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Ausgleichszahlungsanspruch des Fluggastes wegen Flugannullierung

AG Frankfurt – Az.: 32 C 2076/18 (86) – Urteil vom 08.08.2019

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1) einen Betrag in Höhe von 600,- € und an den Kläger zu 2) einen Betrag in Höhe von 600,- € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 28.01.2019 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leisten.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ausgleichszahlungen nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (nachfolgend „EG-VO 261/2004“) in Höhe von insgesamt 1.200 €.

Die Kläger verfügten über eine bestätigte Buchung für den Flug am 24.11.2016 von Kapstadt über München, Flugnummer XX, nach Frankfurt am Main, Flugnummer XX. Die Beklagte war ausführendes Luftfahrtunternehmen. Der Flug von München nach Frankfurt mit der Flugnummer XX sollte um 21:00 Uhr starten und um 22.05 Uhr ankommen. Tatsächlich wurde der Flug annulliert. Die Distanz von Kapstadt nach Frankfurt am Main beträgt mehr als 3.500 km.

Ursache der Annullierung war der Streik der Pilotengewerkschaft XXX in der Zeit vom 23.11.2016 bis 30.11.2016.

Die Kläger beantragen, an die Klägerin zu 1) einen Betrag in Höhe von 600,- € und an den Kläger zu 2) einen Betrag in Höhe von 600,- € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 28.01.2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, bei dem vorgetragenen Streik handele es sich um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne Art. 5 Abs. 3 EG VO 261/2004, dessen Auswirkungen sie mit zumutbaren Maßnahmen nicht verhindern konnte.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf das Sitzungsprotokoll vom 04.07.2019 (Bl. 54 d. A.) sowie die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Die zulässige Klage ist begründet. Den Klägern steht ein Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils € 600,- aus Art. 5 Abs. 1 lit. c), Art. 7 Abs. 1 lit. c) EG VO 261/2004 zu.

a) Der streitgegenständliche Flug XX von München (MUC) nach Frankfurt am Main (FRA) wurde annulliert. Maßgeblich für die Berechnung der Höhe der Ausgleichszahlungen ist die gesamt Strecke des Fluges und nicht die einzelnen Teilstrecken der einheitlichen Buchung. Die Distanz zwischen dem Abflugort in Kapstadt (CPT) und dem Ankunftsflughafen (FRA) beträgt mehr als 3.500 km, so dass die Höhe der Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 lit. c) EG VO 261/2004 600,- € beträgt.

b) Die Ausgleichszahlung ist auch nicht nach Art. 5 Abs. 3 EG VO 261/2004 ausgeschlossen. Hiernach ist ein Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung oder große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Ein außergewöhnlicher Umstand i. S. d. Art. 5 Abs. 3 EG VO 261/2004 ist dann gegeben, wenn das Vorkommnis, das zur Annullierung oder großen Verspätung führt, nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftverkehrsunternehmens und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist (EuGH, Urteil vom 22.12.2008, Az.: C-549/07). Der Gesetzgeber lässt nicht jedes unvermeidbare Ereignis genügen, sondern weist auch unvermeidbare Hindernisse für die planmäßige Durchführung eines Flugs der Risikosphäre des Luftverkehrsunternehmens zu, sofern sie nicht als außergewöhnlich aus den üblichen und erwartbaren Abläufen des Luftverkehrs herausragen (BGH, Urteil vom 21.08.2012, Az.: X ZR 138/11, Rn. 13). Nach dem 14. Erwägungsgrund der EG VO 261/2004 können solche Umstände insbesondere bei Streiks eintreten, die den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigen. Hierzu hat der EuGH jedoch bereits klargestellt, dass die in diesem Erwägungsgrund genannten Umstände nicht unbedingt und automatisch Gründe für die Befreiung von der Ausgleichspflicht nach Art. 5 Abs. 1 lit. c VO EG Nr. 261/2004 darstellen (vgl. i. d. S. EuGH, NJW 2009, 347 Rn. 22 – Wallentin-Hermann) und dass folglich von Fall zu Fall zu beurteilen ist, ob sie die beiden genannten kumulativen Bedingungen erfüllen.

Ausgleichszahlungsanspruch des Fluggastes wegen Flugannullierung
(Symbolfoto: Von Varavin88/Shutterstock.com)

c) Der vorliegend von der Beklagten geltend gemachte Streik ihres Personals stellt kein solches Ereignis dar.

Nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (Urteil v. 17.04.2018, Az. C-195/17) stellt der Streik des eigenen Personals keinen außergewöhnlicher Umstand nach Art. 5 Abs. 3 EG VO 261/2004 dar, soweit dieser seine Ursache in unternehmerischen Entscheidungen der Fluggesellschaft findet. Dieses Urteil steht im klaren Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH (vgl. Urt. v. 21.08.2012, Az.: X ZR 138/11). Der EuGH stellt deutlich heraus, dass der Streik des eigenen Personals grundsätzlich nicht als außergewöhnlicher Umstand angesehen werden kann. Der unter Erwägungsgrund 14 genannte Beispielsfall eines außergewöhnlichen Umstands bei einem Streik, kann damit nur noch den Streik bei Dritten außerhalb des Unternehmens wie z. B. Fluglotsen, Sicherheitspersonal betreffen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist nämlich nicht jedes unerwartete Ereignis zwangsläufig als „außergewöhnlicher Umstand“ einzustufen, sondern ein solches Ereignis kann Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sein. Außerdem ist der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ iSv Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 angesichts des Ziels der Verordnung, das nach ihrem ersten Erwägungsgrund darin besteht, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, und der Tatsache, dass ihr Art. 5 Abs. 3 eine Ausnahme von dem Grundsatz vorsieht, wonach Fluggäste im Fall der Annullierung oder großen Verspätung eines Fluges Anspruch auf Ausgleichsleistungen haben, eng auszulegen.

d) Die Beklagte hat vorgetragen, dass ihre eigenen Piloten einem Streikaufruf der Gewerkschaft XX gefolgt seien. Grund für die Streikaktivitäten seien Gehaltserhöhungsforderungen von 22 % abgestuft rückwirkende bis zum Jahr 2011 sowie die Aufrechterhaltung der Alterssicherung der Piloten gewesen. Mithin lag der Anlass für den streitgegenständlichen Streik unter anderen in der beabsichtigte Änderung bzw. Absenkung der Alterssicherung der Piloten durch die Beklagte. Die Änderung bzw. Absenkung der Alterssicherung für Piloten ist eine unternehmerische Maßnahme, die die Beklagte im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Entscheidungen trifft. Es handelt sich nicht um einen von außen wirkenden Umstand oder Zwang, auf den die Beklagten keinen Einfluss hat. Soweit die Piloten auch Gehaltserhöhungen forderten und diese Gegenstand des Streiks waren, fällt dies unter gewöhnliche Tarifauseinandersetzungen. Solche Tarifauseinandersetzungen gehören indes zu dem normalen betriebswirtschaftlichen Risiko eines Unternehmens. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Luftfahrtunternehmen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten mit ihren Mitarbeitern oder einem Teil von ihnen gegenübersehen können. Damit liegt der Streik schon nicht außerhalb der gewöhnlichen und erwartbaren Abläufe eines Luftfahrtunternehmens.

e) Des Weiteren ist ein Streik der eigenen Belegschaft auch kein von außen wirkender Zwang. Den Mitarbeitern der Beklagte steht es frei, dem Streikaufruf zu folgen. Dem Streikrecht auf der einen Seite, steht die Streikfreiheit auf der anderen Seite gegenüber. Die Streikbereitschaft der Belegschaft hängt ganz maßgeblich von innerbetrieblichen Umständen ab und liegt damit durchaus im Einflussbereich der Beklagten und ist von dieser beherrschbar.

Mithin liegt im Streik der eigenen Belegschaft kein außergewöhnlicher Umstand, der die Beklagte von ihrer Pflicht zur Ausgleichszahlung befreit.

2. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB. Die Klage wurde der Beklagten am 28.01.2019 (Bl. 10 d. A.) zugestellt, so dass mit diesem Tage Rechtshängigkeit eintrat.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

4. Der Streitwert wird auf 1.200,- € festgesetzt. Die Festsetzung des Streitwerts entspricht dem geltend gemachten Interesse, §§ 39 Abs. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO.

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