Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 5 A 1467/16 – Beschluss vom 24.11.2017
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. Juni 2016 wird verworfen.
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. Juni 2016 wird abgelehnt.
Der Kläger und die Beklagte tragen die Gerichtskosten des Zulassungsverfahrens jeweils zur Hälfte; ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten jeweils selbst.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 174,85 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der vom Kläger gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig und daher zu verwerfen. Er genügt nicht den Anforderungen des § 67 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO. Danach müssen sich die Beteiligten vor dem Oberverwaltungsgericht, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dieses Vertretungserfordernis besteht nach § 67 Abs. 4 Satz 2 VwGO auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. An einer solchen ordnungsgemäßen Vertretung fehlt es hier. Auf das Vertretungserfordernis ist der Kläger in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils sowie erneut mit gerichtlicher Verfügung vom 13. Juli 2016 hingewiesen worden. Eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Antragstellung kann nicht mehr nachgeholt werden, weil die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels zwischenzeitlich verstrichen ist.
Darüber hinaus fehlt dem Kläger mangels Beschwer das Rechtsschutzbedürfnis. Er begründet seinen Zulassungsantrag im Wesentlichen damit, dass seiner Klage aus anderen als in dem Urteil genannten Gründen hätte stattgegeben werden müssen. Eine für Rechtsbehelfe grundsätzlich erforderliche Beschwer kann aber nicht schon in den Gründen der angefochtenen Entscheidung liegen, sondern nur gegeben sein, wenn die angefochtene Entscheidung im Ergebnis von dem Antrag des Verfahrensbeteiligten zu dessen Lasten abweicht. Wo dem Begehren des Rechtsmittelführers – wie hier – in vollem Umfang stattgegeben worden ist, ist er nicht beschwert, und zwar auch dann nicht, wenn die angefochtene Entscheidung auf andere Gründe gestützt ist, als sie der Rechtsmittelführer zur Rechtfertigung seines Begehrens vorgebracht hatte.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18. Februar 2002 – 3 B 149.01 -, juris, Rn. 1, und vom 10. Januar 1964 – V B 83.62 -, juris, Rn. 3.
II. Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
Das Zulassungsvorbringen weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat die Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Leistungsbescheids bejaht, ohne dass die Richtigkeit dieser Einschätzung durch das Antragsvorbringen entkräftet wird.
Insbesondere begegnet die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass das Vorgehen der Beklagten im Wege des Sofortvollzugs nicht notwendig im Sinne des § 55 Abs. 2 VwVG NRW gewesen sei, keinen durchgreifenden Bedenken.
In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob die Entfernung eines für den öffentlichen Straßenverkehr nicht mehr zugelassenen Kraftfahrzeugs im Wege des Sofortvollzugs nur auf die spezielle Ermächtigungsgrundlage des § 22 Satz 2 StrWG NRW gestützt werden kann und die allgemeine ordnungsbehördliche Ermächtigung nach § 55 Abs. 2 VwVG NRW insoweit verdrängt wird oder ob auch ein Vorgehen auf Grundlage von § 55 Abs. 2 VwVG NRW möglich bleibt. Denn weder die Voraussetzungen des § 22 Satz 2 StrWG NRW noch die des § 55 Abs. 2 VwVG NRW liegen vor.
1. Der Sofortvollzug nach § 22 Satz 2 StrWG NRW setzt voraus, dass die Anordnung der erforderlichen Maßnahme zur Beendigung der Sondernutzung nicht oder nur unter unverhältnismäßigem Aufwand möglich oder nicht erfolgversprechend ist.
Das ist vorliegend nicht der Fall. Für die Beklagte wäre es möglich und zumutbar gewesen, den vorrangig verantwortlichen Halter als Adressat einer möglichen Ordnungsverfügung anhand der noch vorhandenen – entstempelten – Kennzeichen zeitnah nach Feststellung des ordnungswidrigen Abstellen des Fahrzeugs im öffentlichen Parkraum über das Örtliche Fahrzeugregister der Zulassungsbehörde oder über das Zentrale Fahrzeugregister des Kraftfahrt-Bundesamtes (ZFZR) zu ermitteln. Die von der Beklagten geschilderten grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Halterermittlung begründen weder die Annahme, dass im konkreten Einzelfall der Erlass eines Grundverwaltungsaktes unmöglich noch dass dies nur mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre. Die Beklagte weist zwar darauf hin, dass nur in gut 20 % der Fälle der letzte eingetragene Halter tatsächlich noch für das Kraftfahrzeug verantwortlich sei, die Ermittlungen des richtigen Adressaten daher regelmäßig mit weiteren zeitaufwendigen Nachforschungen verbunden seien. Der Sofortvollzug soll aber nach der gesetzgeberischen Intention nur in Ausnahmefällen zulässig sein. Hierzu steht eine Verwaltungspraxis, die pauschal alle Fälle der Beseitigung nicht zugelassener Kraftfahrzeuge im Wege des sofortigen Vollzuges behandelt und damit den Ausnahmefall zur Regel macht, im offensichtlichen Widerspruch. Ob der Eigentümer (§ 18 Abs. 1 Satz 1 OBG NRW) oder Inhaber der tatsächlichen Gewalt (§ 18 Abs. 2 OBG NRW) mit zumutbarem Aufwand ermittelt werden kann, ist vielmehr jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Hier konnte der Kläger als letzter Halter des abgeschleppten Fahrzeugs anhand der am Fahrzeug noch vorhandenen Kfz-Kennzeichen ohne weiteres durch Anfragen an das Polizeipräsidium E. und die Straßenverkehrsbehörde I. ermittelt werden.
Auch in zeitlicher Hinsicht war es nicht unverhältnismäßig gegenüber dem Halter, vor der zwangsweisen Beseitigung des Fahrzeugs zunächst eine Ordnungsverfügung zu erlassen. Der Erlass einer Ordnungsverfügung und eines sich erst daran anschließenden Vollstreckungsverfahrens nimmt naturgemäß zwar mehr Zeit in Anspruch als die Durchführung von Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt im Wege des sofortigen Vollzugs. Allein der zeitliche Aufwand macht die Durchführung des von Gesetzes wegen im Regelfall vorgesehenen Verwaltungsverfahrens aber nicht unzumutbar bzw. den Sofortvollzug erforderlich. Der zeitliche Aufwand für das gestreckte Verfahren ist vielmehr nur dann nicht hinnehmbar, wenn ein behördliches Eingreifen außergewöhnlich dringlich ist. Allein präventive Erwägungen, wie sie die Beklagte im Hinblick auf die negative Vorbildwirkung anführt, begründen eine solche außergewöhnliche Dringlichkeit indes nicht. Soweit die Beklagte ausführt, dass sich mit Anbringen des farbigen Aufklebers die Gefahr erhöhe, dass das Fahrzeug beschädigt, aufgebrochen und ausgeschlachtet werde und Dritte geschädigt werden könnten, kann dies die besondere Eilbedürftigkeit der Durchführung der Abschleppmaßnahme ebenfalls nicht begründen. Das Gericht vermag insbesondere nicht zu erkennen, aus welchem Grund diese Gefahr für einen Zeitraum von elf Tagen in Kauf genommen wurde, sodann aber ein weiteres Abwarten nicht mehr möglich gewesen sein soll.
Der Behörde stehen auch auf der Grundlage des § 22 Satz 1 StrWG NRW rechtliche Möglichkeiten zur Beschleunigung des Verfahrens offen, etwa durch Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung des Verwaltungszwangs mit der Ordnungsverfügung. Darüber hinaus ist sie gehalten, etwaige Maßnahmen zur Verbesserung und Beschleunigung der Verwaltungspraxis zu ergreifen. Hierauf hat auch das Verwaltungsgericht – im Zusammenhang mit der Prüfung des § 55 Abs. 2 VwVG NRW – zutreffend hingewiesen und angeregt, dass die Polizei in gleichgelagerten Fällen der Ordnungsbehörde gleichzeitig mit der Information über ein nicht für den Straßenverkehr zugelassenes Fahrzeug die letzte Halteranschrift mitteilt. Darüber hinaus wurde das Verfahren hier durch die Verwaltungspraxis im Zusammenwirken von Polizei und Beklagter deutlich in die Länge gezogen. Denn die Beklagte erhielt erst nach Ablauf einer von der Polizei auf dem farbigen Aufkleber vermerkten Frist und Durchführung einer Nachkontrolle durch die Polizei Kenntnis von dem ordnungswidrig abgestellten Fahrzeug. Es ist hingegen kein Grund ersichtlich, warum die Polizei der Ordnungsbehörde ein ohne Zulassung im öffentlichen Straßenraum abgestelltes Fahrzeug nicht unmittelbar meldet. So könnten etwaige Ermittlungen nach dem Verantwortlichen zeitnah nach Feststellung des Verstoßes eingeleitet und das Verwaltungs- und ggf. das Verwaltungsvollstreckungsverfahren zügig in Gang gesetzt werden.
Das Antragsvorbringen legt auch nicht hinreichend dar, dass die Anordnung gegenüber dem Kläger, sein Kraftfahrzeug zu entfernen, nicht erfolgversprechend im Sinne des § 22 Satz 2 StrWG NRW gewesen wäre. Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, Anhaltspunkte dafür, dass der Halter des Fahrzeugs seiner Verpflichtung nicht nachkommen werde, seien nicht ersichtlich gewesen. Diese Annahme wird durch das Antragsvorbringen nicht erschüttert. Der Umstand, dass der Pflichtige einen von der Polizei angebrachten Aufkleber nicht befolgt, mit welchem er aufgefordert wurde, bis zum Ablauf einer bestimmten Frist das Fahrzeug aus dem öffentlichen Verkehrsraum zu entfernen, mag allenfalls als Indiz bei der Erfolgsprognose herangezogen werden. Der von der Beklagten hieraus gezogene Schluss, der Halter werde auch einer Ordnungsverfügung, die ihn unter Androhung der Ersatzmaßnahme zur Entfernung des Fahrzeuges auffordert, nicht nachkommen, ist aber keinesfalls zwingend. Denn es steht bereits nicht fest, ob der Fahrzeughalter überhaupt Kenntnis von dem farbigen Aufkleber hatte, dessen Warn- und Ankündigungsfunktion also überhaupt wahrgenommen wurde.
2. Die in Rede stehende Maßnahme war schließlich auch nicht so dringlich, dass die Beklagte nicht im Wege des gestreckten Verfahrens nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW hätte vorgehen können. § 55 Abs. 2 VwVG ermächtigt zum Sofortvollzug nur dann, wenn ein solcher zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist. Mit einem derartigen sofortigen Vollzug soll einer Gefahr begegnet werden können, die aufgrund außergewöhnlicher Dringlichkeit des behördlichen Eingreifens ein gestrecktes Vorgehen im Sinne des § 55 Abs. 1 VwVG NRW, also auf der Grundlage eines unanfechtbaren oder sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes sowie nach vorheriger Androhung und Festsetzung des Zwangsmittels, nicht zulässt. Ohne das sofortige Tätigwerden der Behörde im Wege des Verwaltungszwanges muss mit einem sehr hohen Grad an Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines Schadens für ein geschütztes Rechtsgut unmittelbar bevorstehen. Eine solche Situation ist insbesondere dann gegeben, wenn die mit einem Einschreiten gemäß § 55 Abs. 1 VwVG NRW verbundenen Verzögerungen die Wirksamkeit erforderlicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr aufheben oder wesentlich beeinträchtigen würden, wenn also allein der sofortige Vollzug geeignet ist, die Gefahr wirkungsvoll abzuwenden; ein Beurteilungsspielraum steht der Behörde insoweit nicht zu.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. April 2008 – 11 A 1386/05 -, juris, Rn. 20, Mosbacher, in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG VwZG, 11. Aufl. 2017, § 6 Rn. 24.
Diese Voraussetzungen liegen aus den unter 1. dargestellten Gründen ebenfalls nicht vor.
Soweit der Kläger in der Antragsbegründung auf die Rechtsprechung zur Vorlauffrist für das Aufstellen mobiler Halteverbotsschilder hinweist,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. September 2016 – 5 A 470/14 -, juris m. w. N.,
führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Diese Fälle betreffen die Frage, welche Vorlauffrist für eine Verkehrsänderung ausreichend ist, um Fahrzeughalter eines ursprünglich rechtmäßig geparkten Fahrzeugs vor überraschenden Abschleppmaßnahmen aufgrund eines später eingerichteten Halteverbots zu bewahren. In der Rechtsprechung ist insofern geklärt, dass auch Teilnehmer am ruhenden Verkehr stets mit Veränderungen der Verkehrssituation rechnen müssen, die einer längerfristigen, ungehinderten Inanspruchnahme des öffentlichen Verkehrsraumes entgegenstehen. Ein mobiles Haltverbotsschild, welches seine Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer entfaltet, gleichgültig ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht, muss sich der Fahrzeughalter nach Ablauf einer gewissen Vorlauffrist entgegen halten lassen. Eine solche durch Allgemeinverfügung veränderte Verkehrssituation steht hier aber nicht im Raum. Auch sind die für Verkehrszeichen in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Bekanntgabe nicht anwendbar, sodass dem Fahrzeughalter nicht ohne weiteres die auf dem Aufkleber enthaltene Warnung – unabhängig von der tatsächlichen Kenntnisnahme – entgegengehalten werden kann. Ferner beruht auch die im Sofortvollzug durchgeführte Abschleppmaßnahme in den Fällen einer nachträglich eingerichteten Halteverbotszone nicht allein auf der Erwägung, dass der Fahrzeughalter seiner Obliegenheit, die Verkehrssituation regelmäßig zu kontrollieren, nicht nachgekommen ist. Die Maßnahme ist in diesen Fällen vielmehr regelmäßig notwendig, um eine störungsfreie und damit gefahrlose Durchführung von Arbeiten unter berechtigter Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraums zu gewährleisten.
Schließlich rechtfertigt auch die Erwägung der Beklagten, die Abschleppmaßnahme und amtliche Verwahrung erspare dem Pflichtigen zugleich die ansonsten anfallende Miete eines Stellplatzes zu annähernd gleichen Konditionen, nicht den Sofortvollzug.
III. Die Kostenentscheidung beruht – für jeden Rechtsmittelführer – auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).