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Kündigung Minderheitsgesellschafter – Rechtswegzuständigkeit

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 9 Ta 161/21 – Beschluss vom 12.11.2021

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 20.08.2021 – 6 Ca 1223/21 – aufgehoben.

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.

Gründe

I.

Der Kläger war Geschäftsführer der Beklagten, einer durch Gesellschaftsvertrag vom 14.04.2003 errichteten Steuerberatungsgesellschaft mit einem Stammkapital von 25.000 EUR. Als Alleingesellschafter hielt er zwei Geschäftsanteile zu je 12.500 EUR.

Mit notariellem Geschäftsanteilskaufvertrag vom 27.07.2020 wurden die Geschäftsanteile des Klägers in jeweils zwei Geschäftsanteile von je 6.250 EUR geteilt. Von den nunmehr vier Geschäftsanteilen übertrug der Kläger, der mit Gesellschafterbeschluss vom selben Tag als Geschäftsführer abberufen wurde, drei Geschäftsanteile an Herrn A E , der durch denselben Gesellschafterbeschluss zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der Beklagten bestellt und als solcher am 31.07.2020 in das Handelsregister eingetragen wurde.

Unter dem 27.07.2020 schloss der Kläger mit der Beklagten zudem einen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als Steuerberater bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von acht Stunden und zu einem jährlichen Bruttofestgehalt von 16.500 EUR.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben des Geschäftsführers E vom 15.04.2021 sowie vom 01.06.2021 fristlos, hilfsweise fristgemäß.

Mit seiner Kündigungsschutzklage macht der Kläger geltend, dass die Kündigungen unwirksam seien, da gemäß § 8 Abs. 1 Buchst. k des Gesellschaftsvertrages die Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern nur mit der Zustimmung der Gesellschafterversammlung zulässig sei und Beschlüsse der Gesellschafter gemäß § 10 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages nur einstimmig gefasst werden könnten. Zudem hätten die Kündigungen gemäß § 2 Abs. 5 des Anstellungsvertrags zwischen dem Geschäftsführer E und der Beklagten vom 20.07.2020 der vorherigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung mit einer Beschlussmehrheit von 85% der abgegebenen Stimmen bedurft.

Nach Hinweis des Arbeitsgerichts auf Bedenken gegen die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen, weil der Kläger als Minderheitsgesellschafter mit Sperrminorität möglicherweise nicht wie ein Arbeitnehmer weisungsgebunden gewesen sei, hat der Kläger darauf verwiesen, dass er in Bezug auf das Tagesgeschäft den Weisungen des Geschäftsführers habe folgen müssen. So habe der Geschäftsführer der Beklagten bestimmen können, welche Mandanten er, der Kläger, zu beraten habe.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 20.08.2021 den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten verneint und den Rechtsstreit an das Landgericht – Kammer für Handelssachen – verwiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Parteien zwar einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hätten und dass an sich immer von einem Arbeitsverhältnis auszugehen sei, wenn ein Vertrag als Arbeitsvertrag bezeichnet werde. Jedoch müsse es letztlich auf die Frage der persönlichen Abhängigkeit ankommen. So könnten Mehrheitsgesellschafter in der Regel keine Arbeitnehmer sein, weil sie gegenüber dem Geschäftsführer die Leitungsmacht ausüben und daher nicht dessen Leitungsmacht unterstehen würden. Dasselbe gelte bei Minderheitsgesellschaftern, die, wie der Kläger, über eine „Sperrminorität“ verfügen würden. Der Kläger könne zwar auf Grund seiner Beteiligung keine positive Leitungsmacht über die Gesellschaft ausüben. Darauf könne es allerdings nicht ankommen. Denn die rechtswirksame Entscheidung, irgendetwas nicht zu machen, beispielsweise einen Vertrag nicht abzuschließen oder einen Arbeitnehmer nicht einzustellen, stelle ebenso die Ausübung von Leitungsmacht dar wie die gegensätzliche Entscheidung. Vor allem aber habe der Kläger ohne Angst vor einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses tun und lassen können, was er wolle. Dadurch erweise sich das Direktionsrecht der Beklagten ihm gegenüber als bloßer „Papiertiger“.

Gegen den dem Kläger am 02.09.2021 zugestellten Beschluss richtet sich seine am 16.09.2021 bei dem Arbeitsgericht eingegangene sofortige Beschwerde, der das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 08.10.2021 nicht abgeholfen hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die eingereichten Unterlagen Bezug genommen.

II.

Die nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b ArbGG zulässig. Denn die Parteien streiten über das Bestehen oder Nichtbestehen eines durch die Beklagten gekündigten Arbeitsverhältnisses.

1.) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts war der Kläger Arbeitnehmer iSd. § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Denn der Kläger war Angestellter der Beklagten. Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsvertrag iSd. § 611a BGB. Dies hatten die Parteien in dem Anstellungsvertrag vom 20.07.2020 ausdrücklich vereinbart. Denn darin sind der Kläger als „Arbeitnehmer“ und die Beklagte durchgehend als „Arbeitgeberin“ bezeichnet.

a) Zwar kommt es für die rechtliche Einordnung eines Vertrages als Arbeitsvertrag grundsätzlich nicht darauf an, wie die Parteien ihr Vertragsverhältnis bezeichnen. Der Status des Beschäftigten richtet sich nicht nach den subjektiven Vorstellungen der Vertragspartner, sondern danach, wie die Vertragsbeziehung nach ihrem objektiven Geschäftsinhalt einzuordnen ist. Der wirkliche Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrages zu entnehmen. Wird der Vertrag abweichend von den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen vollzogen, ist die tatsächliche Durchführung maßgebend. Denn durch Parteivereinbarung kann die Bewertung einer Rechtsbeziehung als Arbeitsverhältnis nicht abbedungen und der Geltungsbereich des Arbeitnehmerschutzes nicht eingeschränkt werden. Daraus folgt aber zugleich, dass die vorgenannten Grundsätze nur für solche Fälle gelten, in denen die Parteien ihr Rechtsverhältnis gerade nicht als Arbeitsverhältnis bezeichnet haben, sondern etwa als freies Mitarbeiter- oder Dienstverhältnis. Haben die Parteien dagegen, wie hier, ein Arbeitsverhältnis vereinbart, so ist es auch als solches einzuordnen (BAG, Beschluss vom17. September 2014 – 10 AZB 43/14 -, BAGE 149, 110-116, Rn. 20; BAG, Urteil vom 12. September 1996 – 5 AZR 1066/94 -, BAGE 84, 108-115, Rn. 25).

b) Dass der Kläger Minderheitsgesellschafter der Beklagten ist, steht der Annahme eines Arbeitsverhältnisses nicht entgegen (zur Problematik Reinfelder, (RdA 2016, 87, 90). Auch Gesellschafter können in einem Arbeitsverhältnis zu der Gesellschaft stehen, solange sie als Kapitaleigner oder auf Grund einer Sperrminorität keinen so großen Einfluss auf die Führung der Gesellschaft haben, dass sie nicht dem Weisungsrecht des Geschäftsführers unterliegen (BAG, Beschluss vom17. September 2014 – 10 AZB 43/14 -, BAGE 149, 110-116, Rn. 22; BAG, Urteil vom 06. Mai 1998 – 5 AZR 612/97 -, Rn. 31, juris). Der Kläger hat aber keinen so großen Einfluss auf die Führung der Beklagten, dass er nicht dem Direktionsrecht des Geschäftsführers unterlegen hätte. Der Kläger ist lediglich Minderheitsgesellschafter der Beklagten. Zwar können Beschlüsse der Gesellschafter gemäß § 10 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages nur einstimmig gefasst werden. Auch ist seine Entlassung nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 Buchst. k des Gesellschaftsvertrages nur mit der Zustimmung der Gesellschafterversammlung zulässig. Und zu Kündigungen ist der Geschäftsführer E nach seinem Anstellungsvertrag nur nach der vorherigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung mit einer Beschlussmehrheit von 85% der abgegebenen Stimmen berechtigt. Dies ändert jedoch zum einen nichts daran, dass der Kläger in all den Fällen, in denen der Geschäftsführer nicht gemäß § 37Abs. 1 GmbHG in seiner Geschäftsführungsbefugnis beschränkt ist, als Arbeitnehmer gemäß § 106 GewO dessen Weisungen zu folgen hatte und bei Nichtbefolgung mit einer Kündigung rechnen musste. Denn, wie das Arbeitsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss selbst erkannt hat, war der Kläger gemäß § 47 Abs. 4Satz 2 GmbHG bei einem Beschluss, der die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zum Gegenstand hat, nicht stimmberechtigt. Zum anderen, und das ist entscheidend, hatte der Kläger keine Weisungsbefugnis gegenüber dem Geschäftsführer. Als Minderheitsgesellschafter konnte er den Geschäftsführer der Beklagten nicht dazu anhalten, ihm bestimmte Weisungen zu erteilen oder solche zu unterlassen (vgl. dazu BAG, Beschluss vom 17. September 2014 – 10 AZB 43/14 -, BAGE 149, 110-116, Rn. 23; BAG, Urteil vom 11. März 1998 – 2 AZR 287/97 -, Rn. 42, juris).

c) Daher liegt in Bezug auf den Arbeitsvertrag der Parteien auch kein sog. Scheingeschäft vor. Ein Scheingeschäft iSd. § 117 Abs. 1 BGB ist gegeben, wenn die Parteien einverständlich nur den äußeren Schein des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts hervorrufen, dagegen die damit verbundene Rechtswirkung nicht eintreten lassen wollen, das Vereinbarte nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien also keine Geltung haben soll (BAG, Urteil vom 14. Oktober 2020 – 5 AZR 409/19 -, Rn. 14, juris). Dies ist hier aber nicht der Fall, da der Kläger tatsächlich für die Beklagte als Steuerberater gegen Entgelt tätig wurde.

2.) War der Kläger somit Arbeitnehmer der Beklagten, kann offen bleiben, ob sich die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen im vorliegenden Fall nicht bereits aus dem Umstand ergibt, dass die auf Feststellung gerichteten Anträge des Klägers, sein „Arbeitsverhältnis“ werde durch die streitgegenständlichen Kündigungen nicht aufgelöst, das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der Kündigungen voraussetzen (so BAG, Beschluss vom 17. Januar 2001 – 5 AZB 18/00 -, Rn. 16, juris; differenzierend BAG, Beschluss vom 21. Januar 2019 – 9 AZB 23/18 -, Rn. 20, juris; dazu Horcher, NZA 2020, 1433, 1435 f.). In sog. Sic-non-Fällen, in denen das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses sowohl für die Rechtswegzuständigkeit als auch für die Begründetheit der Klage relevant ist (grundlegend BAG, Beschluss vom24. April 1996 – 5 AZB 25/95 -, BAGE 83, 40-52, Rn. 34), würde nämlich schon die Rechtsansicht des Klägers, es handele sich um ein Arbeitsverhältnis, den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnen (BAG, Beschluss vom21. Januar 2019 – 9 AZB 23/18 -, BAGE 165, 61-73, Rn. 20).

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Zwar ist grundsätzlich über die Kosten des Rechtsmittels im Vorabverfahren über die Zulässigkeit des Rechtsweges gemäß § 17 a Abs. 4 GVG zu befinden. Dies gilt bei einem erfolgreichen Rechtsmittel jedoch nur, soweit eine Gegenpartei vorhanden ist, der die Kosten auferlegt werden können. Das ist hier nicht der Fall, weil keine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 03. Juli 1997 – IX ZB 116/96 -, Rn. 20, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 2 Ta 115/18 -, Rn. 16, juris). Damit bilden die durch die Beschwerde entstandenen Kosten einen Teil der Gesamtkosten des Rechtsstreits, welche die in der Hauptsache unterliegende Partei unabhängig von dem Ausgang des vorliegenden Beschwerdeverfahrens zu tragen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 – II ZB 30/04 -, Rn. 12, juris; Zöller/Herget, 33. Aufl. 2020, § 97 ZPO, Rn. 9).

IV.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

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