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Verkehrsunfall an Fußgängerüberweg – gestürzten Fußgänger überfahren

LKW-Unfall in Glinde: Fußgängerin verliert Bein

Unfälle im Straßenverkehr, insbesondere solche, die sich an Fußgängerüberwegen ereignen, werfen oft komplexe rechtliche Fragen auf. Im Zentrum stehen dabei häufig die Haftungsverteilung und die daraus resultierenden Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Solche Fälle erfordern eine genaue Betrachtung der Umstände, unter denen der Unfall stattfand, sowie der daraus resultierenden Folgen für die betroffenen Personen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Klärung der Frage, inwieweit das Verhalten der beteiligten Personen, insbesondere des Fahrzeugführers und des Fußgängers, zu dem Unfall beigetragen hat und welche rechtlichen Verpflichtungen daraus für die Beteiligten und ihre Versicherungen entstehen. Dies umfasst auch die Bewertung der Schwere der Verletzungen und die daraus resultierenden langfristigen Konsequenzen für das Leben der Betroffenen. Solche Fälle sind nicht nur für die unmittelbar Beteiligten von großer Bedeutung, sondern haben auch einen Einfluss auf die Rechtsprechung und Gesetzgebung im Bereich des Verkehrsrechts.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 O 336/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Gericht hat die Beklagten im Fall eines Verkehrsunfalls an einem Fußgängerüberweg, bei dem eine Fußgängerin schwer verletzt wurde, zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt.

Zentrale Punkte des Urteils:

  1. Verurteilung der Beklagten: Die Beklagten wurden als Gesamtschuldner zur Zahlung von 60.000 € Schmerzensgeld sowie Zinsen an die Klägerin verurteilt.
  2. Zukünftige Schäden: Es wurde festgestellt, dass die Beklagten für alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Unfall resultieren, aufkommen müssen.
  3. Abweisung weiterer Klagepunkte: Einige Teile der Klage wurden abgewiesen, darunter die Forderungen nach spezifischen Schadensersatzleistungen.
  4. Kostenverteilung: Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 15 %, die Beklagten 85 %.
  5. Vorläufige Vollstreckbarkeit: Das Urteil wurde für vorläufig vollstreckbar erklärt, mit der Möglichkeit für beide Parteien, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden.
  6. Streitwert: Der Streitwert des Falles wurde auf 71.237,45 € festgesetzt.
  7. Verantwortung des Fahrers: Das Gericht stellte fest, dass der Fahrer des LKW fahrlässig gehandelt hat, indem er über die Fußgängerfurt fuhr, während die Ampel für die Fußgänger grün zeigte.
  8. Kein Mitverschulden der Klägerin: Die Klägerin wurde vom Vorwurf eines Mitverschuldens freigesprochen, da der überwiegende Verursachungs- und Verschuldensbeitrag bei den Beklagten lag.

Tragischer Verkehrsunfall in Glinde mit gravierenden Folgen

Am 29. Juni 2021 kam es in Glinde an einer Straßenkreuzung zu einem verhängnisvollen Unfall, der das Leben einer älteren Dame dramatisch veränderte. Der Beklagte, Fahrer eines LKW mit Anhänger, befand sich im stockenden Verkehr und fuhr über die Kreuzung Möllner Landstraße/Sönke-Nissen-Allee. Die Klägerin, eine 85-jährige Frau, stand zu diesem Zeitpunkt an der Fußgängerampel. Als der Verkehr sich auflöste und die Ampel für Fußgänger auf Grün schaltete, begann das Unglück: Der Beklagte fuhr an, woraufhin die Klägerin stürzte und ihr Bein vom LKW überrollt und abgetrennt wurde. Dieser tragische Vorfall führte nicht nur zu schwerwiegenden körperlichen Verletzungen, darunter Mittelgesichtsfrakturen, eine Nasenbeinfraktur und ein hypovolämischer Schock, sondern auch zu einer erheblichen Einschränkung ihrer Lebensqualität. Die Klägerin, die zuvor selbstständig in einer Wohnung lebte, ist seitdem auf einen Rollstuhl angewiesen und musste in ein Pflegeheim umziehen.

Rechtliche Herausforderungen und Streitpunkte

Unfall mit Fußgänger
(Symbolfoto: EugeneEdge /Shutterstock.com)

Dieser Fall warf mehrere rechtliche Fragen auf, insbesondere bezüglich der Verantwortlichkeit und der daraus resultierenden Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen. Die Kernfrage war, ob der Unfall durch den Betrieb des Beklagtenfahrzeugs verursacht wurde und ob ein Verschulden des LKW-Fahrers vorlag. Die Klägerin forderte neben einem angemessenen Schmerzensgeld auch die Erstattung von Kosten für einen Leichtgewichtrollstuhl und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Die Beklagten hingegen vertraten die Ansicht, dass die Klägerin ohne Fremdeinwirkung gestürzt sei und ein überwiegendes Mitverschulden an dem Unfall trage.

Gerichtsurteil und seine Begründung

Das Landgericht Lübeck sprach der Klägerin schließlich ein Schmerzensgeld von 60.000 Euro zu, zusätzlich zu den bereits von der Beklagten gezahlten 10.000 Euro. Auch wurde festgestellt, dass die Beklagten für sämtliche materiellen und immateriellen künftigen Schäden aufkommen müssen. Das Gericht stützte sein Urteil auf § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG und § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG in Verbindung mit § 1 PflichtVG. Es wurde anerkannt, dass die Klägerin durch den Betrieb des Beklagtenfahrzeugs verletzt wurde und ein Verschulden des Fahrers vorlag. Interessanterweise wurde das Mitverschulden der Klägerin nicht berücksichtigt, da die Verantwortung überwiegend auf der Seite der Beklagten lag.

Bedeutung des Urteils und seine Auswirkungen

Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung der Verkehrssicherheit und die Verantwortung von Fahrzeugführern, insbesondere in Situationen, in denen Fußgänger beteiligt sind. Es zeigt auch, wie ein Moment der Unachtsamkeit tragische Folgen haben und das Leben einer Person dauerhaft verändern kann. Dieser Fall betont ferner die Wichtigkeit eines angemessenen Schmerzensgeldes als Kompensation für körperliche und seelische Leiden sowie die Notwendigkeit einer umfassenden und gerechten Schadensregulierung im Falle eines Verkehrsunfalls.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Inwiefern ist die Feststellung zukünftiger Schadensersatzansprüche rechtlich relevant?

Die Feststellung zukünftiger Schadensersatzansprüche ist in Deutschland rechtlich relevant, insbesondere im Kontext von Verkehrsunfällen. Sie ermöglicht es, Ansprüche für Schäden geltend zu machen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt entstehen und während des jeweiligen Prozesses vor Gericht oder im Rahmen der außergerichtlichen Verhandlungen noch nicht vorhanden sind.

Ein Beispiel für einen solchen Schaden könnte eine Folgeoperation nach einem Unfall sein, die sich erst zu einem späteren Zeitpunkt zeigt. Um einen solchen zukünftigen Schaden geltend zu machen, hat der Geschädigte die Möglichkeit, dies entweder rechtsgeschäftlich (also vertraglich) mit dem Schädiger selbst bzw. mit dessen Haftpflichtversicherung oder aber auf gerichtlichem Wege zu tun.

Im gerichtlichen Verfahren wird die Feststellung darüber erlangt, dass der Schädiger dazu verpflichtet ist, dem Geschädigten dessen materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche auch in Zukunft zu ersetzen. Dies kann im Wege der sogenannten Feststellungsklage geschehen, deren gesetzliche Grundlage in § 256 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu finden ist.

Eine Voraussetzung für die Geltendmachung von zukünftigen Schäden im Wege der Feststellungsklage ist stets ein sogenanntes Feststellungsinteresse. Dieses besteht, wenn dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit droht und das erstrebte Feststellungsurteil dazu geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen.

Es ist auch möglich, Vereinbarungen in Bezug auf den zukünftigen Schaden außergerichtlich zu treffen und sich rechtsgeschäftlich, also im Wege eines gegenseitigen Vertrages, auf die Erstattung des zukünftigen Schadens zu einigen.

Es ist zu beachten, dass Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens- oder Gefährungshaftung nach drei Jahren verjähren. Daher ist es wichtig, diese Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen.

Die Rechtsprechung hat festgestellt, dass bei Schädigung der Gesundheit die Begründetheit einer Klage, die auf die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden gerichtet ist, nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Schäden abhängig ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Feststellung zukünftiger Schadensersatzansprüche eine wichtige Rolle im deutschen Recht spielt, insbesondere im Kontext von Verkehrsunfällen. Sie ermöglicht es Geschädigten, Ansprüche für Schäden geltend zu machen, die erst in der Zukunft entstehen könnten.


Das vorliegende Urteil

LG Lübeck – Az.: 3 O 336/22 – Urteil vom 29.09.2023

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 60.000 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.01.2022 zu zahlen und die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.642,40 € freizustellen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen künftigen Schäden zu ersetzen, die auf dem Verkehrsunfallereignis vom 29.06.2021 gegen 9.30 Uhr auf dem Oher Weg in Glinde beruhen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 15 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 85 % zu tragen.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

6. Der Streitwert wird auf 71.237,45 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatz und Schmerzensgeld im Zusammenhang mit einem Unfall im Straßenverkehr.

Am 29.6.2021 ereignete sich in Glinde im Bereich einer Straßenkreuzung ein Unfall, bei dem die Klägerin verletzt wurde. Der Beklagte zu 3) befuhr mit dem LKW nebst Anhänger die Möllner Landstraße in Glinde in Richtung Oher Weg. Das Fahrzeug war im Unfallzeitpunkt auf die die Beklagte zu 2) zugelassen und bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversichert. Auf der Straße herrschte stockender Verkehr. Der Beklagte zu 3) fuhr hinter der Zeugin ……über die Kreuzung Möllner Landstraße/Sönke-Nissen-Allee. An der dortigen Fußgängerampel stand die Klägerin. Wegen stockendes Verkehrs kamen die Zeugin …….und der Beklagte zu 3) zum Stehen. Streitig ist, wo. Als sich der Stau auflöste, fuhr der Beklagte zu 3) langsam an. Der weitere Verlauf ist zwischen den Parteien streitig.

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Unstreitig stürzte die Klägerin, ihr linkes Bein wurde von dem Beklagtenfahrzeug überrollt und abgetrennt. Das Beklagtenfahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von 4 km/h. Die Klägerin erlitt zudem Mittelgesichtsfrakturen mit Nasenbeinfraktur, einen hypovolämische Schock, eine Zerrung der Wirbelsäulenbänder sowie Riss- und Quetschwunden und Hämatome. Es bestand Lebensgefahr. Zudem verlor die Klägerin einen Schneidezahn, ein Implantat im linken Oberkiefer war gelockert. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Arztbrief des BG Klinikums Hamburg vom 05.07.2021 und 02.08.2021 Bezug genommen (Anlagenkonvolut K1). Der linke Unterschenkel wurde amputiert. Vom 29.06. bis 01.07.2021 wurde die Klägerin invasiv beatmet. Der Klägerin waren Bewegungen nur eingeschränkt und unter erheblichen Schmerzen möglich. Die im Unfallzeitpunkt 85-jährige bewohnte zuvor eine 3-Zimmer-Wohnung. Seit dem Unfall sitzt sie im Rollstuhl. Unfallbedingt musste sie in ein Pflegeheim umziehen, weil sie sich nicht mehr alleine in ihrer Wohnung versorgen konnte. Im Pflegeheim bewohnt sie ein einzelnes Zimmer.

Die Beklagte zu 1) zahlte ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 €.

Mit der Klage verlangt die Klägerin unter anderem weiteres Schmerzensgeld und Kostenerstattung für einen Leichtgewichtrollstuhl. Die Klägerin trägt vor, der Beklagte zu 3) sei wegen stockenden Verkehrs nicht mehr ganz über die Kreuzung und – bewusst – vor der Fußgängerfurt zum Stehen gekommen. In dem Moment, als sich der Stau auflöste, habe die Fußgängerampel auf Grün geschaltet. Als die Klägerin begonnen habe, die Straße zu queren, sei auch der Beklagte zu 3) angefahren und habe sie erfasst. Durch den Anstoß sei sie gestolpert und hingefallen. Die Klägerin hält ein Schmerzensgeld von insgesamt 80.000 € für angemessen. Insbesondere sei ihr in Folge des Unfalls die Qualität der letzten Lebensjahre entrissen worden.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 29.06.2021,

2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilt, an die Klägerin einen Schadenersatz in Höhe von 1.237,45 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 21.10.2022,

3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen künftigen Schäden zu ersetzen, die aus dem Verkehrsunfallereignis vom 29.06.2021 resultieren, soweit sie nicht bereits auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

4. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlich entstandenen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.810,19 € freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten tragen unter Beweisantritt mit Sachverständigengutachten vor, das Beklagtenfahrzeug habe die Klägerin nicht berührt. Die Klägerin sei aus unbekannten Gründen ohne Fremdeinwirkung ins Straucheln geraten. Für den Beklagten zu 3) sei nicht erkennbar gewesen, dass die vor ihm fahrenden Fahrzeuge auf der Kreuzung zum Halten kommen würden. Der Klägerin falle ein überwiegendes Mitverschulden von 2/3 zur Last. Denn sie hätte dem Beklagtenfahrzeug als Kreuzungsräumer das Queren der Kreuzung ermöglichen müssen. Nach persönlicher Anhörung des Beklagte zu 3) tragen die Beklagten vor, der Beklagte zu 3) sei mit der Zugmaschine noch über die Fußgängerfurt gefahren und dort mit dem Anhänger zum Stehen gekommen. Mit dem Führerhaus habe sich der Beklagte zu 3) bereits hinter der Fußgängerfurt befunden, er habe die Klägerin nicht sehen können. Die Klägerin müsse versucht haben, zwischen Zugmaschine und Anhänger hindurch zu klettern.

Hinsichtlich der Verletzungen bestreiten die Beklagten, dass die Klägerin eine ligamentäre Verletzung im Bereich HWK 3/4 erlitten habe. Hinsichtlich der geltend gemachten Kosten für den Rollstuhl sei die Klägerin nicht aktivlegitimiert.

Das Gericht hat den Beklagten zu 3) persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen …..und……. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und Beweisaufnahme wird auf das Verhandlungsprotokoll vom 22.8.2023 Bezug genommen. Eine persönliche Anhörung der Klägerin kam aus gesundheitlichen Gründen nicht in Betracht. Die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Lübeck 780 Js 48080/21 ist beigezogen worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Verhandlungsprotokoll vom 22.8.2023 sowie die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Klagen sind überwiegend begründet.

I.

Dies gilt zunächst im Hinblick auf die Zahlungsklage.

1.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflichtVG zu.

a.

Die Klägerin ist bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs verletzt worden, und zwar kausal und zurechenbar durch den Betrieb des Beklagtenfahrzeugs. Dabei ist insofern unerheblich, ob es vor dem Sturz der Klägerin zu einer Berührung mit dem Beklagtenfahrzeug kam oder die Klägerin ohne Berührung stürzte. Denn die Klägerin ist danach von dem im Betrieb befindlichen Fahrzeug überrollt und unstreitig dadurch verletzt worden.

b.

Das für die Haftung des Beklagten zu 3) erforderliche Verschulden als Fahrer des Fahrzeugs wird vermutet (§ 18 Abs. 1 StVG) und ist beklagtenseits nicht widerlegt worden. Der Beklagtenvortrag, die Zugmaschine mit der Führerkabine habe sich im Zeitpunkt des Unfalls bereits hinter der Fußgängerfurt und der Anhänger auf der Furt befunden, verfängt nicht. Auch insoweit liegt ein fahrlässiger Verstoß gegen die StVO vor. Nach § 26 Abs. 2 StVO dürfen, wenn der Verkehr stockt, Fahrzeuge nicht auf den Fußgänger-Überweg fahren, wenn sie auf ihm warten müssten. Das hat der Beklagte zu 3) nach eigenen Angaben indes getan. Dabei ist unerheblich, ob er noch bei grünem Lichtzeichen in die Kreuzung einfuhr. Auch der Vortrag, der Beklagte zu 3) habe die Klägerin aus seiner Führerkabine gar nicht sehen können, verfängt nicht. Der Beklagte zu 3) hätte sich vor dem Anfahren vergewissern müssen, dass er niemanden gefährdet. Notfalls hätte er aussteigen oder sich von anderen zur Weiterfahrt einweisen lassen müssen. Und zwar auch, wenn der Beklagte zu 3) mit der Zugmaschine die Fußgängerfurt bereits durchfahren hatte. Mit dem Überqueren der Straße durch andere Verkehrsteilnehmer, erst recht im Bereich einer Fußgängerampel, muss ein Kraftfahrzeugführer rechnen, nachdem sein Fahrzeug wegen stockenden Verkehrs zum Halten gekommen ist. Der Beklagte zu 3) hatte als sogenannter Kreuzungsräumer auch keineswegs Vorfahrt vor der Klägerin als Fußgängerin.

c.

Die Klägerin muss sich nicht nach §§ 9 StVG, 254 BGB ein Mitverschulden anrechnen lassen. Grundsätzlich war die Klägerin zwar verpflichtet, sich vor Betreten der Fußgängerfurt zu vergewissern, dass der Beklagte zu 3) warten würde. Mit einer jederzeitigen Auflösung des Staus und einem verbotswidrigen Anfahren wartender Kreuzungsräumer müssen andere Verkehrsteilnehmer rechnen. Im vorliegenden Fall liegt jedoch ein weit überwiegender Verursachung- und Verschuldensbeitrag auf Beklagtenseite vor, der das Mitverschulden der Klägerin zurücktreten lässt. Dabei ist unerheblich, ob die Klägerin von dem LKW erfasst wurde und deshalb stürzte oder durch das das Anfahren des LKW derart erschreckt wurde, dass sie stolperte und deshalb stürzte. Auch im letzteren Fall handelt es sich um eine nachvollziehbare Reaktion, die der Beklagtenseite objektiv zurechenbar ist und kein Mitverschulden der Klägerin bedeutet. Das beklagtenseits angebotene Sachverständigengutachten war nicht einzuholen.

Zulasten der Beklagten ist eine erhöhte Betriebsgefahr auf Grund der eingeschränkten bzw. fehlenden Sicht sowie dem größeren Verletzungspotential durch den LKW nebst Anhänger zu berücksichtigen, die sich auch realisiert hat. Zum anderen wiegt das Verschulden des Beklagten zu 3), das der Beklagten zu 2) als Halterin zugerechnet wird, schwer. Das Gericht ist nach dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung und dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt (§ 286 Abs. 1, S. 1 ZPO), dass der Beklagte zu 3) mit der Zugmaschine unmittelbar vor der Fußgängerfurt zum Stehen kam und die Furt bewusst für mögliche querende Fußgänger frei ließ, er die an der Fußgängerampel wartende Klägerin zuvor hätte wahrnehmen können, und er aus Unachtsamkeit bei Auflösen des Staus anfuhr, als die Ampel für die Klägerin bereits grün zeigte, die Klägerin dadurch zu Boden stürzte und überrollt wurde.

Diese Überzeugung gründet im Wesentlichen auf den Angaben der Zeugin…… Die Zeugin hat bekundet, der LKW sei direkt hinter ihr in den Kreuzungsbereich gefahren. Sie habe die Klägerin bereits an der Fußgängerampel wahrgenommen, noch bevor sie die Kreuzung überquert habe. Sie habe noch über den Fußgängerüberweg rüberfahren können, der LKW habe vor dem Überweg gestanden. Sie habe den Eindruck gehabt, der LKW würde vor dem Fußgängerweg warten, um die Dame rüber zu lassen. Für sie habe es den Anschein gemacht, dass auch die Dame diese Annahme gehabt habe. Der Fußgängerweg sei komplett frei gewesen, ihr Fahrzeug habe etwa einen Meter dahinter gestanden. Sie habe noch gar nicht lange gestanden, dann sei die Fußgängerampel auf Grün geschaltet, die Dame losgegangen und der LKW losgefahren. Das Geschehen habe sie im Rückspiel beobachtet. Als der Unfall passierte, sei ihr Auto leicht nach vorne gerollt, richtig gefahren sei sie nicht. Die Fußgängerampel habe sie noch durch die Autofenster gesehen, nicht durch die Rückspiegel. Es könne nicht sein, dass die Dame zwischen Zugmaschine und Anhänger habe hindurch klettern wollen. Sie habe gesehen, dass die Dame geradeaus über die Straße haben gehen wollen, und zwar vor dem Führerhaus.

Die Aussage ist glaubhaft und die Zeugin glaubwürdig. Insbesondere hat die Zeugin detailliert geschildert, aber auch Erinnerungslücken dargelegt und keine Belastungstendenz aufgezeigt. Auch schilderte sie Gedanken und Gefühle.

Die Angaben der Zeugin …….werden auch nicht widerlegt durch die Aussage des Zeugen Weber. Die Aussage des Zeugen war nicht ergiebig. Der Zeuge hat erklärt, hinter dem Beklagten zu 3) gefahren zu sein und den Unfall nicht gesehen zu haben.

Auch durch die Erklärung des Beklagten zu 3) in seiner persönlichen Anhörung werden die Angaben der Zeugin …..nicht widerlegt. Soweit der Beklagte zu 3) erklärt hat, der Unfall habe sich ereignet, nachdem er die Fußgängerfurt mit der Zugmaschine bereits durchfahren habe, die Klägerin müsse versucht haben, zwischen Zugmaschine und Sattelzug hindurch zu klettern, sind seine Darlegungen nicht glaubhaft. Der Beklagte zu 3) ist zum einen bereits nicht glaubwürdig und zeigte eine deutliche Belastungstendenz. Seine Erklärungen sind auch nicht glaubhaft. Der Beklagte zu 3) widersprach sich mehrfach und sprang zwischen verschiedenen Unfallhergängen hin und her. Den Unfallort konnte er nicht genau darlegen. Den vorgetragenen Unfallhergang, die Klägerin habe zwischen Zugmaschine und Anhänger hindurch klettern wollen, hält das Gericht insbesondere auf Grund des betagten Alters der Klägerin für abwegig. Diese Mutmaßung dürfte ihre Ursache darin haben, dass laut Ermittlungsbericht der Polizei ein Zeuge dem Beklagten zu 3) am Unfallort mitgeteilt habe, die Klägerin habe die Fahrbahn zwischen Zugfahrzeug und Anhänger queren wollen (Bl. 7 der beigezogenen Ermittlungsakte). Der Zeuge …..teilte diese Einschätzung in seiner Vernehmung jedoch nicht. Dies sei ein Versuch für sich selbst gewesen, den Unfallhergang zu erklären. Im Moment der Polizeibefragung sei ihm sehr übel gewesen, er habe neben sich gestanden.

2.

Der Höhe nach steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch überwiegend zu.

a.

Die Klägerin kann nach § 11 S. 2 StVG ein angemessenes Schmerzensgeld verlangen. Das Gericht erachtet unter Würdigung aller Umstände (§ 287 ZPO) ein Schmerzensgeld von insgesamt 70.000 € für angemessen. Es war zum einen zu berücksichtigen, dass die Klägerin nicht nur schwer verletzt wurde und in Lebensgefahr schwebte. Auf die bestrittene Verletzung im Bereich des dritten und vierten Halswirbelkörpers kommt es insoweit nicht an. Zum anderen wird die Klägerin infolge der Amputation eines Beines dauerhaft mit Einschränkungen leben müssen. Das Alter der Klägerin mit 85 Jahren im Unfallzeitpunkt war dabei nicht einschränkend zu berücksichtigen. Zwar wird die Klägerin nicht so lange mit den Dauerfolgen leben müssen wie ein Mensch im Alter von beispielsweise 20 Jahren. Auf Grund ihres Alters ist jedoch von größeren Anpassungsschwierigkeiten auszugehen. Vor allem fällt aber schwer ins Gewicht, dass die Klägerin vor dem Unfall selbständig in einer 3-Zimmer-Wohnung lebte und nunmehr auf einen Rollstuhl und ein Pflegeheim angewiesen ist. Ihr ist somit eine erhebliche Lebensqualität genommen worden.

Unter Anrechnung der beklagtenseits bereits gezahlten 10.000 € verbleibt ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 60.000 €.

b.

Die Klägerin hat auch Anspruch auf Freihaltung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auf einen Gegenstandswert von 70.000 €. Das Gericht hält vorliegend eine 1,5 Gebühr für erforderlich und angemessen.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus Verzug nach §§ 288, 286 BGB. Zinsen bereits ab dem Unfallzeitpunkt stehen der Klägerin nicht zu. Insbesondere ist § 849 BGB nicht anwendbar.

c.

Die geltend gemachten Kosten für den Rollstuhl kann die Klägerin dagegen nicht verlangen. Insoweit ist die Klägerin nicht aktivlegitimiert. Nach § 116 SGB X ist der Anspruch auf die Krankenversicherung übergegangen.

II.

Die zulässige Feststellungsklage ist begründet. Die Beklagten sind auch für weitere Schäden voll einstandspflichtig, die ihre Ursache in dem hier streitgegenständlichen Unfall haben. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich bezüglich der Klägerin aus § 709 ZPO, bezüglich der Beklagten aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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