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Ansprüche wegen der Verletzung von Abstandsflächen durch Grundstücksnachbarn – Rückbau

OLG Dresden – Az.: 6 U 1113/18 – Urteil vom 13.11.2018

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 03.07.2018, Az. 03 O 3245/16, aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil durch den jeweils vollstreckenden Prozessbeteiligten insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn jener nicht zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begeht von den Beklagten, ein an der Grenze zum klägerischen Grundstück errichtetes Einfamilienhaus soweit zurückzubauen, dass eine Abstandsfläche von 3 Metern eingehalten wird. Hilfsweise macht er eine Entschädigung in Höhe von 250.000,00 € geltend.

Hinsichtlich des zugrunde liegenden unstreitigen Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien in erster Instanz einschließlich der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Leipzig vom 03.07.2018 in der Fassung des Beschlusses des Landgerichts vom 21.08.2018 verwiesen.

Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß als Gesamtschuldner verurteilt, den auf dem Grundstück, Flurstück-Nr. 2xxx der Gemarkung L. (L… Straße xx, xxxxx L.) errichteten Neubau eines Einfamilienhauses soweit zurückzubauen, als diese Baulichkeit näher als 3 Meter zur im nordwestlichen Bereich unmittelbar angrenzenden Grundstücksgrenze des Grundstücks, Flurstück-Nr. 3yyy der Gemarkung L. (S… Straße x, xxxxx L.) steht.

Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Unter weitgehender Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens begehren sie die Abweisung der Klage. Insbesondere machen sie geltend, dass eine Abstandsfläche zum klägerischen Grundstück nach § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO nicht erforderlich sei, weil bauplanungsrechtlich das von ihnen errichtete Gebäude an der Grenze gebaut werden durfte, was sich aus dem ihnen erteilten Bauvorbescheid der Streithelferin vom 10.03.2014 (Anlage K 3) sowie der Baugenehmigung vom 19.08.2014 (Anlage K 4) ergebe. Überdies folge die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Grenzbebauung aus der insoweit maßgeblichen Vorschrift des § 34 BauGB, weil sich das an der Grenze zum klägerischen Grundstück errichtete Einfamilienhaus unter Berücksichtigung der bereits vorhandenen Bebauung in die nähere Umgebung einfüge. Einem Rückbau stünde zudem nach § 242 BGB dessen Unverhältnismäßigkeit entgegen. Die von dem Kläger hilfsweise geltend gemachte Entschädigung sei weit überhöht.

Die Beklagten beantragen in der Berufungsinstanz:

Unter Abänderung des am 03.07.2018 verkündeten Urteils des Landgerichts Leipzig, Az.: 3 O 3245/16, wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Urteil des Landgerichts unter weitgehender Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 03.07.2018 nebst dem Tatbestandsberichtigungsbeschluss vom 21.08.2018 sowie das Protokoll der Verhandlung des Senats vom 13.11.2018 Bezug genommen.

II.

Die zulässige – insbesondere form- und fristgerecht eingelegte – Berufung der Beklagten ist begründet.

Zwar ist die Klage zulässig. Insbesondere bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers. Wie das Landgericht mit zutreffender Begründung ausgeführt hat, ist der Rechtsweg des Nachbarn gegen einen störenden Bauherren zweigleisig ausgestaltet. Er kann nach seiner Wahl sowohl verwaltungsgerichtlich als auch vor den ordentlichen Gerichten um Rechtsschutz nachsuchen.

Allerdings ist die Klage unbegründet, weil dem Kläger gegen die Beklagten kein zivilrechtlicher Anspruch auf Rückbau des streitgegenständlichen Bauwerks zusteht.

1.

Soweit das Landgericht davon ausgeht, der Kläger könne von den Beklagten auf der Grundlage eines quasinegatorischen Anspruchs entsprechend § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB und § 6 SächsBO wegen Verletzung von Abstandsflächenvorschriften den Rückbau des von den Beklagten errichteten Einfamilienhauses verlangen, hält dies rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Allerdings geht das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB nicht nur in dem dort geregelten Fall einer Eigentumsbeeinträchtigung in Betracht kommt, sondern in entsprechender Anwendung der Vorschrift auch aufgrund der Verletzung eines Schutzgesetzes i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB begründet sein kann (sog. quasinegatorischer Anspruch). Ein solches Schutzgesetz stellen – wovon das Landgericht ebenfalls zutreffend ausgeht – die baurechtlichen Vorschriften über Grenzabstände dar, im Freistaat Sachsen also die Regelung des § 6 SächsBO.

b) Unzutreffend ist aber die Annahme des Landgerichts, dass durch die Errichtung des streitgegenständlichen Einfamilienhauses an der Grenze zum klägerischen Grundstück die nach § 6 SächsBO vorgeschriebene Abstandsfläche nicht eingehalten worden sei. Vielmehr war nach § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO vor jener Außenwand des von den Beklagten errichteten Gebäudes, das sich an der Grenze zum Grundstück der Kläger befindet, keine Abstandsfläche erforderlich, weil nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften an der Grenze gebaut werden durfte. Dies ist durch den Bauvorbescheid der Streithelferin vom 10.03.2014 (Anlage K 3) in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Landesdirektion Sachsen vom 16.02.2016 (Anlage K 6) i.V.m. der durch die Streithelferin erteilten Baugenehmigung vom 19.08.2014 (Anlage K 4) in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Landesdirektion Sachsen vom 24.02.2016 (Anlage K 7) für die Zivilgerichte bindend festgestellt [dazu im Einzelnen nachfolgend bb) und cc)]. Damit liegt keine Verletzung des Schutzgesetzes des § 6 Abs. 1 SächsBO vor. Auf die vom Landgericht geprüfte Frage, ob eine Duldungspflicht i.S.d. § 1004 Abs. 2 BGB gegeben ist, kommt es daher nicht an.

aa) Die Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO gilt nur für Abstandsflächen vor Außenwänden, „die an Grundstücksgrenzen errichtet werden“. Das streitgegenständliche Gebäude muss sich daher mit der entsprechenden Außenwand unmittelbar an der Grenze zum klägerischen Grundstück befinden. Das ist vorliegend der Fall. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils ist insoweit Folgendes festgestellt:

Die Beklagten errichteten ein eingeschossiges Einfamilienhaus, welches mit drei Seiten direkt an die Grundstücksgrenze der anliegenden Grundstücke mit den Flurstück-Nr. 3yyy, xyxy und yxyx grenzt.

Beim Grundstück der Kläger handelt es sich um jenes mit der Flurstücks-Nr. 3yyy, so dass nach den vorstehenden Ausführungen im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils eine Grenzbebauung vorliegt.

Nachdem der Kläger in erster Instanz mehrfach mit Nichtwissen bestritten hatte, dass die Beklagten das Wohnhaus tatsächlich direkt auf der Grundstücksgrenze errichtet hätten (Bl. xxxa, xyx, xxy), hat er im Hinblick auf die im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils getroffenen Feststellungen zur Grenzbebauung weder einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt, noch diese Feststellungen im Rahmen der Berufungserwiderung angegriffen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger insoweit an seinem erstinstanzlichen Vortrag nicht mehr festhält. Überdies war die vorgenannte Erklärung des Klägers mit Nichtwissen nicht zulässig, weil es sich bei der Lage der streitgegenständlichen Bebauung im Bereich der Grenze zum klägerischen Grundstück um eine Tatsache handelt, die ohne weiteres Gegenstand der eigenen Wahrnehmung des Klägers ist (§ 138 Abs. 4 ZPO). Im Übrigen erschließt sich – ohne dass es darauf ankäme – auch aus dem in der Berufungsinstanz als Anlage B 10 (Bl. 232) vorgelegten Foto, dass das von den Beklagten errichtete Einfamilienhauses unmittelbar an die Außenwand der auf dem Grundstück des Klägers befindlichen Garage anschließt. Schließlich geht offenbar auch der Kläger von einer Grenzbebauung aus, indem er sich auf das durch den vormaligen Eigentümer seines Grundstücks, Herrn T., beim Amtsgericht Leipzig geführte Verfahren 109 C 9706/13 beruft, soweit dieser dort vorgetragen hat: “Der Neubau … soll unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtet werden“ (Bl. 141).

bb) Aus dem Bauvorbescheid vom 10.03.2014 i.V.m. der Baugenehmigung vom 19.08.2014, jeweils in Gestalt der dazu ergangenen Widerspruchsbescheide, ergibt sich, dass die zuständige Bauaufsichtsbehörde die planungsrechtliche Zulässigkeit der Grenzbebauung festgestellt hat und darüber hinaus diese Bebauung, was für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO nach der Rechtsprechung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts erforderlich ist, auch im Übrigen bauplanungsrechtlich zulässig ist (dazu vgl. SächsOVG, Beschluss vom 01.03.2005, 1 BS 24/05, Rdn. 9, juris).

(1) Bereits der Bauvorbescheid vom 10.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.02.2016 regelt die planungsrechtliche Zulässigkeit des von den Beklagten errichteten Einfamilienhauses an dem beabsichtigten Standort. Die Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit bezog sich insoweit nicht lediglich – wie der Kläger meint – auf die Errichtung des Gebäudes an einer beliebigen Stelle auf dem Grundstück der Beklagten, sondern ganz konkret auf den Standort an der Grundstücksgrenze, unmittelbar angrenzend an die Außenwand der auf dem klägerischen Grundstück befindlichen Garage. Dies ergibt sich aus dem Vorbescheid selbst, jedenfalls aber aus den Ausführungen im Widerspruchsbescheid, durch die der Vorbescheid ergänzt und konkretisiert wird.

In der Anlage 1 zum Bauvorbescheid heißt es insoweit:

Frage:

Ist es planungsrechtlich zulässig an diesem Standort ein Wohngebäude in den Abmessungen der beigefügten Skizze (Planung eingegangen im Amt für Bauordnung und Denkmalpflege (ABD) am 22.10.2013) zu errichten?

Antwort:

Aufgrund der vorhandenen Eigenart der näheren Umgebung ist eine Bebauung entsprechend den Abmessungen der beigefügten Skizze (Planung eingegangen im ABD am 22.10.2013) unter der Bedingung, dass die Höhe der vorhandenen Nachbarbebauung nicht überschritten wird, planungsrechtlich zulässig.

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Bei den im Vorbescheid angegebenen Entscheidungsgrundlagen ist neben dem „Antrag auf Vorbescheid am 22.10.2013 im Amt für Bauordnung und Denkmalpflege eingegangen“ auch eine „Lageskizze zum Antrag“ aufgeführt. Bei dieser Lageskizze handelt es sich um das im Berufungsverfahren als Anlage B 9 eingereichte Dokument, das als „Lageskizze zum Antrag auf Vorbescheid § 75 SächsBO“ bezeichnet ist (Bl. 231). Daraus ergibt sich eindeutig der Standort direkt an der Grenze zum Grundstück des Klägers angrenzend an die dort befindliche Garage.

Zwar hat der Kläger mit Nichtwissen bestritten, dass es sich bei der Anlage B 9 um die Lageskizze zum Antrag auf Erteilung des Bauvorbescheids handele (Bl. 255). Dass es sich bei dem Dokument tatsächlich um jene Lageskizze handelt, folgt aber – neben dessen Bezeichnung – aus dem darauf in grüner Farbe handschriftlich mit Unterschrift und Datum 10.03.2014 aufgebrachten Vermerk: „zum Vorbescheid Az. 63.20-BV/2013-008-UH“. Hierbei handelt es sich um das Aktenzeichen des Bauvorbescheids vom 10.03.2014. Auch das Datum „10.03.2014“ (s. Anlagen K 3 und B 9, Bl. 231) stimmt überein. Üblicherweise werden Eintragungen durch das Bauaufsichtsamt auf den eingereichten Unterlagen in grüner Farbe vorgenommen.

Dass in dem Vorbescheid vom 10.03.2014 die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Bebauung an dem konkreten – direkt an der Grenze zum klägerischen Grundstück gelegenen – Standort geprüft und festgestellt worden ist, ergibt sich zusätzlich aus folgenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 16.02.2016:

Das geplante Vorhaben beinhaltet die Errichtung eines eingeschossigen Wohngebäudes im Blockinnenbereich auf dem Grundstück L… Straße xx im Geviert K.-R.-Straße/K… Berg/S… Straße/L… Straße. Es wird an der Grundstücksgrenze zum Grundstück S… Straße x errichtet und an die vorhandene Brandwand angebaut. Gemäß Antrag wird die Höhe der auf dem Grundstück S… Straße x vorhandenen Bebauung nicht überschritten (S. 4 des Widerspruchsbescheids).

Bei dem Grundstück S… Straße x handelt es sich um jenes des Klägers, bei der erwähnten Brandwand um die an der Grundstücksgrenze befindliche Außenwand der dort auf dem Grundstück des Klägers aufstehenden Garage.

(2) Auch die im vereinfachten Verfahren nach § 63 SächsBO erteilte Baugenehmigung vom 19.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2016 stellt die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Grenzbebauung fest. Dem steht nicht entgegen, dass die Einhaltung von Abstandsflächen nach § 6 SächsBO im vereinfachten Verfahren nach § 63 SächsBO nicht zu prüfen sind. Darauf kommt es insoweit nicht an. Vielmehr ist maßgeblich, dass nach § 63 Satz 1 Nr. 1 SächsBO die Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB prüft. Das umfasst die hier maßgebliche bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens, die sich im vorliegenden Fall nach § 34 BauGB richtet, weil der Standort in einem unbeplanten Innenbereich liegt.

In der Anlage 1 zur Baugenehmigung vom 19.08.2014 heißt es insoweit:

… Das Vorhaben fügt sich bezüglich Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll in die Eigenart der näheren Umgebung ein. … Die planungsrechtliche Beurteilung erfolgt nach § 34 BauGB.

Als Entscheidungsgrundlage ist u.a. ein amtlicher Lageplan vom 06.06.2014 angegeben, den die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 13.11.2018 vorgelegt haben. Dieser zeigt eindeutig – wie bereits der Lageplan zum Bauvorbescheid vom 10.03.2014 – den konkreten Standort des von den Beklagten seinerzeit geplanten und mittlerweile errichteten Einfamilienhauses unmittelbar an der Grenze zum klägerischen Grundstück angrenzend an die dort aufstehende Garage.

Selbst wenn man meinte, dass sich – auch unter Einbeziehung des vorgelegten Lageplans – aus der Feststellung der Bauaufsichtsbehörde, das Vorhaben füge sich in die Eigenart der näheren Umgebung i.S.d. § 34 BauGB ein, noch nicht mit hinreichender Deutlichkeit ergebe, dass damit die konkrete Lage des zu errichtenden Objekts an der Grundstücksgrenze gemeint sei, folgt dies jedenfalls aus den ergänzenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 24.02.2016, soweit es dort heißt:

Das eingeschossige Einfamilienhaus wird im Bereich der abgerissenen Remise grenzständig zum Grundstück S… Straße x errichtet und dort an die vorhandene Brandwand angebaut, wobei die Höhe der auf dem Nachbargrundstück S… Straße x vorhandenen Bebauung nicht überschritten wird. (S. 2 des Widerspruchsbescheids)

Im Hinblick auf die in dem Widerspruchsbescheid geprüfte Einhaltung des Rücksichtnahmegebots wird zudem ausgeführt:

Nach Verwirklichung des Vorhabens ist weder eine einmauernde, abriegelnde oder erdrückende Wirkung noch eine nennenswerte Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung oder Besonnung zu erwarten. Insoweit ist hier auch zu berücksichtigen, dass der Neubau nicht höher ist als die auf dem Grundstück des Widerspruchsführers vorhandene Grenzbebauung. (S. 4 des Widerspruchsbescheids)

Aus den vorstehenden Auszügen aus der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 16.02.2016 erschließt sich ohne weiteres, dass sich die Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit in der Baugenehmigung auf den konkret vorgesehenen Standort des Bauvorhabens der Beklagten unmittelbar an der Grenze zum klägerischen Grundstück bezog.

cc) Mit dem Bauvorbescheid vom 10.03.2014 und der Baugenehmigung vom 19.08.2014, die in Gestalt der dazu ergangenen Widerspruchsbescheide bestandskräftig geworden sind, ist mit der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des von den Beklagten beantragten Bauvorhabens einschließlich des konkreten Standortes an der Grenze zum Grundstück des Klägers zugleich wegen der Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO für die Zivilgerichte bindend festgestellt, dass mangels einzuhaltender Abstandsflächen die Voraussetzungen nicht vorliegen, unter denen eine Schutzgesetzverletzung gemäß § 6 SächsBO gegeben wäre, auf die der Kläger einen quasinegatorischen Beseitigungsanspruch entsprechend § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB und § 6 SächsBO stützen könnte.

(1) Im Ausgangspunkt kommt es insoweit auf den grundlegenden dogmatischen Unterschied an, der zwischen der negatorischen Haftung wegen Eigentumsbeeinträchtigung in unmittelbarer Anwendung des § 1004 Abs. 1 BGB und der hier in Rede stehenden quasinegatorischen Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes besteht.

Der negatorische Beseitigungsanspruch wegen Eigentumsbeeinträchtigung nach § 1004 Abs. 1 BGB knüpft an den zivilrechtlichen Eigentumsbegriff i.S.d. § 903 BGB an. Daher ist zunächst ausschließlich nach zivilrechtlichen Maßstäben festzustellen, ob bestimmte von einem Nachbargrundstück ausgehende Einwirkungen, etwa Lärmimmissionen, eine Eigentumsbeeinträchtigung i.S.d. vorgenannten Vorschriften darstellen. Ist dies der Fall, stellt sich erst auf der nachfolgenden Prüfungsstufe die Frage, ob der Inhaber desjenigen Grundstücks, dessen Eigentum beeinträchtigt wird, die Einwirkung gegebenenfalls nach § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden hat. Neben zivilrechtlichen Duldungspflichten, wie etwa § 906 BGB, kann sich die Pflicht zur Hinnahme bestimmter Einwirkungen auch aus dem öffentlichen Recht ergeben. So kann etwa ein Grundstückseigentümer wegen benachteiligender Einwirkungen gemäß § 14 BImSchG nicht die Einstellung des Betriebs einer unanfechtbar genehmigten Anlage verlangen. Demgegenüber entfaltet eine Baugenehmigung eine solche Duldungspflicht nicht (so schon BGH, Urteil vom 27.05.1959, V ZR 78/58, NJW 1959, 2013f.). Insoweit fehlt es nämlich an der gesetzlichen Anordnung einer derartigen zivilrechtlichen Wirkung. Vielmehr stellt § 72 Abs. 4 SächsBO klar, dass die Baugenehmigung unbeschadet der Rechte Dritter erteilt wird. Dies umfasst auch die aus dem Eigentum herrührenden Rechte der Inhaber benachbarter Grundstücke.

Beim quasinegatorischen Beseitigungsanspruch, der vom Kläger geltend gemacht wird, tritt im Rahmen der entsprechenden Anwendung des § 1004 BGB an die Stelle des Tatbestandsmerkmals der Eigentumsbeeinträchtigung die Verletzung eines Schutzgesetzes i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, also einer objektiven Verhaltensnorm, die Schutzwirkungen gerade auch zugunsten desjenigen entfalten muss, der sich auf diesen Verstoß beruft. Wird – wie hier durch den Kläger – der geltend gemachte quasinegatorische Anspruch nicht auf die Verletzung eines zivilrechtlichen Schutzgesetzes, sondern auf den Verstoß gegen eine öffentlich-rechtliche Norm gestützt, sind zur Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen des in Bezug genommenen öffentlich-rechtlichen Schutzgesetzes erfüllt sind, die Vorschriften des öffentlichen Rechts maßgebend (vgl. nur jurisPK-BGB, § 823 Rdn. 170). Darin besteht der entscheidende Unterschied zur Feststellung einer tatbestandlichen Eigentumsbeeinträchtigung i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB.

Für öffentlich-rechtliche Schutzgesetze ist anerkannt, dass diese bezogen auf den Einzelfall durch Verwaltungsakte konkretisiert werden können und für den Inhalt der Verhaltensnorm, an deren Verletzung gegebenenfalls ein quasinegatorischer Beseitigungsanspruch anknüpfen kann, die durch den Verwaltungsakt konkretisierte Fassung des Schutzgesetzes maßgebend ist. Das gilt etwa für Auflagen in einer Baugenehmigung, die das u.a. in § 34 BauGB angelegte bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot konkretisieren (vgl. BGH, Urteil vom 26.02.1993, V ZR 74/92, Rdn. 10 f. im Hinblick auf die in der Baugenehmigung für eine Ballettschule enthaltene Auflage, die Fenster während der Übungsstunden geschlossen zu halten). Gleichermaßen konkretisieren Verwaltungsakte die aus öffentlich-rechtlichen Schutzgesetzen herrührenden Verhaltenspflichten, wenn grundsätzlich sich aus der Norm ergebende Pflichten bezogen auf den Einzelfall auf öffentlich-rechtlicher Grundlage eingeschränkt werden (vgl. BGH, Urteil vom 30.04.1976, V ZR 188/74, Rdn. 15, juris, betreffend eine baurechtliche Befreiung von Abstandsflächenvorschriften). Nichts anderes hat zu gelten, wenn die das Schutzgesetz begründende öffentlich-rechtliche Vorschrift selbst ein den Geltungsbereich einschränkendes Tatbestandsmerkmal beinhaltet und dessen Vorliegen bezogen auf den Einzelfall durch einen entsprechenden Verwaltungsakt festgestellt wird. So liegt der Fall hier. Das Schutzgesetz, also die Abstandsflächenregelung des § 6 SächsBO, enthält selbst eine Einschränkung dahingehend, dass Abstandsflächen vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, dann nicht erforderlich sind, wenn nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden darf (§ 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO). Wird durch die zuständige Bauaufsichtsbehörde im Rahmen eines Bauvorbescheids oder einer Baugenehmigung festgestellt, dass bezogen auf die konkret beabsichtigte Grenzbebauung die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit besteht, wird damit auf öffentlich-rechtlicher Grundlage durch Verwaltungsakt ein öffentlich-rechtliches Schutzgesetz einschränkend konkretisiert. Fehlt es damit – nach öffentlich-rechtlichen Maßstäben – an der Schutzgesetzverletzung, entfällt zugleich der Anknüpfungspunkt für die zivilrechtliche quasinegatorische Haftung.

(2) An die nähere Ausgestaltung öffentlich-rechtlicher Schutzgesetze durch bestandskräftige Verwaltungsakte sind die Zivilgerichte grundsätzlich gebunden, und zwar auch dann, wenn ein solcher Verwaltungsakt rechtswidrig ist, es sei denn, es liegt ein Nichtigkeitsgrund vor (BGH, Urteil vom 26.02.1993, V ZR 74/92, juris, Rdn. 17; Soergel-Spickhoff, BGB, 13. Aufl., § 823 Rdn. 189). Dies hat unabhängig davon zu gelten, ob das öffentlich-rechtliche Schutzgesetz durch den Verwaltungsakt inhaltlich konkretisiert (so der Sachverhalt in der Entscheidung des BGH, a.a.O.), für den Einzelfall dispensiert oder – wie hier – festgestellt wird, dass bezogen auf einen konkreten Sachverhalt eine Tatbestandsvoraussetzung des Schutzgesetzes nicht vorliegt bzw. ein Ausschlusstatbestand zum Tragen kommt. Maßgeblich für die Bindungswirkung ist nämlich allein, dass das Zivilrecht im Rahmen der quasinegatorischen Haftung an ein öffentlich-rechtliches Schutzgesetz anknüpft und es daher für dessen Umfang, Auslegung und etwaige Einschränkungen des Geltungsbereichs allein auf die maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften und deren Anwendung im Einzelfall – gegebenenfalls konkretisiert durch Verwaltungsakt – ankommt.

Im vorliegenden Fall ist somit durch die Zivilgerichte nicht zu prüfen, ob die von den Klägern errichtete Grenzbebauung planungsrechtlich tatsächlich zulässig war, mithin die Feststellung der planungsrechtlichen Zulässigkeit im Bauvorbescheid und in der Baugenehmigung rechtmäßig erfolgte. Für deren Nichtigkeit gemäß § 44 VwVfG i.V.m. § 1 SächsVwVfZG bestehen keine Anhaltspunkte, so dass die Zivilgerichte an die insoweit bestandskräftigen Verwaltungsakte gebunden sind. Anders als das Landgericht meint, kommt es daher auch nicht darauf an, ob die Beklagten die Voraussetzungen der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Grenzbebauung hinreichend dargelegt haben.

(3) Eine Einschränkung der Bindungswirkung des Bauvorbescheids vom 10.03.2014 und der Baugenehmigung vom 19.08.2014 im Hinblick auf die darin festgestellte bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Grenzbebauung ergibt sich auch nicht mit Blick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, auf die sich der Kläger beruft. Zwar ist es zutreffend, dass die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des Grundstücksnachbarn, Rechtsschutz im Hinblick auf Bauvorhaben zu erlangen, die von der Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, durch die im Jahr 2004 im Freistaat Sachsen erfolgte Baurechtsnovelle eingeschränkt worden sind. Etwaigen verfassungsrechtlichen Bedenken in Ansehung der Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG wäre aber jedenfalls nicht durch eine systemwidrige Ausweitung zivilrechtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten zu begegnen, zumal sich das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes auf Akte der öffentlichen Gewalt bezieht (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 14. Auflage, Art. 19 Rdn. 42 ff.) und daher im Verhältnis zwischen Privatrechtssubjekten nicht ohne weiteres zum Tragen kommt.

Im Ausgangspunkt weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass die Einhaltung von Abstandsflächen nach § 6 SächsBO im Rahmen der gegen den Bauvorbescheid vom 10.03.2014 und die Baugenehmigung vom 19.08.2014 geführten Widerspruchsverfahren nicht zu prüfen war und auch nicht Prüfungsgegenstand etwaiger gegen diese Bescheide gerichteter Anfechtungsklagen gewesen wäre. Dies folgt aus dem eingeschränkten Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach § 63 SächsBO, das die Prüfung der Abstandsflächen nach § 6 SächsBO nicht (mehr) umfasst. Eine Überprüfung der durch die Baugenehmigungsbehörde festgestellten bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines an der Grundstücksgrenze zu errichtenden Bauvorhabens durch die Widerspruchsbehörde oder das Verwaltungsgericht kann der Grundstücksnachbar daher (nur noch) insoweit verlangen, als die der Entscheidung zugrunde liegenden bauplanungsrechtlichen Vorschriften Drittschutz zugunsten des Nachbarn entfalten. Bei einem unbeplanten Innenbereich – wie er hier vorliegt – kann sich der Nachbar zwar auf das im Tatbestandsmerkmal des „Einfügens“ gemäß § 34 BauGB angelegte Rücksichtnahmegebot berufen und gegebenenfalls darüber hinaus – wenn man der Auffassung der Beklagten folgt – auf den Gebietserhaltungs- sowie Gebietsprägungserhaltungsanspruch, dessen Geltungsbereich und Reichweite hier nicht im Einzelnen klärungsbedürftig ist. Eine Überprüfung der darüber hinausgehenden nicht drittschützenden Voraussetzungen für die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens hat auf einen Widerspruch oder eine Klage des Nachbarn hin demgegenüber nicht zu erfolgen. Als Konsequenz ergibt sich daraus, dass der Nachbar im Falle der Genehmigung einer Grenzbebauung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren jene Voraussetzungen, die zum Entfallen von Abstandsflächen nach § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO führen, nur eingeschränkt einer Überprüfung zuführen kann, nämlich nur insoweit, als die bauplanungsrechtlichen Erfordernisse für die Zulässigkeit der Grenzbebauung Drittschutz entfalten.

Im Vergleich dazu stellte sich die verfahrensrechtliche Lage des Nachbarn nach den baurechtlichen Vorschriften vor der Baurechtsnovelle des Jahres 2004 günstiger dar. Seinerzeit gehörte zum Prüfungsumfang im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 62a Abs. 1 Nr. 2 SächsBO a.F. ausdrücklich die Einhaltung der Abstandsvorschriften. Mit einem Nachbarwiderspruch bzw. einer Nachbarklage gegen eine im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte Baugenehmigung konnte der Nachbar daher ohne weiteres die Verletzung der Abstandsflächenvorschrift des § 6 SächsBO rügen. Soweit in der Baugenehmigung nach alter Rechtslage festgestellt wurde, dass es der Einhaltung von Abstandsflächen wegen der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Grenzbebauung gemäß der im Grundsatz – freilich mit Abweichungen hinsichtlich der einzelnen Voraussetzungen – der heutigen Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO entsprechenden Vorgängerregelung des § 6 Abs. 1 Satz 2 SächsBO in der Fassung vom 18. März 1999 nicht bedurfte, war daher auf einen entsprechenden Rechtsbehelf des Nachbarn hin in vollem Umfang zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Entbehrlichkeit von Abstandsflächen vorlagen, mithin die festgestellte bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Grenzbebauung insgesamt einer Überprüfung zu unterziehen, ohne dass es darauf ankam, inwieweit drittschützende bauplanungsrechtliche Vorschriften betroffen waren.

Obwohl sich also materiell-rechtlich trotz einzelner Modifizierungen durch die sächsische Baurechtsnovelle im Jahr 2004 an dem Grundsatz nichts geändert hat, dass Abstandsflächen bei einer bauplanungsrechtlich zulässigen Grenzbebauung unter bestimmten Voraussetzungen nicht erforderlich sind, hat sich verfahrensrechtlich die Rechtsposition des Nachbarn durch die Herausnahme der Abstandsflächen aus dem Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens in der dargestellten Weise verschlechtert, weil zugleich die in § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO geregelte Ausnahme von der – generell drittschützenden – Abstandsflächenregelung (nach wie vor) an die Einhaltung der – nur teilweise drittschützenden – Voraussetzungen der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens geknüpft ist. Ob die damit einhergehende – der gesetzgeberischen Konzeption geschuldete – Einschränkung des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechtsschutzes im Baurecht mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art.19 Abs. 4 GG vereinbar ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Etwaige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rechtsschutzes zugunsten von Nachbarn in baurechtlichen Angelegenheiten wären jedenfalls nicht durch eine systemwidrige Ausdehnung des zivilrechtlichen quasinegatorischen Rechtsschutzes zu kompensieren. Dies gebietet auch nicht der in Art. 20 GG verankerte allgemeine Justizgewährungsanspruch (vgl. zu den daraus folgenden Anforderungen an das zivilrechtliche Verfahren: Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 19 Rdn. 34 i.V.m. Art. 20 Rdn. 128 ff.). Vielmehr bleibt es aufgrund der dogmatischen Herleitung des quasinegatorischen Anspruchs dabei, dass dieser an die Verletzung eines Schutzgesetzes anknüpft, dessen Voraussetzungen sich nach den Vorschriften jenes Rechtsgebietes bestimmen, dem das Schutzgesetz angehört. Liegt danach – wie hier nach den insoweit maßgebenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften – keine Schutzgesetzverletzung vor, ist auch kein Raum für einen quasinegatorischen Beseitigungsanspruch. Insbesondere wäre es systemwidrig, die Voraussetzungen eines öffentlich-rechtlichen Schutzgesetzes unter zivilrechtlichem Blickwinkel abweichend vom öffentlichen Recht auszulegen und zu konkretisieren.

Die Frage, ob die vorliegenden gesetzlichen Regelungen einen hinreichend effektiven Rechtsschutz gewährleisten, richtet sich daher an die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes in Bausachen. Insoweit dürfte dem Gesetzgeber ein gewisser Gestaltungsspielraum zustehen. Ob sich das Rechtsschutzsystem für Nachbarn nach dem derzeitigen sächsischen Baurecht in diesem Rahmen bewegt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Dafür spricht jedenfalls, dass auch gegen bauplanungsrechtliche Entscheidungen, wie oben dargestellt, nach öffentlichem Baurecht in gewissem Umfang Rechtsschutzmöglichkeiten für Nachbarn eröffnet sind. Im Übrigen wäre es Sache des Gesetzgebers, den Nachbarrechtsschutz im öffentlichen Baurecht gegebenenfalls – wie dies im Freistaat Bayern durch die Novelle im Jahr 2018 geschehen ist – durch Aufnahme der Abstandsflächenvorschriften in das Prüfprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens in einem für das Verhältnis der Nachbarn zueinander maßgeblichen Punkt wieder zu erweitern (vgl. insoweit Art. 59 Nr. 1b BayBO in der ab 01.09.2018 geltenden Fassung im Vergleich zu der bis dato geltenden – mit der derzeitigen Rechtslage im Freistaat Sachsen vergleichbaren – Fassung des Art. 59 BayBO).

dd) Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO einschränkend dahingehend auszulegen sei, dass diese Vorschrift bei sog. „ungeregelter Bauweise“ nicht anwendbar sei und daher im vorliegenden Fall nicht zum Tragen komme. Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO bestehen für eine solche einschränkende Auslegung des Anwendungsbereichs keinerlei Anhaltspunkte. Soweit sich der Kläger auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21.07.1997, Az.: 14 B 96.3086 (vgl. juris), zu der Parallelvorschrift der Bayerischen Bauordnung beruft, ist diese Rechtsprechung mittlerweile überholt. Nach neueren Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gebieten die mit dem Abstandsflächenrecht verfolgten Zwecke keine vom eindeutigen Wortlaut abweichende Einschränkung des Anwendungsbereichs der Vorrangregelung des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBauO 1998 bzw. des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO in der aktuellen Fassung (vgl. etwa BayVGH, Urteil vom 23.03.2010, 1 BV 07.2363, Rdn. 25; Urteil vom 20.10.2010, 14 B 09.1616, Rdn. 31 – unter ausdrücklicher Aufgabe der entgegenstehenden früheren Rechtsprechung des 14. Senats; Urteil vom 25.11.2013, 9 B 09.952, Rdn. 47 f., mit zustimmender Anmerkung von Schroeder, Erscheinungsdatum 06.02.2014; jeweils juris). Dem ist zu folgen, zumal das Abstandsflächenrecht nach der im Freistaat Sachsen im Jahr 2004 erfolgten Baurechtsnovelle nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nur noch die hinreichende Belichtung sowie Aspekte des Brandschutzes sicherstellen soll, anders als bisher aber nicht mehr die Gewährleistung eines Sozialabstandes sowie die flankierende Absicherung städtebaulicher Zielsetzungen als Zweck verfolgt (zum Ganzen: siehe Dirnberger in: Jäde/Dirnberger/Böhme, Bauordnungsrecht Sachsen, Loseblattsammlung, Stand: 76. Lieferung 2/18, § 6 SächsBO, Rdn. 2 ff.).

ee) Soweit – wie hier – die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO vorliegen, also nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften an der Grenze gebaut werden darf (oder muss), tritt die dort geregelte Rechtsfolge, dass eine Abstandsfläche vor Außenwänden, die an jenen Grundstücksgrenzen errichtet werden, nicht erforderlich ist, kraft Gesetzes ein. Einer behördlichen Entscheidung in Form der Zulassung einer Abweichung nach § 67 SächsBO bedarf es – anders als offenbar das Landgericht meint – gerade nicht (vgl. BayVGH, Urteil vom 20.10.2010, 14 B 09.1616, Rdn. 33, juris, im Hinblick auf § 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO 1998). Dies ergibt sich zwanglos aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO, der die Rechtsfolge, dass unter den dort genannten Voraussetzungen eine Abstandsfläche nicht erforderlich ist, unmittelbar anordnet und keinen behördlichen Umsetzungsakt verlangt (vgl. auch SächsOVG, Beschluss vom 01.03.2005, 1 BS 24/05, Rdn. 9, juris, wo geprüft wird, ob die – nicht eingehaltene – Abstandsfläche wegen bauplanungsrechtlicher Zulässigkeit der grenzständigen Errichtung des Gebäudes nach § 6 Abs. 1 Satz 3 SächsBO entbehrlich ist).

2.

Der Kläger kann den Rückbau des von den Beklagten an der Grundstücksgrenze errichteten Gebäudes auch nicht im Wege eines Beseitigungsanspruchs wegen Eigentumsbeeinträchtigung gemäß § 1004 Abs. 1 BGB verlangen. Zwar hat der Kläger sein Begehren nicht auf diese Anspruchsgrundlage, sondern ausschließlich auf einen quasinegatorischen Anspruch wegen Verletzung der Abstandsflächenvorschriften als Schutzgesetz gestützt. Unabhängig davon sind alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen im Berufungsverfahren zu prüfen.

Ein solcher Anspruch scheitert aber bereits daran, dass eine Eigentumsbeeinträchtigung durch die Grenzbebauung nicht hinreichend dargelegt worden ist. Soweit der Kläger behauptet, die beabsichtigte Wohnnutzung führe zu Lärmimmissionen, gilt dies unabhängig davon, ob das auf dem Grundstück der Beklagten im hinteren Bereich errichtete Einfamilienhaus einen Abstand von 3 m zur Grenze des klägerischen Grundstücks einhält oder direkt an die Grundstücksgrenze gebaut ist. Jedenfalls hat der Kläger nicht ansatzweise dargetan, dass ein Rückbau des Gebäudes um 3 m einen messbaren Einfluss auf die von ihm befürchteten Lärmimmissionen hätte.

Der Kläger vermag auch nicht mit der Behauptung durchzudringen, das von den Beklagten errichtete Gebäude beeinträchtige die Belichtung und Belüftung seines Grundstücks. In Anbetracht dessen, dass das Einfamilienhaus der Beklagten lediglich in dem Bereich an der Grundstücksgrenze errichtet wurde, in dem sich auf dem klägerischen Grundstück eine Garage befindet und deren Höhe nicht übersteigt, scheiden Auswirkungen auf die Belichtung und Belüftung des klägerischen Grundstücks aus.

3.

Für den vom Kläger hilfsweise geltend gemachten Schadensersatz- bzw. Entschädigungsanspruch besteht keine Grundlage, nachdem bereits ein Anspruch auf Rückbau dem Grunde nach nicht gegeben ist. Vielmehr wäre eine Entschädigung allenfalls zur Kompensation eines aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht durchsetzbaren Beseitigungsanspruchs in Betracht gekommen.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 101, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der unterlegene Kläger hat auch die Kosten der Nebenintervention zu tragen.

Eine Entscheidung nach § 71 ZPO über die Zulassung des mit Schriftsatz vom 17.07.2018 (Bl. 194) erklärten Beitritts der Nebenintervenientin war nicht zu treffen. Zwar hat der Kläger im Schriftsatz vom 29.10.2018 Bedenken gegen die Zulässigkeit der Nebenintervention geäußert (Bl. 252 f.). Einen Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat er aber weder schriftsätzlich, noch in der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2018 gestellt.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe ersichtlich nicht bestehen. Der Rechtsstreit wirft weder Rechtsfragen mit grundsätzlicher Bedeutung auf, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Anknüpfung des quasinegatorischen Beseitigungsanspruchs in entsprechender Anwendung des § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB an Schutzgesetze aus dem öffentlichen Recht ist insbesondere im Hinblick auf die Bindung der Zivilgerichte an bestandskräftige Verwaltungsakte, mit denen solche Schutzgesetze eine inhaltliche Konkretisierung erfahren, höchstrichterlich geklärt. Die Frage, inwieweit der nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften gegebene Rechtsschutz für Nachbarn im öffentlichen Baurecht dem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG gerecht wird, ist im vorliegenden Verfahren aus den o.g. Gründen nicht zu klären.

V.

Für die Festsetzung des Streitwerts kommt es auf das Interesse des Klägers an dem begehrten Rückbau an. Dieses kann deutlich niedriger liegen als die damit beim Beklagten verbundenen Kosten und ist hier mit 30.000,00 € zu bemessen (vgl. zum Ganzen: Zöller, ZPO, 31. Auflage, § 3 ZPO Rdn. 16 Stichwort: „Beseitigungsklage“; BGH, Urteil vom 10.12.1993, V ZR 168/29, Rdn. 14, juris). Die von den Beklagten herangezogenen Kosten des Rückbaus wären allenfalls für deren im Falle des Unterliegens gegebene Beschwer maßgeblich, die den nach dem Interesse des Klägers zu bemessenden Streitwert – gerade bei Beseitigungsklagen wie hier – ohne weiteres übersteigen kann (vgl. BGH, a.a.O., Rdn. 8 ff.).

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