LG Wuppertal – Az.: 9 S 207/17 – Beschluss vom 05.01.2018
Die Kammer weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Es besteht Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.
Die Kammer weist darauf hin, dass die Rücknahme der Berufung vor Erlass einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO gemäß GKG KV 1222 S. 1 und 2 kostenrechtlich privilegiert ist; statt vier fallen nur zwei Gerichtsgebühren an (OLG Brandenburg MDR 2009, 1363 = AGS 2009, 553 f.; Senat ZIP 2010, 1852 f.).
Der Termin vom 15.02.2018 wird aufgehoben.
Gründe
Die zulässige Berufung hat nach der einstimmigen Überzeugung der Kammer offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Weder beruht die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung, § 546 ZPO, noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO.
I.
Die Beklagtenseite haftet nicht in einem größeren Umfang für die Unfallfolgen als 50%, wie vom Amtsgericht angenommen. Eine weitergehende Haftung der Beklagtenseite ist selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn mit dem Vorbringen der Klägerseite davon auszugehen wäre, dass das klägerische Fahrzeug schon „eine Weile“ gestanden hatte, als es zur streitgegenständlichen Kollision gekommen ist Denn der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs hat den Unfall schuldhaft mitverursacht, indem er bei stark winterlichen Verhältnissen und erkannter Fahrbahnglätte in die abschüssige M…-Straße eingebogen war, nach Beginn des Rutschvorgangs des von ihm geführten Klägerfahrzeugs die Absicht, nach rechts in die W… straße abzubiegen, aufgegeben, demgemäß weder den Richtungsanzeiger gesetzt noch nach rechts eingelenkt hatte, und sein Fahrzeug, wenn auch am Ende, so aber noch innerhalb des Einmündungsbereichs der W. straße zum Stehen gebracht hat.
Gegen die Klägerseite spricht ein Beweis des ersten Anscheins, den Unfall wegen einer Nichtbeachtung der sich für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs aus § 8 Abs. 2 StVO ergebenden Wartepflicht gegenüber dem von ihm aus gesehen von rechts kommenden und damit vorfahrtsberechtigten Beklagtenfahrzeug schuldhaft (mit-)verursacht zu haben. Kommt es – wie hier – im Einmündungsbereich von vorfahrtsberechtigter und untergeordneter Straße zu einem Unfall, so nimmt die Rechtsprechung regelmäßig einen gegen den Wartepflichtigen sprechenden Anscheinsbeweis für eine unfallursächliche und schuldhafte Vorfahrtsverletzung an (BGH VersR 1964, 639, 640; 1976, 365, 367; OLG Köln 19 U 252/94, in juris; BHHJJ/Heß StVO § 8 Rn. 68, beck-online).
Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Anscheinsbeweis hier nicht aus dem Grund erschüttert, weil ein atypischer Geschehensablauf vorläge, wie der Klägervertreter mit der Klageerwiderung eingewandt hat. Aus dem Umstand, dass sein Fahrzeug im Einmündungsbereich gestanden hat, sich im Zeitpunkt der Kollision nicht in Bewegung befunden habe, ergibt sich kein atypischer Lebenssachverhalt. Denn die Wartepflicht bezieht sich nicht nur auf den Zeitpunkt, in welchem der Wartepflichtige in den Einmündungsbereich der bevorrechtigten Straße einfahren darf, sondern umfasst den gesamten Vorgang des Abbiegens in die bzw. des Kreuzens der vorfahrtsberechtigten Straße. Beim Einbiegen in die bevorrechtigte Straße darf der Wartepflichtige die freie Durchfahrt der Vorfahrtberechtigten nicht beeinträchtigen; er darf sie auch nicht länger als nötig behindern oder gar gefährden (BHHJJ/Heß StVO § 8 Rn. 44, beck-online; OLG Köln 19 U 252/94, in juris). Warum der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs seine Fahrt in geradeaus gerichteter Richtung nicht fortgesetzt und den Einmündungsbereich nicht unverzüglich geräumt hat, sondern „eine Weile“ stehen geblieben ist, ist nicht nachvollziehbar. Er hatte selbst eingeräumt, seine Absicht, nach rechts in die W. straße abzubiegen, aufgegeben und dementsprechend weder eine Lenkbewegung noch einen Richtungsanzeiger gesetzt zu haben. Nach Aufgabe seiner Absicht, rechts abzubiegen, hätte der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs den Einmündungsbereich durch ein Fortsetzen der Geradeausfahrt unverzüglich verlassen müssen.
Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob und in welchem Umfang den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs ein – zusätzliches – Verschulden insoweit trifft, dass er das von ihm geführte Fahrzeug aufgrund der unstreitigen Straßenglätte nicht vor dem Einmündungsbereich zum Stillstand hat bringen können, d.h, ob er auch gegen die in § 3 Abs. 1 StVO normierte Pflicht verstoßen hat, sein Fahrzeug den Witterungsverhältnissen angepasst zu fahren (vgl. dazu BHHJJ/Heß StVO § 3 Rn. 38, beck-online), und ob der Beklagte zu 1) bereits in Sichtweite gewesen ist, als das Klägerfahrzeug in den Einmündungsbereich rutschte, was der Kläger mit der Klageerwiderung zunächst bestritten, nachfolgend indes eingeräumt hat (S. 2, Bl. 79 d.A.). Aufgrund der eingeräumten Erkennbarkeit des vom Beklagten zu 1) geführten Fahrzeugs kann sich der Kläger nicht darauf berufen, dass das Vorfahrtsrecht des Herannahenden erloschen gewesen wäre, weil der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs den auf der Vorfahrtsstraße herannahenden Kraftfahrer noch nicht habe wahrnehmen können, mit der Folge, dass sich die beiderseitigen Verhaltenspflichten nunmehr nach § 1 StVO richten (BGH VI ZR 285/92). Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung vielmehr ausgeführt, der Fahrer eines schwerfälligen Fahrzeugs, der berechtigt in eine Vorfahrtstraße nach links einbiegen wolle, müsse in der Regel sofort anhalten, sobald ein auf der Vorfahrtstraße herannahender Verkehrsteilnehmer für ihn sichtbar werde, er dürfe den Einbiegevorgang nur dann fortsetzen, wenn er nach der Verkehrslage darauf vertrauen könne, dass er die Fahrbahn für den herannahenden Verkehrsteilnehmer rechtzeitig frei machen könne. Nach Ansicht der Kammer gilt die Pflicht, in den Einmündungsbereich nur dann einzufahren, wenn dieser Bereich auch wieder verlassen werden kann, ohne den Vorfahrtsberechtigten zu gefährden, unabhängig von der Schwerfälligkeit eines Fahrzeugs jedenfalls immer dann, wenn einem auf der Vorfahrtsstraße herannahenden Verkehrsteilnehmer wegen des Straßenverlaufs bei einer Fortsetzung dessen Fahrt in jedem Falle die Vorfahrt einzuräumen wäre. So liegt der Fall hier. Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs hätte seine Geradeausfahrt in jedem Falle zurückstellen müssen, egal, ob der Beklagte zu 1) das von ihm geführte Fahrzeug nach rechts oder nach links in die M…-Straße habe lenken wollen. Dass der Beklagte zu 1) im Zeitpunkt der erstmaligen Wahrnehmung durch den Zeugen … (soweit er aufgrund und während des Rutschvorgangs überhaupt den übrigen Straßenverkehr hat wahrnehmen können) noch keinen Richtungsanzeiger gesetzt und damit noch nicht angezeigt haben soll, in welche Richtung er abzubiegen beabsichtigt, ist unerheblich.
Gegenüber dem den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs treffenden Verschulden wiegt ein Verschulden des Beklagten zu 1) an dem Unfall jedenfalls nicht schwerer. Das Amtsgericht hat insoweit einen gegen den Beklagten zu 1) sprechenden Anscheinsbeweis angenommen, gegen die Pflicht aus § 3 Abs. 1 StVO verstoßen zu haben, sein Fahrzeug in Anpassung an die winterlichen Straßenverhältnisse so zu führen, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht. Ob die Feststellungen des Amtsgerichts zur Annahme eines Anscheinsbeweises ausreichend sind, bedarf angesichts der streitigen Frage einer Haftung der Beklagtenseite von mehr als 50% keiner Entscheidung. Jedenfalls wahrt der Vorfahrtsberechtigte nicht die von einem Idealfahrer zu erwartende äußerste Sorgfalt, wenn er mit einer Verletzung seines Vorrechts nicht rechnet und entsprechend sorglos fährt, obwohl die Umstände – wie hier infolge der Abschüssigkeit der untergeordneten Straße und der winterlichen Straßenverhältnisse – die Möglichkeit einer Vorfahrtsverletzung nahelegen (vgl. OLG Stuttgart 2 U 172/81, in juris); dies macht das Unfallereignis für den Vorfahrtsberechtigten – aus der Sicht eines Idealfahrers – indes zunächst nur zu einem für ihn nicht unabwendbaren Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG; ob es für sich genommen einen Verschuldensvorwurf rechtfertigt, ist zweifelhaft, bedarf hier aber keiner Entscheidung und keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung.
Soweit der Kläger eine Beweisaufnahme in erster Instanz vermisst, legt er bereits im Ansatz nicht dar, welche streitige Behauptung hätte aufgeklärt werden müssen und inwiefern der zu beweisende Umstand eine andere als die vom Amtsgericht angenommene Haftungsquote rechtfertigen würde.
II.
Die Unkostenpauschale hat das Amtsgericht auf der Grundlage und im Rahmen von § 287 ZPO rechtsfehlerfrei und mit zutreffender Begründung durch Bezugnahme auf KV 7002 (RVG) auf 20 € geschätzt.
Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung der Kammer auf Grund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 ZPO).