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Überschwemmungsschaden und Teilkaskoschaden

 

BUNDESGERICHTSHOF

Az.: IV ZR 154/05

Urteil vom 26.04.2006

Vorinstanzen:

AG Essen-Borbeck, Az.: 6 C 320/04, Urteil vom 07.12.2004

LG Essen, Az.: 10 S 34/05, Urteil vom 12.05.2005


Leitsätze:

Eine Überschwemmung im Sinne von § 12 (1) I Buchst. c AKB liegt auch dann vor, wenn so starker Regen auf einen Berghang niedergeht, dass er weder vollständig versickert noch sonst geordnet auf natürlichem Weg abfließen kann, sondern sturzbachartig den Hang hinunterfließt.


In dem Rechtsstreit hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2006 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 12. Mai 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte, ihre frühere Prozessbevollmächtigte, wegen der Verletzung anwaltlicher Pflichten auf Schadensersatz in Anspruch.

Im August 2002 war die Klägerin mit ihrem Pkw, für den sie eine Kraftfahrzeugteilversicherung (Teilkasko) mit einer Selbstbeteiligung genommen hatte, im Urlaub auf Sizilien unterwegs. Am 28. August 2002 befuhr sie eine Bergstraße auf der vom Berghang aus gesehen äußeren Fahrbahn. Da es an den vorangegangenen Tagen nahezu ununterbrochen sehr stark geregnet hatte, flossen erhebliche Niederschlagsmengen sturzbachartig über den Steilhang in Richtung Fahrbahn ab. Dabei wurden auch auf dem Hang liegende Gesteinsbrocken vom Wasser mitgerissen. Die Klägerin bemerkte einen solchen großen Stein auf dem vor ihr liegenden Teil des Berghangs. Da sie erkannte, dass der Stein auf die Straße stürzen würde, leitete sie zur Vermeidung einer Kollision ein Ausweichmanöver nach rechts ein. Trotzdem wurde ihr Pkw von dem Stein an der linken vorderen Felge getroffen. Infolge des Ausweichmanövers stieß der Pkw gegen die am rechten Fahrbahnrand verlaufende Begrenzungsmauer der Bergstraße. Der Klägerin entstand ein Schaden in Höhe von insgesamt 2.417,04 €. Davon entfielen auf den durch die Kollision mit dem Stein an der linken Fahrzeugseite entstandenen Schaden 1.288,67 €.

Ihre gegen den Versicherer gerichtete Klage auf Erstattung des Gesamtbetrages wies das Amtsgericht mit der Begründung ab, es habe keine Überschwemmung im Sinne des § 12 (1) I c AKB vorgelegen. Diese Klausel lautet auszugsweise:

„Die Fahrzeugversicherung umfasst die Beschädigung (¼ ) des Fahrzeugs (¼ ) in der Teilversicherung (¼ ) durch unmittelbare Einwirkung von (¼ ) Überschwemmung auf das Fahrzeug. (¼ ) Eingeschlossen sind Schäden, die dadurch verursacht werden, dass durch diese Naturgewalten Gegenstände auf oder gegen das Fahrzeug geworfen werden.

Ausgeschlossen sind Schäden, die auf ein durch diese Naturgewalten veranlasstes Verhalten des Fahrers zurückzuführen sind;“

Die als Prozessbevollmächtigte der Klägerin tätige Beklagte versäumte schuldhaft die Berufungsbegründungfrist.

Die Klägerin hat daraufhin ihre frühere Prozessbevollmächtigte wegen positiver Verletzung des Anwaltsvertrages in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat die Klage mangels Schadens abgewiesen, weil eine bedingungsgemäße Überschwemmung nicht vorgelegen habe.

Das Rechtsmittel der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt sie ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts liegt eine „Überschwemmung“ im Sinne des § 12 (1) I c AKB vor, wenn Wasser in erheblichem Umfang meist mit schädlichen Wirkungen nicht auf normalem Wege abfließe, sondern auf sonst nicht in Anspruch genommenem Gelände in Erscheinung trete und dieses überflute. Dass ein Gewässer über die Ufer trete, sei nicht erforderlich. Gemessen daran fehle es hier an einer Überschwemmung, da auf einen Berghang auftreffendes Regenwasser üblicherweise auch über diesen abfließe, also gerade nicht auf einem sonst nicht in Anspruch genommenen Gelände in Erscheinung trete.

Zwar habe der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 21. Mai 1964 – II ZR 9/63 – VersR 1964, 712 die Voraussetzungen einer Überschwemmung bejaht, wenn sich Erdreich, Steine u. ä. mit dem auf den Hang auftreffenden Regenwasser vermischten, mit ihm abflössen und dann gegen einen Pkw geschleudert würden. Nach den damals getroffenen Feststellungen habe der betreffende Berghang jedoch über Abflussrinnen verfügt, über die die großen Regenwassermengen nicht mehr geordnet hätten abgeleitet werden können. Das Wasser sei vielmehr teilweise über den Hang abgeflossen, teilweise in ihn eingedrungen. Zu vergleichbaren Abflussvorrichtungen habe die Klägerin hier nichts vorgetragen.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1.

Für die Auslegung des Begriffs „Überschwemmung“ in § 12 (1) I c AKB kommt es auf das Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers an, das sich am Wortlaut der Klausel und deren Sinn und Zweck orientiert (BGHZ 123, 83, 85). Dieser wird die Klausel dahin verstehen, dass ihm das aus dem täglichen Leben bekannte Risiko eines Überschwemmungsschadens abgenommen werden soll. Vor diesem Hintergrund erschließt sich der Begriff der Überschwemmung – mangels näherer Anhaltspunkte in der Klausel selbst – für ihn unter Rückgriff auf den allgemeinen Sprachgebrauch (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 1983 – IVa ZR 51/82 – VersR 1984, 28 unter I 3 für den Sturmschaden). Danach liegt – wie der Bundesgerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 21. Mai 1964 – II ZR 9/63 – VersR 1964, 712 – erkannt hat, eine Überschwemmung im Sinne der Klausel vor, wenn Wasser in erheblichem Umfang meist mit schädlichen Wirkungen nicht auf normalem Wege abfließt, sondern auf sonst nicht in Anspruch genommenem Gelände in Erscheinung tritt und dieses überflutet. Dagegen setzt eine Überschwemmung im Sinne des § 12 (1) I c AKB nicht voraus, dass ein Gewässer über die Ufer tritt. Das sieht auch das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend.

2.

Nicht zu folgen ist dagegen seiner Auffassung, bei diesem Begriffsverständnis könne eine Überschwemmung dann nicht vorliegen, wenn Regenwasser auf einen Berghang treffe, weil das Wasser üblicherweise über dieses Gelände abfließe, also gerade nicht auf sonst nicht in Anspruch genommenem Gelände in Erscheinung trete. Das greift zu kurz und lässt sich auch nicht mit dem dafür in Anspruch genommenen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Mai 1964 (aaO) vereinbaren.

Denn eine Überschwemmung im Sinne der Klausel liegt auch dann vor, wenn starker Regen auf einem Berghang in einem Maße niedergeht, dass er weder vollständig versickert oder sonst geordnet über natürliche Wege (z.B. Rinnen oder Furchen) abfließen kann; auch insoweit tritt Wasser auf sonst nicht in Anspruch genommenem Gelände in Erscheinung, wenngleich es sich aufgrund der Hanglage nicht sammelt, sondern – sturzbachartig – den Hang hinab fließt.

3.

Einer unmittelbaren Einwirkung einer Überschwemmung auf das versicherte Fahrzeug, wie sie § 12 (1) I c AKB voraussetzt, steht auch nicht entgegen, dass – wovon im Revisionsverfahren auszugehen ist – das auf den Berghang auftreffende und über diesen abfließende Wasser Steine mit sich geführt hat, von denen dann einer gegen das Fahrzeug geraten ist (vgl. schon BGH, Urteil vom 21. Mai 1964 aaO; OLG Celle VersR 1979, 178).

III.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

Gemäß § 12 (1) I c Satz 4 AKB sind diejenigen Schäden vom Versicherungsschutz nicht umfasst, die auf ein durch die betreffende Naturgewalt veranlasstes Verhalten des Fahrers zurückzuführen sind. Danach darf zwischen die durch das Naturereignis bedingte Einwirkung und deren Erfolg, also die Beschädigung oder Zerstörung des Kraftfahrzeugs, keine weitere Ursache treten. Diese Klarstellung, die keinen echten Risikoausschluss enthält, da sich die Beschränkung des Versicherungsschutzes schon aus dem Erfordernis der Unmittelbarkeit der Verursachung ergibt (OLG Hamm NJW-RR 1989, 26, 27; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 12 AKB Rdn. 40; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung 17. Aufl. § 12 Rdn. 54), trägt dem Umstand Rechnung, dass die Kfz-Teilversicherung im Unterschied zur Vollversicherung im Sinne des § 12 (1) II AKB nur Schäden deckt, die durch ganz bestimmte Ursachen ausgelöst worden sind. Es sollen die Fälle vom Versicherungsschutz ausgenommen werden, in denen das Naturereignis „Überschwemmung“ die Reaktion des Fahrers im Sinne eines mitursächlichen Abweichens vom Normalverhalten beeinflusst, weil in diesen Fällen die Grenze zwischen dem (vollkaskoversicherten) Risiko des Fahrerverhaltens und dem (teilkaskoversicherten) Risiko des Überschwemmungsschadens nur schwer zu ziehen ist (OLG Köln RuS 1986, 27, 28; OLG Hamburg VersR 1972, 241, 242; OLG Karlsruhe VersR 1968, 889). Soweit der Pkw infolge einer Ausweichbewegung der Klägerin und des dadurch bedingten Auftreffens auf die Begrenzungsmauer der Straße beschädigt wurde, ist der Versicherer deshalb nicht aus § 12 (1) I c AKB zur Leistung verpflichtet. Ob die Klägerin insoweit ein Verschulden trifft, ist unerheblich (OLG Hamburg aaO).

Die Revision weist allerdings zutreffend darauf hin, dass der Klägerin gegen den Versicherer insoweit ein Aufwendungsersatzanspruch wegen Rettungskosten (§§ 62, 63 VVG) zustehen könnte (vgl. BGHZ 113, 359). Das wird vom Berufungsgericht gegebenenfalls zu prüfen sein.

 

 

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