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Verkehrsunfall – Teile eines Reifenmantels – Reifendecke auf Autobahn

AG Bottrop – Az.: 10 C 45/19 – Urteil vom 08.08.2019

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger Verzugszinsen in Höhe eines Betrags von 21,00 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger und die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweils andere vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 30.05.2018 in Bottrop.

Am vorgenannten Tag befuhren sowohl der Kläger mit dem in seinem Eigentum stehenden Fahrzeug als auch der Beklagte zu 1) – mit dem auf die Beklagte zu 2) zugelassenen und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Fahrzeug – die BAB 2 in Fahrtrichtung Hannover; bei dem Beklagtenfahrzeug handelte es sich um einen Lkw mit Anhänger.

Auf der Höhe der Ausfahrt Bottrop platzte der vordere linke Reifen am Anhänger des Beklagtenfahrzeugs, dadurch befanden sich im weiteren Verlauf insbesondere große Teile des Reifenmantels/der Reifendecke auf der Fahrbahn. Der Beklagte zu 1) hielt das Beklagtenfahrzeug mit eingeschalteter Warnblinkanlage auf dem rechten Standstreifen an. Im weiteren Verlauf näherten sich mehrere Fahrzeuge der Stelle, an welcher sich die Teile des Reifenmantels/der Reifendecke auf der Fahrbahn befanden, und hielten sodann ebenfalls mit eingeschalteter Warnblinkanlage auf dem rechten Standstreifen an; in diesem Zusammenhang ist zwischen den Parteien indes streitig, ob diese Fahrzeuge vor oder hinter dem Beklagtenfahrzeug auf dem Standstreifen angehalten haben.

Der Kläger fuhr gegen 24 Uhr mit einer Geschwindigkeit von 100 bis 110 km/h auf der linken Fahrspur der BAB 2 auf die streitgegenständliche Stelle zu. Er kollidierte sodann im weiteren Verlauf mit einem großen Teilstück des Reifenmantels/der Reifendecke. Vor der Kollision hatte er die eingeschaltete Warnblinkanlage des Beklagtenfahrzeugs gesehen.

Nach dem Verkehrsunfall ließ der Kläger sein Fahrzeug bei der … GmbH begutachten. Für die Erstellung des Gutachtens wurde dem Kläger ein Betrag in Höhe von 866,75 € (brutto) in Rechnung gestellt. Die … bezifferte die Reparaturkosten mit 13.217,36 € (netto); wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten des … vom 12.06.2018 (Bl. 10 ff. d. A.) Bezug genommen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 09.07.2018 – unter Fristsetzung bis zum 23.07.2018 – forderte der Kläger die Beklagte zu 3) insbesondere zur Zahlung der vorgenannten Beträge sowie zur Zahlung einer Kostenpauschale in Höhe von 25,00 € auf. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 09.07.2018 (Bl. 38 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger machte im weiteren Verlauf gegenüber der Beklagten zu 3) neben den vorgenannten Beträgen noch die Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 590,00 € geltend.

Die Beklagte zu 3) regulierte im Wege mehrerer Teilzahlungen einen Betrag in Höhe von insgesamt 12.089.92 €; die letzten beiden Teilzahlungen erfolgten am 27.08.2019 in Höhe von 3.465,37 € und am 14.09.2018 in Höhe von 1.556,46 €.

Der Kläger macht nunmehr neben dem Differenzbetrag in Höhe von 2.609,19 € entsprechende Verzugszinsen geltend.

Der Kläger behauptet, er habe erfolglos versucht, dem großen Teilstück des Reifenmantels/der Reifendecke durch Abbremsung des Fahrzeugs und Vollzuges einer Richtungsänderung nach links auszuweichen; ein weites Ausweichen nach links sei aufgrund der Mittelleitplanke und ein Ausweichen nach rechts aufgrund eines anderen dort befindliche Fahrzeugs, welches ebenfalls Reifenteile überfahren habe, nicht möglich gewesen.

Der Kläger stellt in Abrede, dass die Teile des Reifenmantels/der Reifendecke unter Berücksichtigung der Sichtverhältnisse zu erkennen gewesen seien.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs vollständig hinter der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zurücktritt.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 2.609,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.07.2018 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger Verzugszinsen in Höhe eines Betrags von 21,00 € zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, dass die Teile des Reifenmantels/der Reifendecke ohne weiteres zu erkennen gewesen seien. Sie behaupten zudem, dass der Kläger unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände zu schnell gefahren sei, sodass er im Ergebnis gegen das Sichtfahrgebot des § 3 StVO verstoßen habe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat den Kläger und den Beklagte zu 1) persönlich angehört. Wegen der Erklärung der Parteien wird auf das Sitzungsprotokoll vom 02.07.2019 (Bl. 88 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Verkehrsunfall - Teile eines Reifenmantels – Reifendecke auf Autobahn
(Symbolfoto: Von NikomMaelao Production/Shutterstock.com)

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Verzugszinsen in Höhe eines Betrags von 21,00 € gemäß den §§ 280 Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 S. 2 BGB zu, da sich die Beklagten mit den letzten beiden Teilzahlungen vom 27.08.2018 in Höhe von 3.465,37 € und vom 14.09.2018 in Höhe von 1.556,46 € seit dem 24.07.2018 in Verzug befanden.

II.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten indes kein weitergehender Schadensersatzanspruch – über den bereits durch die Beklagte zu 3) regulierten Betrag – gemäß den §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG zu.

Die grundsätzliche Haftung der Beklagten als Fahrer, Halter und Versicherer des auf der Beklagtenseite beteiligten Kraftfahrzeugs für die eingeklagten materiellen Schäden ergibt sich aus den §§ 7 Abs. 1, 17 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG. Denn diese Schäden sind bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs entstanden, § 7 Abs.1 StVG.

Die Schäden wurden nicht durch höhere Gewalt verursacht, § 7 Abs. 2 StVG. Denn es liegt kein außergewöhnliches, betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder Handlung dritter, betriebsfremder Personen herbei geführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis vor, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch nach den Umständen äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden konnte (BGH, Urteil vom 27. 11. 2007 – VI ZR 210/06, juris).

Beiden Parteien ist der Unabwendbarkeitsnachweis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG nicht gelungen, sodass eine Abwägung der Verursachungsbeiträge im Sinne von §§ 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmen war.

Im Verhältnis der Parteien zueinander hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß § 17 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Der jeweilige Verursachungsbeitrag wird dabei gebildet aus der Summe der Gefahren, die in der konkreten Unfallsituation von den beteiligten Kraftfahrzeugen ausgegangen sind, und die sich auf die Herbeiführung des Unfalls und die entstandenen Schäden ausgewirkt haben. Solche Gefahren ergeben sich zum einen aus der Beschaffenheit der beteiligten Fahrzeuge, den von ihnen gefahrenen Geschwindigkeiten, den zum Zeitpunkt des Unfalls durchgeführten Fahrmanövern sowie dem konkreten Fahrverhalten und dabei insbesondere aus etwaigen Fahrfehlern oder Verkehrsverstößen. Jedoch sind im Rahmen der Abwägung zu Lasten einer Partei nur solche Umstände zu beachten, die als unfallursächlich feststehen, mithin solche Umstände, die ein Verschulden des Fahrzeugführers oder eine Erhöhung der Betriebsgefahr begründen, wenn sie unstreitig oder von der jeweils anderen Partei konkret bewiesen und erwiesenermaßen ursächlich für den Unfall oder den entstandenen Schaden geworden sind (BGH, Urteil vom 11.10.2016 – VI ZR 66/16, juris; BGH, Urteil vom 07.02.2012 – VI ZR 133/11, juris; BGH, Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04, juris; OLG Hamm, Urteil vom 26.08.2016 – 7 U 22/16, juris).

Daraus ergibt sich hier folgendes:

Die Abwägung der Gesamtumstände führt zu keiner Haftungsverteilung von über 82 % zu Lasten der Beklagten. Es hätte indes dem Kläger oblegen, eine höhere Haftungsverteilung als 82 % nachzuweisen, da die Beklagte zu 3) den streitgegenständlichen Schaden bereits zu 82 % reguliert hat.

Der Nachweis einer höheren Haftungsverteilung ist dem Kläger nicht gelungen, da das Gericht auf Seiten des Klägers von einem Verstoß gegen § 3 Abs. 1 S. 2 StVO überzeugt ist.

Gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 StVO hat derjenige, der ein Fahrzeug führt, die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen.

Im Regelfall verhält sich ein Fahrzeugführer verkehrsgerecht, wenn er sein Fahrzeug innerhalb der übersehbaren Fahrstrecke anhalten kann. Allerdings darf der Fahrzeugführer nicht in jeder Verkehrssituation den durch das Sichtfahrgebot eröffneten Geschwindigkeitsrahmen ausschöpfen. Die Geschwindigkeit ist in der Regel insbesondere dann so weit herabzusetzen, dass einer plötzlichen Fahrtbehinderung wirksam begegnet werden kann, wenn für den Fahrer Anzeichen von Unfallhindernissen erkennbar sind; ein solches Anzeichen stellt vor allem eine eingeschaltete Warnblinkanlage dar (vgl. König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 3 StVO Rn. 29 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Stehen mehrere Fahrzeuge bei Dunkelheit mit Warnblinkanlage auf der Standspur wird das Anzeichen von Unfallhindernissen insoweit verstärkt (vgl. König, in: Hentschel/König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 3 StVO Rn. 29 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Nach diesen Maßstäben hatte der Kläger nach Ansicht des Gerichts seine Geschwindigkeit vor der Kollision nicht ausreichend verringert.

Der Kläger hatte vorliegend im Rahmen seiner persönlichen Anhörung erklärt, dass er – zumindest – die Warnblinkanlage des Beklagtenfahrzeugs „von weitem“, mithin vor der Kollision wahrgenommen habe. Er habe aus diesem Grund seine Geschwindigkeit auf ca. 100/110 km/h reduziert. Schließlich hat er erklärt, dass er davon ausgegangen sei, dass rechts ein Unfall war.

Die gewählte Geschwindigkeit des Klägers vor der Kollision reichte nicht aus um einer plötzlichen Fahrtbehinderung wirksam zu begegnen. Nach Ansicht des Gerichts hätte der Kläger aufgrund der aus seiner Sicht vorgelegenen Verkehrssituation, seine Geschwindigkeit noch weiter als auf 100/110 km/h herabsetzen müssen, da die gewählte Geschwindigkeit trotz behaupteter Abbremsung – nicht ausreichte, um die Kollision zu vermeiden.

Insoweit konnte daher dahinstehen, ob es für den Kläger erkennbar gewesen ist, dass auf dem Standstreifen – zusätzlich zu dem Beklagtenfahrzeug – noch weitere Fahrzeuge mit eingeschalteter Warnblinkanlage standen.

Dass vorliegend der Kläger ausnahmsweise trotz eingeschalteter Warnblinkanlage eines auf dem Standstreifen stehenden Fahrzeugs seine Geschwindigkeit nicht weiter hätte herabsetzen müssen, wäre nur dann nach Ansicht des Gerichts der Fall gewesen, wenn der Kläger hätte ausschließen können, dass sich Unfallhindernisse auf der Fahrbahn befinden. Dies war indes nicht der Fall. Der Kläger konnte nicht ausschließen, dass sich Unfallhindernisse auf der Fahrbahn befinden. Schließlich hatte der Kläger in seiner persönlichen Anhörung selbst eingeräumt, nicht nach rechts habe ausweichen können, weil sich dort auch Personen auf der Fahrbahn hätten befinden können.

Es konnte daher im Ergebnis dahinstehen, ob der Kläger darüber hinaus gegen § 3 Abs. 1 S. 4 StVO verstoßen hat, da bereits der Verstoß gegen § 3 Abs. 1 S. 2 StVO zu keiner Haftungsverteilung von mehr als 82 % zu Lasten der Beklagten führt.

III.

Der Zinsanspruch hinsichtlich des Klageantrags zu 1) besteht mangels Zuspruch in der Hauptsache ebenfalls nicht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt sowohl für den Kläger als auch für die Beklagten aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 2.609,19 EUR festgesetzt.

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