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Richterablehnung – Ablehnungsgesuch wegen des prozessleitenden Verhaltens eines Einzelrichters

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 13 U 79/09 – Beschluss vom 27.10.2011

Das Ablehnungsgesuch des Klägers wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Das Ablehnungsgesuch des Klägers ist zulässig, insbesondere nicht bereits wegen Verlusts des Ablehnungsrechts gem. § 43 ZPO oder wegen grober Beschimpfung des erkennenden Einzelrichters als unzulässig zu verwerfen.

1. Allerdings begründet der Kläger sein Ablehnungsgesuch u.a. mit dem prozessleitenden Verhalten des abgelehnten Einzelrichters am Tag der letzten mündlichen Verhandlung, insbesondere dessen telefonische Rückfrage bei ihm wegen Versäumung des Termins und des Zuwartens auf sein Erscheinen, mithin auf ein Verhalten, das ihm im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bekannt war. Gleichwohl ist er seines Ablehnungsrechts nicht gem. § 43 ZPO verlustig gegangen, weil sich ihm die – nach seiner Ansicht die Beklagte bevorzugende – Bedeutung des Verhaltens des Einzelrichters erst bei Einsichtnahme in die Verfahrensakten erschlossen habe.

2. Auch die durchaus als Beschimpfung des Einzelrichters zu bewertende „Unterstellung“, dieser habe sich bereits vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung in seiner Entscheidung festgelegt und darüber mit der Gegenseite gesprochen, rechtfertigt eine Verwerfung des Gesuchs als unzulässig nicht. Auch wenn grobe Beleidigungen und Beschimpfungen in einem Ablehnungsgesuch dessen Verwerfung im Einzelfall rechtfertigen können (Zöller-Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 42 Rn. 6 mwN), ist Zurückhaltung geboten (OLGR Naumburg 2007, 157). Mit Blick darauf, dass sich die Beschimpfung hier auf eine Unterstellung von Parteilichkeit zugunsten der Beklagten und damit auf einen die Besorgnis der Befangenheit ausfüllenden Grund beschränkt, kommt eine Verwerfung des Ablehnungsgesuchs nicht in Betracht.

II.

Das Ablehnungsgesuch ist jedoch unbegründet.

Gründe, die im Sinne der gesetzlichen Vorschrift des § 42 Abs. 2 ZPO geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Weder die Prozessführung noch der Inhalt des Urteils des erkennenden Einzelrichters vom 24. August 2011 sind geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen.

Ein Richter kann im Zivilprozess gemäß § 42 Abs. 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein objektiver Grund vorliegt, der die ablehnende Partei bei vernünftiger Betrachtung befürchten lassen muss, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber und werde deshalb nicht unparteiisch entscheiden. Maßgebend ist nicht, ob der abgelehnte Richter wirklich befangen ist oder sich für befangen hält, sondern allein, ob vom Standpunkt des Ablehnenden aus genügend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der betreffende Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit unparteiisch gegenüber (BVerfG, Beschluss vom 5.4.1990, 2 BvR 413/88, BVerfGE 82, 30/38; BGH NJW-RR 1986, 738; Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 42, Rn. 9, m.w.N.).

Dabei rechtfertigen weder Rechtsauffassungen des Richters noch Maßnahmen der Prozessleitung einen Ablehnungsgrund, ebenso wenig stellen sachlich fehlerhafte Entscheidungen oder eine für eine Partei ungünstige Rechtsauffassung für sich genommen bzw. Verfahrensverstöße im Rahmen der Prozessleitung einen Befangenheitsgrund dar.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass das Vorgehen des Richters auf einer unsachlichen Einstellung gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht (BGH, NJW 1998, 612; BAG NJW 1993, 879; Zöller-Vollkommer, a.a.O., Rn. 28).

Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen.

Wenn ein Richter im Verfahren seine Rechtsansicht darlegt und dabei eine von der Parteimeinung abweichende Auffassung vertritt, muss dies von der Partei hingenommen werden, zumal es in der Natur der Sache liegt, dass der Richter nur eine der unterschiedlichen Rechtsansichten der sich streitenden Parteien für richtig halten kann (KG, MDR 1999, 253). Die Überprüfung der Richtigkeit einer Entscheidung oder Rechtsauffassung ist allein einem eventuellen Rechtsmittel in der Sache selbst vorbehalten. Das Ablehnungsverfahren ist dagegen weder dazu bestimmt noch geeignet, die Rechtsauffassung des Richters zur Überprüfung anderer, mit der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch befasster Richter oder der Rechtsmittelinstanz zu stellen (KG, KGR 2005, 140 f; OLG Brandenburg, Beschluss vom 6. März 2007 – 1 W 3/07 – hier zitiert nach Juris; Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 42, Rn. 26, m.w.N.). Das Ablehnungsverfahren dient vielmehr allein dazu, die Beteiligten vor Parteilichkeit zu bewahren. Ein Ablehnungsgesuch kann daher grundsätzlich nicht darauf gestützt werden, dass von einem Richter im Streitfall selbst oder in einem vorangegangenen Verfahren unrichtige Entscheidungen in formeller oder materiell-rechtlicher Hinsicht getroffen worden seien. Behauptete Rechtsfehler eines Richters können eine Besorgnis der Befangenheit nur ausnahmsweise dann rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muss ohne weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen. Dabei kann die Frage, ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzes beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht die Bedeutung und Tragweite der durch die Verfassung garantierten Rechte grundlegend verkennt, nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Eine unsachliche Einstellung lässt sich nicht allein aus der vertretenen Rechtsauffassung ableiten.

1. Hier hat der Kläger schon keine schwerwiegenden Verfahrensfehler dargelegt.

a. Soweit er sein Befangenheitsgesuch mit dem Vorwurf der Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör begründet, weil unter Beweis gestelltes entscheidungserhebliches Vorbringen wie auch Rechtsansichten übergangen worden seien, weil sich dazu im Urteil keine Feststellungen fänden, trägt sein Vorbringen schon den Vorwurf der Gehörsverletzung nicht. Das Gericht muss sich zur Beachtung des rechtlichen Gehörs nicht mit dem gesamten, sondern nur mit dem in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für die Entscheidung erheblichen Parteivorbringen auseinandersetzen und dazu Feststellungen in den Entscheidungsgründen treffen. Welches Vorbringen für die Entscheidung erheblich ist, hat es, sofern die Parteien dies verkennen, durch rechtlichen Hinweis klarzustellen. Seiner Hinweispflicht auf die für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte ist der Senat durch Verfügung vom 9.12.2010 und in der mündlichen Verhandlung vom 1.6.2011 nachgekommen und hat dem Kläger auf seinen Antrag Erklärungsfrist bewilligt. Mit den vom Kläger innerhalb der verlängerten Frist vorgebrachten Einwänden zur mangelnden Substanziiertheit des Klägervorbringens sowie zum Erfordernis der Wiederholung der Beweisaufnahme hat sich der Einzelrichter in seinem Urteil auf Seite 5 sehr wohl auseinander gesetzt.

b. Soweit er sein Befangenheitsgesuch darauf stützt, dass der Einzelrichter Akten aus einem Parallelverfahren beigezogen und Bestandteile daraus in Kopie zur hiesigen Verfahrensakte genommen hat, ohne die Parteien darüber zuvor zu unterrichten, ist schon nicht ersichtlich, welche Verfahrensvorschrift durch dieses Vorgehen verletzt worden sein soll. Im Rahmen von § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, der gem. § 525 S. 1 ZPO im Berufungsverfahren entsprechende Anwendung findet, unterliegt die Beiziehung von Akten aus Parallelverfahren, auf die sich die Parteien – wie hier – in ihrem Vorbringen beziehen, keinen Zulässigkeitsbedenken (Zöller-Greger, a.a.O., § 273 Rn 7). Zwar hat der Einzelrichter die Parteien entgegen § 273 Abs. 4 ZPO nicht, jedenfalls nicht mit der Ladung zum Termin, von der Anordnung der Beiziehung der Akten aus dem Parallelverfahren unterrichtet und damit in diesem Punkt das Gebot rechtlichen Gehörs missachtet (BVerfG NJW 1994, 1210, 1211). Das ist allerdings unschädlich, weil die Parteien ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 1. Juni 2011 darüber zumindest mittelbar in Kenntnis gesetzt worden sind, weil andernfalls die darin protokollierte Einbeziehung des vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) anhängigen Parallelverfahrens nicht denkbar gewesen wäre.

c. Das schließlich zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit angeführte Verhalten des Einzelrichters am Tag der mündlichen Verhandlung – telefonische Erinnerung des Klägers an den Termin und Zuwarten auf dessen Erscheinen – stellt ebenfalls keinen Verfahrensverstoß dar. Es besteht bei Nichterscheinen einer ordnungsgemäß geladenen Partei keine Verpflichtung, den Termin zu vertagen oder ein Versäumnisurteil zu erlassen. Die Vertagung gem. § 227 ZPO steht zwar entgegen dem Wortlaut „kann“ nicht im Ermessen des Gerichts, setzt aber – ebenso wie der Erlass eines Versäumnisurteils gem. § 539 ZPO einen Antrag der erschienen Partei voraus, Zöller-Stöber, a.a.O., § 227 Rn 8a. Nachdem die Beklagte weder einen Vertagungsantrag noch den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils trotz Nichterscheinens des Klägers gestellt hatte, erweist sich das Verfahren des Einzelrichters, nämlich auf das Erscheinen des Klägers zu warten, als verfahrensfehlerfrei.

2. Nachdem das v.g. prozessuale Verhalten des Einzelrichters sich schon nicht als verfahrensfehlerhaft erweist, kommt es auf die weitere Frage, ob dieses auf Unsachlichkeit schließen lässt, nicht an. Ungeachtet dessen bietet es auch in einer Gesamtschau keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass der Einzelrichter dem Kläger gegenüber nicht unparteilich, insbesondere schon vor der mündlichen Verhandlung am 1. Juni 2011 entschlossen war, das Verfahren zu Ungunsten des Klägers zu entscheiden und die Beklagte darüber informiert hat. Dabei handelt es sich um eine nicht näher begründete und begründbare Vermutung des Klägers, die sich angesichts der weiten Anreise der Beklagten zum Termin nicht ausschließlich auf die Tatsache mangelnder Antragstellung gem. § 539 ZPO stützen lässt. Da sich zudem aus der Tatsache der erfolgten Beiziehung der Akten aus dem Parallelverfahren ein Zusammenhang mit etwaiger Unsachlichkeit eben so wenig herleiten lässt wie aus dem Inhalt der Entscheidungsgründe, unterliegt der Antrag des Klägers der Zurückweisung.

Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt.

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