AG Senftenberg – Az.: 21 C 102/11 – Urteil vom 01.09.2011
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger zu 2. den Betrag von 254,96 € nebst 5 % Zinsen hieraus seit dem 11.02.2011 zu zahlen.
2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
3. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen die Kläger gemeinsam zu 17 %, der Kläger 2. allein zu weitern 63 % und die Beklagten zu 20 %. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1. trägt dieser selbst. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2. tragen dieser zu 76 % und die Beklagte zu 24 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die wechselseitigen Vollstreckungen gegen Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung zu deren Gunsten Sicherheit von 110 % des zur Vollstreckung kommenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger zu 2. befuhr am 07.09.2009, ca. 6.55 Uhr mit dem Krad KKR Qingi, amtliches Kennzeichen OSL – …, in L. die Kreuzung … Aus Sicht des Klägers von rechts kam ein vom Beklagten zu 1. gehaltener, vom Beklagten zu 2. gefahrener und bei der Beklagten zu 3. haftpflichtversicherter Pkw. Wegen der genauen Verkehrssituation – auch hinsichtlich der aufgestellten Verkehrszeichen – wird auf die von Klägerseite eingereichte Unfallskizze (Bl. 81 d. A.) verwiesen.
Es kam zum Zusammenstoß der Fahrzeuge. Der Kläger zu 2. erlitt Riss- und Schürfwunden sowie multiple Prellungen. Er musste ärztlich versorgt werden. Er war 3 Tage arbeitsunfähig krank geschrieben.
Der Kläger zu 2. macht Schadensersatz wie folgt geltend:
Reparatur des Krads 1.394,91 €
ärztliches Gutachten 116,08 €
Schmerzensgeld 1.000,00 €
Gebührenbescheid 8,50 €
Gebührenbescheid 19,20 €
neues Kennzeichen 16,50 €
gesamt: 2.555,19 €
davon 1/3: 851,73 €
Mit Schreiben seiner nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom 05.01.2011 wurde die Beklagte zu 3. aufgefordert, den genannten Betrag bis zum 20.01.2011 zu zahlen sowie die Haftpflichtversicherung mitzuteilen.
Der Kläger zu 2. trägt vor: die Kreuzung sei allgemein unfallträchtig; er sei Eigentümer des von ihm gefahrenen Fahrzeugs; er sei mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h gefahren, die Kosten für Ummeldung und ein neues Kennzeichen seien angefallen.
Der Kläger beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger zu 2. 1.037,37 € nebst 5 % Zinsen hieraus seit dem 11.02.2011 zu zahlen, nachdem ursprünglich Zahlung dieses Betrags an die Kläger zu 1. und 2. beantragt, der Kläger zu 1. seine Klage jedoch zurück genommen hat.
Die Beklagten beantragen, Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
Die grundsätzliche Haftung des Beklagten zu 2. als Fahrer des unfallbeteiligten Pkw, des Beklagten zu 1. als Halter dieses Fahrzeugs und der Beklagten zu 3. als Haftpflichtversicherer dieses Fahrzeugs ergibt sich aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1, 116 Abs. 1 VVG. Denn diese Schäden sind bei dem Betrieb des vom Beklagten zu 1. gefahrenen Kraftfahrzeugs entstanden, und es liegt keine Verursachung durch höhere Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG vor.
Aber auch der Kläger zu 2. als Halter seines unfallbeteiligten Kraftfahrzeugs haftet grundsätzlich gemäß § 7 Abs. 1 StVG für die Unfallfolgen, da auch insoweit keine Verursachung durch höhere Gewalt in Betracht kommt.
Der Anspruch des Klägers zu 2. steht dabei diesem zu, da gemäß § 1006 Abs. 1 BGB davon auszugehen ist, dass er Eigentümer des von ihm gefahrenen Krads war. Denn er war zum Unfallzeitpunkt Fahrer und demnach Besitzer des Fahrzeugs. Soweit die Beklagtenseite vorträgt, Kraftfahrzeuge seien im Allgemeinen finanziert, geht aus dem Vortrag der Beklagten nicht hervor, dass dies auch für relativ geringwertige Krafträder der Fall ist.
Steht demnach die grundsätzliche Haftung der Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz zunächst davon ab, ob auf der einen oder anderen Seite ein unabwendbares Ereignis vorliegt, § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG. Im vorliegenden Fall hat keine Partei den Unabwendbarkeitsnachweis führen können. Bei dem Unabwendbarkeitsnachweis kommt es darauf an, ob auch für einen besonders sorgfältigen Kraftfahrer bei der gegebenen Sachlage der Unfall unvermeidbar gewesen wäre (vgl. BGH NJW 1954, 183). Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass ein besonders vorsichtiger Fahrer an Stelle des Klägers zu 2. bzw. des Beklagten zu 2. den Unfall vermieden hätte. Bezüglich des Klägers zu 2. ist nicht auszuschließen, dass ein besonders vorsichtiger Fahrer die Vorfahrt des Beklagten zu 2. beachtet und demnach gewartet hätte, wobei zum Vorfahrtrecht unten noch näher ausgeführt wird. Bzgl. des Beklagten zu 2. ist nicht auszuschließen, dass ein besonders vorsichtiger Fahrer eine Vorfahrtverletzung des Klägers zu 2. in Rechnung gestellt und sein Verhalten hierauf eingerichtet, also letztlich ebenfalls gewartet hätte; auch hierzu wird unten noch näher ausgeführt.
Besteht somit kein Haftungsausschluss gemäß § 17 Abs. 3 StVG, so hängt im Verhältnis der Parteien zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen. Hierbei richtet sich die Schadensverteilung auch nach dem Grad eines etwaigen Verschuldens eines Beteiligten. Jedoch können im Rahmen dieser Abwägung zu Lasten einer Partei nur solche Tatsachen berücksichtigt werden, die als unfallursächlich feststehen.
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Entscheidungsfall führt zu einer Schadensverteilung – bezogen auf die materiellen Schäden – im Verhältnis von 1/5 zu 4/5 zu Lasten des Klägers zu 2.
Denn den Kläger zu 2. belastet der Betriebsgefahr sein unfallursächliches Verhalten, weil er unter Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO die Vorfahrt des von rechts kommenden Beklagten zu 1. missachtet hat. Wie sich aus der zum Sachvortrag der Parteien gemachten Unfallskizze ergibt, ist die Vorfahrt für Fahrzeuge, die aus Fahrtrichtung des Klägers zu 2. kommen, in dem Einmündungsbereich nicht geregelt, so dass der Grundsatz „rechts vor links“ gilt.
Die Schuldhaftigkeit steht fest auf Grund der Regeln über den Beweis des ersten Anscheins. Der Beweis des ersten Anscheins setzt einen typischen Geschehensablauf voraus, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist. Die Gesamtgestaltung des Falles muss so sein, dass sich aus der Erfahrung des Lebens der gezogene Schluss ohne weiters aufdrängt (vgl. BGH NJW 1951, 360).
Stoßen – wie im vorliegenden Fall – Fahrzeuge im Kreuzungsbereich zusammen, so spricht die Lebenserfahrung dafür, dass dies auf einer Unaufmerksamkeit des wartepflichtigen Fahrers zurückzuführen ist (vgl. BGH VersR 1958, 271). Der Vorfahrtberechtigte soll nach dem Sinn der Vorfahrtregelung grundsätzlich das Vertrauen auf die Vorfahrt haben, während vom Wartepflichtigen verlangt wird, dass er mit Misstrauen an die Kreuzung heranfährt und im Zweifel zu warten hat (vgl. für „volle“ Vorfahrt: BGHZ 14, 232).
Das Gericht kann hingegen nicht davon ausgehen, dass den Beklagten zu 1. ein unfallursächlicher Verkehrsverstoß trifft.
Allerdings hält das Gericht hier gleichwohl eine Mithaftung der Beklagten von 1/5 für angemessen. Zwar besteht der Grundsatz, dass auch bei „halber Vorfahrt“ nach der Regel „rechts vor links“ der Wartepflichtige alleine haftet (vgl. BGH MDR 1988, 42). Etwas anderes gilt jedoch, wenn Umstände vorliegen, die für den Vorfahrtberechtigten die Möglichkeit einer Vorfahrtverletzung nahe legen (vgl. speziell bei Unübersichtlichkeit: OLG Zweibrücken VRS 79, 354; vgl. allgemein OLG Stuttgart VersR 1983, 252; OLG Köln VersR 1960 644). Dies muss vorliegend deshalb angenommen werden, weil die Verkehrssituation insgesamt unübersichtlich war. Wie sich aus der zum Gegenstand des Sachvortrags gemachten Unfallskizze ergibt, liegt eine spitzwinklige Abzweigung vor, kurz dahinter befindet sich eine Kreuzung, wobei die Straße, aus der der Beklagte zu 1. gekommen ist, quasi eine Abkürzung der spitzwinklig einmündende Straße darstellt. Zum Teil sind die Vorfahrt regelnde Verkehrszeichen aufgestellt, in der speziellen Situation der vom Kläger zu 2. und vom Beklagten zu 1. eingeschlagenen Fahrtrichtungen jedoch nicht. In einem solchen Fall muss ein Vorfahrtberechtigter an Stelle des Beklagten zu 1. durchaus in Rechnung stellen, dass ein von links kommender Verkehrsteilnehmer mit der Situation etwas überfordert sein kann und von einem eigenen Vorfahrtrecht ausgeht. Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass keine Sichtbehinderung vorliegt und dass der Beklagte zu 1. auf Grund seiner nur „halben“ Vorfahrt wegen von rechts kommender Fahrzeuge im Kreuzungsbereich ohnehin anhalten musste, Aspekte der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs also nicht zu beachten sind. In einem solchen Fall ist vom Beklagten zu 2. konkret zu erwarten, dass er nicht nur nach rechts auf vorfahrtberechtigte Fahrzeuge, sondern auch nach links blickt. Hätte er dies getan, hätte er auf Grund der Übersichtlichkeit das vom Kläger zu 2. gefahrene Krad wahrgenommen. Er hätte deshalb erst über die Kreuzung fahren dürfen, wenn er sich sicher ist, dass der Kläger zu 2. mit seinem Krad auch die Vorfahrt des Beklagten zu 1. beachtet.
Da andererseits der Vorfahrtverstoß schwerer wiegt, hält das Gericht nur eine Mithaftung von 1/5 für gerechtfertigt (vgl. OLG Zweibrücken aaO.).
Wegen der Höhe gilt Folgendes: Die Reparaturkosten sind vom Schadensersatzanspruch grundsätzlich umfasst, allerdings mangels ausgeführter Reparatur nur in Höhe des Betrags ohne Umsatzsteuer, also von 1.158,70 €, § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB. Ebenfalls umfasst vom Schadensersatzanspruch sind die Kosten für ein ärztliches Gutachten i. H. v. 116,08 €. Soweit wegen neuer Kennzeichen Kosten und Gebühren geltend gemacht werden, haben die Beklagten den Anfall bestritten. Beweisbelastet für den Anfall ist der Kläger zu 2., da er sich auf anspruchsbegründende Tatsachen beruft. Einen Beweis hat er nicht angetreten. Er hat lediglich angekündigt, Gebührenbescheide vorzulegen. Dies ist jedoch nicht erfolgt. Eine Beweiserhebung von Amtswegen kommt hier nicht in Betracht.
Der dem Kläger zu 2. zuerkannte materielle Schadensersatz errechnet sich demnach wie folgt:
Reparaturkosten netto 1.158,70 €
Kosten für ärztliches Gutachten 116,08 €
1.274,78 € hiervon 1/5 254,96 €
Ein Schmerzensgeldanspruch gemäß § 253 Abs. 2 BGB ist nach nochmaliger Würdigung der Sach- und Rechtslage nicht gerechtfertigt. Dies ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten:
– Die Beklagten haften hier nicht wegen eines schuldhaften Verhaltens, sondern nur wegen gefährlichen Tuns. Zwar ist in einem solchen Fall auch ein Schmerzensgeld möglich, doch tritt die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes (vgl. hierzu: Palandt-Grüneberg, BGB, 69. Aufl., § 253 Rn. 4) zurück, und zwar anders als bei schuldhaftem oder gar vorsätzlichem Verhalten des Schädigers.
– Der Kläger zu 2. hat lediglich folgenlose leichtere Verletzungen wie Prellungen sowie Riss- und Schürfwunden davongetragen, so dass kein besonders hoher Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden in Betracht kommt (vgl. zur Ausgleichsfunktion: Palandt-Grüneberg aaO.).
– Dieser relativ geringe Ausgleich ist durch die erhebliche Mitverursachung des Klägers zu 2. weiterhin relativiert. Dabei ist zu beachten, dass eine Mitverursachung ein weiterer Bewertungsfaktor ist und – anders als beim Ersatz materieller Schäden – keine Quote nach dem Grad der Mitverursachung zu bilden ist (vgl. Palandt-Grüneberg aaO. Rn. 20).
Die Mitverursachung ist hier erheblich, der Verursachungsbeitrag des Klägers zu 2. ist deutlich höher zu werten als derjenige des Beklagen zu 1., wie oben ausgeführt wurde.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Auf Grund der Zahlungsaufforderung vom 02.02.2011 kamen die Beklagten jedenfalls ab dem 11.02.2011 in Verzug, so dass dem Kläger zu 2. ab diesem Zeitpunkt Zinsen in gesetzlicher Höhe – bzw. wie nur geltend gemacht unterhalb der gesetzlichen Höhe – zustehen. Die Tatsache, dass zu viel gefordert wurde, führt hier nicht zu einem Ausschluss des Verzugs, da sich die Beklagten die berechtigte Forderung selbst ausrechnen konnten.
Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten hat der Kläger zu 2. nicht geltend gemacht, sondern lediglich in einen Vergleichsvorschlag im Schriftsatz vom 15.06.2011 „eingearbeitet“.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwert: bis 1.200,00 €