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Limonadenflaschenexplosion: Schmerzensgeld Erblindung eines Kindes

OLG Frankfurt, Az: 23 U 171/95, Urteil vom 21.02.1996

Orientierungssatz

Die Zuerkennung eines Sockelbetrages von 500.000 DM Schmerzensgeld und einer monatlichen lebenslänglichen Schmerzensgeldrente von 500 DM für eine allmählich eingetretene unfallbedingte Erblindung eines siebenjährigen Kindes stellt eine angemessene, den Rahmen des Vertretbaren nicht überschreitende und damit die Grenzen des Entschädigungssystems nicht sprengende Summe dar (hier: Verlust des Augenlichts eines Auges durch die Explosion einer Limonadenflasche im Alter von drei Jahren und allmähliche Erblindung bis zum siebten Lebensjahr) (vergleiche OLG Frankfurt, 1990-05-03, 1 U 65/89, VersR 1992, 329).

Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 4.1.1995 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung bezüglich des Schmerzensgeldsockelbetrags und der bisher angefallenen Schmerzensgeldrente durch Sicherheitsleistung in Höhe von 530.000,00 DM und bezüglich der künftigen Rentenbeträge durch Sicherheitsleistung von 500,00 DM je Monat abwenden, sofern nicht der Kläger in gleicher Höhe Sicherheit geleistet hat.

Die Beschwer der Beklagten beträgt 450.000,00 DM.

Tatbestand

Limonadenflaschenexplosion: Schmerzensgeld Erblindung eines Kindes
Symbolfoto: Ocus Focus / Bigstock

Am Abend des 7.9.1981 schickten die Eltern des damals drei Jahre alten Klägers diesen mit dem Auftrag, eine Flasche kohlensäurehaltige Limonade zu holen, in die Kellerräume ihres Hauses. Die Limonade mit dem Produktnamen … war von der Beklagten hergestellt worden. Als Verpackungsmittel verwandte die Beklagte Mehrwegflaschen aus Glas. Nachdem der Kläger eine der Limonadenflaschen aus dem Kasten genommen hatte, zerbarst diese, wobei ein Glassplitter in dessen rechtes Auge eindrang. Das verletzte Auge mußte alsbald operativ entfernt werden. Aufgrund der Verletzung des rechten Auges kam es schon nach kurzer Zeit zu einer sogenannten sympathischen Ophthalmie, einer Entzündung des linken Auges. Hierdurch büßte der Kläger in einem fortschreitenden Prozeß auch die Sehkraft dieses Auges ein mit dem Ergebnis, daß er seit dem siebten Lebensjahr völlig erblindet ist.

Mit der Verletzung des Klägers waren zwei stationäre Krankenhausaufenthalte in der Zeit vom 7.9. bis 28.9.1981 und vom 9.10.1981 bis zum 27.10.1981, drei operative Eingriffe sowie bis zur völligen Erblindung eine ständige fachärztliche Behandlung verbunden. Zur Zeit wohnt der Kläger in einem Internat und besucht die Blindenschule in M.

Zwischen den Parteien ist mittlerweile unstreitig, daß die Beklagte für den durch das Zerbersten der Limonadenflasche verursachten Schaden allein zu haften hat.

In einem Pilotverfahren wurde dem Kläger mit Urteil des Landgerichts Hanau vom 24.1.1985 ein Vorschuß auf eine weitergehende Schmerzensgeldforderung in Höhe von 6.000,00 DM zugesprochen. Dieses Urteil ist seit dem 16.3.1993 rechtskräftig. Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des in diesem Verfahren ergangenen Berufungsurteils des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6.5.1992 (Band 4, Bl. 201 — 220 der Akte 7 O 1358/84 Landgericht Hanau), in dem auch eine negative Feststellungsklage der Beklagten abgewiesen wurde, und den Nichtannahmebeschluß des Bundesgerichtshofs vom 16.3.1993 (Band 5, Bl. 39 — 41 der obengenannten Akte) wird Bezug genommen.

In diesem Rechtsstreit verfolgt der Kläger seinen Schmerzensgeldanspruch weiter. Außerdem verlangt er Erstattung des bisher entstandenen materiellen Schadens sowie die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet ist, auch den künftig entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen.

Der Kläger hat vorgetragen, der bisher entstandene materielle Schaden betrage 54.633,84 DM und setze sich zusammen aus Fahrtkosten seiner Eltern, die im Zusammenhang mit seiner Verletzung gestanden hätten, aus Arzneimittelkosten, soweit diese nicht von der Krankenkasse getragen worden seien, sowie aus den Kosten für die Einholung von Informationen über ähnliche Unfälle und deren Regulierung.

Hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldes hat der Kläger die Auffassung vertreten, daß über die bereits geleisteten 6.000,00 DM hinaus neben einer lebenslangen monatlichen Schmerzensgeldrente von 475,00 DM ab dem 12.8.1987 ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 200.000,00 DM angemessen sei, wodurch dem Gericht aber keine Grenze nach oben gesetzt werden solle. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 24.7.1984 (Bl. 1 — 19 d.A.), 2.4.1993 (Bl. 30 — 37 d.A.), 17.5.1993 (Bl. 40 — 43 d.A.), 11.10.1993 (Bl. 77 — 80 d.A.), 28.12.1993 (Bl. 95/96 d.A.), 16.3.1994 (Bl. 99/100 d.A.), 9.5.1994 (Bl. 110 — 113 d.A.) und vom 9.11.1994 (Bl. 126/127 d.A.) verwiesen.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen,

1.1. an ihn 54.633,84 DM nebst 5% Zinsen aus 19.690,86 DM seit dem 12.8.1987 1.366,08 DM seit dem 1.1.1990 27.103,30 DM seit dem 1.1.1991 5.045,60 DM seit dem 1.8.1991 1.428,00 DM seit dem 1.1.1993 zu zahlen, hilfsweise, den vorstehend genannten Betrag nebst Zinsen an seine Eltern Gesamtschuldner zu zahlen.

1.2. an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4% Zinsen seit dem 12.8.1987 abzüglich des durch Urteil des Landgerichts Hanau vom 24.1.1985 (7 O 1358/84) zuerkannten Betrags zu zahlen.

1.3. ihm ab 12.8.1987 eine angemessene monatliche Schmerzensgeldrente zu zahlen.

2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm allen materiellen Schaden aus Anlaß des Unfallereignisses am 7.9.1981 zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialleistungsträger übergegangen sind oder übergehen werden.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat in erster Instanz noch Grund und Höhe des Anspruchs bestritten sowie ein Mitverschulden der Eltern des Klägers behauptet. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 24.8.1987 (Bl. 23 — 25 d.A.), 29.6.1993 (Bl. 57 — 76 d.A.) und vom 18.10.1993 (Bl. 81 — 83 d.A.) Bezug genommen.

Mit dem der Beklagten am 15.3.1995 zugestellten Teilurteil vom 4.1.1995 hat das Landgericht diese verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 DM und eine Schmerzensgeldrente in Höhe von 500,00 DM monatlich seit dem 12.8.1987 zu zahlen. Es hat eine Haftung der Beklagten unter Berücksichtigung der in dem Pilotverfahren 7 O 1358/84 LG Hanau getroffenen Feststellungen, dem dort ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 6.5.1992 (7 U 38/85) und dem Nichtannahmebeschluß des Bundesgerichtshofs vom 16.3.1993 (VI ZR 139/92) bejaht und unter Berücksichtigung einer Haftung zu 100% das zugesprochene Schmerzensgeld für angemessen erachtet. Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftliche Teilurteil (Bl. 138 — 151 d.A.) Bezug genommen.

Über den offen gebliebenen Teil der Hauptsache haben sich die Parteien zwischenzeitlich vergleichsweise geeinigt, so daß in erster Instanz nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden ist.

Gegen dieses Teilurteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 3.2.1995 bei Gericht eingegangenen und innerhalb der bis zum 3.5.1995 verlängerten Frist begründeten Berufung.

Die Beklagte, die das Teilurteil nur hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldes angreift, meint, dieses sei unrichtig, weil das Landgericht die Vorstellungen des Klägers von einem angemessenen Schmerzensgeld weit überschritten habe. Außerdem ist sie der Auffassung, daß das zugesprochene Schmerzensgeld nicht mehr im Rahmen der üblicherweise zugebilligten Beträge liege und im übrigen nicht ausreichend berücksichtigt werde, daß wegen des nicht nachgewiesenen Verschuldens die Genugtuungsfunktion entfalle. Es sei auch nicht richtig, daß sie sich uneinsichtig gezeigt habe. Immerhin habe das Landgericht es auch in diesem Prozeß zunächst für notwendig angesehen, über den Hergang des Unfalls Beweis zu erheben. Die verspätete Zahlung der dem Kläger rechtskräftig zugesprochenen 6.000,00 DM habe auf einem Versehen beruht. Die Versicherung habe erst am 17.5.1993 von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs Kenntnis erlangt. Einer Zahlungserinnerung habe es auch nur deshalb bedurft, weil die Tatsache, daß dieser Betrag noch nicht gezahlt war, im Rahmen der Bemühungen, eine außergerichtliche Gesamtregulierung zu erreichen, untergegangen sei. Weitere Einzelheiten ergeben sich aus den Schriftsätzen der Beklagten vom 28.4.1995 (Bl. 232 — 242 d.A.) und vom 18.1.1996 (Bl. 295 — 297 d.A.), auf die verwiesen wird.

Nachdem die Beklagte aufgrund der erstinstanzlichen Verurteilung einen weiteren Teilbetrag von 170.000,00 DM gezahlt hat, beantragt sie,

das Teilurteil des Landgerichts Hanau vom 4.1.1995 abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit dem Kläger ein weiteres über den Ausspruch des Landgerichts Hanau vom 24.8.1985 (Az.: 7 O 1358/84) hinausgehendes Schmerzensgeld von insgesamt mehr als DM 170.000,00 DM (Kapital und Rente) nebst 4% Zinsen seit dem 12.8.1987 zuerkannt wurde.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens die angefochtene Entscheidung. Ergänzend wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 22.7.1995 (Bl. 276 — 281 d.A.) Bezug genommen.

Die Akten 7 O 1358/84 und 4 O 84/89 Landgericht Hanau lagen dem Senat vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, der Sache nach aber unbegründet.

Das Landgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu recht verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 DM sowie eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 500,00 DM seit dem 12.8.1987 zu zahlen (§§ 823, 847 BGB).

Entgegen der Ansicht der Beklagten leidet das Urteil an keinem formellen Fehler, der es erforderlich gemacht hätte, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.

Dahin gestellt bleiben kann es, ob die vom Landgericht vorgenommene Teilung möglich war oder nicht. Denn auch dann, wenn wegen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ein Teilurteil ohne gleichzeitiges Grundurteil auch über die Frage des Mitverschuldens der Eltern nicht hätte ergehen dürfen, weil in der rechtskräftigen Abweisung der negativen Feststellungsklage lediglich die verbindliche Feststellung der Haftung, nicht aber auch eine solche über den Umfang derselben liegt, käme ein Aufhebung nicht in Betracht. Angesichts der Tatsache, daß die Parteien zwischenzeitlich nicht mehr über den Umfang der Haftung streiten und sich über den offengebliebenen Teil der Hauptsache vergleichsweise geeinigt haben, wodurch die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen nachträglich weggefallen ist, wäre ein solcher Schritt zumindest nicht sachdienlich.

Ebenso kann es dahin gestellt bleiben, ob die Verweisung an den Einzelrichter und die Zurückverweisung an die Kammer im konkreten Fall rechtens war. Denn dieser Mangel kann, da der Beschluß über die Zurückverweisung im Falle willkürlichen Verhaltens mit der Beschwerde hätte angegriffen werden müssen, mit der Berufung nicht mehr gerügt werden (§ 512 ZPO, Zöller-Greger, Zivilprozeßordnung, 19. Aufl. 1995, § 348 ZPO RdN 15). Abgesehen davon muß wohl auch davon ausgegangen werden, daß die rügelose Verhandlung vor der Kammer diesen Mangel, der ohnehin nicht als schwerer Verfahrensfehler gewertet werden kann, geheilt hat (§ 295 ZPO, vgl. hierzu OLG Frankfurt NJW 1977, 301 und 813; Rasehorn, Der Einzelrichter in Zivilsachen — verfassungs- und praxisgemäß!, NJW 1977, 789 ff). Der Beklagten ist es auch nicht möglich, prozessuale Konsequenzen aus der Tatsache, daß das Landgericht die Vorstellungen des Klägers von einem angemessenen Schmerzensgeld weit überschritten hat, herzuleiten. Selbst wenn hierin ein Verstoß gegen § 308 ZPO gesehen werden könnte (vgl. Dunz, Der unbezifferte Leistungsantrag nach der heutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, NJW 1984, 1734 ff), so ist dieser doch durch den Antrag auf Zurückweisung der Berufung genehmigt und hierdurch geheilt worden (Thomas-Putzo, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl. 1993, § 308 ZPO RdN 5; Zöller-Vollkommer, aaO, § 308 ZPO RdN 7; BGH NJW 1979, 2250; NJW 1990, 1910 ff; NJW-RR 1991, 1346 f).

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Der von dem Landgericht zugesprochene Sockelbetrag des Schmerzensgeldes sowie die lebenslängliche Schmerzensgeldrente in Höhe von monatlich 500,00 DM stellen eine angemessene Entschädigung für die erlittenen Schmerzen und die mit den Folgen der Verletzung verbundene Beeinträchtigung des Klägers in allen Lebensbereichen dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt das gewährte Schmerzensgeld, auch wenn es sich um eine ungewöhnlich hohe Summe handelt, noch im Rahmen der üblicherweise zugebilligten Beträge und sprengt nicht die Grenzen des Entschädigungssystems, sondern schreibt dieses lediglich fort.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Landgericht die Genugtuungsfunktion zu Recht nicht besonders hoch bewertet, da das Verschulden der Beklagten an diesem Vorfall nicht schwerwiegend war. Ihr konnte nämlich lediglich vorgeworfen werden, gegen ihre Befundsicherungspflicht bezüglich Kratzern und erheblicher Gebrauchsspuren an den von ihr verwendeten Mehrwegflaschen verstoßen zu haben. Diesen Vorwurf konnte die Beklagte auch nicht entkräften, weshalb ihrer Ansicht, der Genugtuungsfunktion komme keinerlei Bedeutung zu, nicht gefolgt werden kann.

Zutreffend geht das Landgericht auch davon aus, daß infolge der schweren Schädigungen des Klägers die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes besonders hoch zu veranschlagen war. Eine maßgebliche Rolle spielt hierbei das Alter des Klägers im Zeitpunkt des Schadenseintritts. Da der Kläger erst drei Jahre alt war, als er das Augenlicht des rechten Auges verlor, und 7 Jahre alt war, als er völlig erblindete, muß er die schweren Folgen, das Fehlen jeglicher visuellen Wahrnehmungen und Reize, bei einer derzeitigen Lebenserwartung noch ca. 70 Jahre lang tragen. Außerdem mußte er als sehr junger Mensch miterleben, wie er seine Sehkraft auch auf dem nicht geschädigten Auge infolge der sympathischen Ophthalmie, die wiederum eine Folge der Schädigung des anderen Auges war, in einem fortschreitenden Prozeß verlor. Daß dies mit einer sehr großen seelischen Belastung des Klägers verbunden war und die Erblindung für ihn auch in Zukunft eine große seelische Belastung darstellen wird, durfte bei der Schmerzensgeldbemessung nicht außer Acht gelassen werden. Dies allein ist aber nicht die einzige Beeinträchtigung, die den Kläger belastet. So bringt die Erblindung mit sich, daß der Kläger ständig auf fremde Hilfe angewiesen sein wird, daß er in seiner Mobilität außerordentlich eingeschränkt ist, daß er erheblichen Einschränkungen bei der Berufswahl und in der Art seiner Freizeitgestaltung unterworfen sein wird und daß es für ihn auch schwieriger geworden ist, einen geeigneten Lebenspartner zu finden.

Abgesehen von diesen Dauerfolgen waren mit der Verletzung und der sich anschließenden sympathischen Ophthalmie auch mehrere Klinikaufenthalte und operative Eingriffe sowie die Notwendigkeit einer ständigen fachärztlichen Behandlung während dieser Zeit verbunden, was für die Höhe des Schmerzensgeldes ebenfalls mitbestimmend war. So befand sich der Kläger in der Zeit vom 7.9. bis zum 28.9.1981 und vom 9.10. bis zum 27.10.1981 in stationärer Behandlung, wurde insgesamt drei mal operiert und war bis zu seiner völligen Erblindung ständig in ärztlicher Behandlung.

Keine Rolle für die Höhe des Schmerzensgeldes hat das Verhalten der Beklagten im Rahmen der Schadensregulierung gespielt. Da erst seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.3.1993 rechtskräftig feststand, daß die Beklagte zum Schadensersatz verpflichtet ist, kann ihr, zumal der Grund der Haftung äußerst streitig war und keineswegs auf der Hand lag, eine verzögerliche Schadensregulierung nicht vorgeworfen werden. Außerdem hat die Beklagte erklärt, wieso ihre Versicherung die rechtskräftig ausgeurteilten 6.000,00 DM Schmerzensgeld erst am 2.6.1993 gezahlt hat. So ging der Versicherung der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 16.3.1993, dem bereits eine Zahlungsaufforderung des Klägers vom 10.5.1993 beigefügt war, erst am 17.5.1993 zu, woraufhin dann am 2.6.1993 die Zahlung erfolgte. Ein uneinsichtiges Verhalten der Beklagten, das eine Erhöhung des Schmerzensgeldes rechtfertigen würde, ergibt sich hieraus jedenfalls noch nicht, zumal zu dieser Zeit auch noch einmal eine außergerichtliche Einigung versucht, letztlich von den Eltern des Klägers aber abgelehnt wurde.

Daß die Beklagte auch auf die Ansprüche, die nunmehr Gegenstand der Klage sind, zunächst noch keine weiteren Zahlungen geleistet hat, kann ihr ebenfalls nicht als uneinsichtiges Verhalten vorgehalten werden, da selbst das Landgericht Hanau diese Ansprüche, jedenfalls zunächst, noch für klärungsbedürftig hielt und dementsprechend einen Beweisbeschluß erlassen hatte. Aufgrund der daraufhin ergangenen Entscheidung des Landgerichts hat die Beklagte einen ihr angemessen erscheinenden Betrag in Höhe von 170.000,00 DM gezahlt und den Grund ihrer Haftung unstreitig gestellt.

Bei Bemessung des Schmerzensgeldes blieb auch nicht unberücksichtigt, daß es für Blinde viele technische Möglichkeiten gibt, die den Umgang mit ihrer Behinderung erleichtern, wie z.B. Hörbibliotheken, Tonbandzeitungen, spezielle Schreibmaschinen und Computer, sprechende elektronische Geräte usw. Dennoch bleibt, daß der Kläger immer auf fremde Hilfe angewiesen sein wird. Letztlich lassen sich die Argumente des Landgerichts, auf die insoweit verwiesen wird, nicht entkräften.

Die vom Landgericht zugesprochene Höhe des Schmerzensgeldes ist in der bisherigen Rechtsprechung zwar außergewöhnlich, doch erscheint der Rahmen des Vertretbaren nicht überschritten. Schon im Jahre 1990 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main bei völliger Erblindung neben einer Hirnschädigung und weiteren Verletzungen ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000,00 DM für angemessen erachtet (OLG Frankfurt am Main VersR 1992, 329 ff). Bedenkt man jedoch, welchen Verlust es darstellt, im gesamten Leben auf visuelle Wahrnehmungen und Reize verzichten zu müssen und auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, sowie alle anderen mit einer Erblindung verbundenen Nachteile, so wird deutlich, daß ein Schmerzensgeld von 300.000,00 DM nur die untere Grenze sein kann. Außerdem handelte es sich in diesem Fall um einen dreißigjährigen Mann, der im Hinblick auf die allgemeine Lebenserwartung wesentlich kürzere Zeit mit seiner Behinderung leben muß. Hierbei verkennt der Senat nicht, daß der Zeitfaktor allein kein Maßstab sein kann, da für einen älteren Menschen die durch eine Erblindung verursachte Störung in der Lebensplanung, jedenfalls in der Regel, wesentlich schwerwiegender ist. Doch ist er auch ein entscheidender Gesichtspunkt. Daß der Rahmen des Üblichen nicht überschritten ist, zeigt auch eine Entscheidung des Landgerichts Marburg vom 19.7.1995 (VersR 1995, 1199 ff), nach der einem Mann, der 8 ½ Jahre unnötig in einem Psychiatrischen Krankenhaus untergebracht war, wegen der Freiheitsentziehung und der nicht erforderlichen Behandlung mit starken Psychopharmaka und ihren Folgewirkungen ein Schmerzensgeld von 500.000,00 DM zugesprochen wurde. Diese zeitlich im Kern auf etwa 1/10 der Lebenserwartung beschränkte Beeinträchtigung in der persönlichen Entwicklung wirkt sicher nicht so schwer, wie eine völlige Erblindung.

Auch ist eine Schmerzensgeldrente in der zugesprochenen Höhe berechtigt, da der Kläger Tag für Tag die Beeinträchtigungen durch seine Behinderung nachhaltig spüren und schmerzlich empfinden wird (vgl. hierzu OLG Frankfurt VersR 1992, 329 ff m.w.N.). Der Senat hat hierbei auch bedacht, daß sich durch diese Rente der Gesamtbetrag des Schmerzensgeldes unter Anwendung der üblichen Kapitalisierungsfaktoren auf 668.000,00 DM erhöht, und hält dies mit den bereits erwähnten Argumenten für eine angemessene und billige Entschädigung. Ein Schmerzensgeld in dieser Höhe wahrt auch noch das Verhältnis zwischen den Vorteilen, die der Kläger infolgedessen hat, und den Nachteilen, die der Beklagten hierdurch entstehen, wenn man den stetigen Verlust an Kaufkraft in der Vergangenheit betrachtet. Auch die Nachteile, die sich möglicherweise für die Versichertengemeinschaft aus einer Ausdehnung der Schmerzensgeldansprüche bei völliger Erblindung oder aber vergleichbaren Behinderungen ergeben könnten, sind vertretbar. Denn die Schadenshöhe kann auch als Regulativ für das Ausmaß der Vorkehrungen für eine Schadensverhütung wirken.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Ziff.10, 711, 546 Abs. 2 ZPO.

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