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Sturz eines Motorradfahrers nach Notbremsung bei Sichtung eines rückwärtsfahrenden Pkw

Motorradfahrer trifft auf rückwärtsfahrendes Fahrzeug: Ein rechtlicher Überblick

Ein Verkehrsunfall kann in Sekundenschnelle passieren und oft sind die rechtlichen und physischen Folgen weitreichend. Ein solcher Fall ereignete sich am 18.06.2008 um 17.37 Uhr, als ein Motorradfahrer auf der L 149 in Richtung Bernau unterwegs war. Die Straße, die an der Unfallstelle in einer Linkskurve verläuft, wurde zum Schauplatz eines unerwarteten Zwischenfalls, der zu erheblichen rechtlichen Auseinandersetzungen führte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.:2 O 257/08  >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Unfallhergang: Motorradfahrer stürzt nach Notbremsung bei Sichtung eines rückwärtsfahrenden Pkw.
  • Beklagter: Wollte besseren Blickwinkel für ein Foto und fuhr deshalb rückwärts.
  • Hauptargument: Beklagter hätte an der Unfallstelle nicht rückwärts fahren dürfen, da er den Kurvenverlauf und herannahende Fahrzeuge nicht sehen konnte.
  • Mitverschulden des Klägers: Überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mindestens 5 km/h.
  • Gerichtliche Feststellung: Rückwärtsfahren des Beklagten war Hauptursache, da er die Situation falsch einschätzte.
  • Schadensersatz: Kläger erhält Schadensersatz und Schmerzensgeld für erlittene Verletzungen und Sachschäden.
  • Schlussfolgerung: Vorsicht und Aufmerksamkeit im Straßenverkehr sind essentiell, um solche Unfälle zu vermeiden.

Der Unfallhergang

Motorradfahrer Notbremsung -
Motorradfahrer erleidet Sturz bei rückwärtsfahrendem Fahrzeug: Rechtsfolgen und Vorsicht im Straßenverkehr (Symbolfoto: Sergey Watgers /Shutterstock.com)

Während der Motorradfahrer die L 149 befuhr, hatte der Beklagte Ziffer 1, dessen Fahrzeug bei der Beklagten Ziffer 2 haftpflichtversichert war, kurz zuvor die gleiche Strecke befahren. Der Beklagte, der sich im Urlaub befand, hielt nach der Linkskurve an, um ein Foto zu machen. Um eine bessere Sicht für sein Foto zu erhalten, entschied er sich, rückwärts in Richtung M-weg zu fahren. Genau in diesem Moment näherte sich der Motorradfahrer, was zu einem Sturzunfall führte. Der Motorradfahrer erlitt dabei eine Schulterverletzung, die bis heute zu Bewegungseinschränkungen führt.

Die rechtlichen Forderungen

Der Motorradfahrer, in diesem Fall der Kläger, machte sowohl Schadensersatz als auch Schmerzensgeldansprüche geltend. Er behauptete, dass der Beklagte mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h rückwärts gefahren sei, während er selbst mit ca. 60 km/h unterwegs war. Als er den rückwärtsfahrenden Pkw bemerkte, versuchte er sofort zu bremsen, kam jedoch zu Fall. Der Kläger gab an, dass durch den Unfall seine Motorradbekleidung und sein Helm beschädigt wurden und an seinem Motorrad ein erheblicher Schaden entstand.

Das Urteil und seine Folgen

Das Gericht kam zu dem Entschluss, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, an den Kläger einen bestimmten Betrag zuzüglich Zinsen zu zahlen. Zusätzlich wurden die Beklagten verurteilt, dem Kläger ein Schmerzensgeld sowie vorgerichtliche Anwaltsgebühren zu zahlen. Die Kosten des Verfahrens wurden zwischen Kläger und Beklagten aufgeteilt, wobei der Kläger 1/4 und die Beklagten 3/4 der Kosten tragen mussten.

Bedeutung und Tragweite

Dieser Fall unterstreicht die Wichtigkeit von Vorsicht und Aufmerksamkeit im Straßenverkehr. Ein einfacher Moment der Unaufmerksamkeit kann zu schwerwiegenden Konsequenzen führen, sowohl physisch als auch rechtlich. Es ist von größter Bedeutung, dass Fahrer stets aufmerksam sind und sich der potenziellen Gefahren bewusst sind, die durch unerwartete Manöver, wie das plötzliche Rückwärtsfahren, entstehen können. Dieses Urteil dient als Erinnerung daran, dass im Straßenverkehr immer mit dem Unerwarteten gerechnet werden muss und dass die rechtlichen Folgen eines Unfalls oft kompliziert und weitreichend sein können.

➨ Unfall mit unerwarteten Hindernissen: Was nun?

Ein Verkehrsunfall, insbesondere mit unerwarteten Hindernissen wie einem rückwärtsfahrenden Fahrzeug, kann viele Fragen und Unsicherheiten mit sich bringen. Wer trägt die Schuld? Welche Ansprüche können geltend gemacht werden? Wie geht man am besten vor, um seine Rechte durchzusetzen? In solchen Situationen ist professionelle Unterstützung unerlässlich. Unsere Kanzlei bietet Ihnen eine fundierte Ersteinschätzung Ihrer Situation und begleitet Sie durch den gesamten rechtlichen Prozess. Zögern Sie nicht und nehmen Sie Kontakt mit uns auf, um sicherzustellen, dass Ihre Interessen bestmöglich vertreten werden.

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§ 7 Abs. 1 StVG: Haftung des Fahrzeughalters für Schäden, die bei dem Betrieb des Fahrzeugs verursacht werden.


Gemäß § 7 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Deutschland haftet der Fahrzeughalter für Schäden, die bei dem Betrieb seines Kraftfahrzeugs verursacht werden. Dies bedeutet, dass der Halter, also die Person, auf die das Fahrzeug zugelassen ist, für Schäden haftet, die während der Nutzung des Fahrzeugs auftreten, unabhängig davon, ob er selbst am Steuer saß oder nicht. Die Haftung umfasst Situationen, in denen ein Mensch getötet wird, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt wird oder eine Sache beschädigt wird.

Diese Haftung wird oft als „Gefährdungshaftung“ bezeichnet, da sie unabhängig von einem Verschulden des Halters greift. Selbst wenn der Halter keine Schuld am Unfall trägt, muss er den daraus entstehenden Schaden ersetzen. Dies dient dazu, diejenigen zu schützen, die durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs verletzt oder geschädigt werden.

Es gibt jedoch einige Ausnahmen und Besonderheiten im Zusammenhang mit dieser Haftung, die in verschiedenen Gerichtsurteilen und Rechtsquellen näher erläutert werden. Es ist wichtig zu beachten, dass die Haftpflichtversicherung in Deutschland eine Pflichtversicherung ist, die dazu dient, die finanzielle Belastung für den Halter im Falle eines Unfalls zu reduzieren. Die Haftpflichtversicherung übernimmt in der Regel die Schadensregulierung, sofern eine solche Versicherung abgeschlossen wurde.


§ 9 Abs. 5 StVO: Verbot des Rückwärtsfahrens in Kurven, wenn dies den Verkehr behindert oder gefährdet.

Gemäß § 9 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung (StVO) in Deutschland ist das Rückwärtsfahren in Kurven dann verboten, wenn dadurch der Verkehr behindert oder gefährdet wird. Dieses Verbot dient der Sicherheit im Straßenverkehr und soll verhindern, dass rückwärts fahrende Fahrzeuge in Kurven die Sicht anderer Verkehrsteilnehmer beeinträchtigen oder unübersichtliche Situationen schaffen, die zu Unfällen führen könnten.

Das Verbot des Rückwärtsfahrens in Kurven ist wichtig, um die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu minimieren. Kurven sind oft unübersichtliche Bereiche auf der Straße, in denen es schwierig sein kann, den Verkehr in entgegengesetzter Richtung frühzeitig zu erkennen. Wenn ein Fahrzeug rückwärts in einer Kurve fährt, kann dies zu gefährlichen Situationen führen und die Reaktionszeit für andere Verkehrsteilnehmer erheblich verkürzen.

Es ist daher von großer Bedeutung, dass Fahrer diese Regelung beachten und nur dann rückwärtsfahren, wenn dies keine Gefährdung oder Behinderung für andere Verkehrsteilnehmer darstellt. Verstöße gegen dieses Verbot können mit Bußgeldern geahndet werden


§ 2 Abs. 2 StVO: Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme im Straßenverkehr.

Gemäß § 2 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung (StVO) in Deutschland gilt das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme im Straßenverkehr. Dies bedeutet, dass jeder Verkehrsteilnehmer sich so verhalten muss, dass er keinen anderen Verkehrsteilnehmer schädigt, gefährdet oder mehr behindert oder belästigt, als dies unvermeidbar ist. Das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme ist eine grundlegende Verkehrsregel, die die Sicherheit und den reibungslosen Ablauf des Straßenverkehrs gewährleisten soll.

Konkret bedeutet dies, dass Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger und alle anderen Verkehrsteilnehmer ihre Handlungen im Straßenverkehr darauf ausrichten müssen, keine Gefahr für andere darzustellen und den Verkehrsfluss nicht unnötig zu behindern. Beispielsweise müssen Autofahrer beim Überholen ausreichend Abstand halten, Radfahrer an roten Ampeln anhalten und Fußgänger an Fußgängerüberwegen Vorrang gewähren.

Die Beachtung des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme ist entscheidend, um Unfälle zu verhindern und ein harmonisches Miteinander im Straßenverkehr zu gewährleisten. Verstöße gegen dieses Gebot können mit Bußgeldern geahndet werden, da sie das ordnungsgemäße Funktionieren des Straßenverkehrs gefährden können.

Relevante Rechtsbereiche in diesem Urteil:

  • Verkehrsrecht: Das Verkehrsrecht regelt die Teilnahme am Straßenverkehr. Dazu gehören unter anderem die Verkehrsregeln, die Haftungsregeln für Verkehrsunfälle und die Versicherungsregelungen.
  • Schadensersatzrecht: Das Schadensersatzrecht regelt den Anspruch auf Ersatz eines Schadens, der durch ein schuldhaftes Verhalten eines anderen verursacht wurde.
  • Schmerzensgeldrecht: Das Schmerzensgeldrecht regelt den Anspruch auf Geldentschädigung für erlittene körperliche oder seelische Schmerzen.


Das vorliegende Urteil

LG Waldshut-Tiengen – Az.: 2 O 257/08 – Urteil vom 07.05.2009

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 6.399,97 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2008 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden weiter als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 800 € Schmerzensgeld sowie vorgerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 603,93 € zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 1/4, die Beklagten zu 3/4.

5. Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger macht Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend.

Der Kläger fuhr am 18.06.2008 um 17.37 Uhr mit dem Motorrad auf der L 149 in Richtung Bernau. Die L 149 verläuft an der späteren Unfallstelle aus Sicht des Klägers in einer Linkskurve. Im Verlauf der Linkskurve zweigt ein nicht befestigter Weg (M-weg) nach rechts ab. Der Beklagte Ziffer 1, dessen Fahrzeug bei der Beklagten Ziffer 2 haftpflichtversichert ist, befuhr die L 149 kurz zuvor in derselben Richtung. An der Unfallstelle besteht eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 km/h. Der Beklagte Ziffer 1, der zusammen mit seiner Ehefrau, der Zeugin Jakob, Urlaub in Bernau machte, beabsichtigte ein Foto zu schießen. Deshalb hielt er nach Ende der Linkskurve an und fuhr dann, um eine noch bessere Sicht zu erhalten, rückwärts in Richtung M-weg. Bei Annäherung der beiden Fahrzeuge kam es zu einem Unfall, bei dem der Kläger stürzte. Der Kläger erlitt unter anderem eine Schulterverletzung, die noch heute zu Bewegungseinschränkungen der Schulter führt.

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Der Kläger behauptet, der Beklagte sei schnell rückwärts gefahren. Als der Kläger ihn erstmals sah, habe er sich beim ersten Leitpfosten hinter der Einmündung des Mühlewegs befunden. Er selbst sei ca. 60 km/h gefahren. Die Geschwindigkeit des Beklagten Ziffer 1 schätzt der Kläger auf 20 km/h. Nachdem er den rückwärts fahrenden Beklagten Ziffer 1 gesehen habe, habe er sofort versucht, zu bremsen, sei hierbei jedoch zu Fall gekommen. Bei dem Unfall sei seine Motorradbekleidung einschließlich Helm mit einem Zeitwert von 1.369,50 € beschädigt worden. An dem Motorrad sei ein Schaden von 6.453,79 € entstanden. Die Geltendmachung weiteren Schadens nach Ersatzbeschaffung behält sich der Kläger vor. Weiter macht er Gutachterkosten in Höhe von 690,00 € und eine Schadenspauschale in Höhe von 25,00 € geltend.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 8.538,29 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 4. Juli 2008 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 1.250,00 € zu zahlen.

3. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger außergerichtliche, nicht festsetzbare Anwaltsgebühren in Höhe von 775,64 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, Klagabweisung.

Sie behaupten, der Beklagte habe mit dem Sturz des Klägers gar nichts zu tun, zum Zeitpunkt des Sturzes des Klägers habe der Kläger den Beklagten Ziffer 1 noch gar nicht sehen können. Der Kläger sei vielmehr wegen zu hoher Geschwindigkeit in der Kurve oder wegen einer überzogenen Bremsreaktion gestürzt. Der Beklagte Ziffer 1 sei sehr langsam und äußerst rechts rückwärts gefahren. Als der Beklagte Ziffer 1 den Kläger zum ersten Mal gesehen habe, habe dieser sich in Höhe der Leitplanke der hinter der Kurve gelegenen Brücke befunden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger schon gestürzt und gestrauchelt.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen … und durch Einvernahme der Zeugin …. Die Akten 23 Js 6072/08 der Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Das Gericht hat den Kläger und den Beklagten Ziffer 1 persönlich angehört. Diesbezüglich wird verwiesen auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 31.03.2009.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird ergänzend Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten Anspruch auf 3/4 seines beim Unfall vom 18.06.2008 entstandenen Schadens aus §§ 7, 17 StVG, §§1,3 PflVG sowie auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 800 € aus § 11 S. 2 StVG, §§ 823, 253 BGB.

I.

1.

Der Unfall hat sich bei dem Betrieb des Pkw des Beklagten Ziffer 1 ereignet (§ 7 Abs. 1 StVG). Hierfür ist es nicht erforderlich, dass es zu einer Berührung der beiden Fahrzeuge kam. Der Zurechnungszusammenhang i. S. d. § 7 Abs. 1 StVG scheitert nicht daran, dass es an einer Fahrzeugberührung fehlt (BGH NJW 88, 2802 ; KG VersR 97, 1292 ). Auch wenn der Unfall unmittelbar durch das Verhalten des Unfallgegners (hier durch die Bremsung des Klägers) ausgelöst wurde, reicht es aus, dass dieses durch das Kfz des Beklagten Ziff. 1 (mit-)veranlasst worden ist. Selbst eine objektiv nicht erforderliche Reaktion ist dem auslösenden Kfz zuzurechnen (BGH NJW 88, 2802 ; NJW 05, 2081 ). Das Verhalten des Beklagten Ziff. 1, nämlich die Rückwärtsfahrt in einer Kurve, gab dem Kläger jedenfalls subjektiv zur Befürchtung Anlass, es werde ohne seine Reaktion zu einer Kollision mit dem anderen Verkehrsteilnehmer kommen. Dies ist für eine Zurechnung des Unfalls nach den Grundsätzen des § 7 Abs. 1 StVG ausreichend (KG NZV 00, 43 , zum Ganzen Jagow- Burmann Straßenverkehrsrecht 20. Aufl. § 7 StVG Rz 13).

2.

Der Beklagte Ziff. 1 hat den Unfall überwiegend verschuldet.

Dem Beklagten Ziffer 1 ist ein eklatanter Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO vorzuwerfen. Der Beklagte Ziffer 1 hätte sich beim Rückwärtsfahren so verhalten müssen, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Wie der Sachverständige … jedoch ausführte, ist es dem Beklagten Ziffer 1 gar nicht möglich gewesen, bei der Rückwärtsfahrt den Kurvenverlauf und damit das Herannahen anderer Fahrzeuge zu bemerken, da er durch die Spiegel und auch durch die Rückwärtsschau über die rechte Schulter nur den geradeaus nach hinten gerichteten Blick und eben nicht den Blick im Verlauf der Kurve hatte. Dadurch ist auch zu erklären, dass der Zeitpunkt, zu dem der Kläger den Beklagten Ziffer 1 sah und der Zeitpunkt, zu dem der Beklagte Ziffer 1 den Kläger sah, keineswegs übereinstimmen. Nach den Sichtverhältnissen an der Unfallstelle hätte der Beklagte Ziffer 1 an der bezeichneten Stelle überhaupt nicht rückwärts fahren dürfen, er hätte vielmehr an einer anderen Stelle wenden müssen und so den angestrebten Punkt erreichen. Der Beklagte Ziff. 1 schätzte die Situation diesbezüglich falsch ein, da er meinte, der auf seiner Fahrbahn herannahende Verkehr hätte auf die Gegenfahrbahn ausweichen können. Dies ist nach den Ausführungen des Sachverständigen aufgrund der Sichtverhältnisse nicht möglich. Hinzu kommt, dass eingeräumter Grund der Rückwärtsfahrt nicht etwa ein nicht anders zu überwindendes Verkehrshindernis war sondern das Bestreben nach einem besseren Blickwinkel für ein Foto.

3.

Allerdings ist dem Kläger ein – allerdings vergleichsweise geringfügiges Mitverschulden an dem Unfall vorzuwerfen. Der Kläger hat zunächst nicht den ihn obliegenden Beweis geführt, dass der Unfall für ihn ein unabwendbares Ereignis war. Bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h hätte der Anhalteweg unter Berücksichtigung der Kurvenschräglage 55 Meter betragen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen lag die Bremsausgangsgeschwindigkeit des Klägers jedoch bei zwischen 65 und 75 km/h. Der Kläger hat somit die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mindestens 5 km/h überschritten. Hinsichtlich des Klägers liegt somit eine zumindest geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung und/oder eine Bremsüberreaktion vor. Die Geschwindigkeitsüberschreitung wurde deshalb unfallursächlich, weil sie den Anhalteweg des Klägers verlängerte. Bewiesen ist aus Sicht der insoweit beweispflichtigen Beklagten, dass der Kläger 5 km/h schneller als die an der Unfallstelle zulässigen 60 km/h fuhr. Die Kurvengrenzgeschwindigkeit, die der Sachverständige mit 75 km/h errechnete, hat der Kläger selbst dann nicht überschritten, wenn der Kläger die Kurve mit der aufgrund der Spurzeichnung höchstmöglichen Geschwindigkeit befahren hat. Die eigene Geschwindigkeit war somit nicht ursächlich für den Sturz des Klägers.

Einen schuldhaften Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO darüber hinaus, haben die Beklagten nicht bewiesen. Wenn man davon ausgeht, dass der Kläger, mit einer Geschwindigkeit von 65 km/ h fuhr (eine höhere Geschwindigkeit haben die für ein Mitverschulden beweispflichtigen Beklagten nicht bewiesen) und er somit einen Anhalteweg – unter Berücksichtigung der Kurvenschräglage des Motorrades – von 62 Metern hatte, ergibt sich keine dem Kläger vorwerfbare Überreaktion. Die Sichtweite beträgt an der Unfallstelle ca. 100 Meter. Der Beklagte Ziff. 2 fuhr rückwärts auf den Kläger zu. Sichere Feststellungen zu der Geschwindigkeit des Beklagten Ziff. 2 bei der Rückwärtsfahrt konnten nicht getroffen werden. Die Zeugin … , Ehefrau des Beklagten Ziff. 2, gab an, ihr Ehemann sei langsam rückwärts gefahren. Die Angaben der Zeugin erscheinen glaubhaft. Die Zeugin beschränkte ihre Angaben auf den von ihr wahrnehmbaren Sachverhalt. Die Geschwindigkeit des Beklagten Ziff. 2 dürfte somit zwischen 5 und 10 km/h gelegen haben. Bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h hätte der Motor des Beklagtenfahrzeuges lauft aufgeheult, so dass dies in krassem Widerspruch zu den Angaben der Zeugin … stünde. Bei einer Geschwindigkeit von 10 km/h legte der Kläger in einer Sekunde 15,2 Meter zurück. Somit standen dem Kläger mindestens 84,8 Meter für seine Bremsung zur Verfügung. Auf dieser Strecke ist bei einem Anhalteweg von 62 Metern eine gefahrlose Bremsung zwar möglich. Allerdings ist dem Kläger vorliegend eine Bremsüberreaktion deshalb nicht vorzuwerfen, weil er von einem gefährlichen nicht zu vermutenden Ereignis überrascht wurde (vgl. Jagow-Heß Straßenverkehrsecht 20. Aufl. § 1 StVO Rz 13). Mit rückwärts fahrenden Fahrzeugen musste der Kläger an der Unfallstelle nicht rechnen. Zudem war für ihn – wie der Sachverständige bestätigte – die Geschwindigkeit des rückwärts fahrenden Fahrzeuges schwer einschätzbar. Unter diesen Umständen erscheint die Reaktion des Klägers mit einer Vollbremsung nicht unangemessen. Zum selben Ergebnis gelangt man, wenn man dem Kläger vorliegend über die Reaktionszeit hinaus, angesichts des plötzlich auftretenden unerwarteten Hindernisses eine sog. Schreckzeit über die normale Reaktionszeit hinaus zubilligt (vgl. Jagow -Heß Straßenverkehrsecht 20. Aufl. § 1 StVO Rz 13). Bei einer Schreckzeit von lediglich 1 Sekunde beträgt der vom Kläger in dieser Zeit zurückgelegte Weg bei einer Geschwindigkeit von 65 km/h bereits 18, 05 Meter.

4.

Die Abwägung der Verursachungsbeiträge führt zum Ergebnis, dass die Beklagten zu 3/4 für die Unfallfolgen einstehen müssen (§ 17 StVG).

Der Kläger hat somit Anspruch auf Zahlung von 6399,97 € für seinen materiellen Schaden. Der entstandene Fahrzeugschaden in Höhe von 6453,78 und die Gutachterkosten in Höhe von 690 € sind unstreitig. Den weiteren Sachschaden an der Ausrüstung hat der Kläger mit einem Neuwert von 1826 € überzeugend belegt. Die Beklagten haben hiergegen und gegen den vom Kläger vorgenommen Abzug Neu für Alt keine weiteren Einwände erhoben, der Abzug erscheint angemessen, so dass der weitere Sachschaden mit 1369,50 € korrekt berechnet wurde. Als Pauschale für die sonstigen Unkosten gewährt das Gericht in ständiger Rechtsprechung 20 €, so dass sich ein Gesamtschaden in Höhe von 8.533,29 € errechnet.

5.

Für die erlittenen Verletzungen hat der Kläger Anspruch auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 800,00 €. Der Kläger erlitt multiple Schürfungen und Prellungen an der linke Schulter, dem linken Ellbogen und dem linken Becken. Gerade die Heilung der Schulterverletzung erwies sich als langwierig und schmerzhaft. Bis heute ist die Bewegungsfreiheit in der linken Schulter nicht vollständig hergestellt. Bei der Bemessung des Schmerzensgeld wurde das erhebliche Verschulden des Beklagten Ziff. 1 und das Mitverschulden des Klägers berücksichtigt.

6.

Die Beklagten befinden sich seit dem 04.07.3008 im Verzug und schulden daher gemäß §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 BGB Verzugszinsen. Der Kläger hat aus dem Gesichtspunkt des Verzuges auch Anspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten, allerdings berechnet lediglich aus dem reduzierten Streitwert, der sich aus dem nun Zugesprochenen ergibt.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.


FAQ zu diesem Urteil

  • Warum wurde der Kläger verurteilt, obwohl er nicht zu Schaden kam? Der Kläger wurde verurteilt, weil er den Unfall mitverschuldet hat. Er fuhr mit einer Geschwindigkeit von 65 bis 75 km/h, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit 60 km/h betrug. Diese Geschwindigkeitsüberschreitung führte dazu, dass er den Beklagten Ziffer 1 nicht rechtzeitig sehen und ausweichen konnte.
  • Wie hoch ist das Mitverschulden des Klägers? Das Mitverschulden des Klägers wurde mit 25 % geschätzt. Dies bedeutet, dass die Beklagten für 75 % des Schadens haften müssen.
  • Welche Schmerzensgeldhöhe wurde zugesprochen? Dem Kläger wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 800 € zugesprochen. Dieser Betrag wurde als angemessen erachtet, da der Kläger eine Schulterverletzung erlitt, die noch heute zu Bewegungseinschränkungen führt.
  • Was ist der Unterschied zwischen einer Haftung und einer Verschuldensquote? Haftung bedeutet, dass jemand für einen Schaden einstehen muss, auch wenn er ihn nicht selbst verursacht hat. Verschuldensquote bedeutet, dass der Schaden anteilig auf die Beteiligten verteilt wird. Im vorliegenden Fall ist der Beklagte Ziffer 1 für den Schaden zu 75 % und der Kläger zu 25 % verantwortlich.
  • Was ist eine Rückwärtsfahrt in einer Kurve? Eine Rückwärtsfahrt in einer Kurve ist eine Fahrt in umgekehrter Richtung, die in einer Kurve stattfindet. Diese Art der Fahrt ist besonders gefährlich, da der Fahrer einen eingeschränkten Blick nach hinten hat und dadurch andere Verkehrsteilnehmer nicht rechtzeitig sehen kann.
  • Was ist eine Geschwindigkeitsüberschreitung? Eine Geschwindigkeitsüberschreitung liegt vor, wenn ein Fahrzeug mit einer höheren Geschwindigkeit als der zulässigen Höchstgeschwindigkeit fährt.
  • Was ist ein Mitverschulden? Ein Mitverschulden liegt vor, wenn ein Unfall durch das Verhalten mehrerer Personen verursacht wird. Die Beteiligten sind dann anteilig für den Schaden verantwortlich.

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