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Verkehrsunfall mit Personenschaden – Nichtigkeit Abfindungsvergleich

OLG Hamm – Az.: I-9 U 38/15 – Urteil vom 28.06.2016

Die Berufung des Klägers gegen das am 18.12.2014 verkündete Urteil der Zivilkammer IV des Landgerichts Detmold wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Wegen des erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (Bl. 147 ff. GA) Bezug genommen, wobei hinsichtlich des Klageantrags zu 1) bzgl. der dort – wie auch im jetzigen Berufungsantrag – zitierten (im angefochtenen Urteil bei diesem Antrag nicht ausdrücklich mit aufgenommenen) Abfindungserklärung auf die bei der Antragstellung im Termin am 13.11.2014 (Bl. 139 R GA) in Bezug genommene Klageschrift (Bl. 2 GA) verwiesen wird.

Das Landgericht hat die Eltern des Klägers persönlich angehört (vgl. Bl. 139 R GA) und mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger könne die Feststellung der Nichtigkeit der streitgegenständlichen Abfindungserklärung nicht verlangen.

Diese Abfindungserklärung sei zunächst nicht gem. § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Dabei sei zum einen zu berücksichtigen, dass der Kläger damals anwaltlich vertreten gewesen sei und dementsprechend keine ungleiche Verhandlungsstärke auf Klägerseite vorgelegen habe, zumal der Kläger zum – über 1 Jahr nach dem haftungsbegründenden Verkehrsunfall liegenden – Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses aufgrund der bereits zuvor seitens der Beklagten gezahlten über 300.000 EUR auch nicht mittellos dagestanden habe. Selbst wenn man von einer ungleichen Verhandlungsstärke ausginge, fehle es aber auch an einer – für die Annahme einer Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB erforderlichen – ungewöhnlich starken Belastung des Klägers durch die getroffene Abfindungsvereinbarung. Der Kläger habe immerhin fast 900.000,- EUR von der Beklagten bekommen und (u.a.) Ansprüche auf Ersatz von Pflegekosten ab 2009 seien vorbehalten geblieben. Leistungen der Kranken- und Pflegekassen und diesbezügliche Regressforderungen seien von dem Vergleich nicht betroffen, so dass der Abfindungsvergleich auch nicht gemeinwohlschädigend sei. Eine Sittenwidrigkeit des Vergleichs nach § 138 Abs. 2 BGB sei ebenfalls zu verneinen. Es sei – angesichts der anwaltlichen Vertretung und der bereits zuvor gezahlten über 300.000 EUR – nicht die Unerfahrenheit, ein Mangel an Urteilsvermögen, eine Willensschwäche oder eine Zwangslage des Klägers (bzw. dessen Eltern) ausgenutzt worden. Im Übrigen sei auch kein auffälliges Missverhältnis des beiderseitigen Nachgebens gegeben. Die Eltern hätten nicht darlegen können, welche Beträge ursprünglich im Raum gestanden bzw. ihren ursprünglichen Vorstellungen entsprochen hätten. Selbst auf Basis der jetzt vom Kläger vorgetragenen Zahlen wäre es – angesichts der erheblichen Prognose-Unsicherheiten und der Beweislast des Klägers – fraglich, ob dies letztlich zu einem auffälligen Missverhältnis führen könne; denn der gezahlte Betrag von 867.200 EUR mache im Verhältnis zu dem vom Kläger jetzt prognostizierten Schaden von 3.124.723,45 EUR etwa 28 % aus, wobei der letztgenannte Betrag noch gar nicht vollständig fällig, mithin abzuzinsen gewesen wäre und dem Kläger durch die Abfindungsvereinbarung erheblicher Verwaltungsaufwand erspart worden sei. Im Übrigen seien viele der jetzt vorgetragenen materiellen Schadenspositionen unsubstantiiert (etwa die Fahrtkosten für Arzt- und Therapiebesuche, die Fahrtkosten naher Angehöriger für Besuchsfahrten, die Kosten für die Pflege des Klägers zu Hause), aus rechtlichen Gründen nicht zugunsten des Klägers ersatzfähig (wie etwa die Kosten für Pflege während der stationären Aufenthalte, jährliche Mehraufwendungen für behindertengerechte Urlaube, der begehrte Haushaltsführungsschaden sowie geltend gemachte Schäden der Eltern), überhöht (wie etwa der geltend gemachte Verdienstausfallschaden) und/oder seien ohnehin nach der Abfindungsvereinbarung dem Kläger vorbehalten geblieben (namentlich die Pflegekosten und etwaige Schäden der Eltern). Auch die Einigung auf einen Schmerzensgeldbetrag von 250.000 EUR erscheine nicht unangemessen.

Mangels eines krassen Missverhältnisses hinsichtlich des gegenseitigen Nachgebens sowie im Hinblick darauf, dass etwa der Eintritt von etwa zu einem solchen Missverhältnis führenden weiteren, zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses noch unbekannten Folgen beim Kläger von diesem schon nicht dargelegt sei, komme auch eine Anpassung oder Aufhebung der Abfindungsvereinbarung nach § 242 BGB oder § 313 BGB nicht in Betracht.Da hinsichtlich der bedingt gestellten Klageanträge die Bedingung (Feststellung der Nichtigkeit des Vergleichs vom 10.10.2007) nicht eingetreten sei, sei über diese Anträge nicht mehr zu entscheiden. Mangels Hauptanspruchs sei schließlich auch für die Zuerkennung vorgerichtlicher Anwaltskosten nebst Zinsen kein Raum.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Verkehrsunfall mit Personenschaden - Nichtigkeit Abfindungsvergleich
(Symbolfoto: hedgehog94/Shutterstock.com)

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren der Sache nach – lediglich in Reihenfolge und Bezifferung der Anträge z. T. klarstellend umgestellt, wie aus der Berufungsbegründung (Bl. 193 f. GA) i.V.m. dem Sitzungsprotokoll vom 28.06.2016 (Bl. 223 GA) ersichtlich – in vollem Umfang weiter verfolgt, hilfsweise Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht begehrt und äußerst hilfsweise die Revisionszulassung anregt. Zur Begründung trägt der Kläger – neben einer pauschalen Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen – ergänzend im Wesentlichen vor: Das Landgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Entgegen seiner Annahme sei bei richtiger Würdigung der streitgegenständliche Abfindungsvergleich sehr wohl nichtig und sei dementsprechend auch über die bedingt gestellten, auf Zahlung bzw. Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden gerichteten Klageanträge zu befinden.

Das Landgericht habe zunächst zu Unrecht eine Sittenwidrigkeit des Vergleichs gemäß § 138 Abs. 1 BGB verneint. Es habe hinsichtlich der geltend gemachten Gemeinwohlschädlichkeit verkannt, dass die Allgemeinheit jedenfalls nach Verbrauch des auf den Verdienstausfallschaden gezahlten Geldes mit Kosten belastet werde, da der Kläger dann mangels anderer Einnahmemöglichkeiten auf Sozialleistungen angewiesen sei. Der Eintritt einer solchen Notsituation sei insbesondere auch deshalb naheliegend, weil der tatsächlich bestehende Wohn- und Kraftfahrzeugmehrbedarf durch den Vergleich mit abgefunden worden sei und der Kläger voraussichtlich, sollte er das Rentenalter erreichen, keine gesetzliche Rente bekommen werde.

Im Übrigen sei eine Sittenwidrigkeit des Abfindungsvergleichs nach § 138 Abs. 1 BGB – dies habe das Landgericht verkannt – schon dann gegeben, wenn ein auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung bestehe und weitere Umstände hinzuträten, z.B. eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vergleich Begünstigten, wobei das Bestehen eines auffälligen Missverhältnisses den subjektiven Tatbestand des bewussten Ausnutzens eines Vorteils indiziere. In diesem Zusammenhang habe das Landgericht zu Unrecht ausschließlich darauf abgestellt, dass der Kläger seinerzeit anwaltlich vertreten und beraten gewesen sei und dabei verkannt, dass die Vorgehensweise der damaligen anwaltlichen Vertreterin (und Streitverkündeten) – namentlich das Verlangen eines ersten Vorschusses von nur 10.000,- EUR und überhaupt die nicht ansatzweise vollumfängliche Geltendmachung der Ansprüche des Klägers – deren mangelnde Erfahrung mit der Abwicklung von Großschäden bei massivsten Verletzungen der hier in Rede stehenden Art bei einem Kind belege. Letzteres sei für die Beklagte, die ursprünglich sicherlich für die gesamte Regulierung einen Betrag jenseits von 3.000.000,- EUR zurückgestellt haben werde und durch den Vergleich Unsummen erspare, auch offensichtlich gewesen.

Insgesamt dränge sich vorliegend geradezu auf, dass dem Kläger tatsächlich Gesamtansprüche in der geltend gemachten Größenordnung zustünden und damit ein – die Annahme einer Sittenwidrigkeit des streitgegenständlichen Vergleichs nach § 138 Abs. 1 und auch § 138 Abs. 2 BGB begründendes, jedenfalls aber eine Aufhebung oder Anpassung nach § 242 bzw. § 313 BGB rechtfertigendes – krasses Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung bestehe. Zumindest habe das Landgericht insoweit zu einzelnen Schadenspositionen gebotene Beweiserhebungen verfahrensfehlerhaft unterlassen. Konkrete Vorstellungen der Eltern selbst über tatsächlich bestehende Ansprüche hätten, was das Landgericht in diesem Zusammenhang verkannt habe, keineswegs bestehen müssen. Die Eltern hätten sich ja nach ihren Angaben beim Landgericht gerade mangels eigener Kenntnisse eine – wie ausgeführt allerdings offensichtlich unerfahrene – Anwältin genommen; dies verdeutliche letztlich auch, dass die Eltern vom Bestehen und auch der Möglichkeit der Geltendmachung noch erheblicher Forderungen ausgegangen seien. Soweit das Landgericht dann einzelne in der Klage geltend gemachte Schadenspositionen als nicht hinreichend dargelegt angesehen habe, habe es unter Verstoß gegen § 139 ZPO gebotene Hinweise unterlassen und zudem letztlich – jedenfalls zum Teil – auch sehr wohl ausreichendes Vorbringen nebst Beweisangeboten übergangen. Zu den einzelnen (vom Landgericht angesprochenen) Schadenspositionen sei konkret Folgendes auszuführen:

  • Soweit Fahrtkosten für Arzt- und Therapiebesuche als nicht hinreichend substantiiert dargetan angesehen worden seien, habe das Landgericht nach § 139 ZPO gebotene Hinweise unterlassen.- Gleiches gelte auch hinsichtlich der geltend gemachten Fahrtkosten naher Angehöriger. Im Übrigen sei der Vortrag hierzu in der Klageschrift (dort s. 7 f., Bl. 7 f. GA) sehr wohl als ausreichend anzusehen; in welchen Einrichtungen der Kläger jeweils behandelt worden sei, ergebe sich aus den der Beklagten ohnehin vorliegenden Unterlagen sowie z.T. auch aus den als Anlage K 1 vorgelegten Arztberichten.- Hinsichtlich der geltend gemachten Kosten der Pflege während stationärer Aufenthalte des Klägers habe das Landgericht verfahrensfehlerhaft eine gebotene Beweiserhebung zur in der Klageschrift (vgl. Bl. 12 ff. GA) hinreichend dargelegten Erforderlichkeit einer zusätzlichen Pflegekraft unterlassen.
  • Gleiches gelte auch hinsichtlich der geltend gemachten Kosten der häuslichen Pflege. Insoweit habe das Landgericht verkannt, dass die Erforderlichkeit der Vojta- Therapie und die diesbezügliche Qualifikation der Mutter des Klägers in der Klageschrift (vgl. Bl. 14 f. GA) und im Schriftsatz vom 27.05.2014 (vgl. Bl. 102 GA) sehr wohl dargetan und ordnungsgemäß unter Beweis gestellt worden seien.
  • Mehraufwendungen für behindertengerechte Urlaube seien entgegen der Ansicht des Landgerichts sehr wohl gemäß § 843 BGB unter dem Gesichtspunkt vermehrter Bedürfnisse ersatzfähig. Sie seien auch in der Klageschrift (vgl. Bl. 16 GA) hinreichend dargetan und unter Beweis gestellt worden.
  • Den geltend gemachten Verdienstausfallschaden habe das Landgericht ohne Darlegung eigener Sachkunde sowie unter Übergehung des diesbezüglichen Vortrags nebst Beweisantritten in der Klageschrift (vgl. Bl. 18 f. GA) und zudem unter Außerachtlassung von etwaigen Gehaltsteigerungen und beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten als überhöht angesehen. Vollkommen unbeachtet gelassen habe das Landgericht ferner, dass der Kläger keine Altersrente erhalten werde und insoweit nach dem streitgegenständlichen Vergleich ebenfalls abgefunden worden sei. Angesichts des medizinischen Fortschritts sei es sehr wohl wahrscheinlich, dass der Kläger das Rentenalter erreichen werde. Dies bedeute, dass dieser Schaden gar nicht von der Abfindungsvereinbarung erfasst gewesen sei. Bei einem zu veranschlagenden Rentenbetrag von 1.500,- EUR monatlich, der bei der Abfindung hätte eingepreist und auch vom Landgericht hätte berücksichtigt werden müssen, ergebe sich ein weiterer ersatzfähiger Schaden von nicht unter 100.000,- EUR.
  • Soweit das Landgericht den geltend gemachten Haushaltsführungsschaden als von vornherein nicht ersatzfähig angesehen habe, sei dies nicht haltbar und widerspreche der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung. Es sei ungeachtet der unfallbedingten Behinderung des Klägers auch keineswegs ausgeschlossen, dass dieser eine Familie gründe und dann selbst seinen Familienangehörigen zur Mithilfe im Haushalt verpflichtet sein könne. Gegenteiliges habe das Landgericht jedenfalls nicht ohne insoweit die in der Klageschrift (vgl. Bl. 19 f. GA) angebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens feststellen können.
  • Hinsichtlich des geltend gemachten (Verdienstausfall-)Schadens der Eltern habe das Landgericht bei seiner Argumentation verkannt, dass die Ersatzfähigkeit dieser Schadensposition dem Grunde nach unstreitig gewesen sei, ebenso wie der Umstand, dass in den vereinbarten Abfindungsbetrag auch 10.000 EUR für immaterielle Schäden der Eltern und des Geschwisterkindes eingeflossen seien. Vor diesem Hintergrund hätte das Landgericht dieser Position mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen und sich dabei mit der lediglich streitigen Frage der Höhe dieser Position befassen müssen.
  • Bei seiner Beurteilung der Angemessenheit des bei der Abfindungsvereinbarung zugrunde gelegten Schmerzensgeldes von 250.000,- EUR habe das Landgericht sich mit der Argumentation des Klägers hierzu in keiner Weise auseinandergesetzt.

Die Beklagte tritt der klägerischen Berufung entgegen und begehrt deren Zurückweisung. Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil und trägt dabei ergänzend – neben einer pauschalen Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen – im Wesentlichen vor: Das Landgericht habe richtig entschieden. Insbesondere habe das Landgericht angesichts der von Beklagtenseite insgesamt (auf Ansprüche des Klägers) gezahlten 867.200,- EUR sowie der von der Abfindungsvereinbarung ausgenommenen Pflegekosten ab 2009 und der Eigenbeteiligungskosten bei medizinischen Behandlungen einschließlich Heil- und Hilfsmitteln ein krasses Missverhältnis zwischen dem eingetretenen Schaden und der abfindend geleisteten Entschädigung zu Recht verneint.

Es bleibe dabei, dass – wie bereits erstinstanzlich eingewandt – der Vortrag zu den geltend gemachten Fahrtkosten, dem angeblichen unfallbedingten Mehraufwand für Wohnungsmiete, Wohnungsnebenkosten und Wohnungseinrichtung, Anschaffung und Umbau eines behindertengerechten Fahrzeugs, Getränke und Kleidung sowie für behindertengerechte Urlaube, ferner auch das Vorbringen zur Bemessung des Verdienstausfalls und zum Schaden der Eltern bereits unsubstantiiert sei. Die geltend gemachten Kosten für die Pflege durch die Mutter während stationärer Aufenthalte des Klägers, Fahrtkosten der Großeltern und reine Fahrzeuganschaffungskosten seien – dabei bleibe es ebenfalls – von vornherein nicht ersatzfähig. Beim Haushaltsführungsschaden beziehe der Kläger – wie bereits in erster Instanz eingewandt – Zeiten mit ein, in denen ein Kind noch nicht zur Mithilfe im Haushalt verpflichtet sei. Im Übrigen bleibe es dabei, dass dieser Schaden sowie auch die geltend gemachten weiteren Kosten, insbesondere diejenigen für häusliche Pflege und behindertengerechte Umbauten, und auch die Schmerzensgeldvorstellungen übersetzt seien. Wie bereits in der Klageerwiderung ausgeführt, hätten sich damals – zum Zeitpunkt der Abfindungsvereinbarung – letztlich berechtigte Schadenspositionen i. H. von insgesamt 896.293,37 EUR ergeben; die insgesamt gezahlten 867.200 EUR stünden hierzu in keinem krassen Missverhältnis, so dass die Abfindungsvereinbarung weder nach § 138 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB nichtig, noch gem. § 242 BGB oder § 313 BGB anzupassen sei, zumal der Beklagten danach eben nicht bewusst gewesen sei, mit dem Abschluss der streitgegenständlichen Abfindungsvereinbarung Unsummen zu ersparen.

Zu diesem Ergebnis sei zu Recht und in nicht zu beanstandender Weise auch das Landgericht gekommen. Die hiergegen gerichteten Einwände der Berufung gingen fehl. Eine Gemeinwohlschädlichkeit der Abfindungsvereinbarung habe das Landgericht völlig zu Recht verneint. Die Berufung verkenne, dass in Ansehung zu erwartender Sozialhilfeleistungen ein Anspruchsübergang nach § 116 SGB X auf den Sozialhilfeträger erfolgt sei und diese übergegangenen Ansprüche von der Abfindungsvereinbarung überhaupt nicht berührt worden seien. Das Landgericht habe ferner völlig zu Recht im Hinblick auf die damalige anwaltliche Vertretung des Klägers eine ungleiche Verhandlungsstärke verneint.

Auch ein krasses Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung habe das Landgericht völlig zu Recht verneint. Seine Ausführungen zu einzelnen vom Kläger geltend gemachten Schadenspositionen seien nicht zu beanstanden.

  • Hinsichtlich der vom Landgericht zu Recht als nicht substantiiert dargelegt angesehenen Fahrtkosten für Arzt- und Therapiebesuche habe es im vorliegenden Anwaltsprozess angesichts des diesbezüglichen Einwandes der Beklagten keines richterlichen Hinweises bedurft. Im Übrigen sei diese Schadensposition der Höhe nach ohnehin letztlich für die Beurteilung der Frage des Bestehens eines auffälligen Missverhältnisses nicht relevant.
  • Hinsichtlich der vom Landgericht ebenfalls zutreffend als nicht hinreichend dargetan angesehenen Fahrtkosten naher Angehöriger liege aus gleichen Gründen keine Hinweispflichtverletzung vor.
  • Die Kosten für Pflege des Klägers während stationärer Aufenthalte habe das Landgericht zutreffend als nicht ersatzfähig angesehen. Die Berufung verkenne, dass die pflegerische Versorgung gem. § 39 SGB V dem Krankenhaus obliege, woran eine tatsächliche Übernahme durch die Eltern des Klägers nichts ändere. Die Notwendigkeit einer zusätzlichen Pflegekraft habe der Kläger auch auf S. 12 ff. der Klageschrift (Bl. 12 ff. GA) nicht unter Beweis gestellt, so dass das Landgericht eine Beweiserhebung insoweit keineswegs verfahrensfehlerhaft unterlassen habe. Hinsichtlich der geltend gemachten häuslichen Pflegekosten seien die Ausführungen des Landgerichts ebenfalls nicht zu beanstanden. Insoweit sei insbesondere entscheidend, dass von der Beklagten weiterhin Pflegegeld gezahlt werde und die klägerische Stundenaufstellung auch normale Tätigkeiten einer Mutter und Wahrnehmung von Terminen, die keine Pflegeleistungen darstellten, mit einbeziehe. Zur Beurteilung dieser Aspekte habe es auch nicht der Einschaltung eines Sachverständigen bedurft.
  • Etwaige erhöhte Kosten für behindertengerechte Urlaube habe das Landgericht rechtsfehlerfrei als nicht ersatzfähig angesehen. Die von § 843 BGB berücksichtigten vermehrten Bedürfnisse umfassten nicht Kosten für eine Freizeitgestaltung nach persönlichen Neigungen.
  • Auch die Ausführungen des Landgerichts zum Verdienstausfallschaden seien zutreffend und nicht zu beanstanden. Seine Einschätzung, dass der Kläger ohne den Unfall voraussichtlich im Handwerk oder im Angestelltenbereich gearbeitet hätte, habe das Landgericht sehr wohl nachvollziehbar begründet; in diesem Zusammenhang seien nach der Rechtsprechung des BGH in Fällen der vorliegenden Art zudem auch Ausbildung und Werdegang der Eltern und ggfs. von Geschwistern zu berücksichtigen. Hier seien der Vater des Klägers Fleischer und die Mutter ungelernt und sei die Einschätzung des Landgerichts auch vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Die Annahme eines dann erzielbaren Einkommens von mtl. rd. 2.500,- EUR brutto = 1.700,- EUR netto sei ebenfalls in Ordnung. Ein Sachverständigengutachten sei für die Prognose der beruflichen Entwicklung des Klägers ohne den Unfall kein geeignetes Beweismittel.
  • Soweit die Berufung die Nichtberücksichtigung des etwaigen Ausbleibens einer Altersrente durch das Landgericht beanstande, gehe diese Rüge fehl, weil diesbezüglich in erster Instanz jeglicher Tatsachenvortrag gefehlt habe.
  • Hinsichtlich des geltend gemachten Haushaltsführungsschadens seien die Ausführungen des Landgerichts ebenfalls zutreffend und nicht zu beanstanden. Es habe in diesem Zusammenhang auch nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens dazu, ob der Kläger später eine Familie gründen werde, bedurft; insoweit sei ein Sachverständigengutachten kein geeignetes Beweismittel.
  • Der Umstand, dass unstreitig bei der streitgegenständlichen Abfindungsvereinbarung auch immaterielle Schäden der Eltern des Klägers und des Geschwisterkindes mitberücksichtigt worden seien, führe nicht dazu, dass der Kläger – was das Landgericht zu Recht in Zweifel gezogen habe – Schäden der Eltern im eigenen Namen geltend machen könne. Insoweit gehe es um eine Rechtsfrage, die naturgemäß auch nicht unstreitig sein könne.
  • Soweit das Landgericht ein von der Beklagten in der Klageerwiderung als angemessen angeführtes Schmerzensgeld von 250.000,- EUR als damals von den Parteien zugrunde gelegt und auch nicht unangemessen erachtet habe, sei dies schließlich ebenfalls nachvollziehbar und nicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat die Eltern des Klägers ergänzend persönlich angehört (vgl. dazu den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 28.06.2016).

II.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage letztlich zu Recht abgewiesen.

1. In verfahrensrechtlicher Hinsicht bestehen zunächst keine Bedenken bzgl. der – wie schon in erster Instanz – zum Teil „bedingten“ Antragstellung (vgl. die jetzt unter Ziffer 1 b gestellten bedingten Anträge, Bl. 194 i. V. m. Bl. 223 GA). Soweit hier die Antragstellung unter die „Bedingung“ gestellt wird, dass das Gericht gemäß dem ersten Antrag die Nichtigkeit des Vergleichs vom 10.10.2007 feststellt, handelt es sich um eine zulässige innerprozessuale Bedingung (vgl. dazu allgemein nur Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 253, Rn. 1 und § 260, Rn. 4 f. m. w. Nachw.).

2. In der Sache ist die Berufung des Klägers unbegründet. Eine Nichtigkeit des hier in Rede stehenden Abfindungsvergleichs ist auch nach Auffassung des Senats nicht feststellbar. Dementsprechend ist für einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlicher Anwaltskosten ebenfalls kein Raum und bedürfen die lediglich unter der Bedingung der gerichtlichen Feststellung der Nichtigkeit des Vergleichs gestellten weiteren Zahlungs- und Feststellungsanträge keiner Entscheidung.

a. Es lässt sich zunächst nicht feststellen, dass der hier in Rede stehende Abfindungsvergleich aus Oktober 2007 gemäß der Abfindungserklärung vom 10.10.2007 [Anlage K 4 = Bl. 48 (2) GA] – wie der Kläger meint – nach § 138 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB nichtig ist [die Wirksamkeit einer später bzgl. der im streitgegenständlichen Vergleich vorbehaltenen Pflegekosten ab 2009 bis 2016 erfolgten, in der vorgelegten Anlage K 6, Bl. 51 (2) erwähnten, ansonsten inhaltlich nicht näher vorgetragenen Abfindungsvereinbarung wird vom Kläger ausdrücklich nicht in Frage gestellt und angegriffen; vgl. dazu S. 15 der Klageschrift, Bl. 15 GA.

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aa. Zur Feststellung der Sittenwidrigkeit der in einem Vergleich getroffenen Regelungen – namentlich eines insoweit bedeutsamen krassen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung – ist nicht das Verhältnis des Wertes der beiderseits übernommenen Verpflichtungen, sondern das beiderseitige Nachgeben gegeneinander abzuwägen. Maßgeblich ist, wie die Parteien die Sach- und Rechtslage bei Vergleichsabschluss eingeschätzt haben und in welchem Ausmaß sie davon abgewichen sind und zur Bereinigung des Streitfalles gegenseitig nachgegeben haben (vgl. dazu BGH, NJW 1999, 3113, dort Rn. 8; OLG Brandenburg v. 18.07.2007 – 4 U 88/01, zitiert nach juris, dort Rn. 48 ff.; OLG Hamm, MDR 2009, 193, Rn. 29 bei juris; OLG Düsseldorf, BauR 2012, 106, Rn. 76). Eine Nichtigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB setzt neben einem – regelmäßig bei einer Abweichung um 100 % oder mehr anzunehmenden (vgl. dazu allgemein nur OLG Düsseldorf, BauR 2012, 106, Rn. 76; ferner Palandt/Ellenberger, BGB, 75. Aufl., § 138, Rn. 67 und auch Rn. 34 ff. m. w. Nachw.) – auffälligen Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen (hier des beiderseitigen Nachgebens) die Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögens oder der erheblichen Willensschwäche des anderen Beteiligten voraus (vgl. dazu allgemein nur Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 138, Rn. 69 ff.). Aber auch dann, wenn nicht alle Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB vorliegen, kann in der Gesamtschau eine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB in Betracht kommen, wobei allerdings aus dem Vorliegen des einen oder anderen Wuchermerkmals i. S. des § 138 Abs. 2 BGB nicht ohne weiteres auf eine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB geschlossen werden darf; insbesondere reicht ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung allein nicht aus, müssen vielmehr weitere sittenwidrige Umstände wie etwa eine – bei einem besonders groben Missverhältnis indes ggfs. vermutete – verwerfliche Gesinnung oder das Ausnutzen der schwächeren Lage des anderen hinzukommen (vgl. dazu allgemein nur BGH, NJW 2014, 1652, Rn. 5 und 7 ff.; ferner Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 138, Rn. 34 ff. m. w. Nachw.). Bei Haftpflichtvergleichen ist – insbesondere dann, wenn der Verletzte durch einen Anwalt vertreten oder (wie ausweislich der im Sitzungsprotokoll Bl. 139 R GA niedergelegten Angaben Eltern des Klägers, welche die eigentliche Abfindungserklärung Bl. 48 GA dann auf anwaltlichen Rat als gesetzliche Vertreter des Klägers selbst unterschrieben haben, im vorliegenden Fall) anwaltlich beraten ist, eine Nichtigkeit nach § 138 BGB nur ausnahmsweise denkbar (vgl. dazu Geigel/Bacher, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 40, Rn. 5).

bb. Danach scheidet hier eine Nichtigkeit der Abfindungsvereinbarung aus Oktober 2007 nach § 138 Abs. 2 BGB schon unabhängig vom Vorliegen eines krassen Missverhältnisses von vornherein aus. Denn es ist – wie zutreffend vom Landgericht angenommen – weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass hier die Beklagte etwa eine Zwangslage, eine Unerfahrenheit, einen Mangel an Urteilsvermögens oder eine erheblichen Willensschwäche des anderen Vertragsteils ausgebeutet, d.h. bewusst ausgenutzt hätte. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Eltern des Klägers damals unstreitig durch die Streitverkündete – Rechtsanwältin N aus C – anwaltlich beraten waren und ebenfalls unstreitig bereits vor dem (rd. 1 Jahr nach dem schadensursächlichen Verkehrsunfall erfolgten) Vergleichsabschluss erhebliche Beträge (317.200 EUR) für den Kläger – neben weiteren 6.000 EUR als Schmerzensgeld für die Eltern und das Geschwisterkind sowie einen Vorschuss auf Anwaltsgebühren (vgl. dazu S. 17 der Klageerwiderung, Bl. 84 GA, i. V. m. den dazu vorgelegten Belegen, Bl. 94 und 96 GA) – erhalten hatten. Entgegen der Annahme der Berufung bestehen auch keine konkreten Anhaltspunkte für eine Unerfahrenheit der damals beratenden Anwältin. Insbesondere das ausführliche Aufforderungsschreiben vom 14.11.2006 (Bl. 35 ff. GA), in dem zunächst immerhin mit umfangreichen Rechtsprechungszitaten ein Schmerzensgeld von 300.000 EUR zzgl. einer Schmerzensgeldrente von mtl. 500 EUR begehrt und über eine geforderte Verpflichtungserklärung mit Verjährungsverzicht auch weitere erhebliche, noch nicht bezifferbare Ersatzansprüche (u.a. Ansprüche wegen vermehrter Bedürfnisse, Erwerbsschadens, Haushaltsführungsschadens, Fahrtkosten, Zuzahlungen etc.) geltend gemacht und angesprochen worden sind, spricht aus Sicht des Senats klar gegen eine Unerfahrenheit oder einen Mangel an Urteilsvermögen oder gar eine Willensschwäche der Anwältin, auf deren Rat die Eltern des Klägers hier gehört und entsprechend gehandelt haben. Ob der anwaltliche Rat unter den hier gegebenen Umständen (insbes. im Blick auf das geringe Alter des schwerstverletzten Klägers und die bestehenden Zukunftsrisiken) tatsächlich gut und richtig war, mag durchaus fraglich erscheinen, kann aber letztlich nur für die Frage eines evtl. Anwaltsregresses von Bedeutung sein.

cc. Eine Sittenwidrigkeit des Abfindungsvergleichs nach § 138 Abs. 1 BGB kommt aus Sicht des Senats – auch angesichts der mit 867.200 EUR doch wirklich beachtlichen Zahlungen an den Kläger bei Vorbehalt durchaus ebenfalls beachtlicher weiterer Forderungen – von vornherein nicht wirklich ernsthaft in Betracht.

(1) Nach Auffassung des Senats verbietet es sich angesichts der vielen – von Klägerseite mehrfach selbst angesprochenen – Prognose- und Schätzungsunsicherheiten zum damaligen Zeitpunkt (abzustellen ist auf die Sicht aus Oktober 2007) von vornherein, hier bei der Beurteilung der Frage eines krassen Missverhältnisses überhaupt mit (eine Scheingenauigkeit vorgebenden) festen Zahlen zu arbeiten, über die man, wie u.a. auch die „Gegenrechnung“ der Beklagten zeigt, angesichts der vielen Unsicherheiten und Spielräume generell trefflich streiten kann. Dies gilt umso mehr, als es letztlich darauf ankommt, wie die Parteien des Vergleichs die Sach- und Rechtslage bei Vergleichsabschluss eingeschätzt haben und in welchem Ausmaß sie davon abgewichen sind und zur Bereinigung des Streitfalles gegenseitig nachgegeben haben; dazu fehlt letztlich – wie schon vom Landgericht zutreffend angemerkt – hinreichend konkreter Vortrag.

(2) Gleichwohl sei vorsorglich und der Vollständigkeit halber auch auf in der Tat bestehende Schlüssigkeitsbedenken hinsichtlich vieler Punkte des klägerischen Zahlenwerks eingegangen.

(a) Sowohl hinsichtlich der Frage eines krassen Missverhältnisses des beiderseitigen Nachgebens, als auch hinsichtlich der geltend gemachten Gemeinwohlschädlichkeit des Vergleichs (im Hinblick auf die absehbare Inanspruchnahme von Sozialleistungen) verkennt die Klägerseite zunächst einmal, dass ein erheblicher Teil der hier in Rede stehenden Ersatzansprüche dem Forderungsübergang nach § 116 SGB X unterliegt. Dabei war auch ein Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger sogleich, jedenfalls aber vor Vergleichsschluss erfolgt, da angesichts der dauerhaften Querschnittslähmung von vornherein ernsthaft mit einer Eintrittspflicht (auch) des Sozialhilfeträgers zu rechnen war; davon gehen ungeachtet der abfindend gezahlten (ohnehin teilweise – etwa soweit es um Schmerzensgeld geht – sozialhilferechtlich nicht vorrangig einzusetzenden) erheblichen Beträge die Berufung sowie – ausweislich ihrer ergänzenden Erklärungen vor dem Senat (vgl. namentlich S. 3 des Berichterstattervermerks zum Senatstermin am 28.06.2016) – die Eltern des Klägers persönlich letztlich auch selbst aus (vgl. zum Anspruchsübergang und dessen Zeitpunkt allgemein nur Palandt/Grüneberg, a.a.O., Vorb. v. § 249 BGB, Rn. 112 ff., insbes. Rn. 121, m. w. Nachw.). Die danach übergegangenen kongruenten Ersatzansprüche waren indes von vornherein nicht von der Abfindungsvereinbarung erfasst. Das betrifft namentlich einen – der möglichen Leistungspflicht der Sozialversicherungs- bzw. Sozialhilfeträger entsprechenden – nicht unerheblichen Teil des Erwerbsschadens einschließlich des jetzt ins Spiel gebrachten Rentenschadens und auch des Haushaltsführungsschadens (soweit es um die Versorgung Familienangehöriger als Erwerbsschaden geht; vgl. dazu nur Palandt/Grüneberg, a.a.O., Vorb. v. § 249, Rn. 117 und § 249, Rn. 66 und Palandt/Sprau, a.a.O., § 843, Rn. 8).

Die vom Klägervertreter aufgemachte Rechnung krankt ferner zum großen Teil auch daran, dass bei der Ermittlung der zum Vergleich mit den tatsächlich abfindend gezahlten 867.200 EUR herangezogenen Forderungsbeträge nicht bzw. nur unzureichend abgezinst worden ist; dabei ist zu berücksichtigen, dass insoweit – auch hinsichtlich des Zinsfaktors – auf den Zeitpunkt des Vergleichsschlusses im Oktober 2007 abzustellen ist, so dass – angesichts eines damals geltenden Basiszinssatzes von immerhin 3,19 % und damals dementsprechend auch bei Geldanlagen noch höheren erzielbaren Renditen – ein Zinsfaktor von 5 % (wie von Beklagtenseite zugrunde gelegt und etwa auch bei Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschäden, Nachtrag Kapitalisierungstabellen, 9. Aufl. 2007 für angemessen erachtet) durchaus gerechtfertigt, jedenfalls gut vertretbar erscheint. Überhaupt nicht abgezinst haben die Klägervertreter etwa (vgl. dazu S. 6 ff., insbes. S. 22 f. der Klageschrift, Bl. 6 ff., 22 f. GA) bei den geltend gemachten Einmalzahlungen für Besuchskosten, behindertengerechtes Wohnen, behindertengerechtes Fahrzeug und den Pflegekosten, obwohl die geltend gemachten Aufwendungen – jedenfalls zum Teil – zeitlich erst deutlich nach dem Vergleichsschluss im Oktober 2007 entstanden sind bzw. entstehen werden. Soweit abgezinst worden ist, hat der Klägervertreter dies offensichtlich mit einem zu niedrigen Zinsfaktor von 3 % getan (arg.: Die in der Klageschrift, Bl. 22 GA, angeführten Kapitalisierungsfaktoren passen nach der Kapitalisierungstabelle aus 2007 bei Küppersbusch,a.a.O., größenordnungsmäßig nur zu 3 %; anzunehmen sind aber hier – da jedenfalls gut vertretbar – 5 %, die nach der genannten Tabelle deutlich niedrigere Kapitalisierungsfaktoren ergeben, beispielsweise für eine lebenslange Rente bei dem zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses 2 Jahre alten Kläger 19,789 statt vom Klägervertreter angesetzter 29,931).

(b) Ferner bestehen hinsichtlich der geltend gemachten Forderungen aus Sicht des Senats zum großen Teil auch ansonsten Schlüssigkeitsbedenken. Die geltend gemachten Fahrtkosten für Arzt- und Therapiebesuche und auch für Besuche naher Angehöriger sind aus den vom Landgericht angeführten Gründen in der Tat nicht hinreichend substantiiert dargetan. Eine Hinweispflichtverletzung erscheint insoweit im vorliegenden Anwaltsprozess angesichts der diesbezüglich schon in erster Instanz von Beklagtenseite erhobenen Einwände von vornherein fraglich, hätte sich aber jedenfalls nicht ursächlich ausgewirkt, weil auch jetzt nicht weitergehend vorgetragen wird. Soweit z. T. mehr als 0,25 EUR pro km angesetzt werden, ist das nach Auffassung des Senats ebenfalls nicht gerechtfertigt (vgl. dazu nur Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 249, Rn. 8 f.).

Ob die geltend gemachten Mehraufwendungen für behindertengerechtes Wohnen angesichts der diesbezüglichen Einwände der Beklagten in der Klageerwiderung vom 08.08.2014 (Bl. 69 ff. GA) und dem Schriftsatz vom 15.10.2014 (Bl. 128 f. GA) der Höhe nach hinreichend dargetan sind, erscheint ebenfalls höchst fraglich. Gleiches gilt für die – in den Schriftsätzen vom 08.08.2014 und 15.10.2014 (vgl. Bl. 72 f., 129 GA) ebenfalls konkret bestrittenen – Mehraufwendungen für behindertengerechte Fahrzeuge.

Soweit Kosten der Pflege durch die Eltern – insbesondere die Mutter – im Krankenhaus und zu Hause (bis Ende 2008) geltend gemacht werden, hat der Senat schon Probleme, die Berechnung – einschließlich der zugrunde gelegten Zeiten, die zum Teil bei der häuslichen Pflege zudem auch ganz normale (nicht unfallbedingte) Kinderbetreuungstätigkeiten betreffen – überhaupt nachzuvollziehen, worauf im Schriftsatz vom 08.08.2014 (vgl. Bl. 76 f. GA) auch die Beklagte hingewiesen hat. Ob man die im Krankenhaus erbrachten Pflegeleistungen mit dem Landgericht und der Beklagten von vornherein insgesamt als nicht ersatzfähig ansehen kann, erscheint allerdings angesichts des geringen Alters und der Schwere der Verletzungen und Beeinträchtigungen des Klägers durchaus fraglich; die vom Landgericht in diesem Zusammenhang auf S. 7 des Urteils zitierte BGH-Entscheidung vom 08.06.1999 – VI ZR 244/98 lässt nach dem Verständnis des Senats jedenfalls keinen entsprechenden Schluss zu (vgl. dazu in der Veröffentlichung bei juris Rn. 9, letzter Satz). Dass ein schwer verletztes Kleinkind auch im Krankenhaus besonderer Betreuung und Pflege bedarf, die das Krankenhauspersonal naturgemäß so nicht erbringen kann, erscheint dem Senat nachvollziehbar, jedenfalls nicht fernliegend. Die zugrunde gelegten Stundensätze sind indes recht hoch; die von Beklagtenseite maximal angenommenen 10 EUR hält der Senat eher für angemessen, jedenfalls gut vertretbar. Soweit vom Klägervertreter Leistungen der Mutter für Therapiemaßnahmen und insoweit höhere Stundensätze angesetzt werden, ist dies mangels Darlegung einer (nach dem Verständnis des Senats von Beklagtenseite in den Schriftsätzen vom 08.08.2014 und 15.10.2014, Bl. 78, 131 GA, bestrittenen) ärztlichen Verordnung und einer hinreichenden Qualifikation der Kindesmutter (vgl. dazu das mehr als dürftige Vorbringen in der Klageschrift und dem Schriftsatz vom 27.05.2014, Bl. 14 und 102 GA) kaum hinreichend substantiiert.

Hinsichtlich der geltend gemachten Mehraufwendungen für behindertengerechtes Leben gilt: Soweit das Landgericht Mehraufwendungen für behindertengerechte Urlaube von vornherein als nicht unter dem Gesichtspunkt der vermehrten Bedürfnisse ersatzfähig angesehen hat, erscheint dies zwar fraglich (vgl. dazu auch das von Klägerseite vorgelegte Urteil des OLG Celle vom 23.03.2000 – 14 U 29/88, Bl. 107 ff., 113 GA). Allerdings erachtet der Senat die pauschal angesetzten 2.400 EUR pro Jahr insoweit doch für reichlich hoch gegriffen und sind diese Mehrkosten auch nicht konkret dargetan und belegt; Gleiches gilt aus Sicht des Senats auch für die weiteren Mehraufwendungen für Getränke, Kleiderverschleiß, Einrichtung und Wohn-Nebenkosten. Dies war auch bereits in erster Instanz von Beklagtenseite in den Schriftsätzen vom 08.08.2014 und 15.10.2014 (vgl. Bl. 78 ff., 131 f. GA) eingewandt worden.

Beim Verdienstausfall legt die Klägerseite aus Sicht des Senats ein deutlich zu hohes voraussichtlich ohne den Unfall erzieltes Einkommen zugrunde, wie zutreffend auch die Beklagte in den vorgenannten Schriftsätzen (Bl. 80 f., 133 GA) und das Landgericht angemerkt haben. Nach Auffassung des Senats kann unter den hier gegebenen Umständen (u.a. Ausbildung und Beruf der Eltern) nicht ohne weiteres – wie seitens des Klägervertreters in der Klageschrift angenommen (vgl. Bl. 19 GA) – ein höherer Bildungs- bzw. Ausbildungsabschluss unterstellt werden. Zudem kommt es auf die prognostische Sicht in 2007 an, während die Klägerseite mit Zahlen aus 2012 (allerdings zugegebenermaßen ohne gesonderte Berücksichtigung hypothetischer Lohn- oder Gehaltssteigerungen) operiert. Das Zahlenwerk des Klägervertreters ist letztlich im Grunde schlicht gegriffen. Aus Sicht des Senats ist die anzustellende Prognose des Werdegangs ohne den Unfall als solche auch keine einem Sachverständigenbeweis zugängliche Frage.

Einen ersatzfähigen Haushaltsführungsschaden wird man nach Auffassung des Senats zwar – entgegen der Annahme des Landgerichts – nicht vollständig verneinen können, namentlich nicht, soweit es die eigene Versorgung des Klägers betrifft (insoweit geht es um vermehrte eigene Bedürfnisse). Allerdings wird der Berechnung, welche die Klägerseite – insbesondere im Schriftsatz vom 27.05.2014 (vgl. Bl. 104 f. GA) – vornimmt, sicherlich so nicht ohne weiteres gefolgt werden können, auch wenn bei einer kompletten Querschnittslähmung sub C7 eine dauerhaft nahezu vollständige MdH nicht fern liegt. Als Stundensatz rechnet der Senat – zudem auch erst seit einiger (deutlich nach 2007 liegender) Zeit – mit 9,- EUR und nicht mit 10,- EUR.

Beim geltend gemachten Verdienstausfallschaden der Eltern ist aus Sicht des Senats in der Tat von vornherein fraglich, ob dies ein vom Kläger unter dem Gesichtspunkt vermehrter Bedürfnisse geltendmachbarer Schaden ist (vgl. dazu allgemein nur OLG Bamberg, VersR 2005, 1593, Rn. 7 ff. bei juris; Palandt/Sprau, a.a.O., § 843, Rn. 3). Hierzu bedürfte es schon der näheren Darlegung der Erforderlichkeit einer Versorgung gerade durch die Eltern. Im Übrigen handelt es sich hier letztlich der Sache nach um Pflegekosten, die von Klägerseite auf der anderen Seite – für die Zeit bis Ende 2008 – schon auf Stundenlohn-Basis geltend gemacht werden und ab 2009 ohnehin durch den streitgegenständlichen Vergleich unberührt geblieben sind. Schließlich hat der Kläger – was von Beklagtenseite im Schriftsatz vom 08.08.2014 auch ausdrücklich gerügt worden ist (vgl. Bl. 82 GA) – einen Verdienstausfall der Höhe nach in keiner Weise nachvollziehbar und schlüssig dargetan.

Beim Schmerzensgeld gibt es naturgemäß einen großen Einschätzungs- und Ermessenspielraum. Betrachtet man einmal die Schmerzensgeld-Rechtsprechung zu solchen Fällen in der Zeit bis 2007 (dem hier maßgebenden Zeitpunkt), so erscheint dem Senat ein von Beklagtenseite für ausreichend erachteter Betrag von 250.000,- EUR – jedenfalls bezogen auf den Zeitpunkt des Vergleichsschlusses – keineswegs völlig unangemessen oder gar unvertretbar niedrig, während 500.000 EUR schon sehr hoch gegriffen wären (vgl. dazu beispielhaft etwa die bei Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2015 unter den lfd. Nummern 2261,2283 und 2258 veröffentlichten Entscheidungen).

(3) Insgesamt fehlt es bei dieser Sachlage letztlich schon an einer hinreichenden Darlegung eines auffälligen, gar krassen Missverhältnisses des beiderseitigen Nachgebens. Auch für die Annahme einer verwerflichen Gesinnung auf Seiten der Beklagten fehlt es aus Sicht des Senats – angesichts der vielen Unwägbarkeiten bei der Einschätzung der abgefundenen Ansprüche – an hinreichenden Anhaltspunkten. Davon dass sich hier etwa ein besonders grobes und krasses Missverhältnis und damit zugleich auch eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten geradezu aufdränge, kann kein Rede sein, zumal der insgesamt auf Ansprüche des Klägers gezahlte Betrag von 867.200 EUR durchaus beachtlich ist.

b. Eine Nichtigkeit der Abfindungsvereinbarung aus sonstigen Gründen – namentlich gem. § 779 BGB (vgl. dazu allgemein nur Geigel/Bacher, a.a.O., Kap. 40, Rn. 11 ff.) – ist weder dargetan noch ersichtlich. Gleiches gilt für Anfechtungsgründe. Gründe, welche eine Berufung auf die Abfindungsvereinbarung als treuwidrig i.S. des § 242 BGB erscheinen ließen oder eine Anpassung bzw. Aufhebung nach § 313 BGB (vgl. dazu allgemein Palandt/Grüneberg, § 242, Rn. 38 ff., 61 und § 313, Rn. 44, 64 sowie Geigel/Bacher, a.a.O., Kap. 40, Rn.20 f. und 24 ff.) rechtfertigen könnten, sind angesichts der hier gegebenen und oben erörterten Umstände sowie mangels Vortrags etwa zu berücksichtigender relevanter nachträglicher Veränderungen ebenfalls weder hinreichend dargetan noch sonst ersichtlich (selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 242 oder 313 BGB wäre im Übrigen – sofern dann nicht ohnehin zugleich eine Sittenwidrigkeit bejaht würde – die begehrte Feststellung der Nichtigkeit kaum möglich).

c. Bleibt danach der in erster Linie und unbedingt verfolgte Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der streitgegenständlichen Abfindungsvereinbarung ohne Erfolg, ist auch für einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten kein Raum und bedürfen die lediglich unter der Bedingung der gerichtlichen Feststellung der Nichtigkeit des Vergleichs gestellten weiteren Zahlungs- und Feststellungsanträge keiner Entscheidung.

3. Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht (§ 543 ZPO). Die maßgebenden Fragen sind solche des Einzelfalles.

 

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