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Verkehrssicherungspflichtverletzung – 30 cm breites und circa 8 cm tiefes Schlagloch

OLG München – Az.: 1 U 1710/10 – Urteil vom 22.07.2010

I. Auf Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom, 30.12.2009 in Ziffer III aufgehoben und in Ziffer II wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger 2/3 der künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schäden aus dem Fahrradunfall vom 2.4.2006 in P., Kreuzung Bernauer Straße/Seestraße zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

III. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

IV. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Beklagte 63% und der Kläger 37%. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Beklagte 67% und die Klägerin 33%.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Verkehrssicherungspflichtverletzung - 30 cm breites und circa 8 cm tiefes Schlagloch
Symbolfoto:Von Marc Bruxelle /Shutterstock.com

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

Der Kläger beantragt:

1. Den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 9261,90 € und außergerichtliche Kosten in Höhe von 765,64 € zu bezahlen.

2. Festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger künftig entstandene materielle und immaterielle Schäden aus dem Fahrradunfall vom 2.3.2006 in P. zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

3. Die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

1. Das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 30.12.2009 Aktenzeichen 7O 3168/08 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

2. Die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten erwies sich als unbegründet, die Berufung des Klägers dagegen als teilweise begründet.

A. Die Berufung des Beklagten ist unbegründet, da das Landgericht zutreffend und mit überzeugender Begründung eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten bejaht hat.

I. Der Senat stimmt mit dem Landgericht voll überein, dass ein 30 cm breites und circa 8 cm tiefes Schlagloch auf einer auch von Radfahrern viel befahrenen innerörtlichen Straße den Vorwurf der Verkehrssicherungspflichtverletzung begründet.

Grundsätzlich ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst danach diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schaden zu bewahren. Voraussetzung ist, dass sich vorausschauend die naheliegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Soweit es insbesondere um Straßen geht, ist der Verkehrssicherungspflichtige verpflichtet, den Verkehr auf den Straßen, soweit dies mit zumutbaren Mitteln geschehen kann, möglichst gefahrlos zu gestalten, insbesondere den Verkehrsteilnehmer gegen unvermutete, aus der Beschaffenheit der Straße sich ergebende und nicht ohne Weiteres erkennbare Gefahrenquellen zu sichern oder zumindest vor diesen zu warnen. Hierbei wird der Umfang der Verkehrssicherungspflicht maßgebend bestimmt durch die Art und Häufigkeit der Benutzung der Straße und ihre Verkehrsbedeutung. Grundsätzlich muss sich allerdings auch der Straßenbenutzer den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und hat die Straße so hinzunehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige muss deshalb nur diejenigen Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (vgl. OLG Celle NZV 2007, 569 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen liegt eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vor, da ein Radfahrer nicht damit rechnen muss, dass eine stark befahrene innerörtliche Straße ein circa 8 cm tiefes und circa 30 cm breites Schlagloch aufweist. Dies gilt insbesondere, wenn das Loch sich im Kreuzungsbereich befindet. Dieser Zustand ist für den Verkehrsteilnehmer auch objektiv gefährlich, da ein Fahrradfahrer ein Schlagloch dieser Größenordnung nicht stets und ohne weiteres umfahren kann und das Schlagloch eine Tiefe und Breite ausweist, die geeignet ist, einen Fahrradfahrer zu Sturzes zu bringen. Es kommt hinzu, dass ein in die Straße abbiegender Verkehrsteilnehmer die Schadstelle erst sehr spät erkennen kann und beim Abbiegevorgang besondere Aufmerksamkeit auf die übrigen Verkehrsteilnehmer gefordert ist.

Bei wichtigen innerstädtischen Straßen muss ein Fahrradfahrer auch unter Berücksichtigung der angespannten Finanzlage der Kommunen darauf vertrauen dürfen, dass die Straßen keine größeren Schlaglöcher aufweisen.

Die Frage, ob im konkreten Einzelfall der Verkehrsteilnehmer die Gefahrenstelle rechtzeitig hätte erkennen können, darf nicht mit der Frage der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vermengt werden, sondern ist unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens zu berücksichtigen (vgl. OLG Celle a.a.O.).

Insoweit der Beklagte anführt, dass bei Fahrbahnaufbrüchen nur dann von einer Verkehrssicherungspflichtverletzung auszugehen ist, wenn es sich um Fahrbahnaufbrüche mit einer Tiefe um die 20 cm handelt, vermag der Senat dem nicht zu folgen. In keinem der von dem Beklagten zitierten Urteile sind derartige Feststellungen getroffen worden. Das OLG Jena (DAR 2003,69) hat lediglich festgestellt, dass ein Kraftfahrer beim Überfahren eines Absatzes im Straßenbelag nicht mit einem Höhenunterschied von 19 cm rechnen muss und hat eine Verkehrssicherungspflichtverletzung in Abweichung des angefochtenen Urteils bejaht. Das zitierte Urteil des Landgericht Dresden (VersR 1995,600) vermag in keiner Weise die Rechtsposition des Beklagten zu stützen, zum einen hatte das Landgerichts Dresden eine Verkehrssicherungspflichtverletzung bei einem 15 cm tiefen Schlagloch auf einer viel befahrenen Umgehungsstraße bejaht und zum anderen hat das Landgericht darüber hinaus ausgeführt, dass dem Verkehrssicherungspflichtigen in den neuen Bundesländern zumutbar ist, eine stark befahrene Umleitungsstrecke innerorts mindestens wöchentlich auf schwere Mängel (Schlaglöcher) zu überprüfen und diese, gegebenenfalls auch notdürftig, zu beseitigen. Das Landgericht Augsburg (ZFS 1991,404) hat in dem zitierten Urteil eine Verkehrssicherungspflichtverletzung bei einem Schlagloch bei einer Tiefe von circa 20 cm bejaht. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die drei zitierten Urteile sich nicht mit der Frage zu befassen hatten, ob ein 8 cm tiefes und 30 cm breites Schlagloch auf einer viel befahrenen innerörtlichen Straße einen verkehrssicherungspflichtigwidrigen Zustand darstellt.

II. Der Senat stimmt dem Landgericht voll umfänglich zu, dass eine regelmäßige Kontrolle der dem Beklagten bekannten Schadensstelle im Abstand von 3-4 Tagen erforderlich gewesen wäre. Das Schlagloch wurde lediglich mit Kaltmischgut provisorisch aufgefüllt. Dieses Füllmaterial kann innerhalb kurzer Zeit wieder ausbrechen, insbesondere auf einer vielbefahrenen Straße. Weiter kann nicht außer acht bleiben, dass nach Aussagen des Zeugen F. je nach Witterung von der Haltbarkeit der Ausbesserungsarbeiten von einem halben Jahr bis ungünstigstenfalls 2-3 Tage auszugehen ist. In Anbetracht der Gefährlichkeit eines Schlaglochs dieser Größenordnung auf einer viel befahrenen Straße hat der Verkehrssicherungspflichtige regelmäßig zu kontrollieren, ob die provisorische Verfüllung noch ausreicht, um die Gefahren für die Verkehrsteilnehmer zu mindern beziehungsweise auszuschließen. Hinsichtlich der Kontrolldichte kann nicht auf die durchschnittliche Haltbarkeit von Kaltmischgut abgestellt werden. Auch auf etwaige Herstellerangaben und Durchschnittswerte kann der Verkehrssicherungspflichtige sich nicht berufen. Dem Beklagten ist ein Kontrollturnus von 3-4 Tagen auch zumutbar und im Interesse der Verkehrssicherheit auch geboten, da das eingebrachte Füllgut nur ein Provisorium darstellt, das auch bereits nach 2-3 Tagen wieder aufbrechen kann. Es war auch zu berücksichtigen, dass eine bloße Sichtkontrolle ausreichend sein kann und nicht ersichtlich ist, dass damit finanzielle und personelle Ressourcen des Beklagten unzumutbar in Anspruch genommen werden.

III. Der Senat folgt dem Landgericht, dass der Verschuldensanteil des Beklagten nicht hinter dem des Klägers zurücktritt. Das Landgericht hat mit zutreffenden Erwägungen eine Haftungsquote von zu 2/3 zu lasten des Beklagten angesetzt.

Der Verschuldensanteil des Beklagten ist erheblich. Wie oben ausgeführt befand sich auf einer verkehrswichtigen innerörtlichen Straße im Kreuzungsbereich ein zumindest für Radfahrer gefährliches Schlagloch. Etwaige Warnhinweise waren nicht vorhanden. Bei aufmerksamer Fahrweise hätte der Kläger zwar das Schlagloch erkennen und umfahren können, andererseits war zu beachten, dass der Kläger auf einer innerörtlichen Straße nicht mit Schlaglöchern rechnen musste und auch auf den fließenden Verkehr zu achten hatte. Ein Ausschluss des Mitverschuldens des Beklagten oder ein höherer Mitverschuldensanteil des Klägers scheidet daher aus.

Insoweit der Beklagte sich zur Stützung seiner Auffassung auf ein Urteil des OLG Stuttgart (VersR 2004, 215) beruft, kann nur angemerkt werden, dass die Sachverhalte nur insoweit vergleichbar sind, als dass die Tiefe der Aufbrüche jeweils ca. 8 cm betragen hat, ansonsten kann dem Urteil des OLG Stuttgart entnommen werden, dass der Straßenriss ca. 83 cm lang war, der Riss sich unmittelbar vor einem diagonal über die Fahrbahn verlaufenden Industriegleis.

IV. befand und Radfahrer durch ein Warnschild auf Rutschgefahr bei Überqueren des unbeschrankten Bahnübergangs hingewiesen worden sind.

B. Die Berufung des Klägers erwies sich nur teilweise als begründet.

I. Das Landgericht hat mit zutreffenden Erwägungen einen Mitverschuldensanteil des Klägers von 1/3 angesetzt.

Der Kläger ist als Verkehrsteilnehmer gehalten sowohl den Verkehr zu beobachten als auch auf etwaige Hindernisse und Unebenheiten auf der Straße zu achten und ein Fahrtempo zu wählen, um auf unvorhergesehene Hindernisse reagieren zu können. Der Kläger hätte bei der gebotenen Sorgfalt das Schlagloch erkennen und abbremsen oder ausweichen können. Der Kläger fuhr mit etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit, so dass eine situationsangepasste Reaktion ohne Selbstgefährdung möglich war. Aus den Lichtbildern ergibt sich zudem, dass das Loch in Fahrrichtung rechts umfahren hätte werden können. Andererseits muss ein Verkehrteilnehmer nicht damit rechnen, dass sich auf einer öffentlichen Straße ein Schlagloch in dieser Größenordnung befindet. Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte kann ein Mitverschulden des Klägers nicht ausgeschlossen werden, war aber geringer als der Verursachungs- und Mitverschuldensanteil des Beklagten anzusetzen.

II. Die Berufung gegen die Abweisung des Feststellungsantrags war mit der Maßgabe, dass nur 2/3 der entstehenden Schäden zu ersetzen sind, stattzugeben.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist eine Feststellungsklage, sofern sich die Feststellung auf Folgeschäden aus der Verletzung eines absoluten Rechtsgutes bezieht, dann zulässig und begründet, wenn die Möglichkeit eines zukünftigen Schadenseintritts besteht. Die Möglichkeit eines Schadenseintritts ist nur zu verneinen, wenn bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens nicht wenigstens zu rechnen (vgl. BGH NJW-RR 2007,601).

Die Möglichkeit des Eintrittes unfallbedingter Folgeschäden kann nicht verneint werden. Die Bewertung des Sachverständigen Dr. B., dass die Entwicklung einer posttraumatischen Arthrose unwahrscheinlich ist, schließt die Möglichkeit von Folgeschäden nicht aus. Im übrigen ist davon bei schweren Verletzungen wie der Fraktur des linken Beckens in der Regel auszugehen.

C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 91, 97 ZPO.

D. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

E. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben. Dem Rechtsstreit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

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