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Verkehrsunfall mit Verwendung von Einsatzhorn und Blaulicht in Kreuzung fahrendes Polizeifahrzeug

LG Bonn – Az.: 1 O 92/18 – Urteil vom 14.11.2018

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 76 Prozent und die Beklagte zu 24 Prozent.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche wegen eines Verkehrsunfalls vom 13.09.2017 in N geltend, bei dem es zu einer Kollision zwischen seinem PKW U und einem Polizeifahrzeug des beklagten Landes (im Folgenden: die Beklagte) kam.

Die Zeugin I befuhr mit dem klägerischen PKW (amtliches Kennzeichen X-XX-###) am 13.09.2017 gegen 15:50 Uhr die I-Allee in N, Fahrtrichtung L-Allee. Im Kreuzungsbereich C-Allee (Z#) wollte sie nach links in Fahrtrichtung Innenstadt abbiegen. Dabei kollidierte sie mit dem auf der C Allee (Z#) ebenfalls in Fahrtrichtung Innenstadt fahrenden Polizeifahrzeug der Beklagten (amtliches Kennzeichen NRW-#-####). Insassen des Polizeifahrzeugs waren die Zeugen Q (Fahrer), PK T (Beifahrer) und damaliger StA y (Rückbank links). Zum Zeitpunkt des Einfahrens in die Kreuzung zeigte die Ampelanlage für den klägerischen PKW grün und für das Polizeifahrzeug rot. Ziel war es, den Täter einer aktuell stattfindenden Sachbeschädigung (Graffitisprayer an Denkmal) möglichst noch „in flagranti“ anzutreffen.

Der PKW des Klägers wurde durch den Unfall im vorderen rechten Bereich umfangreich beschädigt (siehe dazu die Auflistung im Privatgutachten vom 21.09.2017 = Bl. 11 d. A.). Dem Kläger sind die folgenden Schäden in Höhe von insgesamt 6.925,32 Euro entstanden:

  • Reparaturkosten netto: 6.073,63 Euro
  • Sachverständigenkosten: 826,69 Euro
  • Kostenpauschale: 25,00 Euro

Diese macht der Kläger wegen einer angenommenen eigenen Betriebsgefahr von 20% in Höhe von 5.540,25 Euro und damit im Ergebnis zu 80% geltend.

Der unfallbedingte Schaden an dem Polizeifahrzeug belief sich auf insgesamt 3.324,61 Euro.

Mit anwaltlichen Schreiben vom 22.09.2017 und 27.09.2017 (Bl. 38ff. d. A.) forderte der Kläger die Beklagte mit Frist zum 06.10.2017 erfolglos zur Zahlung in Höhe von 6.098,63 Euro auf.

Gem. Schreiben vom 14.03.2018 (Bl. 68 d. A.) stellte die hinter der Klägerin stehende Haftpflichtversicherung der Beklagten vorprozessual einen Betrag von 800,00 Euro als „Vorschuss“ zur Haftungsregulierung durch Überweisung zur Verfügung.

Die geltend gemachten vorgerichtlichen Kosten errechnet die Klägerin bei einem angenommenen Gegenstandswert von 5.540,24 Euro aus einer 1,3 Geschäftsgebühr zzgl. Kostenpauschale und 19% Mehrwertsteuer (Bl. 42 d. A.).

Der Kläger behauptet einen Unfallhergang im Wesentlichen wie folgt: Die Zeugin I sei nach dem Umschalten der Ampel auf Grün langsam angefahren. Nachdem sie ein Martinshorn gehörte habe, habe sie ihren PKW sofort angehalten. Da ein Einsatzfahrzeug nicht zu sehen gewesen sei, sei sie davon ausgegangen, dass dieses sich von hinten aus Richtung I-Allee nähern würde. Nachdem ein Fahrzeug hinter ihr gehupt habe, sei sie langsam in den Kreuzungsbereich eingefahren, habe an der Haltelinie erneut gehalten und sich vergewissert, dass kein Verkehr von der Gegenspur komme. Sie sei dann langsam weitergefahren. Dann habe sich das Polizeifahrzeug mit hoher Geschwindigkeit (mindestens 40 – 50 km/h) von rechts genähert. Zu diesem Zeitpunkt sei kein Martinshorn mehr zu hören gewesen. Der Kläger ist daher der Ansicht, dass die Beklagte für das streitgegenständliche Unfallgeschehen zu 80% die Haftung treffe.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.540,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.10.2017 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 571,44 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet den folgenden Unfallhergang: Das Polizeifahrzeug sei mit Blaulicht und Martinshorn gefahren. Die anderen Fahrzeuge im Kreuzungsbereich hätten eine Rettungsgasse gebildet. Der Verkehr habe gestanden. Das Polizeifahrzeug habe sich an der Rettungsgasse vorbei in den Kreuzungsbereich hineingetastet. Das Fahrzeug sei am Beginn des Kreuzungsbereichs zum Stillstand abgebremst worden. Die Weiterfahrt sei erst erfolgt, nachdem sich der Zeuge Q als Fahrer vergewissert habe, dass alle Fahrzeuge (aus Richtung L-Allee (Z#) und aus Richtung I-Allee) gestanden haben. Der klägerische PKW sei dann plötzlich auf der Linksabbiegerspur erschienen. Die Kollision habe trotz Abbremsen und Ausweichversuch nicht verhindert werden könne. Die Zeugin I sei offenbar unaufmerksam und abgelenkt gewesen und habe sich durch Hupen eines hinter ihr stehenden Fahrzeugs beeinflussen lassen.

Die Beklagte erklärt jedenfalls in Höhe von 2.348,23 Euro vorsorglich die Aufrechnung. Diesen Betrag errechnet sie aus 70% der am streitgegenständlichen Polizeifahrzeug entstanden Schäden.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen I, Q, T und y zu dem Beweisthema „Hergang und Vermeidbarkeit des Verkehrsunfalls vom 13.09.2017 in N“. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2018 (Bl. 78ff. d. A.) verwiesen. Die Akte des Polizeipräsidiums N Az. ############# ist beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und die diesen beigefügten Anlagen, insbesondere auch auf die Unfallskizze und die Fotos der unfallbeteiligten Fahrzeuge in der beigezogenen Akte (dort Bl. 16ff.), Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

I.

Verkehrsunfall mit Verwendung von Einsatzhorn und Blaulicht in Kreuzung fahrendes Polizeifahrzeug
(Symbolfoto: Von SannePhoto/Shutterstock.com)

Dem Kläger stand gegenüber der Beklagten zwar ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.731,33 Euro sowie ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 255,85 Euro jeweils aus § 7 Abs. 1 StVG zu. Diese sind aber durch die Aufrechnung der Beklagten gem. § 389 BGB i.V.m. ebenfalls § 7 Abs. 1 StVG in voller Höhe erloschen.

1. Der Anspruch des Klägers folgt aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 2 StVG, 249 Abs. 2 BGB. Danach war die Beklagte dem Kläger zu Zahlung in Höhe von 1.731,33 Euro verpflichtet.

a) Die aus dem StVG folgende Halterhaftung ist anwendbar. Der Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG steht selbständig neben dem Amtshaftungsanspruch und wird durch § 839 BGB nicht verdrängt (st. Rspr. BGH, Urt. v. 13.12.1990, Az. III ZR 14/90 = BGHZ 113, 164, juris-Rn. 5; BGH, Urt. v. 27.06.1968, Az. III ZR 63/65 = BGHZ 50, 271, juris-Rn. 10).

b) Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG sind erfüllt. Das beklagte Land ist Halterin des Polizeifahrzeugs, bei dessen Betrieb der PKW des Klägers beschädigt wurde. Ein Fall höherer Gewalt gem. § 7 Abs. 2 StVG lag nicht vor, weil sich gerade das (typische) Risiko des Straßenverkehrs realisierte.

c) Auch lag für keine der Parteien ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG vor. Das dürfte ausweislich der von beiden Parteien angenommenen Haftungsquoten vorprozessual bereits unstreitig gewesen sein und folgt auch nach durchgeführter Beweisaufnahme aus dem nach freier Überzeugung der Kammer gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO feststehenden Sachverhalt.

Unabwendbarkeit liegt vor, wenn der Unfall auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können. Dabei kommt es nicht nur darauf an, wie ein „Idealfahrer“ in der konkreten Gefahrensituation reagiert hätte, sondern auch darauf, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre (siehe etwa Freymann/Wellner/Scholten, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 17 StVG Rn. 14f. m.w.N.).

Das Polizeifahrzeug der Beklagten ist nicht mit der äußerst notwendigen Sorgfalt in den Kreuzungsbereich eingefahren. Das steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der durchgeführten Zeugenvernehmung fest. Der Zeuge Q hat in seiner Vernehmung jedenfalls im Ergebnis bestätigt, dass für ihn die Fahrspur I-Allee, auf der sich das klägerische Fahrzeug unmittelbar vor der Kollision befand, zwar „relativ gut“, aber damit zugleich nicht vollumfänglich einsehbar war und er die Situation als sehr unübersichtlich in Erinnerung hat. Das entspricht der auf Blatt 21 der beigezogenen Akte befindlichen Unfallskizze, auf der auf der Geradesausspur I-Allee ein weiteres Fahrzeug eingezeichnet ist, dass die die Sicht auf das klägerische Fahrzeug zu verdecken geeignet war, sowie der Aussage des Zeugen T, der vor der Kollision links ebenfalls zwei stehende Fahrzeuge hat wahrnehmen können und der Aussage des Zeugen y, der das in der Unfallskizze eingezeichnete Fahrzeug konkret zuordnen konnte. Zugleich haben die Zeugen Q und T übereinstimmend ausgesagt, dass nach Anfahren in die Kreuzung ein Beschleunigungsvorgang folgte. Jedenfalls dieses Einfahren in die Kreuzung hätte ein „Idealfahrer“ in Anbetracht der unübersichtlichen Situation und der für das Polizeifahrzeug eigentlich durch Rotlicht gesperrten Kreuzung noch sorgfältiger gestalten können.

Auch für die Zeugin I als Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs lag ein solches unabwendbares Ereignis zur Überzeugung der Kammer nicht vor. Denn diese hatte das Martinshorn des Polizeifahrzeugs der Beklagten zunächst unstreitig gehört und deshalb im Kreuzungsbereich angehalten. Obwohl sie das Martinshorn dann nicht mehr klar orten konnte, fuhr sie in der Folge erneut an und in den Kreuzungsbereich weiter ein, wo es dann zur Kollusion mit dem klägerischen Fahrzeug kam. Das Unfallereignis wäre jedenfalls dadurch abwendbar gewesen, dass die Zeugin I mit dem klägerischen Fahrzeug die stehende Position nicht vor eindeutiger Lokalisation und/oder Sicherstellung, dass das zuvor wahrgenommene Einsatzfahrzeug sich nicht mehr in der Nähe befand, aufgegeben hätte. Auch hier hätte sich ein „Idealfahrer“ anders verhalten.

d) Damit waren gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG die jeweiligen Verursachungsbeiträge gegeneinander abzuwägen. Das führte zu einer Haftungsquote von 75% zu Lasten des Klägers und von 25% zu Lasten der Beklagten.

Für den Umfang der Ersatzpflicht ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten bzw. deren Fahrzeuge zur Schadensentstehung beigetragen haben, wobei das auf der einen oder anderen Seite vorhandene individuelle Verschulden der Fahrzeuglenker nur einen Faktor der Abwägung darstellt. Im Rahmen dieser Bewertung sind nur unstreitige oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Nachteil gereichen und aus denen er die nach der Abwägung günstigen Rechtsfolgen für sich herleiten will (OLG Düsseldorf, Urt. v. 06.02.2018, Az. I-1 U 112/17 = NJW 2018, 1694, juris-Rn. 38 m.w.N.).

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aa) Danach steht nach der Beweisaufnahme zunächst zur Überzeugung der Kammer fest, dass das Polizeifahrzeug der Beklagten zum Unfallzeitpunkt unter Verwendung von Blaulicht zusammen mit dem Martinshorn gem. § 38 Abs. 1 S. 1 StVO fuhr. Das hat der Zeuge Q als Fahrer des Polizeifahrzeuges ausdrücklich bestätigt und nachvollziehbar mit Verweis auf die Verkehrssituation im Kreuzungsbereich begründet. Auch der Zeuge y konnte sich daran erinnern, dass das Martinshorn eingeschaltet gewesen ist. Diese Auskunft gab auch der Zeuge T, wobei nachvollziehbar und im Ergebnis unerheblich ist, dass er sich daran, wer das Martinshorn (zuvor) betätigt bzw. eingeschaltet hatte nicht mehr erinnern konnte. Dem steht auch nicht die Aussage der Zeugin I entgegen, denn diese konnte nur bekunden, dass für sie vor dem Unfall kein näherkommendes Martinshorn mehr zu hören gewesen sei. Daraus folgt aber nicht zwangsläufig, dass das Martinshorn auch tatsächlich ausgeschaltet gewesen war. Vielmehr kann die Zeugin I nur die Erinnerung an ihre damalige Wahrnehmung schildern, die aber in Anbetracht der unübersichtlichen, ggf. auch akustisch schwer einzuordnenden Gesamtsituationen keine verlässlichen Auskünfte über Vorgänge im und um das zunächst noch entfernte Polizeifahrzeug der Beklagten geben kann.

Auch war das Polizeifahrzeug der Beklagten zum Unfallzeitpunkt gem. §§ 35 Abs. 1, 38 Abs. 1 S. 1 StVO von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit. Die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 S. 1 StVO lagen vor, denn wegen der nach Auffassung der Kammer klägerseits nicht weiter bestrittenen und in der Beweisaufnahme zudem von den Zeugen Q, y und T jedenfalls im Ergebnis („Täter vor Ort“) bestätigten beabsichtigten Ergreifung eines Graffiti-Sprayers, war höchste Eile im Sinne des § 38 Abs. 1 S. 1 StVO geboten. Der dabei eingeräumte Ermessensspielraum wurde aus ex-ante-Sicht wegen der angenommenen Gefahr für die öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung einer (potentiell) flüchtigen Person nicht überschritten (vgl. Freymann/Wellner/Wern, aaO., § 38 StVO Rn. 11f. m.w.N.).

bb) Auf Seiten des Klägers war damit die durch einen Verkehrsverstoß der Zeugin I gesteigerte Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs zu berücksichtigen. Denn diese hat gegen das aus § 38 Abs. 1 S. 2 StVO folgende Gebot verstoßen, einem Einsatzfahrzeug, das blaues Blinklicht und Martinshorn verwendet, sofort freie Bahn zu verschaffen.

Das folgt bereits aus dem von Klägerseite vorgetragenen und von der Zeugin I im Wesentlichen bestätigten Geschehensablauf. Danach fuhr die Zeugin I nachdem die Ampel auf Grün umschaltete zunächst in den Kreuzungsbereich ein und hielt dort an, weil sie das Martinshorn hörte. Nachdem sie erneut an der Sichtlinie im Kreuzungsbereich stehen geblieben war, zog sie auf der Linksabbiegerspur nach vorne, woraufhin es zu der streitgegenständlichen Kollision kam. Bei diesem Vorgang ging die Zeugin I nach eigener Aussage davon aus, dass das zuvor akustisch wahrgenommene Einsatzfahrzeug von hinten kommen werde. Diese Einschätzung stellte sich im Nachhinein als falsch heraus und führte zu einem Verstoß gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO.

Denn wer einem Einsatzfahrzeug freie Bahn zu schaffen hat, muss sich so verhalten, dass eine Behinderung des Einsatzfahrzeuges ausgeschlossen ist. Dies gebietet es, nicht noch in eine in Fahrtrichtung liegende Kreuzung einzufahren, sondern diese freizuhalten, wenn nicht sicher ist, woher sich das Einsatzfahrzeug nähert (so etwa OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.1991, Az. 1 U 129/90 = MDR 1992, 1129; vgl. auch Freymann/Wellner/Wern, aaO., § 38 StVO Rn. 18 m.w.N.). Die Zeugin I hätte also zunächst stehen bleiben und den weiteren Geschehensablauf abwarten müssen. Das insbesondere auch deshalb, weil nach übereinstimmenden Angaben aller Zeugen der Verkehr im Kreuzungsbereich im Wesentlichen zum Stehen gekommen war, die Verkehrssituation sich unübersichtlich gestaltete und die Zeugin I nach eigener Angabe weiterhin in Betracht zog, dass sich das zuvor wahrgenommene Einsatzfahrzeug (von hinten) nähern könnte.

Hinzu kommt, dass sie auch nach der Entscheidung die Fortsetzung durch Passieren der Kreuzung fortzusetzen, ihre Fahrweise nicht ausreichend auf das jedenfalls zuvor wahrgenommene Einsatzhorn einrichtete. Denn sobald ein Verkehrsteilnehmer weiß, dass in seinem Umfeld ein Wegerechtsfahrzeug im Einsatz ist, hat er seine Fahrweise hierauf einzurichten. Er muss sich durch Herabsetzen der Geschwindigkeit darauf einrichten, notfalls auf kürzeste Entfernung anhalten zu müssen. Er muss weiter mit gespannter Aufmerksamkeit bemüht sein, das Wegerechtsfahrzeug zu orten. Insbesondere darf er in Einmündungen und Kreuzungen nur einfahren, wenn er zuvor abgeklärt hat, dass das Wegerechtsfahrzeug von dort nicht kommt (OLG Düsseldorf, Urt. vom 11.11.1991, Az. 1 U 129/90 = MDR 1992, 1129, juris-Rn. 17). Auch das hat die Zeugin I nicht in dem gebotenen Umfang getan.

cc) Auf Seiten der Beklagten war die allgemeine mit einer Sonderrechtsfahrt einhergehende höhere Betriebsgefahr sowie ein nicht ganz sorgfältiges Hineintasten in die Kreuzung zu berücksichtigen.

Von einem Sonderrechtsfahrzeug, das unter Inanspruchnahme von Sonderrechten trotz Rotlicht in eine Kreuzung einfährt, geht eine hohe Gefährdung aus, da die anderen Verkehrsteilnehmer sich erst auf diese unvermittelt geschaffene Verkehrssituation einstellen müssen. Diese Gefahr hat sich auch bei dem vorliegenden Unfall im Ergebnis realisiert (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 06.02.2018, aaO., juris-Rn. 58).

Hinzu kommt, dass das Polizeifahrzeug der Beklagten bei rotem Ampellicht in die Kreuzung einfuhr und damit stark von den ohne Sonderrechte geltenden Regelungen der Straßenverkehrsordnung abwich. Auf Grund der damit einhergehenden erhöhten Gefahrenlage, kann es bei einem solchen Vorgang abhängig von der Verkehrssituation im Einzelfall geboten sein, den Kreuzungsbereich notfalls nur mit Schritttempo zu passieren (so etwa OLG Hamm, Urt. v. 13.12.1996, Az. 9 U 143/96 = VersR 1997, 1547). Jedenfalls aber sollte das Einsatzfahrzeug jederzeit bremsbereit sein (vgl. Freymann/Wellner/Wern, aaO., § 38 StVO Rn. 17 m.w.N.). Wie bereits festgestellt, ist der Zeuge Q mit dem Polizeifahrzeug der Beklagten nicht mit der äußerst notwendigen Sorgfalt in den Kreuzungsbereich eingefahren. Dies insbesondere deshalb, weil zum Passieren der Kreuzung ein Beschleunigungsvorgang erfolgte, obwohl die verschiedenen Fahrspuren nicht vollumfänglich einsehbar waren und es sich um einen unübersichtlichen Kreuzungsbereich handelte. Allerdings haben die Zeugen Q, y und T auch übereinstimmend ausgesagt, dass sich das Polizeifahrzeug langsam in den Kreuzungsbereich hinein getastet und eine Beschleunigung erst stattgefunden habe, nachdem sich Fahrer und Beifahrer versichert hatten, dass der erkennbare Verkehr zum Stehen gekommen war. Diese Schilderung der Zeugen ist angesichts des dichten Verkehrsaufkommens und deshalb glaubhaft, weil das aus den Fotos auf Bl. 16 – 19 der beigezogenen Akte ersichtliche Schadensbild der unfallbeteiligten Fahrzeuge entscheidend gegen die klägerseits angenommene „hohe“ Geschwindigkeit des Polizeifahrzeugs von mindestens 40 – 50 km/h spricht. Die auf den Fotos abgebildeten, von den Parteien unstreitig vorgetragenen Schäden lassen nicht auf einen Aufprall mit der mit dem Vortrag der Klägerseite anzunehmenden geschwindigkeitsbedingten Wucht schließen. Es wäre nicht lebensnah, dass bei einer solchen Geschwindigkeit nur die streitgegenständlichen Schäden entstanden wären. Der Vortrag des Klägers ist insoweit nicht plausibel. Mit den überzeugenden Aussagen der Zeugen ist vielmehr davon auszugehen, dass das Polizeifahrzeug nach Halten am Anfang der Kreuzung dann zwar beschleunigte, allerdings sehr zeitnah wieder durch die Kollision mit dem klägerischen Fahrzeug zum Stehen kam. Auf die Ermittlung der konkreten, jedenfalls nicht mehr als „hoch“ einzuordnende Geschwindigkeit, kam es damit, auch in Anbetracht des klägerischen Verstoßes gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO nicht mehr entscheidend an. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Schadenskompatibilität bedurfte es zur Überzeugung der Kammer nach der Zeugenvernehmung nicht mehr.

dd) Die Aussagen der Zeugen Q, y und T stimmten in den wesentlichen Punkten überein, waren hinsichtlich der retrospektiv zu erwartenden individuellen Wahrnehmungen im Kreuzungsbereich überzeugend, wiesen zum Teil nachvollziehbare Erinnerungslücken auf, hatten keine erkennbare Tendenz zur Begünstigung der zugehörigen Partei und waren damit im Ergebnis glaubhaft. Das gilt auch für die Aussage der Zeugin I, die den Vorgang ebenfalls glaubhaft entsprechend ihrer subjektiven Wahrnehmung und ohne erkennbare Belastungstendenz schilderte.

ee) Im Ergebnis überwogen damit im Rahmen der nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung die Verursachungsbeiträge auf Klägerseite aus den genannten Gründen deutlich. Dem Kläger muss der dargestellte Verstoß gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO trotz vorheriger Wahrnehmung des Martinshorns vorgeworfen werden, wobei erschwerend hinzu kommt, dass das zunächst zum Stehen gebrachte Fahrzeug in der Folge wieder in den gefahrenträchtigen Kreuzungsbereich eingefahren wurde. Für die Beklagte war die Betriebsgefahr der Sonderrechtsfahrt sowie der als leicht zu bewertende Verstoß gegen die dabei einzuhaltenden Sorgfaltspflichten anzusetzen.

e) Aus dem unstreitigen Gesamtschaden am klägerischen PKW von 6.925,32 Euro multipliziert mit der Verursachungsquote der Beklagten von 0,25 folgte damit der Schadensersatzanspruch des Klägers in Höhe von 1.731,33 Euro.

2. Der aus § 7 Abs. 1 StVG, § 249 Abs. 2 BGB folgende Schadensersatzanspruch bezogen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bestand damit nur in Höhe von 255,85 Euro (1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer bei einem Gegenstandswert von 1.731,33 Euro).

3. Diese Ansprüche des Klägers in Höhe von insgesamt 1.987,18 Euro sind durch die Aufrechnung der Beklagten in voller Höhe gemäß § 389 BGB erloschen. Der aufgerechnete Gegenforderung der Beklagten folgte ebenfalls aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 2 StVG, 249 Abs. 2 BGB und errechnet sich aus dem unstreitigen Gesamtschaden von 3.324,61 Euro multipliziert mit der Haftungsquote des Klägers von 0,75 abzüglich vorprozessual bereits gezahlter 800,00 Euro. Die sich daraus ergebende Anspruchshöhe von 2.493,46 Euro übersteigt die begründeten Forderungen des Klägers.

4. Mangels nicht mehr begründetem Hauptanspruch besteht auch der geltend gemachte Zinsanspruch nicht. Gemäß § 389 BGB gelten die gegenseitigen Forderungen als zu dem Zeitpunkt rückwirkend erloschen, in welchem sie sich zur Aufrechnung geeignet einander gegenüberstanden, sodass zugleich auch der gemäß §§ 286, 288 Abs. 1 BGB nötige Zahlungsverzug entfällt.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 7.271,59 Euro festgesetzt (davon 5.540,26 Euro für die Klage und 1.731,33 Euro für die hilfsweise geltend gemacht Aufrechnung der Beklagten, § 45 Abs. 3 GKG).

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