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Vorrang- und Beschleunigungsgebot in Kindschaftssache – Corona-Pandemie

KG Berlin – Az.: 17 WF 1028/20 – Beschluss vom 25.06.2020

Die Beschleunigungsbeschwerde des Vaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 08.06.2020 – 89 F 19/20 – wird auf seine Kosten nach einem Beschwerdewert von 1.000,00 EUR zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Vater rügt, dass die bisherige Verfahrensdauer nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot gemäß § 155 Abs. 1 FamFG entspreche.

Die Eltern, deren Ehe mittlerweile geschieden ist, haben sich im November 2011 getrennt. Seit April 2012 haben die Eltern zahlreiche gerichtliche Verfahren über den Umgang des Vaters mit den Kindern und die elterliche Sorge geführt.

Vorrang- und Beschleunigungsgebot in Kindschaftssache - Corona-Pandemie
Symbolfoto: Von L Julia/Shutterstock.com

Das Amtsgericht Schöneberg hat mit Beschluss vom 09.03.2017 (89 F 40/16) den Umgang des Vaters mit den Kindern bis zum 31.12.2018 ausgeschlossen. Das Kammergericht hat mit Beschluss vom 07.12.2018 (13 UF 83/17) die dagegen gerichtete Beschwerde des Vaters zurückgewiesen und den Umgang weiter bis zum 31.12.2019 ausgeschlossen. Für die Zeit ab 01.01.2020 hat es den Umgang im Wesentlichen dahingehend geregelt, dass begleitete Umgänge stattfinden sollen, wenn der Träger der Umgangsbegleitung zuvor mindestens 4 Gespräche mit den Kindern und 8 Gespräche mit den Eltern geführt hat.

Mit Antrag vom 20.01.2020 zum Geschäftszeichen 89 F 40/16 hat der Vater ein Vermittlungsverfahren eingeleitet, damit die Festlegungen des Beschlusses des Kammergerichts schnell umgesetzt werden. Daraufhin hat das Amtsgericht mit Verfügung vom 23.01.2020 das hiesige Verfahren anlegen lassen und mit Verfügung vom 28.01.2020 einen Anhörungstermin für den 20.02.2020 anberaumt. Am 20.02.2020 hat das Amtsgericht die Eltern und das Jugendamt angehört. Das Vermittlungsverfahren ist gescheitert.

Das Amtsgericht hat daraufhin das Verfahren als Umgangsabänderungsverfahren fortgeführt. Der Vater begehrt Umgang ohne vorausgehende Elterngespräche. Die Mutter begehrt eine weitere Umgangsaussetzung. Mit Beschluss vom 21.02.2020 hat das Amtsgericht einen Verfahrensbeistand bestellt. Am 27.03.2020 ist der Bericht des Verfahrensbeistandes vom 24.03.2020 beim Amtsgericht eingegangen. Mit Verfügung vom 28.04.2020 hat die Abteilungsrichterin die Versendung des Berichts und die Ladung der Kinder und des Verfahrensbeistandes zur Kindesanhörung am 16.06.2020 verfügt.

Mit Schreiben vom 13.05.2020 (zum Aktenzeichen 13 UF 90/20) hat der Vater die Verfahrensdauer gerügt. Das Schreiben trägt die Eingangsstempel des Amtsgerichts Schöneberg vom 14.05.2020 und vom 25.05.2020. Mit Verfügung vom 27.05.2020 hat die Abteilungsrichterin mitgeteilt, dass ihr der Schriftsatz erst an diesem Tag vorgelegen habe, weil er aufgrund des angegebenen kammergerichtlichen Aktenzeichens zunächst an das Kammergericht weitergesandt worden sei. Gleichzeitig hat die Abteilungsrichterin unter Angabe der Gründe mitgeteilt, dass sie beabsichtige die Beschleunigungsrüge zurückzuweisen und hat eine Übersendung der Beschleunigungsrüge an die anderen Verfahrensbeteiligten zur freigestellten Stellungnahme binnen 3 Tagen verfügt. Hierauf hat der Vater mit Schriftsatz vom 02.06.2020 Stellung genommen.

Mit Beschluss vom 08.06.2020 hat das Amtsgericht die Beschleunigungsrüge zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, dass der Geschäftsbetrieb durch die Corona-Pandemie stark eingeschränkt gewesen sei und die 12 und 13 Jahre alten Kinder bereits seit mehr als 3 Jahren keinen Umgang mehr mit dem Vater gehabt hätten.

Am 16.06.2020 hat das Amtsgericht die Kinder angehört und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Anhörungsvermerk binnen 2 Wochen gewährt.

Mit Schreiben vom 12.06.2020, eingegangen beim Amtsgericht am 15.06.2020 (zum Aktenzeichen 13 UF 19/20), hat sich der Vater über den Beschluss des Familiengerichts beschwert.

II.

Die Beschleunigungsbeschwerde des Vaters ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 155c Abs. 1 und 2 FamFG eingelegt worden. Sie ist jedoch unbegründet, denn die bisherige Verfahrensdauer des familiengerichtlichen Verfahrens widerspricht nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG.

Nach § 155c Abs. 3 Satz 1 FamFG hat das Beschwerdegericht, soweit das Amtsgericht einen Beschluss nach § 155b Abs. 2 Satz 1 FamFG gefasst hat, auf die Beschleunigungsbeschwerde hin festzustellen, ob die bisherige Dauer des Verfahrens dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot des § 155 Abs. 1 FamFG entspricht.

Eine generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren nicht beschleunigt durchgeführt wurde, ist dabei nach Auffassung des Gesetzgebers nicht möglich. Ein Maßstab für diese Frage ist die Orientierung am Kindeswohl, welches das Beschleunigungsgebot sowohl prägt als auch begrenzt, denn Beschleunigung ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, dass die Entscheidung in der Sache nicht durch bloßen Zeitablauf faktisch präjudiziert wird. Diese Gefahr besteht in den in § 155 Abs. 1 FamFG genannten Kindschaftssachen ganz besonders, weil sich während des Verfahrens Bindungs- und Beziehungsverhältnisse – einschließlich eines etwaigen Kontaktabbruchs – verfestigen oder verändern können und eine zu späte gerichtliche Entscheidung sich den geänderten tatsächlichen Bindungen und Beziehungen nur noch beschreibend anpassen, diese aber nicht mehr im Sinne des ursprünglichen Kindeswohls gestalten kann. Das Beschwerdegericht hat unter Zugrundelegung dieser Faktoren deshalb darüber zu entscheiden, ob die Dauer des bisherigen Verfahrens den Anforderungen des Vorrang- und Beschleunigungsgebotes entspricht, insbesondere ob das Ausgangsgericht die notwendigen verfahrensfördernden Maßnahmen getroffen hat. Dabei ist nicht von dem Maßstab eines idealen Richters auszugehen, sondern es ist anhand des konkreten Einzelfalles ein objektiver Maßstab anzulegen (BT-Drs. 18/9092, Seite 19; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 12. Juli 2017 – 4 UF 72/17 –, Rn. 7 – 143, juris m.w.N.). Während der Corona-Krise hat das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls, insbesondere des dem Verfahren zugrunde liegenden Regelungsbedürfnisses einerseits und gesundheitlicher Risiken andererseits, zu entscheiden, wie es das Verfahren gestalten wird (vgl. Lack in NJW 2020, 1255, beck-online).

Nach diesen Voraussetzungen entspricht der bisherige Ablauf des vorliegenden familiengerichtlichen Verfahrens den Anforderungen des Vorrang- und Beschleunigungsgebotes des §§ 165 Abs. 2, 155 Abs. 1 FamFG.

Nach Eingang des Vermittlungsantrages am 20.01.2020 hat das Amtsgericht zunächst einen Termin für den 20.02.2020 anberaumt und dieses nach dem Scheitern des Vermittlungsverfahrens gemäß § 165 Abs. 5 FamFG als ein Umgangsabänderungsverfahren fortgeführt und am nächsten Tag einen Verfahrensbeistand bestellt und diesem aufgegeben zu berichten. Danach wollte das Amtsgericht entscheiden, ob ein Sachverständigengutachten einzuholen ist. Diese Verfahrensweise entspricht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot.

Der Bericht des Verfahrensbeistandes vom 24.03.2020 ist dann am 27.03.2020 beim Amtsgericht eingegangen. Zwar hat das Amtsgericht daraufhin erst mit Verfügung vom 28.04.2020 einen Termin zur Anhörung der Kinder auf den 16.06.2020 anberaumt und die Übersendung des Berichts des Verfahrensbeistandes verfügt. Allerdings ergibt sich daraus unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles und der oben näher dargelegten Maßstäbe hier kein Verstoß gegen das Vorrang- und Beschleunigungsgebot. Vielmehr hat das Amtsgericht das Verfahren unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Risiken der Mitarbeiter des Gerichts durch die Corona-Pandemie und damit auch zum Schutz der übrigen Bevölkerung vor diesen Gefahren gestaltet. Das Amtsgericht befand sich seit dem 19.03.2020 nicht im Normalbetrieb. Vom 19.03.2020 bis einschließlich 17.04.2020 war der Betrieb soweit eingeschränkt, dass jeweils nur ein Familienrichter einen Notdienst versah und im Übrigen die Richter sich möglichst zu Hause aufhielten. Diese und weitere Maßnahmen haben dazu geführt, dass Posteingänge nach Dringlichkeit abgearbeitet wurden. Dass die Abteilungsrichterin den Bericht des Verfahrensbeistandes vor diesem Hintergrund erst am 28.04.2020 und damit einen Monat nach Eingang bearbeitet hat, ist im Hinblick auf das dem hiesigen Verfahren zugrunde liegende Regelungsbedürfnis nicht zu beanstanden. Verfahrensgegenstand ist zwar der Umgang. Im vorliegenden Fall haben die 12 und 13 Jahre alten Kinder jedoch seit mehr als drei Jahren keinen Umgang mit ihrem Vater. Unter Berücksichtigung dieser Umstände besteht keine Gefahr, dass sich durch eine Verzögerung von einem Monat während des Verfahrens Bindungs- und Beziehungsverhältnisse derart verfestigen oder verändern können, dass eine zu späte gerichtliche Entscheidung sich den geänderten tatsächlichen Bindungen und Beziehungen nur noch beschreibend anpassen, diese aber nicht mehr im Sinne des ursprünglichen Kindeswohls gestalten kann. Unter Berücksichtigung des Kindeswohls von A und B war deshalb eine frühere Anberaumung eines Kindesanhörungstermins vor dem Hintergrund der oben dargestellten gesundheitlichen Risiken für alle Beteiligten zur Einhaltung des Vorrang- und Beschleunigungsgebots nicht erforderlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes richtet sich nach § 42 Abs. 2 FamGKG (vgl. dazu H. Schneider, FamRB 2016, 479, 482).

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