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Verkehrsunfall – Vergleichsauslegung zwischen Haftpflichtversicherer und Geschädigtem

LG Münster – Az.: 12 O 72/18 – Urteil vom 10.10.2018

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Auslegung und den Umfang eines Vergleichs.

Die Klägerin erlitt in einem von einem Versicherungsnehmer des Beklagten verschuldeten Verkehrsunfall am 06.11.1997 schwerste Verletzungen. Der Versicherungsnehmer geriet mit seinem PKW in die Gegenfahrbahn und verursachte so einen Frontalzusammenstoß seines Fahrzeugs mit dem von der Mutter der Klägerin gefahrenen PKW, die den Unfall nicht abwenden konnte. Die zum Unfallzeitpunkt zweijährige gesunde Klägerin erlitt durch den Unfall eine Querschnittslähmung ab dem ersten Brustwirbel, Organquetschungen sowie einen Nervenabriss am Halswirbel, sodass der linke Arm sowie die linke Schulter vollständig gelähmt blieben. Die Klägerin befand sich in langwieriger medizinischer Behandlung und war von diesem Zeitpunkt an auf eine Ganztagsbetreuung inklusive nächtlicher Bereitschaft angewiesen.

Im Rahmen eines vor dem Landgericht Münster mit dem Aktenzeichen 2 O 439/01 geführten Rechtsstreits hinsichtlich der Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche der Klägerin gegenüber dem Beklagten sowie dem Unfallverursacher als Versicherungsnehmer des Beklagten, schlossen die Parteien am 19.12.2002 einen Vergleich mit unter anderem folgendem Wortlaut:

[…] Im Übrigen erkennen die Beklagten ihre hundertprozentige Haftung dem Grunde nach aus dem Schadensereignis an. […]

Die Klägerin ist der Ansicht, die Formulierung im Rahmen des geschlossenen, rechtswirksamen Vergleichs bedeute eine Verpflichtung zu dauerhaften Zahlung und Übernahme sämtlicher aus dem Unfallgeschehen resultierender bereits entstandener und zukünftig noch entstehender Kosten. Sie behauptet, eine Vereinbarung zur Deckungshöchstsumme zwischen dem Beklagten und dem Versicherungsnehmer habe es nie gegeben und entfalte hier jedenfalls keine Wirkung.

Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass die Zahlungsverpflichtung der Beklagten aufgrund des vor dem Landgericht Münster zum AZ: 2 O 349/01 unter dem 19.12.2002 geschlossenen Vergleichs nicht durch das Erreichen einer von dem Beklagten mit ihrem Versicherungsnehmer Dipl-Ing. … vereinbarten Deckungshöchstsumme begrenzt ist und die Zahlungsverpflichtung aus diesem Vergleich auch bei Erreichen einer Deckungshöchstsumme fortbesteht.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht die Formulierung beziehe sich lediglich auf die haftungsrechtliche Frage, zu welcher Quote der Versicherungsnehmer und er eine Haftung dem Grunde nach anerkennen. Mit einer 100%igen Haftung hätten sie somit lediglich den Schuldgrund und eine fehlende Mitursächlichkeit der Klägerin anerkannt. Die Erklärung habe jedoch keinen Aussagegehalt zur Höhe und zum finanziellen Umfang der Ansprüche. Mit Erreichen einer mit dem Versicherungsnehmer und Unfallverursacher vereinbarten Deckungsgrenze von 7,5 Millionen D-Mark bei Personenschäden pro Person sei ein weitergehender Anspruch der Klägerin gegen ihn hinfällig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Die von der Klägerin begehrte Feststellung kann nicht getroffen werden.

Die Klägerin hat auf eine über die Deckungshöchstsumme hinausgehende Übernahme der unfallbedingten Schäden keinen Anspruch.

Der geschlossene Vergleich ist im Wege der Auslegung, §§ 133, 157 BGB, am objektiven Empfängerhorizont zu orientieren. Vorliegend kann die Klägerin nicht davon ausgehen, dass die Vergleichsformulierung eine uneingeschränkte Haftung des Beklagten im Hinblick auf die Gesamtsumme darstellt.

Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Beklagte als Haftpflichtversicherer nach § 3 PflVG (heute 115 VVG) in Anspruch genommen wurde. Dort ist gesetzlich geregelt, dass der Geschädigte seine Ansprüche nur „im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis“ gegen den Versicherer geltend machen kann. Damit ist der Direktanspruch hinsichtlich seiner Geltendmachung insbesondere durch die Versicherungssumme im jeweiligen Versicherungsvertrag begrenzt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte durch das Anerkenntnis im Vergleich vom 19.12.2002 diese Einschränkung aufheben wollte.

Die Formulierung des streitgegenständlichen Vergleichs als „Haftung dem Grunde nach“ impliziert bereits dem Wortlaut entsprechend, dass der Beklagte als Erklärender das Vorliegen einer Anspruchsgrundlage und dessen erfüllten Voraussetzungen anerkennt, jedoch noch unklar ist, in welcher konkreten Höhe zu leisten ist.

Darüber hinaus teilte der Beklagte der Klägerin bereits in einem Schreiben vom 02.12.1999 (Anlage BLD 14), also drei Jahre vor Abschluss des gerichtlichen Vergleichs, das Bestehen einer Deckungshöchstsumme von 7,5 Mio. D-Mark pro Person mit. Die Klägerin konnte somit in einer Aussage hinsichtlich der 100%igen Haftung dem Grunde nach nicht davon ausgehen, dass der Beklagte sich ggf. wirtschaftlich um ein vielfaches schlechter stellen wollte, als er im Rahmen seiner vereinbarten Deckungsgrenze zu leisten verpflichtet wäre.

Es bestanden somit eher konkrete Anhaltspunkte für die – anwaltlich beratene – Klägerin, dass der Beklagte höhenmäßig nur begrenzt haften wollte.

Ob die Thematik der Deckungshöchstgrenze in den Vergleichsverhandlungen der mündlichen Verhandlung vom 19.12.2002 erneut thematisiert worden ist, kann dahinstehen, well Erklärungen zu einer Kfz-Haftpflichtversicherung auch ohne ausdrückliche Vorbehalte nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung regelmäßig als auf die Deckungssumme beschränkt anzusehen sind. Der Beklagte trat der Klägerin im Rahmen eines Direktanspruchs der Geschädigten gegen den Versicherer gem. § 3 PflVG a.F. gegenüber. Wird ein solcher Direktanspruch gerichtlich geltend gemacht, ist in der Regel ohne Weiteres davon auszugehen, dass dies in den gesetzlichen Grenzen der §§ 3 Nr. 1 PflVG, 115 Abs. 1 Satz 2 VVG geschieht. Dementsprechend und spiegelbildlich ist auch ein prozessuales Anerkenntnis des Versicherers eng auszulegen (BGHZ 57, 265, 269; BGHZ 84, 151, BGH VersR 1986, 565; BGH VersR 1996, 1299).

Die Klägerin ist dadurch nicht rechtlos gestellt, da sie weiterhin einen vollen Anspruch ohne Höhenbegrenzung gegen den Unfallverursacher hat.

Schriftsatznachlass brauchte der Klägerin nicht gewährt zu werden, da das Gericht nur der bereits schriftsätzlich vorgetragenen Argumentation des Beklagten gefolgt ist und das Urteil nicht auf neue Gesichtspunkte gestützt wurde.

Die Nebenentscheidungen geruhen auf den §§ 91 Abs. 1 und 709 ZPO.

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