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Verkehrsunfall – Vorrang Rechtsabbieger gegenüber entgegenkommenden Linksabbieger

Verkehrsunfall: Haftungsverteilung bei Abbiegekollision geklärt

Das Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken (Az.: 3 U 49/23 vom 20.10.2023) befasst sich mit einem Verkehrsunfall, bei dem es um die Frage der Haftung zwischen einem Linksabbieger und einem entgegenkommenden Rechtsabbieger ging. Das Gericht entschied, dass der Linksabbieger eine Wartepflicht verletzt hat, jedoch auch dem Rechtsabbieger ein Sorgfaltsverstoß anzulasten ist. Daraus resultierte eine Haftungsverteilung von 70 % zu Lasten des Klägers und 30 % zu Lasten der Beklagten. Diese Entscheidung zeigt die Bedeutung der korrekten Einschätzung der Verkehrssituation und der Einhaltung der Verkehrsregeln beim Abbiegen.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  • Die Haftungsverteilung wurde aufgrund einer Verletzung der Wartepflicht durch den Linksabbieger und einem Sorgfaltsverstoß des Rechtsabbiegers festgelegt.
  • Verkehrsregeln beim Abbiegen müssen strikt befolgt werden, insbesondere die Regelung, dass ein Linksabbieger entgegenkommende Rechtsabbieger durchfahren lassen muss.
  • Das Gericht berücksichtigte die Fahrzeugpositionen zum Zeitpunkt der Kollision und die Verkehrsführung an der Unfallkreuzung.
  • Es wurde eine detaillierte Bewertung der Verkehrssituation und des Verhaltens beider Parteien vorgenommen.
  • Objektive Anhaltspunkte für die Fahrmanöver beider Fahrzeuge wurden ebenso in die Urteilsfindung einbezogen wie die Unfallsimulationsrechnung des Sachverständigen.
  • Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und der Zinsanspruch wurden auf Grundlage der berechtigten Forderung und der Haftungsquote zugeteilt.
  • Der Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich des Höherstufungsschadens in der Kaskoversicherung wurde als begründet angesehen.
  • Die Kostenentscheidung und die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils basieren auf den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen.

Vorfahrt beim Abbiegen: Rechte und Pflichten von Rechts- und Linksabbiegern

Im Straßenverkehr kommt es häufig zu Unfällen zwischen Rechts- und Linksabbiegern. Die Vorfahrtsregelung ist dabei eindeutig: Rechtsabbieger haben Vorrang gegenüber entgegenkommenden Linksabbiegern. Dies gilt sowohl für einspurige als auch für mehrspurige Fahrstreifen. Im Falle eines Unfalls haftet daher in der Regel der Linksabbieger, da diesem die Beweislast obliegt.

Die Vorfahrtsregelung wird durch Ampelschaltungen weiter präzisiert. Bei Grünpfeilen für Rechtsabbieger müssen Linksabbieger warten, bis der Rechtsabbieger die Kreuzung verlassen hat. Bei Rotpfeilen für Rechtsabbieger ist das Rechtsabbiegen verboten. Linksabbieger müssen in diesem Fall warten, bis die Ampel für sie Grün zeigt.

Die Kenntnis dieser Vorschriften ist wichtig, um Unfälle zu vermeiden und im Falle eines Unfalls die rechtliche Lage zu verstehen. Wer sich unsicher ist, wie die Vorfahrt beim Abbiegen geregelt ist, sollte sich vor Fahrtantritt informieren.

Ein Verkehrsunfall mit weitreichenden Folgen

Am 22. April 2021 ereignete sich in Saarbrücken ein Verkehrsunfall, der rechtlich komplex und von besonderem Interesse ist. Ein Pkw Ford Focus, gefahren vom Kläger, und ein VW Polo, gesteuert vom Beklagten, waren an einer ampelgeregelten Kreuzung kollidiert. Der Kern des Problems lag in der Abbiegesituation: Während der Kläger nach links abbiegen wollte, beabsichtigte der Beklagte, nach rechts abzubiegen, wobei beide Fahrer auf die linke Fahrspur der weiterführenden Straße fahren wollten.

Die rechtliche Auseinandersetzung nimmt ihren Lauf

Der Kläger machte nach der Kollision Schadenersatzansprüche geltend, die sich aus dem Wiederbeschaffungsaufwand, Sachverständigenkosten, einer Kostenpauschale, Nutzungsausfall für 22 Tage und Überführungskosten zusammensetzten. Nachdem seine Kaskoversicherung einen Teil der Kosten übernahm, suchte er die restlichen Ansprüche gerichtlich gegen die Beklagten, bestehend aus dem Fahrer des VW Polo und dessen Haftpflichtversicherung, durchzusetzen.

Rechtliche Probleme und Herausforderungen

Das rechtliche Dilemma entstand aus der Interpretation der Verkehrsregeln beim Abbiegen und der Bestimmung der Haftung. Der Kläger argumentierte, sein Abbiegevorgang sei bereits abgeschlossen gewesen, als es zum Zusammenstoß kam. Die Beklagten hielten dagegen, der Unfall habe sich noch während des Abbiegevorgangs des Beklagten zu 1 ereignet. Das Landgericht Saarbrücken wies die Klage ab, basierend auf einem Sachverständigengutachten, das im Rahmen eines parallelen Verfahrens erstellt wurde.

Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken

Das Oberlandesgericht Saarbrücken (Az.: 3 U 49/23) entschied in der Berufung teilweise zugunsten des Klägers. Es anerkannte zwar die grundsätzliche Haftung beider Parteien gemäß §§ 7, 17, 18 StVG in Verbindung mit § 115 VVG, sah jedoch einen Verstoß des Klägers gegen § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO. Dieser besagt, dass ein Linksabbieger entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren lassen muss. Gleichzeitig wurde aber ein Sorgfaltsverstoß des Beklagten zu 1 festgestellt, da er hätte erkennen müssen, dass der Kläger seiner Wartepflicht nicht nachkommen würde. Diese Einschätzung führte zu einer Haftungsverteilung von 70 % zu Lasten des Klägers und 30 % zu Lasten der Beklagten.

Das Urteil verdeutlicht die Komplexität von Verkehrsunfallregulierungen, insbesondere bei Abbiegesituationen an Kreuzungen. Es zeigt auf, dass die genaue Betrachtung der Situation und die Einhaltung der Verkehrsregeln essentiell sind, um die Haftungsverteilung nach einem Unfall bestimmen zu können.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Wie wird die Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Rechts- und einem Linksabbieger bestimmt?

Bei der Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Rechts- und einem Linksabbieger sind mehrere Aspekte zu berücksichtigen. Grundsätzlich trägt der Linksabbieger eine erhöhte Sorgfaltspflicht, da er den Gegenverkehr durchqueren muss. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) legt fest, dass Abbieger ihr Vorhaben rechtzeitig und deutlich ankündigen müssen und sich vor dem Abbiegen vergewissern müssen, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet wird. Speziell für Linksabbieger bedeutet dies, dass sie den entgegenkommenden Verkehr durchlassen müssen.

In der Rechtsprechung wird die Haftungsverteilung jedoch auch von den spezifischen Umständen des Einzelfalls beeinflusst. Ein Urteil des Kammergerichts Berlin vom 31. Januar 2019 (22 U 211/16) stellt klar, dass bei einer Kollision eines Linksabbiegers mit einem entgegenkommenden Rechtsabbieger der Rechtsabbieger nicht automatisch die alleinige Haftung trägt. Vielmehr ist für die Haftungsverteilung das Vorliegen einer typischen Sachlage notwendig. Ein Anscheinsbeweis zugunsten des Rechtsabbiegers gegen den Linksabbieger besteht grundsätzlich, jedoch gibt es keinen Vorrang der Kreuzungsräumung, und der Bevorrechtigte ist nicht befugt, seinen Vorrang zu erzwingen.

Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat in seinem Urteil vom 20. Oktober 2023 (3 U 49/23) entschieden, dass der Linksabbieger grundsätzlich nicht darauf vertrauen darf, dass ein ihm entgegenkommender Rechtsabbieger nur in den für ihn rechten Fahrstreifen einbiegt. Der Linksabbieger muss mit dem Abbiegevorgang warten, bis der Rechtsabbieger erkennbar sich auf einer Fahrspur vollständig eingeordnet hat. Verletzt der Linksabbieger diese Wartepflicht, kann dies zu einer Haftungsquote von mindestens 30 % führen.

Zusammenfassend hängt die Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall zwischen einem Rechts- und einem Linksabbieger von den spezifischen Umständen des Einzelfalls ab. Während die StVO klare Vorgaben zum Abbiegeverhalten macht, berücksichtigen Gerichte in ihrer Urteilsfindung auch die konkrete Verkehrssituation und das Verhalten der beteiligten Fahrer.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 3 U 49/23 – Urteil vom 20.10.2023

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 12.5.2023 – 1 O 226/21 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.115,12 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.5.2021 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den aus der Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung bei der … AG zur Versicherungsnummer XXX infolge des Verkehrsunfallereignisses vom 22.4.2021 in der Straße … … in … entstandenen und künftig entstehenden Rückstufungsschaden auf der Grundlage einer Haftungsquote von 30 % zu 70 % zu Lasten des Klägers zu ersetzen.

3. Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 367,23 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7.7.2021 zu zahlen.

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4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 36 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 64 %.

III. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls am 22.4.2021 in Saarbrücken.

Der Kläger befuhr mit seinem Pkw Ford Focus (amtl. Kennz. XXX) die Straße … aus Richtung … kommend. An der ampelgeregelten Kreuzung der Straßen … und … bog er nach links ab, um seine Fahrt auf der linken der beiden durch eine unterbrochene Linie getrennten Fahrspuren der … fortzusetzen. Der Beklagte zu 1, der mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw VW Polo (amtl. Kennz. XXX) die Straße … in entgegengesetzter Richtung befuhr, bog seinerseits an der Kreuzung nach rechts ab und beabsichtigte ebenfalls auf der linken Fahrspur der … weiterzufahren. Dabei kam es zur Kollision.

Der Kläger hat – nach Inanspruchnahme seiner Kaskoversicherung – erstinstanzlich zuletzt restlichen Schadensersatz von 3.285,71 Euro (Wiederbeschaffungsaufwand 5.250 Euro, Sachverständigenkosten 939,39 Euro, Kostenpauschale 25 Euro, Nutzungsausfall für 22 Tage 946 Euro, Überführungskosten 150 Euro abzgl. Versicherungsleistung 4.024,68 Euro) nebst Zinsen geltend gemacht. Daneben hat er die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des ihm in der Vollkaskoversicherung entstandenen und noch entstehenden Höherstufungsschadens sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 800,39 Euro nebst Zinsen erstrebt.

Der Kläger hat behauptet, sein Abbiegevorgang sei bereits beendet gewesen und sein Fahrzeug habe sich vollständig auf der linken Fahrspur der … in Geradeausfahrt befunden, als der Beklagte zu 1 über die rechte Fahrspur der … auf die linke Fahrspur gezogen sei.

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten. Sie haben behauptet, der Zusammenstoß habe sich noch vor dem Abschluss des Abbiegevorgangs des Beklagten zu 1 ereignet.

Das Landgericht hat das in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Saarbrücken, in dem der hiesige Beklagte zu 1 seinerseits Schadensersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall geltend gemacht hatte, eingeholte Sachverständigengutachten verwertet. Durch das angefochtene Urteil (Bl. 183 GA), auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat es die Klage abgewiesen.

Mit der Berufung, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel weiter.

Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Die Akte 36 C 293/21 (12) des Amtsgerichts Saarbrücken war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren.

II.

Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Die Auffassung des Landgerichts, den Kläger treffe ein die Haftung der Beklagten ausschließendes Mitverschulden an dem streitgegenständlichen Unfall, hält einer Überprüfung im Ergebnis nicht stand.

1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich gemäß §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG für die Folgen des streitgegenständlichen Unfalls einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellt.

2. Vergebens wendet sich die Berufung gegen die Annahme des Landgerichts, der Kläger habe gegen § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO verstoßen. Nach dieser Vorschrift muss ein Linksabbieger entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren lassen. Insoweit gelten im Wesentlichen die gleichen Rechtsgrundsätze wie für die Begegnung mit einem auf einer bevorrechtigten Straße fahrenden Fahrzeug (Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl., § 9 StVO Rn. 26; vgl. auch zu § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO: BGH, Urteil vom 7.2.2012 – VI ZR 133/11, Rn. 8 juris). Das übersieht die Berufung, wenn sie unter Hinweis auf die zitierte Kommentarstelle den Standpunkt einnimmt, § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO betreffe keinen „eigentlichen“ Vorfahrtfall.

a) Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, die im Berufungsverfahren nicht angegriffen werden, hat der Kläger die ihn als Linksabbieger gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO treffende Wartepflicht nicht beachtet.

Um diese zu erfüllen, hätte der Kläger nach dem Anfahren zunächst an der für Linksabbieger eingezeichneten gestrichelten Linie im Bereich der Kreuzungsmitte den Abbiegevorgang des Beklagten zu 1 abwarten müssen. Unerheblich ist, ob der Kläger – wie er bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Saarbrücken angegeben hat – in der Anfahrsituation nach dem Wechsel der Ampel auf Grünlicht die Fahrlinie des entgegenkommenden Beklagtenfahrzeugs als engen Bogen wahrnahm und hieraus für sich schloss, dessen Fahrer beabsichtige eine Weiterfahrt auf der rechten Spur der …. Eine entsprechende Annahme des Klägers wäre jedenfalls nicht schutzwürdig. Wer – wie der Kläger – nach links in eine Straße mit mehreren Fahrstreifen abbiegt, darf grundsätzlich nicht darauf vertrauen, ein entgegenkommender Rechtsabbieger werde nur in den für ihn rechten Fahrstreifen einbiegen und könne deshalb durch ein Einbiegen in den linken Fahrstreifen nicht beeinträchtigt werden (BayObLG, Beschluss vom 25.4.1978 – 1 Ob OWi 55/78, Rn. 15 juris; OLG Karlsruhe, DAR 1997, 26; Freymann in Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 27 Rn. 290). Objektive Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte zu 1 durch sein Fahrverhalten zunächst den Anschein erweckte, er werde die linke Fahrspur der … nicht in Anspruch nehmen, bevor er dies durch eine Korrektur seiner Fahrlinie doch tat, sind nicht vorhanden. Auch die Unfallsimulationsrechnung des Sachverständigen zeigt keine abrupten Änderungen der Fahrlinie des Beklagtenfahrzeugs.

Nicht entscheidend ist, dass das Klägerfahrzeug nach den Feststellungen des Sachverständigen zum Kollisionszeitpunkt bereits eine gerade Position auf der linken Fahrspur der … eingenommen hatte, während das Beklagtenfahrzeug sich noch in einer Schrägstellung befand. Wie der Sachverständige unbeanstandet festgestellt hat, ereignete sich die Kollision in Höhe des Fußgängerüberwegs, der den unmittelbaren Kreuzungsbereich aus Klägersicht nach links begrenzt, und hatte das Klägerfahrzeug seine Ausrichtung nach einer längeren Schrägfahrt erst unmittelbar zuvor erreicht. Der enge räumliche und zeitliche Zusammenhang zwischen dem Linksabbiegevorgang des Klägers und dem Unfall verdeutlicht, dass eine Beeinträchtigung des bevorrechtigten Beklagten zu 1 durch den Kläger gerade nicht mit Sicherheit auszuschließen war. Etwaige Unsicherheiten bei der Einschätzung der Verkehrslage durch den Kläger gehen insoweit zu dessen Lasten (vgl. LG Potsdam, Urteil vom 10.3.2008 – 7 S 120/07, Rn. 9 juris).

b) Der Beklagte zu 1 hat entgegen der Auffassung der Berufung nicht gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen. Dass er die rechte Fahrspur der … passieren musste, um auf die linke Fahrspur zu gelangen, stellt keinen Fahrstreifenwechsel im Sinne dieser Vorschrift dar. Der Vorrang des Beklagten zu 1 gegenüber dem wartepflichtigen Kläger umfasste vielmehr auch die Wahl zwischen den beiden Fahrspuren der … (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 6.9.2021 – 306 S 85/19, Rn. 29 f. juris; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl., § 7 StVO Rn. 16). Der Kläger hatte daher mit seinem Linksabbiegevorgang abzuwarten, bis der Beklagte zu 1 sich auf einer Fahrspur vollständig eingeordnet hatte, was zum Unfallzeitpunkt noch nicht der Fall war, wie aus der Kollisionsstellung hervorgeht. Aus denselben Erwägungen liegt auch kein Verstoß des Beklagten zu 1 gegen das für den Rechtsabbieger geltende Gebot, sich rechts einzuordnen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 StVO), oder gegen das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 2 StVO) vor.

c) Mit Recht macht die Berufung indes einen Sorgfaltsverstoß des Beklagten zu 1 gemäß § 1 Abs. 2 StVO geltend. Für den Beklagten zu 1 war nämlich absehbar, dass der Kläger seiner Wartepflicht nach § 9 Abs. 4 Satz 1 StVO nicht genügen würde. Davon ist spätestens auszugehen, als der Kläger, nachdem er bereits die für Linksabbieger vorgesehene Wartelinie ohne anzuhalten passiert hatte, auch die gestrichelte Begrenzungslinie der linken Fahrspur der … im Bereich der Kreuzungsmitte überfuhr (vgl. Bild 1 der Unfallsimulationsrechnung des Sachverständigen, Bl. 114 d. Beiakte). Der Beklagte zu 1 durfte in dieser Situation nicht darauf vertrauen, dass die von ihm anvisierte linke Fahrspur frei bleiben würde, sondern er musste mit einer weiteren Inanspruchnahme dieser Spur durch den Kläger und folglich mit einer Nichtbeachtung seines Vorrangs rechnen (zu einem vergleichbaren Fall OLG Koblenz, Beschluss vom 17.11.2021 – 12 U 1517/21, Rn. 5 juris).

Die Erkennbarkeit der Fahrbewegung des Klägerfahrzeugs für den Beklagten zu 1 steht aufgrund des Sachverständigengutachtens fest. Der Beklagte zu 1 selbst hat bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Saarbrücken eingeräumt, er habe gesehen, wie das Klägerfahrzeug losgefahren sei, wegen seines Vorrechts als Rechtsabbieger hierauf aber nicht näher geachtet. Dazu wäre er in der konkreten Situation indes gehalten gewesen und es wäre von ihm zu verlangen gewesen, dass er seinen Abbiegevorgang zumindest verlangsamt und Bremsbereitschaft einnimmt. In diesem Fall hätte die Kollision ohne weiteres vermieden werden können, was schon daran deutlich wird, dass das Beklagtenfahrzeug sich erst in Höhe des Fußgängerüberwegs vor Beginn des Kreuzungsbereichs befand, als das – nach den Feststellungen des Sachverständigen auch noch im Kollisionszeitpunkt schnellere – Klägerfahrzeug bereits die linke Fahrspur der … erreicht hatte.

d) Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge fällt zu Lasten des Klägers ins Gewicht, dass die Nichtbeachtung der Wartepflicht durch den Linksabbieger regelmäßig als besonders schwerwiegender Verkehrsverstoß anzusehen ist (vgl. zu § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO: BGH, Urteil vom 7.2.2012 – VI ZR 133/11, Rn. 8 juris). Dahinter tritt die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs gleichwohl nicht zurück. Dieses war zwar in der konkreten Situation bevorrechtigt. Der Beklagte zu 1 hat indes seinerseits eine Gefahr dadurch gesetzt, dass er nicht weiter auf das aus der Gegenrichtung abbiegende Klägerfahrzeug achtete, obwohl dies bei dem von ihm beabsichtigten Wechsel unmittelbar auf die linke Fahrspur der … in höherem Maße geboten war als bei einer Fortsetzung der Fahrt auf der näher gelegenen rechten Fahrspur. Dieser Verstoß wiegt allerdings weniger schwer als der Vorfahrtsverstoß des Klägers, weshalb im Ergebnis eine Haftungsverteilung von 70 % zu 30 % zu Lasten des Klägers angemessen ist.

3. Bei der Schadensberechnung ist das nach Inanspruchnahme der Kaskoversicherung durch den Kläger aus § 86 Abs. 1 VVG resultierende Quotenvorrecht zu berücksichtigen und demzufolge zwischen quotenbevorrechtigten und nicht quotenbevorrechtigten Schadenspositionen zu unterscheiden.

a) Quotenbevorrechtigt sind der Fahrzeugschaden in Form des mit der Klage geltend gemachten – beklagtenseits nicht bestrittenen – Wiederbeschaffungsaufwands (5.250 Euro) sowie die Sachverständigenkosten (939,39 Euro), da es sich hierbei um mit dem Kaskoversicherungsschutz deckungsgleiche (kongruente) Schäden handelt (vgl. zu den Sachverständigenkosten BGH, Urteil vom 12.1.1982 – VI ZR 265/80, Rn. 9). Auf den Gesamtschaden im Kasko-Bereich von 6.189,40 Euro hat die Kaskoversicherung 4.024,68 Euro gezahlt. Den nach Abzug der Versicherungsleistung verbleibenden Schaden kann der Kläger im Rahmen des Quotenvorrechts von den Beklagten ersetzt verlangen, allerdings nicht in voller Höhe von 2.164,71 Euro, sondern lediglich entsprechend der Haftungsquote der Beklagten von 30 %, d.h. in Höhe von 1.856,82 Euro (vgl. zur Berechnung BGH, Urteil vom 12.1.1982, a.a.O., Rn. 16; Freymann/Rüssmann in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. [Stand 8.8.2023], § 249 BGB Rn. 306 ff.).

b) Den verbleibenden, nicht deckungsgleichen (inkongruenten) Sachfolgeschaden haben die Beklagten (ebenfalls) nach der Haftungsquote zu ersetzen. Dazu zählt die Kostenpauschale von 7,50 Euro (30 % von 25 Euro). Daneben steht dem Kläger für die Dauer der Ersatzbeschaffung ein – dem Grunde nach und hinsichtlich des Zeitraums von 22 Tagen unbestrittener – Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfalls zu, den der Senat im Rahmen des durch § 287 ZPO eröffneten Ermessens anhand der Nutzungsausfalltabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch ermittelt. Danach ist das Klägerfahrzeug zwar an sich in die Gruppe E einzustufen. Nach der Rechtsprechung ist indes bei älteren Fahrzeugen regelmäßig eine Herabstufung um eine Gruppe geboten (vgl. BGH, Urteil vom 23.11.2004 – VI ZR 357/03, Rn. 13 f.), wobei die Grenze im Allgemeinen bei fünf Jahren gezogen wird (OLG Hamm, Urteil vom 30.10.2012 – I-9 U 5/12, Rn. 24 juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.3.2012 – I-1 U 139/11, Rn. 72 juris; Palandt/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 249 Rn. 44). Vorliegend war das am 22.4.2015 erstmals zugelassene Klägerfahrzeug am Unfalltag (20.4.2021) nahezu sechs Jahre alt und es sind – auch unter Berücksichtigung der Laufleistung von knapp 130.000 Kilometern – keine Umstände ersichtlich, die einer Herabstufung in die Gruppe D entgegenstehen. Die Nutzungsausfallentschädigung beträgt somit 250,80 Euro (22 Tage x 38 Euro = 836 Euro, davon 30 %). Die weiterhin geltend gemachten – beklagtenseits bestrittenen – Kosten in Höhe von 150 Euro für ein Überführungskennzeichen, zu deren Begründung der Kläger sich lediglich auf den offenbar das Ersatzfahrzeug betreffenden – im Übrigen nicht vorgelegten – Kaufvertrag berufen hat, sind nicht ersatzfähig, da ihr tatsächlicher Anfall nicht feststeht (vgl. Freymann/Rüssmann in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, a.a.O., § 249 BGB Rn. 290 m.w.N.). Insgesamt belaufen sich die nicht deckungsgleichen Schäden somit auf 258,30 Euro (7,50 Euro + 250,80 Euro).

4. Der Kläger kann ferner nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen, die aus dem Wert der berechtigten Forderung zu ermitteln sind (vgl. BGH, Urteil vom 5.12.2017 – VI ZR 24/17, Rn. 8 juris). Der Anspruch beträgt 367,23 Euro (1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG + Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV-RVG + Mehrwertsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG).

5. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 288 Abs. 1, § 291 BGB.

6. Der Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich des Höherstufungsschadens in der Fahrzeug-Vollkaskoversicherung ist zulässig (vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.4.2006 – VI ZR 36/05, Rn. 7, juris) und auf der Grundlage der festgestellten Haftungsquote begründet. Die Höherstufung in der Vollkaskoversicherung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Geschädigten eine Folge seines unfallbedingten Fahrzeugschadens. Das gilt auch dann, wenn der Höherstufungsschaden auch infolge der Regulierung des vom Geschädigten selbst zu tragenden Schadensteils eintritt. Der Schädiger haftet daher selbst bei nur anteiliger Schadensverursachung für den Höherstufungsschaden, der dadurch eintritt, dass der Geschädigte seine Kaskoversicherung in Anspruch nimmt. Das folgt aus dem Grundsatz, dass eine Mitursächlichkeit einer Alleinursächlichkeit in vollem Umfang gleichsteht. Der Höherstufungsschaden ist dann entsprechend der Haftungsquote zu teilen (BGH, Urteil vom 26.9.2006 – VI ZR 247/05, Rn. 8 ff., juris).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, §§ 711, 713 i.V.m. § 544 Abs.2 Nr. 1 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und keine Veranlassung gibt, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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