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Verkehrsunfall – Kausalitätsnachweis bei HWS-Distorsion

AG Dinslaken – Az.: 30 C 97/17 – Urteil vom 19.09.2018

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen die Vollstreckung gegen sich durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 25.08.2014 im T-Kreuzungsbereich zur S-Straße in V ereignete.

Die Klägerin befuhr die C-Straße und beabsichtigte auf die S-Straße abzubiegen. An der T-Kreuzung kam die Klägerin mit dem von ihr gefahrenen Fahrzeug an dem sich dort befindlichen Stopp-Schild zum Stehen. Die Fahrerin des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges kam nicht mehr rechtzeitig zum Stehen und fuhr auf das von der Klägerin gefahrene Fahrzeug auf. An dem von der Klägerin geführten Fahrzeug entstand ein wirtschaftlicher Totalschaden. Die Beklagte glich die fahrzeugspezifischen Schäden am Fahrzeug vollständig aus.

Das Medizinische Versorgungszentrum X und das berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Y diagnostizierten eine HWS- und LWS-Distorsion bei der Klägerin. Das Medizinische Versorgungszentrum X bescheinigte der Klägerin eine unfallbedingte Minderung der Erwerbstätigkeit bei 100 % in der Zeit vom 25.08.2014 bis zum 04.11.2014 sowie 30 % in der Zeit vom 04.11.2014 bis zum 19.11.2014. Die berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Y erkannte eine unfallbedingte Verletzungsdauer von 8 Wochen an.

Die Klägerin nahm in der Folge 42 Behandlungstermine wahr, wofür sie Fahrtkosten in Höhe von 145,80 Euro aufwendete. Im Monat Oktober erhielt die Klägerin, eine Angestellte in der Z, lediglich 178,25 Euro anstatt der Regelvergütung in Höhe von 920,96 Euro.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 01.09.2015 forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung der Fahrtkosten, Verdienstausfall in Höhe von 742,71 Euro sowie zur Zahlung eines Schmerzensgeldes bis zum 16.09.2015 auf. Ein Ausgleich durch die Beklagte erfolgte nicht.

Die Klägerin behauptet, die habe eine unfallbedingte HWS- und LWS-Distorsion erlitten. Vor dem Unfallereignis habe sie trotz einer Operation im Jahre 2006 unter keinen nennenswerten Beschwerden an der Halswirbelsäule sowie der Lendenwirbelsäule gelitten. Erst nach dem Unfallereignis habe sie unter starken Schmerzen, die in die Gliedmaßen ausstrahlten und Taubheitsgefühle in der rechten und linken Hand gelitten.

Sie ist der Ansicht, ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 2.000,00 Euro sei angemessen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, auf die Position Fahrtkosten einen Betrag in Höhe von 145,80 Euro nebst 5 % Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 17.09.2015 zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Verdienstausfallschaden in Höhe von 742,71 Euro nebst 5 % Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen.

4. die Beklagte zu verurteilen, sie von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 Euro freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, die biomechanische Krafteinwirkung auf die Klägerin sei derart gering gewesen, dass eine unfallbedingte HWS- und LWS-Distorsion nicht vorliege. Der Mensch sei mehrfach täglich einer solchen geringen Geschwindigkeitsänderung ausgesetzt. Die beklagten Beschwerden der Klägerin seien auf eine Vorerkrankung zurückzuführen.

Das Gericht hat zum Unfallhergang, insbesondere zur kollisionsbedingten Geschwindigkeit, Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Herrn T gemäß Beweisbeschluss vom 22.05.2017 (Bl. 126 d. GA). Bezüglich des Ergebnisses wird auf das Gutachten vom 23.02.2018 verwiesen (Bl. 152 ff. d. GA). Im Anschluss hieran hat das Gericht gemäß Beweisbeschluss vom 22.05.2017 Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. W (Bl. 199 ff. d. GA). Eine persönliche Anhörung der Klägerin zum Unfallhergang ist im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18.08.2017 (Bl. 139 d. GA) erfolgt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte als Versicherung kein Anspruch auf Zahlung von weiterem Schadensersatz und Schmerzensgeld gem. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG zu.

Der Haftung der Beklagten für den streitgegenständlichen Unfall dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

Ein Anspruch nach § 249 BGB gegen die Beklagte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer unfallbedingten HWS- und LWS-Verletzung besteht hingegen nicht.

Der Klägerin ist die ihr obliegende Beweisführung nicht gelungen. Als diejenige, die sich auf eine sie günstige Behauptung beruft, trägt die Klägerin nach den allgemeinen Grundsätzen die Beweislast.

Aufgrund der Beweisaufnahme vermochte das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass die streitige Behauptung als bewiesen anzusehen ist. Danach ist ein Beweis erst dann erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist und alle vernünftigen Zweifel ausgeräumt sind.

Verkehrsunfall - Kausalitätsnachweis bei HWS-Distorsion
(Symbolfoto: Von Monkey Business Images/Shutterstock.com)

Für die Frage der haftungsbegründenden Kausalität, d. h. dafür, dass durch den Unfall die HWS- und LWS-Distorsion versursacht wurde, trägt die Geschädigte die Beweislast nach den genannten Grundsätzen des Vollbeweises nach § 286 ZPO (BGH NJW 2003, 1116; NJW 2000, 953; OLG München, r+s 2006, 474, 475). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist für das Gericht nicht zu der nach § 286 ZPO erforderlichen Überzeugung bewiesen, dass die Klägerin gerade durch den Unfall eine HWS- und LWS-Distorsion erlitten hat.

Der Sachverständige T hat in dem von ihm erstellten Gutachten unter Einbeziehung der Fahrzeugmassen sowie der Unfallspuren die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung de Klägerfahrzeuges ermittelt. Dabei kam der Sachverständige zu der Feststellung, dass die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung des Klägerfahrzeuges wahrscheinlich 7,0 bis maximal 9,3 km/h betrug. Unter Berücksichtigung der kollisionsbedingten Geschwindigkeit hat sodann der medizinische Sachverständige Dr. W festgestellt, dass für den Fall einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von 7 km/h aus medizinischer Sicht nicht mehr dafür als dagegen spreche, dass die Klägerin eine HWS-Distorsion erlitten habe. Für den Fall einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von 9,3 km/h spreche aus seiner Sicht unter Berücksichtigung der bei der Klägerin durchgeführten Versteifungsoperation an der Halswirbelsäule und unter Voraussetzung, dass die zum Unfallzeitpunkt von Seite der Halswirbelsäule beschwerdefrei war, mehr dafür als dagegen (es sei wahrscheinlich), dass die Klägerin durch den Unfall eine leichte Distorsion der Halswirbelsäule erlitten habe.

Ist die kollisionsbedingte Geschwindigkeit nicht genau zu bestimmen und kann ein Sachverständiger – wie hier – nur eine bestimmte Spannbreite angeben, so muss, wenn die Geschädigte den höchsten oder den genauen Wert nicht voll beweisen kann, zu Gunsten der Beklagten von dem jeweils geringsten Wert der Spannbreite ausgegangen werden, insbesondere jedoch dann, wenn der geringste Wert genauso wahrscheinlich ist wie die Obergrenze. Mehr hat die Klägerin als Geschädigte dann nicht bewiesen, etwaige Zweifel gehen zur ihren Lasten (LG Bochum, BeckRS 2007, 15946).

Auch unter Berücksichtigung der Schilderungen der Klägerin sowie der eingereichten Bescheinigungen kann das Gericht vorliegend nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die HWS-Distorsion der Klägerin unfallbedingt war.

Maßgebliche Grundlage für die Überzeugungsbildung des Gerichts ist das interdisziplinäre Gutachten sowie die dort getroffenen Feststellungen, denen grundsätzlich ein Vorrang einzuräumen ist, weil dieses allein verlässliche Grundlagen und Ausgangswerte für die – weitere – Beurteilung liefern kann. Erst dann, wenn das Gericht nach dem Gutachten auf Grund der dort sicher gewonnenen Erkenntnisse in einen Bereich gelangt, wo eine unfallbedingte HWS-Verletzung zumindest wahrscheinlich ist oder wahrscheinlich erscheint, können dann auch sonstige Umstände bedeutsam sein und müssen demnach weiter aufgeklärt werden (LG Bochum, BeckRS 2007, 15946).

Da wie dargelegt die kollisionsbedingte Geschwindigkeit nicht eindeutig zu ermitteln ist, gelangt der medizinische Sachverständige nicht in einen Bereich in dem eine unfallbedingte HWS-Distorsion zumindest wahrscheinlich ist.

Eine LWS-Distorsion ist nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht nachweisbar und verletzungstechnisch nicht plausibel.

Mangels nachweisbarer HWS- und LWS-Distorsion besteht kein Anspruch auf die geltend gemachten Fahrtkosten, Verdienstausfall und Zahlung eines Schmerzensgeldes.

Mangels Hauptanspruchs kommt ein Anspruch auf Zahlung von Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 2.888,51 Euro.

 

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