 1 und 253 Abs. 1 BGB, welche psychische Störungen von Krankheitswert als Gesundheitsverletzung anerkennen, wenn sie durch die Verletzung eines nahen Angehörigen verursacht wurden. Der Sachverständige Dr. med. Dipl.-Psych. Nikolaus L. stellte jedoch fest, dass bei den Klägern keine ernsthafte Erkrankung vorliegt, die den Anforderungen eines Schockschadens entspricht. Die psychischen Beeinträchtigungen der Kläger wurden als innerhalb des normalen Rahmens für solche Erlebnisse bewertet.
Besonders berücksichtigt wurde, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen hat und trotz der Belastungen weiter ihrem Alltag nachging. Auch der Kläger zu 2 war nach einer anfänglichen Phase der Arbeitsunfähigkeit wieder vollschichtig tätig. Das Gericht folgte der Einschätzung des Sachverständigen, dass die behaupteten psychischen Beschwerden nicht den Krankheitswert erreichen, der für einen Schockschaden erforderlich wäre.
Kosten- und Sicherheitsleistung
In der Urteilsverkündung wurde zudem festgelegt, dass die Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen haben. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Der Streitwert wurde auf bis zu 37.000 Euro festgesetzt.
Rechtliche Grundlagen und Abwägungen
Das Gericht berief sich auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), nach der psychische Beeinträchtigungen nur dann als ersatzfähige Gesundheitsschäden anerkannt werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die üblichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Angehörige bei schweren Verletzungen von Nahestehenden ausgesetzt sind. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen wurde.
Im vorliegenden Fall fehlte es an einer solchen pathologischen Fassung der psychischen Beeinträchtigungen. Die täglichen Pflichten und der Umgang mit der neuen Lebenssituation des schwerbehinderten Sohnes wurden von den Klägern trotz der emotionalen Belastungen bewältigt.
Schlussfolgerungen aus dem Sachverständigengutachten
Der Sachverständige schloss eine ernsthafte psychische Erkrankung bei beiden Klägern aus. Es wurde festgestellt, dass die psychischen Beschwerden der Klägerin, wie depressive Verstimmungen und Schlafstörungen, nicht über das hinausgingen, was in solchen Situationen als üblich betrachtet wird. Ebenso wurde beim Kläger zu 2 kein Schockzustand diagnostiziert, auch aufgrund seiner Vorerfahrungen mit einem behinderten Bruder, was seine Belastbarkeit erhöht haben dürfte.
Somit wurde die Klage auf Schadensersatz für die psychischen Folgen des Unfalls abgewiesen, da die Voraussetzungen für einen Schockschaden nicht erfüllt waren.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Die Entscheidung des Landgerichts Potsdam verdeutlicht, dass psychische Beeinträchtigungen von Angehörigen nach einem schweren Unfall nur dann als ersatzfähige Gesundheitsschäden anerkannt werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die üblichen Belastungen in solchen Situationen hinausgehen. Im vorliegenden Fall erreichten die psychischen Beschwerden der Eltern laut Sachverständigengutachten nicht den erforderlichen Krankheitswert für einen Schockschaden, weshalb die Klage auf Schadensersatz abgewiesen wurde.
✔ FAQ – Häufige Fragen: Psychische Folgen von Verkehrsunfällen auf Angehörige
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit psychische Beeinträchtigungen von Angehörigen nach einem Unfall als Gesundheitsschäden anerkannt werden?
Damit psychische Beeinträchtigungen von Angehörigen nach einem Unfall als Gesundheitsschäden anerkannt werden, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Diese Voraussetzungen basieren auf der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und den relevanten gesetzlichen Bestimmungen.
- Pathologische Fassbarkeit: Eine psychische Beeinträchtigung muss pathologisch fassbar sein, das heißt, sie muss Krankheitswert haben. Dies bedeutet, dass die psychische Störung medizinisch diagnostizierbar und behandelbar sein muss. Eine bloße emotionale Reaktion oder vorübergehende Traurigkeit reicht nicht aus. Es muss sich um eine ernsthafte psychische Erkrankung handeln, wie zum Beispiel eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine schwere Depression.
- Überschreiten der üblichen Beeinträchtigungen: Früher war es erforderlich, dass die psychische Beeinträchtigung über das Maß hinausgeht, dem Angehörige bei der Verletzung eines nahen Angehörigen üblicherweise ausgesetzt sind. Diese Anforderung wurde jedoch durch die neuere Rechtsprechung des BGH aufgegeben. Nun ist es ausreichend, dass die psychische Störung Krankheitswert hat, ohne dass sie über die üblichen Beeinträchtigungen hinausgehen muss.
- Kausalität: Es muss ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfall und der psychischen Beeinträchtigung bestehen. Die psychische Störung muss direkt durch das Unfallereignis oder die Verletzung eines nahen Angehörigen verursacht worden sein. Dies bedeutet, dass die psychische Erkrankung eine unmittelbare Folge des Unfalls oder der Verletzung sein muss.
- Rechtsgutverletzung bei einem Dritten: Die psychische Beeinträchtigung muss durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem nahen Angehörigen verursacht worden sein. Dies bedeutet, dass die psychische Störung nicht durch eine direkte Verletzung der eigenen Person, sondern durch die Verletzung eines nahestehenden Dritten entstanden ist.
- Beweislast: Der Geschädigte muss die pathologische Fassbarkeit der psychischen Beeinträchtigung und den kausalen Zusammenhang zum Unfall nachweisen. Dies erfolgt in der Regel durch medizinische Gutachten und ärztliche Bescheinigungen, die die Diagnose und den Krankheitswert der psychischen Störung bestätigen.
Diese Voraussetzungen sind entscheidend, um Ansprüche auf Schadensersatz für psychische Beeinträchtigungen nach einem Unfall geltend zu machen. Die Rechtsprechung des BGH hat hierbei eine wichtige Rolle gespielt, indem sie die Anforderungen an die Anerkennung solcher Schäden präzisiert und teilweise gelockert hat.
Wie wird beurteilt, ob die psychischen Beeinträchtigungen von Angehörigen über das hinausgehen, was in solchen Situationen als normal betrachtet wird?
Die Beurteilung, ob die psychischen Beeinträchtigungen von Angehörigen über das hinausgehen, was in solchen Situationen als normal betrachtet wird, erfolgt durch mehrere Faktoren und Instanzen.
Ein zentrales Element bei der Beurteilung ist das Sachverständigengutachten. Ein medizinischer Sachverständiger, meist ein Psychiater oder Psychologe, wird beauftragt, die psychische Beeinträchtigung zu bewerten. Dabei wird untersucht, ob die psychische Störung pathologisch fassbar ist und Krankheitswert hat. Dies bedeutet, dass die Störung medizinisch diagnostizierbar und behandelbar sein muss. Das Gutachten umfasst in der Regel eine detaillierte Anamnese, klinische Interviews und gegebenenfalls psychometrische Tests.
Die Bewertung erfolgt immer im Kontext des individuellen Falles. Es wird geprüft, wie stark die psychische Beeinträchtigung das tägliche Leben des Betroffenen beeinflusst. Faktoren wie die Dauer der Arbeitsunfähigkeit, die Notwendigkeit psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung und die Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen, spielen eine wichtige Rolle. Beispielsweise kann eine tiefgreifende reaktive depressive Verstimmung, die zu einer längeren Arbeitsunfähigkeit führt und eine intensive therapeutische Behandlung erfordert, als über das normale Maß hinausgehend betrachtet werden.
Die Tatsache, dass der Betroffene psychiatrische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen muss, ist ein starkes Indiz dafür, dass die psychische Beeinträchtigung erheblich ist. Regelmäßige Arztbesuche, stationäre Aufenthalte oder intensive ambulante Therapien weisen darauf hin, dass die psychische Belastung nicht nur vorübergehend ist, sondern eine ernsthafte Erkrankung darstellt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Fähigkeit des Betroffenen, den Alltag zu bewältigen. Wenn die psychische Beeinträchtigung dazu führt, dass der Betroffene seinen täglichen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, sei es im Beruf oder im privaten Umfeld, wird dies als Hinweis auf eine erhebliche psychische Störung gewertet. Schwierigkeiten bei der Erfüllung von Alltagsaufgaben, sozialer Rückzug und Antriebsverlust sind typische Symptome, die auf eine ernsthafte psychische Erkrankung hinweisen.
Gemäß § 823 Abs. 1 BGB stellt eine psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung dar, auch wenn sie mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht wurde. Für die Anerkennung als Gesundheitsschaden ist es nicht mehr erforderlich, dass die Störung über die üblichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Angehörige in solchen Situationen ausgesetzt sind. Diese Änderung der Rechtsprechung erleichtert es Betroffenen, Schadensersatzansprüche geltend zu machen.
Diese Kriterien und die sorgfältige Prüfung durch Sachverständige und Gerichte stellen sicher, dass nur ernsthafte und pathologisch fassbare psychische Beeinträchtigungen als ersatzfähige Gesundheitsschäden anerkannt werden.
Welche Rolle spielen Sachverständigengutachten bei der Beurteilung von psychischen Beeinträchtigungen nach einem Unfall?
Sachverständigengutachten spielen eine zentrale Rolle bei der Beurteilung psychischer Beeinträchtigungen nach einem Unfall, insbesondere im Hinblick auf Haftungsfragen und Schadensersatzansprüche. Diese Gutachten sind entscheidend, da sie eine fundierte Grundlage für juristische Entscheidungen bieten und eine objektive Einschätzung des psychischen Zustands der Betroffenen ermöglichen.
Zunächst erfassen Sachverständige die medizinische Vorgeschichte und führen klinische Interviews sowie standardisierte Tests durch, um den psychischen Zustand der Betroffenen umfassend zu beurteilen. Dabei wird geprüft, ob und welche psychischen Störungen vorliegen, beispielsweise eine posttraumatische Belastungsstörung oder Depressionen. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Kausalitätsprüfung, also die Frage, ob die psychischen Beeinträchtigungen direkt auf den Unfall zurückzuführen sind oder ob andere Faktoren eine Rolle spielen.
Die Ergebnisse der Gutachten haben erheblichen Einfluss auf die gerichtliche Entscheidungsfindung. Gerichte stützen sich auf die fachliche Expertise der Gutachter, um den Schaden und dessen Umfang festzustellen, den ursächlichen Zusammenhang zu bestätigen und eine Prognose über die Dauer und den weiteren Verlauf der psychischen Beeinträchtigungen zu erhalten. Diese Informationen sind entscheidend für die Bemessung des Schadensersatzes.
Ein wichtiger Aspekt der Qualität eines Gutachtens ist die Qualifikation und Expertise des Sachverständigen. Diese sollten eine fundierte Ausbildung in Psychologie oder Psychiatrie und idealerweise eine Spezialisierung auf Traumafolgestörungen haben. Darüber hinaus sind praktische Erfahrung in der Behandlung von Unfallopfern und der Erstellung von Gutachten sowie Unabhängigkeit und Neutralität essenziell, um eine objektive Beurteilung gewährleisten zu können.
Besonders bei der Haftung für psychische Auswirkungen bei nahen Angehörigen eines Unfallopfers spielt die Rolle des Sachverständigen eine wichtige Rolle. Hierbei wird untersucht, wie der Unfall eines nahen Angehörigen auf den Betroffenen wirkt, einschließlich der Trauerreaktionen und der möglichen Entwicklung von psychischen Störungen. Auch die familiären Dynamiken und deren Einfluss auf die psychische Gesundheit werden berücksichtigt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Sachverständigengutachten eine unverzichtbare Grundlage für die Beurteilung psychischer Beeinträchtigungen nach einem Unfall darstellen. Sie tragen wesentlich zur Klärung der Haftungsfragen und zur Bemessung des Schadensersatzes bei. Die Qualität und Genauigkeit dieser Gutachten hängen maßgeblich von der Qualifikation und Erfahrung der Sachverständigen ab, deren Einschätzungen die gerichtlichen Entscheidungen maßgeblich beeinflussen.
Welche Faktoren können die individuelle Belastbarkeit von Angehörigen nach einem schweren Unfall beeinflussen?
Die individuelle Belastbarkeit von Angehörigen nach einem schweren Unfall kann von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden. Diese umfassen Vorerfahrungen, Resilienz, Bewältigungsstrategien, Unterstützungssysteme und persönliche Lebensumstände. Jeder dieser Aspekte kann die Art und Weise beeinflussen, wie Angehörige psychisch auf einen schweren Unfall reagieren und damit umgehen.
Vorerfahrungen spielen eine entscheidende Rolle, da frühere traumatische Erlebnisse die Fähigkeit, mit neuen traumatischen Ereignissen umzugehen, entweder stärken oder schwächen können. Menschen, die bereits ähnliche Situationen erlebt und bewältigt haben, könnten besser gerüstet sein, mit den emotionalen Folgen eines weiteren Unfalls umzugehen.
Resilienz, die psychische Widerstandsfähigkeit einer Person, ist ebenfalls ein entscheidender Faktor. Resiliente Menschen verfügen über ein höheres Maß an innerer Stärke und können stressige und traumatische Ereignisse besser verarbeiten. Diese Eigenschaft kann durch genetische Veranlagung, Persönlichkeitsmerkmale und Lebenserfahrungen geprägt sein.
Bewältigungsstrategien, also die individuellen Methoden und Techniken, mit denen Menschen Stress und emotionale Belastungen handhaben, sind von großer Bedeutung. Effektive Bewältigungsstrategien, wie beispielsweise das Suchen nach sozialer Unterstützung oder das aktive Lösen von Problemen, können die psychische Belastung erheblich reduzieren.
Unterstützungssysteme umfassen familiäre, soziale und professionelle Netzwerke, die emotionalen Rückhalt und praktische Hilfe bieten können. Ein stabiles soziales Umfeld, enge familiäre Bindungen und der Zugang zu professioneller psychologischer Unterstützung können dazu beitragen, die psychischen Auswirkungen eines Unfalls auf Angehörige abzumildern.
Persönliche Lebensumstände wie finanzielle Stabilität, berufliche Situation und allgemeine Lebenszufriedenheit beeinflussen ebenfalls die Belastbarkeit. Menschen, die in einem stabilen und sicheren Umfeld leben, haben meist bessere Ressourcen, um mit zusätzlichen Belastungen fertig zu werden.
Im deutschen Recht gibt es Regelungen, die die Haftung für psychische Belastungen von nahen Angehörigen betreffen. Laut § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann eine Person, die einen Unfall verursacht, auch für die psychischen Folgen bei nahen Angehörigen haftbar gemacht werden, wenn diese in einem engen Verhältnis zum Geschädigten stehen und die psychische Belastung nachweislich auf den Unfall zurückzuführen ist. Dies kann beispielsweise bei Eltern, Kindern oder Ehepartnern der Fall sein.
Wichtige Informationen: Psychische Folgen eines Unfalls sind individuell und können durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden. Resilienz, Vorerfahrungen, Bewältigungsstrategien, Unterstützungssysteme und persönliche Lebensumstände spielen eine zentrale Rolle. Im deutschen Recht können nahe Angehörige unter bestimmten Umständen Schadensersatzansprüche geltend machen.
Welche rechtlichen Ansprüche haben Angehörige, wenn sie nach einem Unfall psychische Beeinträchtigungen erleiden, die als Gesundheitsschäden anerkannt werden?
Angehörige, die nach einem Unfall psychische Beeinträchtigungen erleiden, können unter bestimmten Voraussetzungen rechtliche Ansprüche auf Schadensersatz geltend machen. Diese Ansprüche basieren auf den §§ 823 Abs. 1 und 253 Abs. 1 BGB.
§ 823 Abs. 1 BGB regelt die Haftung für unerlaubte Handlungen und sieht vor, dass derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet ist. § 253 Abs. 1 BGB ergänzt dies, indem er den immateriellen Schadensersatz, also das Schmerzensgeld, für erlittene Beeinträchtigungen regelt.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Früher war es für Angehörige sehr schwierig, Schmerzensgeld für psychische Beeinträchtigungen zu erhalten, da diese als allgemeines Lebensrisiko betrachtet wurden. Die psychischen Beeinträchtigungen mussten pathologisch fassbar und von einer Intensität sein, die über das hinausgeht, was nahe Angehörige in vergleichbarer Lage erfahrungsgemäß erleiden.
Mit einem Urteil vom 06.12.2022 (Az: VI ZR 168/21) hat der BGH jedoch seine Rechtsprechung geändert. Nun können auch psychische Beeinträchtigungen, die in ihrer Intensität nicht über das hinausgehen, was nahe Angehörige in vergleichbarer Situation regelmäßig erfahren, als ersatzfähige „Schockschäden“ anerkannt werden. Dies bedeutet, dass Angehörige, die durch den Unfall eines nahen Verwandten psychische Schäden erleiden, unter bestimmten Bedingungen Anspruch auf Schmerzensgeld haben können, selbst wenn diese Schäden nicht außergewöhnlich schwer sind.
Ein Beispiel für einen solchen Fall ist, wenn ein Elternteil durch den Unfalltod oder die schwere Verletzung eines Kindes eine reaktive depressive Verstimmung oder eine Anpassungsstörung erleidet, die pathologisch fassbar ist. In solchen Fällen kann der Schädiger zur Zahlung von Schmerzensgeld verpflichtet werden, wie es in dem genannten Urteil des BGH entschieden wurde.
Wichtige Voraussetzungen für die Anerkennung eines Schockschadens sind:
- Die psychischen Beeinträchtigungen müssen pathologisch fassbar sein.
- Die Beeinträchtigungen müssen in einem kausalen Zusammenhang mit dem Unfall stehen.
- Es muss eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB vorliegen.
Hürden bei der Durchsetzung dieser Ansprüche können die Nachweispflicht der pathologischen Fassung der psychischen Beeinträchtigungen und die Kausalität zwischen Unfall und psychischen Schäden sein. Ein Sachverständigengutachten ist oft erforderlich, um diese Nachweise zu erbringen.
Art und Umfang des Schadensersatzes richten sich nach der Schwere und Dauer der psychischen Beeinträchtigungen sowie den individuellen Umständen des Falls. Der BGH hat grundlegende Prinzipien für die Bemessung des Schmerzensgeldes festgelegt, die die Größe, Intensität und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen berücksichtigen.
Insgesamt hat die neue Rechtsprechung des BGH die Möglichkeiten für Angehörige, Schmerzensgeld für psychische Beeinträchtigungen nach einem Unfall zu erhalten, erweitert und erleichtert.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 823 Abs. 1 BGB: Dieser Paragraph regelt die Schadensersatzpflicht für unerlaubte Handlungen. Er ist relevant, da die Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz für psychische Beeinträchtigungen geltend machen wollen, die durch den Unfall ihres Sohnes verursacht wurden.
- § 253 Abs. 1 BGB: Dieser Paragraph behandelt den immateriellen Schadensersatz, also das Schmerzensgeld. Die Kläger fordern Schmerzensgeld für die psychischen Folgen, die sie durch den Unfall ihres Sohnes erlitten haben.
- Schockschaden: Ein Begriff aus der Rechtsprechung, der psychische Beeinträchtigungen bei nahen Angehörigen von Unfallopfern beschreibt. Der BGH hat hier spezielle Anforderungen entwickelt, die erfüllt sein müssen, damit ein Schockschaden als ersatzfähige Gesundheitsbeeinträchtigung anerkannt wird.
- § 256 Abs. 1 ZPO: Regelt die Zulässigkeit von Feststellungsklagen. Die Kläger haben beantragt, festzustellen, dass die Beklagte für zukünftige Schäden haftet. Das Gericht lehnte dies mangels Feststellungsinteresse ab.
- § 91 Abs. 1 ZPO: Bestimmt die Kostentragungspflicht im Zivilprozess. Hiernach haben die Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da ihre Klage abgewiesen wurde.
- § 709 ZPO: Bezieht sich auf die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urteilen gegen Sicherheitsleistung. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen eine Sicherheitsleistung von 110 % des zu vollstreckenden Betrags.
- BGH-Urteil VI ZR 168/21: Ein wichtiges Urteil des Bundesgerichtshofs, das die Voraussetzungen für die Anerkennung von Schockschäden präzisiert hat. Es dient als Grundlage für die Entscheidung des Landgerichts Potsdam in diesem Fall.
- Gutachten des Sachverständigen: Ein entscheidendes Beweismittel, das feststellte, dass die psychischen Beeinträchtigungen der Kläger nicht den erforderlichen Krankheitswert aufwiesen.
⬇ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Potsdam
LG Potsdam – Az.: 12 O 282/20 – Urteil vom 25.07.2023
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf bis zu 37.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadenersatzansprüche nach einem schweren Verkehrsunfall ihres Sohnes.
Am 31.08.2018 verunglückte der Sohn der Kläger, als Beifahrer auf dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Motorrad mit dem Kennzeichen TF…. auf der L 73 zwischen Luckenwalde und Jänickendorf, schwer.
Der Sohn war zum Unfallzeitpunkt 16 Jahre alt und Schüler der 11. Klasse. Bei dem Unfall verlor er das Bewusstsein, schwebte mehrere Tage in Lebensgefahr, musste mehrfach operiert werden und lag wochenlang im Koma. Es folgte eine über ein Jahr andauernde Frührehabilitationsbehandlung in einem Fachkrankenhaus. Im Anschluss konnte der Sohn der Kläger ins elterliche Haus entlassen werden. Die Rehabilitationsbehandlungen des Sohnes halten bis zum heutigen Tage an. Auf Grund seiner bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen und seiner Schwerbehinderung ist er 24 Stunden am Tag auf die Hilfe anderer angewiesen.
Die Kläger behaupten, sie haben auf Grund des Erhalts der Nachricht von dem schweren Unfall ihres Sohnes einen behandlungsbedürftigen schweren Schock, erlitten.
Die psychischen Folgen seien derart gravierend, dass sie das Leben der Kläger massiv negativ beeinflusst haben. Die Trauer der Kläger sei ihrer Art nach deutlich über das hinausgegangen, was Angehörige als mittelbar Betroffene in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigung erleiden.
Die Kläger seien auf Grund der Unfallbedingten Belastungssituation ab dem Unfalltag längerfristig arbeitsunfähig gewesen und seien insgesamt physisch und psychisch schwerwiegend erkrankt.
Der Kläger zu 2 sei seit November 2018 in psychotherapeutischer Einzeltherapie.
Die Klägerin zu 1 leide unter Antriebslosigkeit, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Bauchschmerzen und körperlicher Schwäche. Zudem habe sie in Folge des Unfalls des Sohnes schwere Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und eine posttraumatische Belastungsstörung.
Die Kläger beantragen,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz der EZB ab Klagezustellung zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern sämtlich weitere materiellen und immateriellen Schäden, welche diesen auf Grund der schweren Verletzungen ihres Sohnes bei dem Unfall vom 31.08.2018 entstanden sind und/oder noch entstehen werden, zu ersetzen, sowie die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden,
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.833,55 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz der EZB ab Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass ein Fall des sog. „Schockschadens“ vorliegend nicht anzunehmen sei. Dieser sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur dann als ersatzpflichtige Gesundheitsbeeinträchtigung anzusehen, wenn die Beeinträchtigungen pathologisch fassbar seien und über die Beeinträchtigungen hinausgingen, denen nahe Angehörige etwa bei der Mitteilung tödlicher Verletzungshandlungen erfahrungsgemäß ausgesetzt seien. Besondere Bedeutung sei dem Umstand beizumessen, ob die psychische Beeinträchtigung auf einer direkten Beteiligung oder des Miterlebens zurückzuführen sei oder nur durch den Erhalt einer Nachricht vom Schadensereignis ausgelöst werde.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. Dipl.-Psych. Nikolaus L.. Hinsichtlich des Beweisthemas und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Beweisbeschluss vom 20.07.2021 und das schriftliche Sachverständigengutachten vom 24.05.2022 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Bezug genommen
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 1 BGB.
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Kläger aufgrund des schweren Unfalls und der Unfallfolgen ihres Sohnes keine pathologisch fassbare Gesundheitsbeeinträchtigung erlitten hat.
Es liegt keine den Anspruch begründende Rechtsgutsverletzung vor.
Nach ständiger Senatsrechtsprechung des BGH ( zuletzt: BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 – VI ZR 168/21 –, BGHZ 235, 239-254) können psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. Urteile vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 19/20, BGHZ 228, 264 Rn. 8; vom 21. Mai 2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 7; vom 27. Januar 2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 Rn. 6; vom 20. Mai 2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 8; vom 22. Mai 2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 12; vom 16. Januar 2001 – VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431, 1432, juris Rn. 13; vom 30. April 1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 344, juris Rn. 15; vom 4. April 1989 – VI ZR 97/88, NJW 1989, 2317 f., juris Rn. 9; vom 12. November 1985 – VI ZR 103/84, NJW 1986, 777, 778, juris Rn. 9). Dieser Grundsatz hat im Bereich der sogenannten „Schockschäden“ allerdings eine gewisse Einschränkung erfahren. Diese Einschränkung hat der BGH in der oben genannten Entscheidung (BGHZ 235, 239-254) jedoch modifiziert. Bei sogenannten „Schockschäden“ stellt – wie im Falle einer unmittelbaren Beeinträchtigung – eine psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar, auch wenn sie beim Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht wurde. Ist die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für die Bejahung einer Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.
Einer uferlosen Ausweitung der Haftung kann bei sorgfältiger Prüfung der haftungsbegründenden Merkmale des § 823 Abs. 1 BGB in anderer Weise als durch einschränkende Voraussetzungen hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Gesundheitsverletzung Rechnung getragen werden. So ist etwa im Blick zu behalten, dass eine Haftung für psychische Beeinträchtigungen, die als Primärschaden geltend gemacht werden, nur in Betracht kommt, wenn die Beeinträchtigung selbst Krankheitswert besitzt und insoweit das strenge Beweismaß des § 286 ZPO gilt, das die volle Überzeugung des Tatrichters erfordert (vgl. hierzu und zu den weiteren möglichen „Filtern“ der Adäquanz und des Verschuldens Senatsurteil vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 19/20, BGHZ 228, 264 Rn. 21, 22 und 24 f.). Auch bedarf der Zurechnungszusammenhang gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer gesonderten Prüfung (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 – VI ZR 168/21 –Rz 17). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (vgl. nur Senatsurteile vom 21. Mai 2019 – VI ZR 299/17, aaO; vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, aaO; vom 20. Mai 2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 10, mwN).
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. Dipl.-Psych. Nikolaus L. liegen weder bei der Klägerin zu 1, noch beim Kläger zu 2 nennenswerte psychische Schäden vor, die eine Gesundheitsschädigung bzw. einen Schockschaden begründen. Bei beiden Klägern liegt keine ernsthafte Erkrankung vor.
Die Nachricht über den schweren Unfall ihres Sohnes hat die Kläger erschüttert und bei der Klägerin zu 1 möglicherweise zu einer auf die unmittelbare Zeit nach dem Unfall begrenzte Anpassungsstörung geführt. Diese habe aber nicht den Rahmen dessen überschritten, was an Beschwerden bei einem solchen Erlebnis normalerweise auftritt.
Psychopathologische Störungen begründen erst dann eine Beeinträchtigung der Gesundheit, wenn die Behandlung durch einen medizinischen Sachverständigen erforderlich wird (vgl. OLG Köln, VersR 1982, 558).
Insbesondere schließe der hohe Einsatz der Kläger in der tagtäglichen Betreuung ihres Sohnes das Vorhandensein einer relevanten psychischen Erkrankung aus.
Die Klägerin zu 1 war zu keinem Zeitpunkt in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung.
Sie hat sich nach den Feststellungen des Sachverständigen nach dem Unfall tagtäglich um ihren Sohn gekümmert. Zudem hat sie nach dem Unfall weiter mit dem Kläger zu 2 das eigene Leben organisiert. Sie haben häusliche Umbauten vorgenommen und sich ein neues passendes Fahrzeug angeschafft und zwar auch schon während der Zeit, in der der Kläger zu 2 sich im „Krankenstand“ befand.
Zudem habe die Klägerin zu 1 am 1.2.2019 ihre vorherige Arbeit wieder aufgenommen. Derzeit arbeite sie trotz all der organisatorischen und menschlichen Belastungen im Kontext ihres behinderten Sohnes nebenbei weiter in einem Hotel in der Betreuung der Kinder.
Des Weiteren reichen seelische Erschütterungen und depressive Verstimmungen nach der Übermittlung schwerwiegender Nachrichten gerade nicht aus, um eine Gesundheitsschädigung anzunehmen. Daher begründet das Vorliegen eines leicht depressiven Syndroms bei der Klägerin zu 1 ebenfalls keine Gesundheitsschädigung.
Der Sachverständige schließt einen sog „Schockzustand“ bei dem Kläger zu 2 auch deshalb aus, weil der Kläger zu 2 bereits während seiner Kindheit und Jugend mit seinem geistig und körperlich behinderten Bruder aufgewachsen ist und es daher (nach seiner eigenen Aussage) gelernt hat, mit schwerer geistiger und körperlicher Behinderung umzugehen.
Der gerichtliche Sachverständige folgt hier der Bewertung des früheren psychiatrischen Gutachtens von Dr. H. vom 6.5.2019, dass beim Kläger zu 2 nach dem Unfall des Sohnes eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu 2 durch eine Krankheit nicht begründet gewesen sei. Da der Kläger zu 2 seit dem 1.1.2020 wieder in gesicherter Stellung vollschichtig arbeite, könne eine „starke körperliche Erschöpfung“ oder eine relevante „Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit“ nicht angenommen werden.
Das reaktiv depressive Erleben, besonders am Anfang, aber auch die noch beklagten psychosomatischen Beschwerden haben den Rahmen des für solche schlimmen Lebensereignisse Üblichen nicht überschritten.
Bei beiden Kläger liegt damit weder eine akute noch ein posttraumatische Belastungsstörung vor.
Der Sachverständige konnte bei beiden Klägerin auch keine andauernde Persönlichkeitsveränderung, keine Anpassungsstörungen noch depressive Episoden oder neurotische Depressionen feststellen.
Der Feststellungsantrag gemäß § 256 Abs. 1 ist unzulässig, da es an dem nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse fehlt. Ein solches wurde seitens der Kläger nicht hinreichend dargelegt.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.833,55 Euro.
Der Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten ist auf einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch zu stützen, welcher vorliegend jedoch nicht gegeben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.