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Verkehrsunfall: Zerbrechen einer Familie bei der Schmerzensgeldbemessung

OLG Köln, Az.: 2 U 161/94, Urteil vom 26.04.1995

1) Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 20.10.1994 (8 O 19/92) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die vom Landgericht zuerkannten 40.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.4.1991 zu zahlen sind.

2) Die Klägerin hat die Kosten der Berufungsinstanz einschließlich der Kosten des Streithelfers 2. Instanz zu tragen.

3) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4) Der Wert der Beschwer übersteigt 60.000 DM nicht.

Tatbestand

Verkehrsunfall: Zerbrechen einer Familie bei der Schmerzensgeldbemessung
Symbolfoto: AndreyPopov / Bigstock

Die Klägerin erlitt als Radfahrerin am 4.12.1987 einen Unfall, den der Beklagte zu 2) mit seinem LKW verursacht hat. In zweiter Instanz streiten die Parteien — auf Beklagtenseite nur noch die Beklagten zu 2) und 4) — um die Höhe des Schmerzensgeldes. Die Alleinhaftung der Beklagten zu 2) und 4) dem Grunde nach, von der das Landgericht ausgegangen ist, wird auch von den Beklagten nicht mehr in Frage gestellt.

Die Klägerin erlitt eine Innenknöchelfraktur rechts und eine Fersenbeinfraktur am linken Bein, außerdem zahlreiche Schürfwunden. Die stationäre Behandlung dauerte zunächst bis zum 28.12.1987. Noch am Unfalltag wurde der verschobene Innenknöchelbruch operativ mit zwei Schrauben stabilisiert; beim Anlegen der Bohrlöcher dafür brach eine Bohrerspitze ab, die sich teilweise noch im Knöchel der Klägerin befindet. Die Klägerin hatte in der Folgezeit erhebliche Schmerzen. Am 28.6.1988 wurden die eingebrachten Schrauben operativ entfernt. Am 7.9.1988 wurde die Bohrerspitze teilweise operativ entfernt, der Krankenhausaufenthalt dauerte bis zum 14.9.1988. In der Folgezeit war die Klägerin arbeitsunfähig krank, wobei die Parteien darüber streiten, wie lange und wie stark die körperlichen Beeinträchtigungen andauerten und inwieweit ihre Arbeitslosigkeit unfallbedingt war.

Die Klägerin nimmt im Verfahren 25 O 15/93 (LG Köln) den Streithelfer der Beklagten auf Schmerzensgeld wegen der abgebrochenen Bohrerspitze in Anspruch.

Im ersten Rechtszug hat die Klägerin ein Schmerzensgeld nach dem Ermessen des Gerichts, mindestens 50.000 DM verlangt. Einen Zinsantrag hat die Klägerin nicht gestellt.

Durch das nur von der Klägerin angefochtene Urteil hat das Landgericht die Bekl. zu 2) und 4) verurteilt, an die Klägerin 40.000 DM zu zahlen.

Dabei ist die Kammer aufgrund der Bekundung des Zeugen S S dem getrenntlebenden Ehemann der Klägerin, davon ausgegangen, daß die Klägerin bis Anfang 1990 keinen Tag schmerzfrei war und Unfallbeeinträchtigungen bis Februar 1993 fortdauerten, obgleich der SV Dr. L in seinem Gutachten vom 8.4.94 objektive Ursachen dafür nicht mehr feststellen konnte.

Bei der Höhe hat das LG weiter das grob fahrlässige Verhalten des Bekl.zu 2) und die Zahlungsverzögerung durch den Versicherer berücksichtigt.

Mit der Berufung macht die Klägerin mindestens 55.000 DM Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 1.4.1991 (Zustellung der Klage) geltend. Der ausgeurteilte Betrag von 40.000 DM ist am 8.2.1995 gezahlt worden (das Urteil ist am 20.10.94 verkündet und der Beklagten zu 4) am 4.11.1994 zugestellt worden).

Wegen der ungewöhnlichen Zahlungsverzögerung hätte nach Auffassung der Klägerin das Schmerzensgeld höher bemessen werden müssen. Weiter macht sie geltend, daß durch den schweren Unfall ihr Familienleben zerstört worden sei, da sie zur Zeit des Unfalls vier minderjährige Kinder zu versorgen gehabt habe. Infolge des Unfalls sei sie ihren Aufgaben nicht mehr gerecht geworden, so daß der älteste Sohn jetzt im Heim sei und ihr Mann sich von ihr getrennt habe. Entgegen dem Gutachten L bestehe die Schmerzsymptomatik fort (Beweis: ergänzendes Sachverständigengutachten). Insgesamt sei daher ein höheres Schmerzensgeld gerechtfertigt.

Die Beklagten wenden zum Zinsanspruch Verjährung ein. Das Ergebnis des Sachverständigengutachtens rechtfertige kein höheres Schmerzensgeld als zuerkannt. Ein Fortbestehen der Schmerzen werde bestritten, ebenso, daß das Zerbrechen der Familie auf den Unfall zurückzuführen sei.

Von einer weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gem. § 543 I ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist in der Sache bis auf die auf den vom Landgericht zuerkannten Betrag zu zahlenden Zinsen unbegründet.

1)

Dem Grunde nach haften die Bekl. zu 2) und 4) gem. §§ 823 I, II, 847 BGB, 3 PflVersG, auf vollen Schadensersatz wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat. Ein Mitverschulden der Klägerin hat das Landgericht verneint, was die Beklagten auch in der Berufungsinstanz nicht mehr einwenden.

Das Landgericht hat das Schmerzensgeld mit 40.000 DM aber nicht zum Nachteil der Klägerin zu niedrig bemessen.

Dieser Betrag unterschreitet nicht die billige Entschädigung in Geld, die die Klägerin angesichts der Unfallumstände sowie des Umfangs und der feststehenden und absehbaren Folgen des Unfalls auch unter Berücksichtigung der erheblichen Zahlungsverzögerung der Beklagten als Nichtvermögensschaden verlangen kann.

2)

a)

Richtig ist das Landgericht im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung von einer groben Fahrlässigkeit des Beklagten zu 2) ausgegangen, da er ein überraschendes Abbiegemanöver eingeleitet hat und dabei die Rückschaupflicht des Abbiegenden gegenüber der vorfahrtberechtigten Klägerin in grobem Maße verletzt hat.

b)

Das Landgericht hat auch die körperlichen Beeinträchtigungen der Klägerin infolge des Unfalls nicht zum Nachteil der Klägerin unzutreffend berücksichtigt.

Entgegen dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens ist das Landgericht aufgrund der Bekundung des Zeugen S S davon ausgegangen, daß die unfallbedingte Schmerzsymptomatik bis heute noch andauert und die Klägerin bis Februar 1993 durch den Unfall in ihrer Hausfrauentätigkeit erheblich beeinträchtigt war. Das Landgericht hat bei der Bemessung auch die Komplikationen durch den Abbruch der Bohrerspitze, die familiären Belastungen und die Zahlungsverzögerung berücksichtigt.

Der Senat sieht keinen Anlaß, weitere Sachverständigengutachten zu den Unfallfolgen einzuholen. Das vom Sachverständigen Dr. L erstattete Gutachten geht weder von falschen Tatsachen aus, noch ist es unvollständig, widersprüchlich oder aus sonstigen Gründen nicht überzeugend. Eine Fortdauer der subjektiven Schmerzsymptomatik hat das Landgericht überdies nach der Zeugenaussage entgegen dem Gutachten bejaht und berücksichtigt.

Das Landgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß bei der Bemessung des Schmerzensgelds die langdauernde Zahlungsverzögerung berücksichtigt werden werden muß, da nicht einmal ein unzweifelhaft geschuldeter Teilbetrag auf das Schmerzensgeld geleistet worden ist (OLG Braunschweig ZfS 1995, 90; OLG Koblenz VersR 1989, 629; OLG München VersR 1981, 560).

Der vom Landgericht zuerkannte Betrag berücksichtigt diese Gesamtumstände ausreichend. Die von der Berufung vergleichsweise herangezogenen Fälle der Tabelle von Hacks/Ring/Böhm, 16.Aufl. (1993) Nr. 1029 ff. unterscheiden sich vom Streitfall dadurch, daß entweder die Folgen des Unfalls wesentlich schwerer wogen oder die Dauer der schwerwiegenden Beeinträchtigungen (Krankenhausaufenthalt im Fall 1047 ca. 7 Monate; dauerhafte Beinverkürzung von 1,5 cm; bleibende MdE 20 %; im Fall 1056 4 Monate Krankenhausaufenthalt; 20 – 30 % MdE) oder eine besonders grobe Verantwortungslosigkeit des Schädigers zu berücksichtigen waren.

Bei einem Krankenhausaufenthalt von insgesamt etwas mehr als einem Monat ist auch bei langdauernder schmerzhafter Fortwirkung der Unfallfolgen im hier festgestellten Umfang im Alltag und unter Berücksichtigung der Zahlungsverzögerung ein Schmerzensgeld von 40.000 DM ausreichend.

c)

Eine Erhöhung dieses Betrages ist nicht deshalb vorzunehmen, weil die Familie der Klägerin unfallbedingt zerbrochen wäre. In der Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, daß auch psychische Störungen als Unfallfolgen bei der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen sein können (BGH VersR 1993, 853) und zwar auch dann, wenn sie eine entsprechende Schadensanlage ausgelöst haben. Zu diesen ersatzfähigen Verletzungsfolgen kann auch gehören, daß die Verletzung des Opfers zur Zerrüttung der Ehe geführt hat. Allerdings hat die Rechtsprechung solche psychischen Folgen bisher nur in Fällen anerkannt, in denen nach der Art der Verletzung eine unmittelbare Auswirkung auf das eheliche Zusammenleben gegeben war (BGH VersR 1982, 1141: Hodenatrophie; OLG Hamm MDR 1975, 490: Unterleibsverletzung mit dauerhaft starken Schmerzen beim Geschlechtsverkehr).

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Abzugrenzen sind solche psychischen Beeinträchtigungen aber von dem allgemeinen Lebensrisiko, das nur zufällig von dem Unfallgeschehen ausgelöst worden ist (BGH VersR 1991, 704 (705); darauf weist auch schon BGH VersR 1982, 1141 hin). Die Trennung vom Ehemann und die Heimunterbringung eines Kindes sind in diesem Sinne grundsätzlich dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen, da solche Ereignisse vielfältige Ursachen haben und in der Regel nicht durch ein konkretes Unfallereignis ausgelöst werden. Anders kann es sein, wenn konkret feststeht, daß z.B. ein langdauernder Krankenhausaufenthalt oder seelische Störungen (z.B.schwere Depressionen) zur Entfremdung der Eheleute oder zu Erziehungsproblemen der Kinder geführt haben. Eine Zerrüttung, die nicht in den körperlichen Schäden des Verletzten ihren Grund findet, sondern in der besonderen Persönlichkeitsstruktur des Partners, kann nicht als ersatzpflichtige Unfallfolge angesehen werden.

Im Streitfall ist bei einer bloß insgesamt 5-wöchigen Krankenhausbehandlung nicht schlüssig vorgetragen, daß die Ehe- und Erziehungsprobleme gerade und und im Wesentlichen ihre Ursache in der Verletzung der Klägerin gefunden haben. Bloße Beeinträchtigungen bei der Erledigung der Hausarbeit können nicht als Ursache von Familienzerrüttungsprozessen angesehen werden, zumal in solchen Fällen bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen Kostenersatz für Hilfskräfte vom Schädiger zu leisten ist.

3)

Der Zinsanspruch folgt aus § 291 ZPO. Der Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht verjährt.

4)

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 101 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Wertfestsetzung beruht auf § 546 II ZPO.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 15.000,00 DM.

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