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Rücktritt von Reisevertrag bei Wahrscheinlichkeit für eine Ausbreitung der Krankheit COVID-19

AG Wiesbaden – Az.: 92 C 1682/20 – Urteil vom 09.09.2020

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.06.2020 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Beklagte ist ein Reiseunternehmen. Die Klägerin buchte für sich und ihren Mann im Mai 2019 eine Asien-Kreuzfahrt zum Preis von 8.559,52 EUR. Die Kreuzfahrt sollte am 15.04.2020 ab Singapur beginnen. Die Klägerin leistete eine Anzahlung in Höhe von 1.573,20 EUR. In der Folgezeit wurde der Reisevertrag erweitert, indem die Klägerin ein Ausflugspaket dazu buchte. Der Reisepreis betrug somit insgesamt 9.045,92 EUR und die von der Klägerin geleistete Anzahlung insgesamt 2.059,60 EUR. Am 01.02.2020 wurde bekannt, dass sich nach Angaben der Gesundheitskommission in Peking in China knapp 10.000 Menschen mit einem (damals) neuartigen Virus, der zu der Lungenkrankheit COVID-19 führt, angesteckt hatten. Am 04.02.2020 erreichte die Zahl neue Erkrankungen und Todesfälle durch den Corona-Virus einen neuen Rekord, besonders Südostasien war betroffen. Die Beklagte sagte daher am 07.02.2020 sämtliche Asien-Kreuzfahrten ab und begründete dies mit dem Gesundheitsrisiko durch die Krankheit COVID-19. Zu diesem Zeitpunkt gab es zwar noch keine förmliche Reisewarnung des Auswärtigen Amtes, aber schon „verschärfte Reise- und Sicherheitshinweise“; das Auswärtige Amt riet angesichts des Corona-Virus an, „nicht zwingende Reisen nach China zu verschieben oder zu unterlassen“. Der Ehemann der Klägerin trat seine Ansprüche gegen die Beklagte an die Klägerin ab, die die Abtretung annahm. Durch ihren Prozessbevollmächtigten forderte der Klägerin die Beklagte zur Rückzahlung der Anzahlung und Zahlung von Schadensersatz auf. Die geleistete Anzahlung wurde der Klägerin in vollem Umfange erstattet.

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin Schadensersatzansprüche wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit geltend. Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, am 07.02.2020 die Asien-Kreuzfahrt abzusagen. Am 07.02.2020 sei noch nicht absehbar gewesen, ob zum Zeitpunkt des Reiseantritts erhebliche Beeinträchtigungen zu erwarten waren, da zu diesem Zeitpunkt noch keine Reisewarnung bestand. Somit habe die Beklagte die Reise vereitelt und die Klägerin sei berechtigt, wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit eine angemessene Entschädigung zu verlangen. Da die Reise vollständig abgesagt worden sei, sei ein Schadensersatz in Höhe von 50 % des Reisepreises angemessen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.522,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5% – Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.03.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 650,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5% – Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.06.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Absage der Asien-Kreuzfahrt sei aufgrund der Gesundheitslage gerade in Asien berechtigt gewesen. Auch wenn noch keine Reisewarnungen vorgelegen haben, habe man bereits Anfang Februar 2020 mit erheblichen Gesundheitsrisiken rechnen müssen, so dass es aufgrund dieser Prognose berechtigt war, die streitgegenständliche Asien-Kreuzfahrt abzusagen.

Wegen des weiteren Vorbringens wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Rücktritt von Reisevertrag bei Wahrscheinlichkeit für eine Ausbreitung der Krankheit COVID-19
(Symbolfoto: Von H_Ko/Shutterstock.com)

Die Klägerin besitzt weder aus eigenem noch aus abgetreten Recht gegenüber der Beklagten Schadensersatzansprüche wegen der Absage der streitgegenständlichen Asien-Kreuzfahrt (§ 651n Abs. 2 BGB).

Die Beklagte hat die streitgegenständliche Kreuzfahrt nicht vereitelt i.S.d. § 651n Abs. 2 BGB, da sie aufgrund der sich damals rasch ausbreitenden Krankheit COVID-19 im asiatischen Raum berechtigt war, die streitgegenständliche Kreuzfahrt abzusagen. Die Klägerin weist zwar zu Recht darauf hin, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gab, darauf kommt es jedoch nicht an. Für den Fall, dass der Reisende den Reisevertrag von sich aus storniert, hat die Rechtsprechung mittlerweile anerkannt, dass es nicht zwingend erforderlich ist, dass zum Zeitpunkt des Rücktritts bereits Reisewarnungen für das Reisegebiet vorliegen oder dass das Zielgebiet von dem Ausbruch der Krankheit betroffen ist. Es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitsgefährdende Ausbreitung der Krankheit (siehe Amtsgericht Frankfurt, Urteil vom 11.08.2020, Az: 32 C 2136/20 (18) zitiert nach Juris). Diese Grundsätze müssen auch für den Reiseveranstalter gelten, so dass der Beklagte berechtigt war, die Reise zu stornieren. Der Klägerin ist zuzugeben, dass sicherlich nicht gerechtfertigt gewesen wäre, Anfang Februar 2020 eine Reise nach z.B. Kanada zu stornieren. Im vorliegenden Fall ging es jedoch um eine Asien-Kreuzfahrt. Auch wenn Anfang Februar 2020 sich diese Krankheit noch nicht weltweit ausgebreitet hatte, so war doch bereits Anfang Februar 2020 klar, dass die COVID-19-Erkrankung ein erhebliches Risiko für Leib und Leben der Reisenden und der Mitarbeiter darstellt, so dass die Beklagte berechtigt war, die streitgegenständliche Asien Kreuzfahrt wegen unvermeidbarer außergewöhnlicher Umstände zu stornieren (§ 651h Abs. 4 Nr. 2 BGB).

Letztlich kommt es jedoch hierauf gar nicht an. Mitte März 2020 ordnete die Bundesregierung – wie viele andere Europäischen Regierungen auch – zur Vermeidung zur Eindämmung der Pandemie erhebliche Einschränkungen des gesamten öffentlichen Lebens an. Verbunden war dies mit einer weltweiten Reisewarnung, die auch im April 2020 immer noch Gültigkeit hatte. Somit hätte die streitgegenständliche Asien-Kreuzfahrt in jedem Falle ausfallen müssen. Selbst wenn man nun zugunsten der Klägerin unterstellt, die Prognoseentscheidung am 07.02.2020 sei falsch gewesen, so ist der Klägerin dadurch kein Schaden entstanden, da diese unterstellte falsche Prognoseentscheidung für den Ausfall des Schadens überhaupt nicht kausal geworden wäre (sog. überholende Kausalität s. Münchener Kommentar zum BGB 8. Aufl. 2019 § 249 Rdnr. 213 m.w.Nachw.).

Die Beklagte ist jedoch verpflichtet, der Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in der ausgesprochenen Höhe zu erstatten (§ 280 i.V.m. § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

Tritt der Reiseveranstalter von der Reise zurück, so ist er verpflichtet, den Reisepreis innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt zu erstatten (§ 651h Abs. 5 BGB). Somit ist die Leistung in der Weise bestimmt, dass sie sich von einem bestimmten Ereignis nach dem Kalender berechnen lässt, so dass sich die Beklagte auch ohne Mahnung bei Beauftragung des Klägervertreters mit der Rückzahlung der Anzahlung in Verzug befand. Somit sind aus einem Gegenstandswert von 2.059,60 EUR erstattungsfähige Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 EUR entstanden (1,3 Geschäftsgebühr 261,30 EUR + 20,00 EUR Auslagenpauschale + 53,45 EUR Umsatzsteuer).

Da die Klägerin nur hinsichtlich einer Nebenforderung obsiegt, waren ihr die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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