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Anforderungen an ärztliches Zeugnis – § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG

VG Ansbach – Az.: AN 18 S 21.00932 – Beschluss vom 28.05.2021

1. Die Anträge werden abgelehnt.

2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die gleichlautenden Anträge der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung der Klage in Bezug auf Ziff. 1 und 2 der Bescheide vom 21. April 2021 wiederherzustellen, haben keinen Erfolg.

1.

Vorliegend wenden sich die Antragsteller gegen die inhaltsgleichen Bescheide der Antragsgegnerin vom 21. April 2021, in welchen jeweils die Antragstellerin zu 1) und der Antragsteller zu 2) verpflichtet wurden, bis zum 7. Juni 2021 einen Nachweis über die Immunität ihres Kindes gegen Masern oder über eine medizinische Kontraindikation ihres Kindes gegen eine Masernschutzimpfung beim Gesundheitsamt der Antragsgegnerin einzureichen (Ziffern 1 der Bescheide). Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung dieser Verpflichtung wurde jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 250,00 EUR angedroht (Ziffern 2 der Bescheide). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 wurde jeweils angeordnet (Ziffern 3 der Bescheide).

2.

Die Anträge sind statthaft nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO mit dem Ziel der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der in dem Hauptsachverfahren AN 18 K 21.00933 erhobenen Klage gegen die Bescheide vom 21. April 2021. In den Ziffern 3 der Bescheide hat die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bezüglich der Ziffern 1 und Ziffern 2 der Bescheide angeordnet. Darüber hinaus haben Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden (Ziffern 2 der Bescheide, vgl. Art. 21a Satz 1 VwZVG, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).

3.

Die Anträge sind jedoch unbegründet.

Anforderungen an ärztliches Zeugnis
(Symbolfoto: Studio Romantic/Shutterstock.com)

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hat das erkennende Gericht eine eigenständige und originäre Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu treffen, die notwendigerweise nur vorläufigen summarischen Charakter hat. Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht Ersatz für das Verfahren der Hauptsache sein, welches in erster Linie den Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG vermittelt; demgegenüber dient das Eilverfahren vornehmlich der Verhinderung von Rechtsnachteilen und Rechtsverlusten bis zum (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Diese Zielsetzung bedeutet für die gerichtliche Überprüfung des Streitstoffes im Rahmen des Eilverfahrens, dass in diesem vordringlich nur die Einwände berücksichtigt werden können, die vom Rechtsschutzsuchenden selbst vorgebracht werden, es sei denn, dass sich andere Fehler bei summarischer Prüfung als offensichtlich aufdrängen (vgl. OVG NRW, B.v. 26.1.1999 – 3 B 2861/97 – juris Rn. 4). Im Rahmen der gerichtlichen Interessenabwägung kommt vor allem den Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs eine maßgebliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, B.v. 6.7.1994 – 1 VR 10.93 – juris Rn. 4).

Unter Heranziehung dieser Grundsätze überwiegt im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der Vollziehung das Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Die Klage in der Hauptsache wird voraussichtlich erfolglos bleiben, da bei der hier allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung des Gerichts insbesondere bei Würdigung des Sachvortrags der Antragsteller die Bescheide der Antragsgegnerin vom 21. April 2021 in den jeweiligen Ziffern 1 (dazu a)) und Ziffern 2 (dazu b)) nicht zu beanstanden sind.

a)

Die streitgegenständlichen Bescheide erweisen sich in ihren Ziffern 1 (Nachweispflicht) bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig. Demnach wurden die Antragsteller jeweils verpflichtet, bis zum 7. Juni 2021 einen Nachweis über die Immunität ihres Kindes gegen Masern oder über eine medizinische Kontraindikation ihres Kindes gegen eine Masernschutzimpfung im Original oder in beglaubigter Kopie beim Gesundheitsamt der Antragsgegnerin einzureichen.

Rechtsgrundlage hierfür ist § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 13 Satz 1 IfSG. Demnach haben Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nummer 1 bis 3 IfSG betreut werden, dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

(1)

Zunächst bestehen bei summarischer Prüfung keine Bedenken des Gerichts an der Verfassungsmäßigkeit des § 20 IfSG bzw. der Rechtgrundlage aus § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG.

Eine derartige Prüfung ist im Eilverfahren jedenfalls auf evidente Verfassungsverstöße beschränkt, die hier nicht erkennbar sind. Im Eilverfahren sind an die Nichtanwendung eines Gesetzes im formellen Sinn durch das Fachgericht wegen Annahme seiner Grundgesetzwidrigkeit mit Blick auf das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts (Art. 100 Abs. 1 GG) hohe Anforderungen zu stellen. Die „Selbstermächtigung“ des Gerichts zur Verwerfung und Nichtanwendung einer als verfassungswidrig erkannten Norm im Eilverfahren muss die Ausnahme und auf Fälle evidenter Verfassungsverstöße beschränkt bleiben (vgl. zum Ganzen NdsOVG, B.v. 9.10.2020 – 10 ME 207/20 – juris Rn. 6 f., m.w.N.).

Eine evidente Verfassungswidrigkeit der oben genannten Normen des Infektionsschutzgesetzes ist hier jedoch – auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Antragsteller – nicht ersichtlich. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungswidrigkeit der betroffenen Regelungen des Infektionsschutzgesetzes in seinem Beschluss vom 11. Mai 2020 (1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20 – juris) nicht festgestellt, weil es im Hinblick auf die offenen Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerden eine Folgenabwägung zulasten der Beschwerdeführer vorgenommen hat. Eine evidente Verfassungswidrigkeit der oben genannten Normen des Infektionsschutzgesetzes liegt daher nicht vor. Insoweit wird auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Mai 2020 (1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20 – juris) verwiesen (so auch NdsOVG, B.v. 9.10.2020 – 10 ME 207/20 – juris).

(2)

Darüber hinaus liegen bei summarischer Prüfung die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 13 Satz 1 IfSG vor.

Vorliegend war das Gesundheitsamt der Antragsgegnerin zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids zuständig. Zuständig ist gem. § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung befindet. Das Kind der Antragsteller besucht aktuell das ……………………, weshalb das Gesundheitsamt der Antragsgegnerin entsprechend im Sinne des § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG zuständig ist.

Zudem muss die Person, gegenüber der die Aufforderung ergeht, in den Kreis der in § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 bis 3 genannten Personen fallen. Dies ist vorliegend nach § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG der Fall. Demnach haben Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut werden, auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen. Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes sind nach § 33 IfSG Einrichtungen, in denen überwiegend minderjährige Personen betreut werden. Dazu gehören nach § 33 Nr. 3 IfSG insbesondere Schulen. Vorliegend besucht das Kind der Antragsteller ein Gymnasium und damit eine Gemeinschaftseinrichtung im Sinne des § 33 Nr. 3 IfSG, da davon auszugehen ist, dass in einem Gymnasium überwiegend minderjährige Personen betreut werden.

Da das Kind der Antragsteller minderjährig ist (Geburtsdatum ………) hat gem. § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG derjenige für die Einhaltung der die minderjährige Person unter anderem nach § 20 Abs. 12 S. 1 IfSG treffende Verpflichtung zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zusteht. Dies sind vorliegend die Antragsteller als Eltern des minderjährigen Kindes (vgl. § 1626 BGB). Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Antragstellerin zu 1) und der Antragsteller zu 2) jeweils einen (inhaltsgleichen) Bescheid erhalten haben (vgl. zu den Adressaten eines Verwaltungsaktes Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Auflage 2021, § 41 Rn. 22 f.; Baer in Schoch/Schneider, VwVfG, Werkstand: Grundwerk Juli 2020, § 41 Rn. 53).

Darüber hinaus besteht hier nach wie vor eine fällige Vorlagepflicht nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG. Voraussetzung der Aufforderung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG ist, dass die Person zu dem Zeitpunkt, zu welchem das Gesundheitsamt den Nachweis anfordert, zur Vorlage des Nachweises nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG verpflichtet ist (so Gerhardt in Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 5. Auflage 2021, § 20 Rn. 116). Hierzu sieht § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vor, dass der entsprechende Nachweis vor Beginn der Betreuung vorzulegen ist. Das Kind der Antragsteller besucht seit dem 1. August 2020 das …………………… (vgl. Mitteilung des ……………………vom 4.2.2021, Bl. 10 der Behördenakte), weshalb die Antragsteller im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide vom 21. April 2021, den Antragstellern jeweils zugegangen am 23. April 2021 (vgl. Bl. 36 ff. der Behördenakte), auf Aufforderung zur Vorlage eines Nachweises nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG verpflichtet waren.

Zu dem maßgeblichen Zeitpunkt lag auch kein Nachweis vor, der den Anforderungen des § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG genügte, so dass das Gesundheitsamt der Antragsgegnerin die Aufforderung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG erlassen durfte. Die vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 14. August 2020 genügt bei summarischer Prüfung nicht den Anforderungen des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG.

Im Fall von § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG ist ein Nachweis vorzulegen mittels eines ärztlichen Zeugnisses darüber, dass die betroffene Person aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden kann.

Die vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 14. August 2020 ist inhaltlich nicht geeignet, um nachzuweisen, dass das Kind der Antragsteller tatsächlich nicht geimpft werden kann. Die erkennende Kammer geht bei summarischer Prüfung davon aus, dass § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG dahingehend zu verstehen ist, dass es für ein als Nachweis geeignetes ärztliches Zeugnis nicht ausreicht, lediglich den Gesetzeswortlaut zu wiederholen, nämlich – wie vorliegend – allein festzustellen, dass eine medizinische Kontraindikation besteht, die von der Impfpflicht befreit. Es muss dem zuständigen Gesundheitsamt und im Falle eines Gerichtsverfahrens auch dem Gericht zumindest möglich sein, das ärztliche Zeugnis auf seine Plausibilität hin zu überprüfen. Diese Möglichkeit wird bei einer bloßen Wiederholung des Gesetzeswortlauts vollständig vorenthalten (so auch VG Meiningen, B.v. 10.11.2020 – 2 E 1144/20 – juris Rn. 26). Für diese Auslegung des § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG spricht insbesondere, dass nach dem ausdrücklichen Wortlaut ein „Nachweis“ gefordert wird, das heißt es soll der Behörde bzw. dem Gericht die volle Überzeugung von dem Inhalt des Zeugnisses verschafft werden. Dafür ist zumindest notwendig, dass das ärztliche Zeugnis nachvollziehbar und selbstständig prüfbar ist, da sonst eine Überzeugung überhaupt nicht gewonnen werden kann. Weiter spricht für diese Auslegung der Zweck der Vorlagepflicht, nämlich dem Gesundheitsamt eine Kontrolle der Einhaltung der sich aus § 20 Abs. 8 bis 11 IfSG ergebenden Pflichten zu ermöglichen (vgl. Gerhardt in Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 5. Auflage 2021, § 20 Rn. 112). Eine Kontrolle ist jedoch nicht möglich, wenn in einem ärztlichen Zeugnis lediglich der Wortlaut des Gesetzes wiedergegeben wird. Letztlich spricht für die oben dargestellte Auslegung auch der Sinn und Zweck des Masernschutzgesetzes. Dieser besteht ausweislich der Gesetzesbegründung darin, einen besseren individuellen Schutz insbesondere von vulnerablen Personengruppen sowie einen ausreichenden Gemeinschaftsschutz vor Maserninfektionen zu erreichen. Masern gehören zu den ansteckendsten Infektionskrankheiten des Menschen. Sie verlaufen schwer und ziehen Komplikationen und Folgeerkrankungen nach sich. Eine Masern-Infektion ist keine harmlose Krankheit (vgl. BT-Drucks. 19/13452, S. 1 f.). Dieser angestrebte Schutzzweck würde jedoch konterkariert, würden ärztliche Bescheinigungen ausreichen, die lediglich den Wortlaut des Gesetzestextes wiedergeben und – wie bereits dargestellt – damit jeglicher Prüfung entzogen wären. Vor diesem Hintergrund hilft auch der Verweis der Antragsteller auf den 321. Newsletter des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales nicht weiter, welcher ausführt, dass ein ärztliches Zeugnis über eine medizinische Kontraindikation lediglich Angaben zur zeitlichen Dauer enthalten müsse. Zunächst handelt es sich hierbei bloß um eine Veröffentlichung der Verwaltung, welche weder für das Gericht noch für eine Auslegung des Gesetzes bindende Wirkung entfaltet. Darüber hinaus ist dieser Newsletter insoweit durch den 418. Newsletter des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales überholt, soweit dort nach Abstimmung mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst explizit eine Prüfung der „Glaubwürdigkeit“ des Attests empfohlen wird (vgl. 418. Newsletter, Allgemeine Informationen zur Kindertagesbetreuung, Wichtige Informationen zum Masernschutzgesetz, abrufbar unter https://www.stmas.bayern.de/imperia/md/content/stmas/stmas_inet/service-kinder/newsletter/418-newsletter.pdf).

Darüber hinaus bestehen vorliegend Zweifel an der Glaubhaftigkeit der bescheinigten Kontraindikation bzgl. einer Masernimpfung des Kindes der Antragsteller, weshalb der Beweiswert des ärztlichen Attests im hier vorliegenden Fall erschüttert ist (vgl. hierzu SächsOVG, B.v. 5.5.2021 – 3 B 411/20 – juris Rn. 21; VG Meiningen, B.v. 10.11.2020 – 2 E 1144/20 – juris Rn. 26 f.). So bescheinigt das ärztliche Attest die medizinische Kontraindikation im „Kindes- und Jugendalter“. Eine medizinische Kontraindikation bei einer Masernimpfung liegt nach Angaben des Robert-Koch-Instituts vor bei akutem Fieber (>38,5°C) oder einer akuten schweren Erkrankung, Schwangerschaft, bestimmten schweren Einschränkungen des Immunsystems oder bekannten Allergien gegen Bestandteile des Impfstoffs (vgl. Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Schutzimpfung gegen Masern, Masernimpfung: Wirksamkeit, Sicherheit und Kontraindikationen, Stand: 4.6.2020, abrufbar unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/MMR/FAQ_Uebersicht_MSG.html). Angesichts dieser Einschätzung des Robert-Koch-Instituts, dem der Gesetzgeber nach § 4 IfSG im Bereich des Infektionsschutzes besonderes Gewicht einräumt, erschließt sich dem Gericht nicht, welche Kontraindikation vorliegen sollte, die nach dem Ende des Kindes- und Jugendalters, also mit Erreichen des Erwachsenenalters, verschwinden sollte. Der Vortrag der Antragsteller, dass die Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin eine ärztliche Beurteilung nur für den Zeitraum getroffen und bescheinigt habe, der in ihren Zuständigkeitsbereich – das Kindes- und Jugendalter – falle, vermag die Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Attests nicht auszuräumen. Die ausdrückliche Bescheinigung, dass die medizinische Kontraindikation „im Kindes- und Jugendalter“ besteht, legt nahe, dass die Kontraindikation nur im Kindes- und Jugendalter bestehen soll. Erschwerend kommt hinzu, dass in einem Aktenvermerk des Gesundheitsamts …… vom 7. September 2020 anlässlich eines Telefonats mit der Antragstellerin zu 1) am 4. September 2020 zum Ausdruck kommt, dass auf Vorhalt des Gesundheitsamts, es sei nicht nachvollziehbar, was sich mit Abschluss des 18. Lebensjahres medizinisch ändere, die Antragstellerin zu 1) angedeutet habe, dies sei in einer chronischen Erkrankung ihrer Tochter begründet (vgl. Bl. 5 f. der Behördenakte). Es erschließt sich aber nicht, wie eine chronische Erkrankung mit Eintritt in das Erwachsenenalter verschwinden sollte. Darüber hinaus hat das Robert-Koch-Institut zu chronischen Erkrankungen erfasst, dass diese per se keine Kontraindikation für eine Masernimpfung darstellen würden. Im Gegenteil, Personen mit chronischen Grunderkrankungen sollten gut gegen impfpräventable Erkrankungen geschützt werden, weil bei ihnen Infektionskrankheiten besonders schwer verlaufen könnten. Nur wenn durch die Erkrankung oder die notwendige medikamentöse Therapie die Immunfunktion des Patienten in bestimmter Weise beeinträchtigt sei, dürften keine Lebendimpfstoffe, also auch nicht die Masernimpfung, verabreicht werden (vgl. zum Ganzen Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Schutzimpfung gegen Masern, Masernimpfung: Wirksamkeit, Sicherheit und Kontraindikationen, Stand: 4.6.2020, abrufbar unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/MMR/FAQ_Uebersicht_MSG.html). Nach alledem bestehen vorliegend gewichtige Indizien, die an der inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung zweifeln lassen. Ein tauglicher Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 IfSG liegt damit nicht vor.

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Darüber hinaus kommt eine Verlängerung der Frist zur Erfüllung der Nachweispflicht gem. § 20 Abs. 10 Satz 1 IfSG nicht in Betracht. Demnach haben unter anderem Personen, die am 1. März 2020 bereits in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut werden, den Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG bis zum Ablauf des 31. Dezember 2021 vorzulegen. Zwar hat das Kind der Antragsteller am 1. März 2020 bereits eine Grundschule und damit eine Gemeinschaftseinrichtung im Sinne des § 33 Nr. 3 IfSG besucht. Allerdings fand zum 1. August 2020 ein Wechsel der Gemeinschaftseinrichtung zum ………Gymnasium statt. Der in § 20 Abs. 10 Satz 1 IfSG geregelte Aufschub zum Führen des Nachweises über eine Masernschutzimpfung oder Immunität gegen Masern nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG greift – entgegen dem Vortrag der Antragsteller – nicht bei einem Wechsel zwischen Gemeinschaftseinrichtungen i. S. v. § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG. Der Anwendungsbereich ist vielmehr auf den „Betreuungsbestand“, also auf diejenigen Personen beschränkt, die seit dem Stichtag 1. März 2020 in derselben Gemeinschaftseinrichtung betreut werden oder tätig sind (so SächsOVG, B.v. 20.8.2020 – 3 B 233/20 – juris; VG Magdeburg, B.v. 30.7.2020 – 6 B 251/20 – juris; VG Schleswig-Holstein, B.v. 10.8.2020 – 9 B 16/20 – juris; VG Kassel, B.v. 12.8.2020 – 3 L 1302/20.KS – juris). Das Gericht schließt sich insbesondere den überzeugenden Ausführungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 20. August 2020 – 3 B 233/20 – an, wonach sowohl systematische Gründe als auch der Zweck des § 20 Abs. 10 Satz 1 IfSG für eine Auslegung dieser Vorschrift sprechen, so dass der vorübergehende Aufschub der Nachweispflicht an die Betreuung und den Verbleib in einer bestimmten Gemeinschaftseinrichtung seit dem Stichtag 1. März 2020 gebunden ist und mit der „Leitung der jeweiligen Einrichtung“ in § 20 Abs. 10 Satz 1 IfSG somit die Leitung der Gemeinschaftseinrichtung gemeint ist, in der die zum Nachweis verpflichtete Person seit dem Stichtag ununterbrochen betreut wird oder tätig ist. Systematisch spricht für dieses Verständnis die Regelung in § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 IfSG. Aus dieser Vorschrift ergibt sich indirekt, dass der Nachweis ausreichenden Impfschutzes oder Immunität gegen Masern von der verpflichteten Person nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG auch in Fällen eines Wechsels der Gemeinschaftseinrichtung vor Beginn ihrer Betreuung oder Tätigkeit gegenüber der Leitung der jeweiligen Einrichtung zu erbringen ist; nur lässt der Gesetzgeber hier eine Bescheinigung von einer staatlichen Stelle oder der Leitung einer anderen in § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG genannten Einrichtung darüber genügen, dass ein Nachweis nach § 20 Abs. 9 Nr. 1 oder 2 IfSG bereits vorgelegen hat. Nichts spricht dafür, dass § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 IfSG nur in Fällen eines Wechsels der Gemeinschaftseinrichtung nach dem 31. Dezember 2021 gelten soll. Würde man das in § 20 Abs. 10 Satz 1 IfSG enthaltene Tatbestandsmerkmal „in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG“ weit auslegen, widersprächen sich folglich § 20 Abs. 10 Satz 1 und Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 IfSG. Auch der Zweck des § 20 Abs. 10 IfSG sowie des Masernschutzgesetzes im Allgemeinen spricht bei summarischer Prüfung dafür, dass der vorübergehende Aufschub der Nachweispflicht bis zum 31. Dezember 2021 in § 20 Abs. 10 Satz 1 IfSG an die Betreuung und den Verbleib in einer bestimmten Gemeinschaftseinrichtung seit dem Stichtag 1. März 2020 gebunden ist. Zweck dieser Vorschrift ist nämlich in erster Linie nicht die Privilegierung von Personen, die zum Stichtag in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut werden oder dort tätig sind. Vielmehr soll § 20 Abs. 10 Satz 1 IfSG offensichtlich sicherstellen, dass die Verpflichtung zur Nachweisführung nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG auch gegenüber diesem Personenkreis in überschaubarer Zukunft durchgesetzt wird, da er eben nicht unter die Nachweispflicht des § 20 Abs. 9 IfSG fällt. Für diese Auslegung der Regelungen des Infektionsschutzgesetzes spricht der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers, die mit dem Masernschutzgesetz verfolgten Zielsetzungen zeitnah zu erreichen (vgl. zum Ganzen SächsOVG, B.v. 20.8.2020 – 3 B 233/20 – juris Rn. 11 ff.).

Das zuständige Gesundheitsamt hat auch das ihm obliegende Ermessen sachgerecht ausgeübt. So hat das Gesundheitsamt sein Ermessen pflichtgemäß auszuüben und insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Bei der Ermessensausübung ist in besonderem Maße der durch die Vorlage letztlich bezweckte Schutz der Gesundheit vor einer Maserninfektion zu beachten (vgl. Gerhardt in Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 5. Auflage 2021, § 20 Rn. 119). Vorliegend hat das Gesundheitsamt in den jeweiligen Bescheiden auf Seite 3 insbesondere die hohe Ansteckungsgefahr von Masernerregern und die schweren Krankheitsverläufe einer Maserninfektion in Abwägung zu dem Erziehungsgrundrecht und dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes der Antragsteller gewürdigt. Auch wurde in Bezug auf andere Gründe ausgeführt, dass hierzu nichts ersichtlich oder vorgetragen worden sei. Die Ermessensausübung ist daher bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Anderweitige Umstände wurden im gerichtlichen Eilverfahren weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.

Auch die gesetzte Frist bis 7. Juni 2021 zur Vorlage eines Nachweises über die Immunität oder die medizinischen Kontraindikationen ist nicht zu beanstanden und insbesondere angemessen (vgl. hierzu auch Gerhardt in Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 5. Auflage 2021, § 20 Rn. 120, welcher regelmäßig eine Frist im Normalfall von etwa zehn Tage als ausreichend erachtet). Gerechnet ab der Zustellung der Bescheide am 23. April 2021 hatten die Antragsteller mehr als sechs Wochen Zeit, die Nachweise zu erbringen. Dieser Zeitraum ist nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat in ihren Bescheiden zum einen die Zeit berücksichtigt, die für eine vollständige Impfung erforderlich wäre (Mindestabstand von vier Wochen zwischen zwei Masernschutzimpfungen) und zum anderen auch den Zeitaufwand gewürdigt, der für den Erhalt der anderweitigen Nachweise erforderlich wäre (vgl. Seite 3 der Bescheide). Dies ist bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.

b)

Auch die jeweiligen Ziffern 2 der Bescheide (Zwangsgeldandrohung) erweisen sich bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig. Demnach wird ein Zwangsgeld von jeweils 250,00 EUR zur Zahlung fällig, falls die Antragsteller der Verpflichtung aus Ziffern 1 der Bescheide nicht fristgerecht nachkommen.

Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 19, 29, 30, 31, 36 VwZVG. Bei der Aufforderung zur Vorlage eines Nachweises nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG durch das Gesundheitsamt handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der durch Verwaltungsvollstreckungsrecht (insbesondere mit Zwangsgeld) durchgesetzt werden kann (vgl. Gerhardt in Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 5. Auflage 2021, § 20 Rn. 124; Gebhard in Kießling, IfSG, 1. Auflage 2020, § 20 Rn. 61).

Die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19, 29, 30, 31 und 36 VwVZG liegen vor. Insbesondere war die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 der Bescheide angeordnet, Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG. Der Verwaltungszwang ist vorliegend ebenso zulässig wie das gewählte Zwangsmittel, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Art. 31 VwZVG. Die Zuständigkeit des Gesundheitsamts der Antragsgegnerin ist nach Art. 30 Abs. 1 VwZVG gegeben. Darüber hinaus wurde das Zwangsgeld entsprechend Art. 36 VwZVG angedroht, insbesondere schriftlich mittels Zustellung und mit bestimmter Frist, verbunden mit der Aufforderung nach Ziffern 1 der Bescheide. Die Formulierung ist auch hinreichend bestimmt. Es wird klar, welcher Verstoß ein Zwangsgeld in welcher Höhe nach sich zieht. Auch in der Höhe ist das angedrohte Zwangsgeld nicht zu beanstanden. Es hält sich im Rahmen der Vorschrift des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG, wonach das Zwangsgeld mindestens 15,00 EUR und höchstens 50.000,00 EUR beträgt. Art. 31 Abs. 2 Sätze 2 und 4 VwZVG geben vor, dass das Zwangsgeld das wirtschaftliche Interesse, das der Pflichtige an der Vornahme oder am Unterbleiben der Handlung hat, erreichen soll, wobei das wirtschaftliche Interesse nach pflichtgemäßem Ermessen zu schätzen ist. Es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin vorliegend mit jeweils 250,00 EUR einen überhöhten Betrag festgesetzt hätte, der außer Verhältnis zur Bedeutung der Angelegenheit für die Antragsteller stehen würde. Anderweitige Anhaltspunkte sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Das Gericht orientiert sich dabei am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Nach dessen Nr. 1.5 beträgt in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Streitwert in der Regel ½. Da zwei Antragsteller mit jeweils einem angefochtenen Bescheid gegeben waren, wurden die Werte der einzelnen Anträge addiert.

 

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