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Umfasst Gerichtstandsvereinbarung auch deliktische Ansprüche?

BayObLG – Az.: 101 AR 67/22 – Beschluss vom 12.09.2022

Der Antrag auf Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts wird zurückgewiesen.

Gründe

Mit ihrer zum Landgericht Schweinfurt erhobenen Klage machte die Antragstellerin – aus eigenem und aus abgetretenem Recht – zunächst nur gegen die jetzige Antragsgegnerin zu 1) Schadensersatzansprüche wegen der Lieferung mangelhafter Zylinderstifte geltend. Sie erweiterte ihre Klage mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2021 auf die Antragsgegnerin zu 2).

Die Antragstellerin und die Antragsgegnerinnen sind Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Die Antragstellerin hat ihren Sitz im Bezirk des Landgerichts Schweinfurt, die Antragsgegnerin zu 1) im Bezirk des Landgerichts Mannheim und die Antragsgegnerin zu 2) im Bezirk des Landgerichts Hagen.

Zur Begründung ihrer Ansprüche führt die Antragstellerin insbesondere aus, die Antragsgegnerin zu 1) habe sie aufgrund jeweils abgeschlossener Einzellieferverträge, deren Bedingungen in dem Rahmenliefervertrag nebst Änderungsvereinbarung vom 7. April 2014 (Anlage K 7) festgelegt worden seien, mit einem Zylinderstift aus Stahl 100Cr6 (Pin) beliefert, den sie in Modulschaltdomen für Schaltgetriebe in Kraftfahrzeugen verbaut habe. Ab 6. August 2018 (vgl. Anlage K 16) seien die Lieferabrufe von ihrer Tochtergesellschaft … s. r. o., in … Tschechische Republik erfolgt, da die Modulschaltdome nunmehr dort produziert worden seien. Auch mit der … s. r. o. habe die Antragsgegnerin zu 1) über den Rahmenvertrag (Anlage K 7) in einer Vertragsbeziehung gestanden. Die Pins seien bei der jetzigen Antragsgegnerin zu 2) wärmebehandelt, d. h. gehärtet worden. Die gelieferten Pins einer bestimmten Charge seien mangelhaft gewesen, sie hätten nicht die vereinbarten Werte für Zähigkeit und Biegefestigkeit erfüllt, sodass es zu Anrissen und Brüchen von Pins gekommen sei. Als Ursache habe ein Sachverständigenbüro eine fehlerhafte Wärmebehandlung festgestellt. Die fehlerhaften Pins seien bei der Antragstellerin bzw. der … s. r. o. in die Welle (Shiftshaft) des Modulschaltdoms eingepresst und damit untrennbar verbunden worden. Mit dem Einbau der Pins sei auch eine Eigentumsverletzung an den Modulschaltdomen der Antragstellerin eingetreten. Da die Antragsgegnerin zu 2) die Pins fehlerhaft gehärtet habe, hafte auch sie aus Delikt.

Die … s. r. o. habe ihre vertraglichen und gesetzlichen Ansprüche gegen die beiden Antragsgegnerinnen aufgrund der Lieferung fehlerhafter Vertragsprodukte im Jahr 2018 an die Antragstellerin abgetreten (Anlage K 1). Ihr Geschäftsführer sei zugleich einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Zedentin.

Der nach der Eingangsformel zwischen der Antragstellerin und der … s. r. o. auf der einen Seite („Bestellerin“) und der Antragsgegnerin zu 1) auf der anderen Seite („Lieferant“) geschlossene „Rahmenliefervertrag vom 25.2.2014“ (Anlage K 7) wurde für die Lieferantin laut Unterschriftszeile am 4. April 2014 …und für die Bestellerseite am 7. April 2014 … unterzeichnet. In der Änderungsvereinbarung, auf die im Rahmenvertrag Bezug genommen wird, hat die Bestellerin über der Unterschrift ebenfalls den 7. April 2014 angegeben, die Lieferantin den 4. April 2013 (sic).

§ 13 Abs. 5 des Rahmenvertrags lautet:

„Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem und im Zusammenhang mit diesem Vertrag ergeben, ist der Geschäftssitz der Bestellerin.“

Nach § 13 Abs. 6 dieses Vertrags findet auf den Vertrag das Recht der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme des UN-Kaufrechts Anwendung. Aus § 1 des Vertrags ergibt sich, dass Vertragsgrundlagen der Rahmenliefervertrag, die jeweiligen Einzellieferverträge sowie die Anlagen zu dem Vertrag in dieser Reihenfolge sind und dass die Bestimmungen dieses Vertrags vorgehen, sollte es zu Widersprüchen zwischen den Vertragsbedingungen und den Anlagen kommen. Die Überschrift zu § 2 des Rahmenvertrags lautet „Vertragsgegenstand“, die zu § 10 des Rahmenvertrags „Mängelansprüche aufgrund der Lieferung“.

Die Änderungsvereinbarung enthält Regelungen zu § 2 Abs. 1 und 2 sowie § 10 Abs. 4 und 6 des Rahmenvertrags sowie zu den allgemeinen Einkaufbedingungen der … Group. § 10 Abs. 4 des Rahmenvertrags, der Mangelfolgeschäden betrifft, wird nach der Änderungsvereinbarung wie folgt ergänzt:

„Steht die Maßgabe der Allgemeinen Einkaufsbedingung der … Group im Widerspruch zur Maßgabe des Rahmenliefervertrags, so haben die Vorgaben der Allgemeinen Einkaufsbedingungen Vorrang.“

In der Änderungsvereinbarung heißt es außerdem:

„Allgemeine Einkaufbedingungen:

IV 2.: Steht die Maßgabe der Allgemeinen Einkaufsbedingungen der … Group im Widerspruch zur Maßgabe des Rahmenliefervertrages, so haben die Vorgaben der Allgemeinen Einkaufsbedingungen Vorrang. …“

Allgemeine Einkaufsbedingungen der „… Group“ hat die Antragstellerin nicht vorgelegt, ihre eigenen Allgemeinen Einkaufsbedingungen regeln in Ziffer IV „Liefertermine und – fristen, Lieferverzug„. Ziffer XIII 4 lautet

„Gerichtsstand ist der Sitz des Klägers oder ein anderes zuständiges Gericht.“

Das Landgericht ordnete die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens an. Die Antragsgegnerin zu 1) zeigte ihre Verteidigungsabsicht an und erwiderte auf die Klage, die unbegründet sei. Die Antragsgegnerin zu 2) zeigte ebenfalls ihre Verteidigungsabsicht an und rügte in ihrer Klagerwiderung, das angerufene Gericht sei für die Entscheidung über die aus abgetretenem Recht geltend gemachten Ansprüche international und örtlich nicht zuständig. Insoweit ergebe sich aus der Gerichtsstandsvereinbarung die internationale Zuständigkeit tschechischer Gerichte, denn nach dem Rahmenvertrag sei auch die Zedentin, die ihren Sitz in der Tschechischen Republik habe, Bestellerin. Am Landgericht Schweinfurt bestehe hinsichtlich der aus abgetretenem Recht geltend gemachten Ansprüche auch kein deliktischer Gerichtsstand (Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO). Der Handlungsort liege am Sitz der Antragsgegnerin zu 2), der Erfolgsort am Sitz der Zedentin. In der mündlichen Verhandlung vom 10. März 2022 beantragte die Antragsgegnerin zu 1) Klageabweisung, die Antragsgegnerin zu 2) rügte erneut die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts.

Die Antragstellerin, die in der Klageschrift die Ansicht vertreten hatte, die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus der Gerichtsstandsvereinbarung im Rahmenliefervertrag, da ihr Geschäftssitz im Bezirk dieses Gerichts liege, hat mit Schriftsatz vom 7. März 2022 hilfsweise einen Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gestellt und angeregt, das Landgericht Schweinfurt zu bestimmen. Zur Rüge der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts hat sie ausgeführt, die Antragsgegnerin zu 1) habe sich nach Art. 26 Brüssel-Ia-VO rügelos eingelassen. Der Antragsgegnerin zu 2), die nicht Partei des Rahmenliefervertrags sei, stehe ein Rügerecht unter Berufung auf die Gerichtsstandsvereinbarung nicht zu. Eine Vereinbarung nach Art. 25 Brüssel-Ia-VO wirke nur inter partes. „Hilfsweise“ ergebe die Auslegung der Gerichtsstandsklausel, dass ein einheitlicher Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus dem Rahmenvertrag gemeint sei. Da es sich bei den abgetretenen Forderungen um Streitigkeiten aus oder in Zusammenhang mit diesem Vertrag handele, sei dafür das angerufene Gericht am Sitz der Antragstellerin zuständig. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts auch für die gegen die Antragsgegnerin zu 2) gerichtete Klage ergebe sich aus Art. 8 Nr. 1 Brüssel-Ia-VO, auch wenn keine der Antragsgegnerinnen an ihrem Sitzgerichtsstand in Anspruch genommen werde.

Hilfsweise beantrage sie, eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO herbeizuführen. Sämtliche Streitgenossinnen hätten ihren Sitz in Deutschland. Auch wenn das bestimmende Gericht von einem grenzüberschreitenden Bezug ausgehen sollte, sei die Norm anwendbar, da hinsichtlich der Antragsgegnerinnen die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben sei. Es bestehe kein gemeinsamer besonderer deliktischer Gerichtsstand. Weder die Abtretung der Ansprüche der … s. r. o. an die Antragstellerin noch die Gerichtsstandsvereinbarung stehe einer Bestimmung – des Landgerichts Schweinfurt – entgegen. Dies sei der Antragsgegnerin zu 2) auch zumutbar.

Die Antragsgegnerin zu 2) ist dem Antrag entgegengetreten. Es fehle für die aus abgetretenem Recht gegen sie geltend gemachten deliktischen Ansprüche an einem internationalen Gerichtsstand in Deutschland, sodass für eine Bestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kein Raum sei. Auch hinsichtlich der Ansprüche aus eigenem Recht sei das angerufene Gericht nicht zuständig. Der Gerichtsstand aus § 32 ZPO liege an ihrem Sitz. Eine besondere Sachnähe des angerufenen Gerichts sei für die gegen sie gerichteten Ansprüche nicht erkennbar. Eine Befassung des Gerichts mit der Sache habe bislang noch nicht stattgefunden. Es sei nicht ersichtlich, weshalb, soweit erforderlich, das angerufene Gericht auch für die gegen sie gerichteten Ansprüche als zuständiges Gericht bestimmt werden sollte.

Mit Beschluss vom 18. Mai 2022 hat das Landgericht Schweinfurt das Verfahren auf Antrag der Antragstellerin gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO dem Oberlandesgericht Bamberg vorgelegt. Die Antragsgegnerin zu 2) weise zutreffend darauf hin, dass für die gegen sie aus abgetretenem Recht geltend gemachten deliktischen Ansprüche kein deliktischer Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts Schweinfurt bestehe. Die Antragstellerin könne sich auch nicht auf den Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 Brüssel-IaVO berufen. Das Oberlandesgericht Bamberg hat mit Verfügung vom 30. Mai 2022 das Verfahren dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt.

Die Parteien haben im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung erhalten.

Die Antragstellerin hat ihre Argumentation, die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO lägen vor, vertieft und insbesondere vorgetragen, zwischen ihr und der Zedentin einerseits und der Antragsgegnerin zu 1) andererseits bestehe eine Gerichtsstandsvereinbarung, die nicht ausschließlich sei. Mit der Gerichtsstandsvereinbarung in § 13 Abs. 5 des Rahmenvertrags habe ein einheitlicher Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus dem Rahmenvertrag geschaffen werden sollen. Auch bei den an sie abgetretenen Forderungen der … s. r. o. handele sich um Streitigkeiten aus oder in Zusammenhang mit diesem Vertrag. Die Einkaufsbedingungen hätten nach der Zusatzvereinbarung vom „04./07.04.2022 (Anlage K7)“ Vorrang vor abweichenden Bestimmungen des Rahmenvertrags, die Zusatzvereinbarung habe wiederum Vorrang vor dem Rahmenvertrag und den Einkaufsbedingungen. Nach Ziffer XII 4 der somit vorrangigen Allgemeinen Einkaufsbedingungen sei Gerichtsstand der Sitz des Klägers oder ein anderes zuständiges Gericht. Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen stünden mithin der Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands nicht entgegen: Mit der Antragsgegnerin zu 2) sei ein Gerichtsstand nicht vereinbart worden, die zwischen ihr und der Antragsgegnerin zu 1) getroffene Gerichtsstandsvereinbarung sei nicht ausschließlich. Im Übrigen sei der prorogierte Gerichtsstand der Antragsgegnerin zu 2) auch zumutbar.

Die Antragsgegnerin zu 2) hat einer Bestimmung des Landgerichts Schweinfurt als zuständiges Gericht widersprochen, in dessen Bezirk keine der Antragsgegnerinnen ihren allgemeinen Gerichtsstand habe. Sollte das Gericht wider Erwarten davon ausgehen, die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO seien erfüllt, werde die Bestimmung des Landgerichts Hagen angeregt.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist nach § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO für das Bestimmungsverfahren zuständig.

Das Gericht, bei dem die Klage anhängig ist, und das Gericht, bei dem die Antragsgegnerin zu 2) ihren allgemeinen Gerichtsstand hat, liegen in unterschiedlichen Oberlandesgerichtsbezirken (Bamberg und Hamm), sodass das im Rechtszug zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht im Sinne des § 36 Abs. 1 ZPO der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle ist zur Entscheidung über das Gesuch das Bayerische Oberste Landesgericht berufen, weil das zuerst angerufene Gericht in Bayern liegt.

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Die Argumentation der Antragsgegnerin zu 2) zur fehlenden internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte hinsichtlich der gegen sie geltend gemachten Ansprüche aus abgetretenem Recht greift nicht durch. Ihr allgemeiner Gerichtsstand im Inland (Art. 4 Abs. 1, Art. 63 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO) wurde nicht gemäß Art. 25 Brüssel-Ia-VO derogiert (vgl. Gottwald in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, Brüssel-Ia-VO Art. 4 Rn. 6), da sie mit der … s. r. o. in keiner Vertragsbeziehung steht. Die zwischen der … s. r. o. und der Antragsgegnerin zu 1) getroffene Gerichtsstandsvereinbarung entfaltet – unabhängig davon, welches Gericht vereinbart worden ist – für die Antragsgegnerin zu 2) keine Wirkungen.

2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen nicht vor.

Der Zuständigkeitsbestimmung steht im Streitfall entgegen, dass mit der Antragsgegnerin zu 1) ein ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart worden ist. Das mit einem Streitgenossen als ausschließlich zuständig vereinbarte Gericht kann ausnahmsweise nur dann gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bestimmt werden, wenn es dem anderen Streitgenossen unter Berücksichtigung der mit der Prorogation verfolgten Zwecke zugemutet werden kann, sich ebenfalls vor diesem Gericht verklagen zu lassen. Daran fehlt es hier.

a) Maßgeblich ist die in § 13 Abs. 5 des Rahmenvertrags enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung.

Parteien sowohl dieses Vertrags als auch der Änderungsvereinbarung sind auf Bestellerseite sowohl die Antragstellerin als auch die … s. r. o.. Hinsichtlich der Frage, welche Regelung bei Widersprüchen zwischen den Regelungen in dem Rahmenvertrag und denen in den Einkaufsbedingungen Vorrang hat, sind die Vereinbarungen nach §§ 133, 157 BGB auszulegen, da die Parteien die Anwendbarkeit deutschen Rechts vereinbart haben.

Die Antragstellerin übersieht bei ihrer Argumentation, die Gerichtsstandsvereinbarung in ihren Einkaufsbedingungen sei maßgeblich, die in § 1 des Rahmenvertrags getroffene Regelung. Danach gehen die Bestimmungen des Rahmenvertrags vor. Eine davon abweichende Regelung haben die Parteien hinsichtlich der Gerichtsstandsvereinbarung nicht getroffen. Mit der im Anlagenkonvolut K 7 vorgelegten Änderungsvereinbarung, die von der Antragstellerin irrtümlich als „Zusatzvereinbarung vom 04./07.04.2022“ bezeichnet wird, haben die Parteien nur punktuell geregelt, dass die Einkaufsbedingungen Vorrang genießen. Sie haben weder eine generelle Änderung des § 1 des Rahmenvertrags noch eine Änderung der Gerichtsstandsvereinbarung in § 13 Abs. 5 des Rahmenvertrags vereinbart. Hinsichtlich eines Mangelfolgeschadens (§ 10 Abs. 4 des Rahmenvertrags) sollen zwar nach der Ergänzung in der Änderungsvereinbarung die Allgemeinen Einkaufsbedingungen Vorrang genießen, dies gilt jedoch nur hinsichtlich der Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs, nicht dagegen hinsichtlich der Gerichtsstandsvereinbarung in § 13 Abs. 5 des Rahmenvertrags.

b) Für Ansprüche, die die Antragstellerin wegen der Lieferung mangelhafter Pins, die sie selbst bei der Antragsgegnerin zu 1) auf der Grundlage des Rahmenvertrags bestellt hat, geltend macht, hat sie mit der Antragsgegnerin zu 1) wirksam die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Schweinfurt vereinbart. Auf die Gerichtsstandsvereinbarung zwischen der … s. r. o. und der Antragsgegnerin zu 1) kommt es nicht entscheidend an.

aa) Hinsichtlich der von der Antragstellerin bestellten Pins ist die Gerichtsstandsvereinbarung an § 38 Abs. 1, § 40 ZPO zu messen, während hinsichtlich der von der … s. r. o bestellten Pins Art. 25 Brüssel-Ia-VO einschlägig ist. Die Parteien sind bei Abschluss des Rahmenvertrags davon ausgegangen, dass die Abrufe bei der Lieferantin durch die Antragstellerin oder durch die … s. r. o. erfolgen, denn beide Gesellschaften werden als Bestellerin bezeichnet. Die Gerichtsstandsklausel gilt für Streitigkeiten aus dem auf Grund des Rahmenvertrags jeweils – entweder von der Antragstellerin oder der … s. r. o mit der Antragsgegnerin zu 1) – abgeschlossenen Kaufvertrag.

Für das Bestimmungsverfahren unerheblich ist, in welchem Umfang die Ansprüche auf Bestellungen der … s. r. o. bzw. der Antragstellerin gestützt werden, die ihre Ansprüche im Übrigen nun aus eigenem Recht und hilfsweise aus abgetretenem Recht geltend macht (Seite 2 des Schriftsatzes vom 30. Juni 2022). Eine Bestimmungsentscheidung könnte nur „für den Rechtsstreit“ erfolgen, also sowohl für Ansprüche aus eigenem Recht als auch für etwaige hilfsweise erhobene Ansprüche aus abgetretenem Recht.

bb) Beide Parteien sind als Gesellschaften mit beschränkter Haftung prorogationsbefugt (§ 38 Abs. 1 ZPO, § 13 Abs. 3 GmbHG). Die Gerichtsstandsvereinbarung bezieht sich auf Rechtsstreitigkeiten, die sich aus und im Zusammenhang mit dem Rahmenvertrag ergeben, und damit auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis im Sinne des § 40 Abs. 1 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 40 Rn. 3).

cc) Die zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 1) in § 13 Abs. 5 des Rahmenvertrags getroffene Gerichtsstandsvereinbarung ist hinreichend bestimmt.

Die Parteien haben sich auf ein durch Auslegung bestimmbares Gericht geeinigt, nämlich das Landgericht Schweinfurt. Zwar wird in der Klausel auf den „Geschäftssitz der Bestellerin“ abgestellt, ohne explizit zu regeln, in welchen Konstellationen der Geschäftssitz der Antragstellerin und nicht der der in der Tschechischen Republik ansässigen (Tochter-)Gesellschaft maßgeblich ist, die ebenfalls als Bestellerin bezeichnet wird. Welche Gesellschaft Bestellerin ist, wird aber durch den auf der Grundlage des Rahmenvertrags erfolgten Abruf der Ware konkretisiert. Jedenfalls für Rechtsstreitigkeiten aus Bestellungen der Antragstellerin auf der Grundlage des Rahmenvertrags haben die Parteien den inländischen Geschäftssitz der Antragstellerin als Gerichtsstand vereinbart. Dass die Parteien für diese – nach deutschem Recht zu beurteilenden – Rechtsstreitigkeiten keinen Gerichtsstand in Deutschland vereinbaren wollten, ist fernliegend. Wie die zwischen der … s. r. o. und der Antragsgegnerin zu 1) getroffene Gerichtsstandsvereinbarung auszulegen ist, bedarf hier keiner Entscheidung, da eine etwaige Mehrdeutigkeit dieser Klausel nicht zu einer Unklarheit der Gerichtsstandsvereinbarung zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 2) führt.

Dass die Gerichtsstandsvereinbarung im Rahmenvertrag Allgemeine Geschäftsbedingung sei, wird weder von den Parteien behauptet noch gibt es dafür hinreichende konkrete Anhaltspunkte. Auch wenn es sich nicht um eine Individualabrede handeln sollte, führt dies zu keinem anderen Auslegungsergebnis.

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden (vgl. BGH, Urt. v. 17. Oktober 2019, III ZR 42/19, BGHZ 223 Rn. 34; BayObLG, Beschluss vom 12. Februar 2020, 1 AR 94/19). Soweit die Gerichtsstandsvereinbarung Rechtsstreitigkeiten aus Bestellungen der Antragstellerin und damit rein inländische Sachverhalte betrifft, ist sie weder überraschend noch intransparent. Selbst wenn sie an den allgemeinen Gerichtsstand der Antragstellerin als Klauselverwenderin anknüpft, hat sie keinen ungewöhnlichen Inhalt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 5. März 2020, 1 AR 2/20). Die Klausel genügt den Anforderungen des Transparenzgebots (vgl. BayObLG, Beschluss vom 26. Oktober 2021, 101 AR 148/21). Für die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB ist kein Raum (vgl. Grüneberg in Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 305c Rn. 15), weil die Klausel für Rechtsstreitigkeiten aus Bestellungen der Antragstellerin eindeutig dahin auszulegen ist, dass deren Geschäftssitz maßgeblich ist.

dd) Es handelt sich um eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung.

Bei der Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung streitet im rein inländischen Kontext – anders als nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Brüssel-Ia-VO – weder für die Annahme eines ausschließlichen noch für die eines nur besonderen Gerichtsstands eine Vermutung (vgl. BGH, Beschluss vom 16. August 1995, X ARZ 699/95 m. w. N.; BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020, 1 AR 78/20). Ob die Zuständigkeit als ausschließliche gemeint ist, muss vielmehr anhand der näheren Umstände und der Interessenlage der Beteiligten ermittelt werden.

Bereits der kategorische Wortlaut der Klausel („Gerichtsstand … ist …“) kann auf die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands hindeuten. Das Fehlen einer die Ausschließlichkeit ausdrücklich regelnden Formulierung stellt kein Indiz dafür dar, dass die Bestimmung lediglich fakultativer Natur ist. Vielmehr ist es nicht unüblich, dass die Ausschließlichkeit im Wortlaut von Gerichtsstandsvereinbarungen nicht explizit zum Ausdruck gebracht wird, aber gemeint ist (vgl. BGH, Urt. v. 17. Oktober 2019, III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 Rn. 39; BayObLG a. a. O. Rn. 37). Zudem wurde hier in § 13 Abs. 5 des Rahmenvertrags bewusst eine von der Gerichtsstandsvereinbarung in den allgemeinen Einkaufsbedingungen der Klägerin abweichende Formulierung gewählt. Schließlich besteht hier insofern ein internationaler Bezug, als die Gerichtsstandsvereinbarung auch Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Bestellungen der tschechischen Gesellschaft auf der Grundlage des Rahmenvertrags erfasst. Diese zwischen der … s. r. o. und der Antragsgegnerin zu 1) getroffene Gerichtsstandsvereinbarung als ausschließliche, die mit der Antragstellerin getroffene dagegen nicht als ausschließliche anzusehen, wäre nicht interessengerecht. Etwaige dafür sprechende Anhaltspunkte hat die Antragstellerin auch nicht aufgezeigt.

Für Individualvereinbarungen gibt es keinen Auslegungsgrundsatz, der daran anknüpft, von welcher der Vertragsparteien eine Vertragsklausel eingebracht worden ist (vgl. BayObLG a. a. O. Rn. 36). Auch wenn die Gerichtsstandsklausel als Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehen wäre, stünde dies hier einer Auslegung als ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung nicht entgegen. Zwar wird vertreten, der mutmaßliche Wille des Verwenders gehe dahin, für Passivprozesse eine ausschließliche Zuständigkeit zu bestimmen, sich aber für Aktivprozesse das Wahlrecht nach § 35 ZPO offen zu halten, sodass eine Klausel dergestalt auszulegen sei (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 2. Juni 2015, I-32 SA 19/15; kritisch mit weiteren Rspr.-Nachweisen: Rodi in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2019, Anh zu §§ 305-310 Rn. M 58a). Wie oben dargestellt, bestehen hier jedoch hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Klausel einen ausschließlichen Gerichtsstand am Sitz der Antragstellerin für Ansprüche aus ihren Bestellungen bei der Antragsgegnerin zu 1) begründen sollte.

ee) Die vorliegende Gerichtsstandsvereinbarung ist dahin auszulegen, dass sie auch mit kaufvertraglichen Ansprüchen konkurrierende deliktische Ansprüche umfasst. Dies gilt auch, wenn es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung handeln sollte.

Eine Zuständigkeitsvereinbarung, die für sämtliche Streitigkeiten aus einem Vertrag gelten soll, ist nach wohl überwiegender Meinung in der Regel dahin auszulegen, dass sie neben den vertraglichen Ansprüchen auch die damit konkurrierenden deliktischen Ansprüche in den Grenzen des Streitgegenstandes umfassen soll, weil den Parteien daran gelegen sein wird, eine doppelte Prozessführung zu vermeiden (OLG Stuttgart, Urt. v. 8. November 2007, 7 U 104/07; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 40 Rn. 4 m. w. N.; a. A. Patzina, 6. Aufl. 2020, Münchener Kommentar zur ZPO 6. Aufl. 2020, ZPO § 40 Rn. 5; vgl. zum Meinungstand auch Heinrich in Musielak/Voit, ZPO 19. Aufl. 2022, § 40 Rn. 3).

Die Einbeziehung konkurrierender deliktischer Ansprüche kommt hier hinreichend deutlich zum Ausdruck, da sich die Gerichtsstandsvereinbarung ausdrücklich auch auf Rechtsstreitigkeiten bezieht, die sich im Zusammenhang mit dem Rahmenvertrag ergeben.

c) Der Antragsgegnerin zu 2) ist es im Streitfall nicht zumutbar, sich vor dem Landgericht Schweinfurt zu verteidigen, in dessen Bezirk lediglich die Antragstellerin ihren Sitz hat.

Zutreffend führt die Antragsgegnerin zu 2) aus, eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO setze grundsätzlich voraus, dass die Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand eines Streitgenossen verklagt werden sollen. Nach ständiger Rechtsprechung können allerdings besondere Sachgründe, gegebenenfalls auch eine durch Prorogation begründete ausschließliche Gerichtszuständigkeit, eine Ausnahme von dem Grundsatz zulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2008, X ARZ 105/08, NJW 2008, 3789 Rn. 11; Beschluss vom 9. Oktober 1986, I ARZ 487/86, NJW 1987, 439; Beschluss vom 16. Februar 1984, I ARZ 395/83, BGHZ 90, 155; BayObLG, Beschluss vom 5. März 2020, 1 AR 2/20).

Das mit einem Streitgenossen als ausschließlich zuständig vereinbarte Gericht kann dem durch die Prorogation Begünstigten nicht durch eine Gerichtsstandsbestimmung entzogen werden (BGH, Beschluss vom 19. März 1987, I ARZ 903/86, NJW 1988, 646 [647]; BayObLG, Beschluss vom 25. Juli 2022, 101 AR 36/22 m. w. N.). Den anderen Streitgenossen kann dieses Gericht über eine Bestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nur aufgedrängt werden, wenn ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand mit den übrigen Streitgenossen nicht bestanden hat und zudem den anderen Streitgenossen unter Berücksichtigung der mit der Prorogation verfolgten Zwecke zugemutet werden kann, sich ebenfalls vor diesem Gericht verklagen zu lassen (BGH NJW 2008, 3789 Rn. 11 m. w. N.; BayObLG, Beschluss vom 25. Juli 2022, 101 AR 36/22 m. w. N.; Beschluss vom 9. März 1999, 1Z AR 5/99, BayObLGZ 1999, 75 [77]).

Besondere Umstände, die es nach der Rechtsprechung rechtfertigen können, aus Zweckmäßigkeitsgründen den mit einem Streitgenossen vereinbarten Gerichtsstand nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu bestimmen, wie etwa ein fehlender allgemeiner Gerichtsstand dieses Streitgenossen im Inland (vgl. BGH, NJW 1988, 646 [647]; BayObLG, BayObLGZ 1999, 75 [77]) oder die Erleichterung der Beweisaufnahme (Bestimmung des Gerichts, in dessen Bezirk das Bauwerk steht, für ein selbständiges Beweisverfahren: BayObLG, Beschluss vom 5. August 2022, 101 AR 54/22), sind hier weder vorgetragen, noch ersichtlich. Die Antragstellerin behauptet lediglich pauschal, die Bestimmung des Landgerichts Schweinfurt sei der Antragsgegnerin zu 2) zumutbar.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. Juni 2019, 1 AR 12/18, NJW-RR 2019, 957 Rn. 4 ff.).

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