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Schmerzensgeldanspruch – fehlende Aufklärung über die Risiken der Faltenunterspritzung

LG Duisburg – Az.: 2 O 366/10 – Urteil vom 01.08.2011

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.000,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.12.2009 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die aus den Behandlungen vom 14.02.2001 und 21.03.2001 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Schmerzensgeldanspruch - fehlende Aufklärung über die Risiken der Faltenunterspritzung
Symbolfoto: Von Nestor Rizhniak/Shutterstock.com

Die Klägerin nimmt den Beklagten, einen niedergelassenen Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie, wegen einer Faltenunterspritzung in Anspruch, die er in zwei Sitzungen, am 14.02. und 21.03.2001 im Bereich der Mundwinkel der Klägerin durchgeführt hatte. Hierbei verwendete er das Produkt „E“. Einen Aufklärungsbogen hinsichtlich etwaiger Nebenwirkungen dieses Produkts ließ sich der Beklagte von der Klägerin nicht unterzeichnen. Auf der Original-Patientenkarte ist ein Aufklärungsgespräch nicht vermerkt, ein solcher Vermerk befindet sich aber auf einer vom dem Beklagten an die Klägerin übersandten Fotokopie der Karte.

Im Rahmen der Nachbehandlung wurde am 05.09.2007 durch einen anderen Arzt festgestellt, dass sich Fremdkörpergranulome gebildet hatten.

Mit Schreiben vom 19.11.2009 forderte die Klägerin den Beklagten unter Fristsetzung zum 10.12.2009 zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 10.000,- EUR auf. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten zahlte der Klägerin 5.000,- EUR. Die Klägerin verlangt nun mindestens weitere 5.000,- EUR als Schmerzensgeld.

Die Klägerin behauptet, durch die Verwendung von „E“ sei es zu der Granulombildung gekommen. Der Beklagte habe die Klägerin vor der Faltenunterspritzung nicht darüber aufgeklärt, dass Granulome entstehen könnten, obwohl die Kenntnis von dieser Nebenwirkung schon zum damaligen Zeitpunkt zum Grundwissen eines jeden Arztes gehört habe. Die Klägerin habe sich bereits mehrfach Folgeoperationen unterziehen müssen, um die Knötchen beseitigen zu lassen. Dabei sei es auch zu Narbenbildung gekommen. In welchem Umfang weitere Behandlungen erforderlich seien und wann die Nachbehandlung abgeschlossen werden könne, sei derzeit noch nicht absehbar. Außerdem entstünden ihr Fahrtkosten und Verdienstausfallschäden.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld aus den fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlungen am 14.02.2001 und 21.03.2001 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch weitere 5.000,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.12.2009, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die aus den o. g. fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlungen entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, er habe die Klägerin umfassend aufgeklärt. Den Aufklärungsbogen des Herstellers des Produktes „E“ habe er der Klägerin ausgehändigt. Er habe lediglich vergessen, sich den E-Aufklärungsbogen auch unterschreiben zu lassen und die Aufklärung in die Karteikarte einzutragen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist sowohl im Zahlungs- als auch im Feststellungsantrag begründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 5.000,- EUR aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.

Ein solcher Anspruch besteht u. a. dann, wenn widerrechtlich der Körper oder die Gesundheit eines anderen verletzt werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Denn der Beklagte beging bei der Faltenunterspritzung mangels ordnungsgemäßer Einwilligung der Klägerin eine rechtswidrige Körperverletzung.

Der Beklagte hat seine der Klägerin gegenüber bestehende Aufklärungspflicht über die mit der Faltenunterspritzung verbundenen Risiken verletzt.

Die Aufklärung des Patienten durch den Arzt soll das verfassungsrechtlich garantierte Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung über seine Person gewährleisten. Dem Patienten ist durch den aufklärenden Arzt eine für die konkret anstehende Entscheidung in jeder Hinsicht ausreichende Wissensgrundlage zu schaffen. Es muss aufgeklärt werden über Art, Bedeutung, Ablauf und Folgen des Eingriffs. Ferner muss der Patient über die Art und die konkrete Wahrscheinlichkeit der verschiedenen, auch der wenig wahrscheinlichen Risiken der geplanten Operation informiert werden. Bei all dem muss die Aufklärung umso intensiver erfolgen, je problematischer der Eingriff bzw. dessen Folgen und die vom Patienten zu treffende Entscheidung sind.

Davon, dass der Beklagte diese Anforderungen erfüllt hätte, kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Insbesondere konnte der Beklagte keinen Beweis für die von ihm behauptete Aufklärung anbieten. Unstreitig standen dem Beklagten die Aufklärungsbögen des Herstellers des unterspritzen Produktes zur Verfügung. Aus diesen ergibt sich, dass es zur Bildung von Fremdkörpergranulomen kommen kann. Dass der Beklagte mit der Klägerin über diese Komplikation gesprochen habe, ist jedoch nicht ersichtlich. Eine von der Klägerin unterschriebene Einverständniserklärung konnte er nicht vorlegen. Dass aber bereits zum Zeitpunkt der Behandlung klare wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Nebenwirkungen vorgelegen haben, ergibt sich schon aus dem Inhalt der Patienteninformation. Der Beklagte kann sich damit auch nicht  mit Erfolg darauf berufen, dass es gerade keine konkreten Anhaltspunkte für das Entstehen von Granulomen gegeben habe und er daher schon nicht aufklärungspflichtig gewesen sei.

Des Weiteren spricht auch die Tatsache, dass sich in der Original-Krankenkarteikarte kein Hinweis auf eine Aufklärung findet, gegen ein angebliches Aufklärungsgespräch.

Das Fehlen des Aufklärungsgespräches ist auch kausal geworden für die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Klägerin. Im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung erläuterte die Klägerin insofern glaubhaft, dass sie sich jedenfalls in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte, wenn sie vor der Faltenunterspritzung über die Risiken aufgeklärt worden wäre. Dies ist insbesondere deshalb glaubhaft, weil die Behandlung ohne medizinische Notwendigkeit erfolgte und daher die Not, sich behandeln zu lassen, wesentlich geringer zu bewerten ist, als bei einer medizinisch erforderlichen oder gar lebensnotwendigen Operation.

Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass die Verwendung des Mittels „E“ die Granulombildung hervorgerufen hat. Dass dies möglich ist, folgt bereits aus den eigenen Warnhinweisen des Herstellers. Dafür, dass die Klägerin noch andere Behandlungen hat durchführen lassen, die die Knötchen hervorgerufen haben können, bestehen keine Anhaltspunkte.

Aufgrund der ganz offensichtlich verknoteten und vernarbten Stellen im Gesicht der Klägerin besteht auch kein vernünftiger Zweifel daran, dass weitere Nachbehandlungen nötig sind. Auch der – weil die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist – zulässige Feststellungsantrag der Klägerin ist daher begründet. Der Beklagte haftet für alle weiteren immateriellen Schäden sowie für die bereits entstandenen und noch zukünftig entstehenden materiellen Schäden der Klägerin, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Hinsichtlich der Anspruchshöhe ist für die bisher entstandenen Beeinträchtigungen ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,- EUR (also insgesamt 10.000,- EUR) angemessen. Insoweit ist zwar zu berücksichtigen, dass die Klägerin die Behandlung nur aus optischen Gründen hat vornehmen lassen, eine medizinische Notwendigkeit also nicht gegeben war. Andererseits wiegt aber schwer, dass es zu der Knoten- und Narbenbildung gerade im Gesicht und damit für jeden offensichtlich gekommen ist. Dass die Klägerin unter der durch die Granulombildung und die Narben verursachten Beeinträchtigung ihres Erscheinungsbildes stark leidet, ist leicht nachvollziehbar. Ein Abdecken durch Kleidung kommt im Gegensatz zu anderen Körperteilen gerade nicht in Betracht. Lediglich durch dekorative Kosmetik mag eine Verbesserung des Erscheinungsbildes erfolgen. Eine vollständige Entfernung der Knoten und Narben konnte noch nicht erreicht werden, obwohl die Klägerin bereits weitere Operationen über sich hat ergehen lassen müssen. Auch die Notwendigkeit der Folgeoperationen ist schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen.

Für die bisherigen und derzeit absehbaren immateriellen Schäden der Klägerin erscheint ein Gesamtbetrag von 10.000,- EUR angemessen.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf  §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1, 2 ZPO.

Streitwert: 12.500,- EUR

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