VG Freiburg (Breisgau) – Az.: 10 K 703/22 – Beschluss vom 24.03.2022
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller begehrt wörtlich, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller einen Nachweis über seine Genesung in dem Sine des § 2 Abs. 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (SchAusnahmV) für den Zeitraum 4. Januar 2022 bis 6. Juni 2022 auszustellen, hilfsweise vorläufig festzustellen, dass die Dauer des Genesenenstatus des Antragstellers sechs Monate beträgt und keine Verkürzung auf 90 Tage durch § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der geänderten Fassung vom 14. Januar 2022 erfahren hat.
Der Hauptantrag dürfte bereits unzulässig sein, er ist aber jedenfalls unbegründet (I.). Der Hilfsantrag ist zwar zulässig, aber unbegründet (II.).
I. Das Gericht geht nicht davon aus, dass die von dem Antragsteller begehrte Ausstellung eines Genesenennachweises – als (feststellender) Verwaltungsakt – im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO erteilt werden kann (so auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 18. März 2022 – 14 ME 153/22 –, mit dem der Beschluss des VG Osnabrück vom 4. Februar 2022 – 3 B 4/22 –, in dem die Ausstellung eines Genesenennachweises durch die Behörde (noch) als feststellender Verwaltungsakt qualifiziert worden ist, abgeändert und der entsprechende Antrag abgelehnt worden ist, juris Rn. 16; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 14. März 2022 – 14 ME 175/22 –, juris Rn. 37; ebenso wohl bereits VG Berlin, Beschluss vom 20. September 2021 – 14 L 512/21 –, juris Rn. 12 f.). Vielmehr handelt es sich bei der begehrten Ausstellung um eine bloße behördliche Wissenserklärung. Denn der Genesenennachweis ist lediglich eine Bescheinigung über Tatsachen, an die das Gesetz selbst unmittelbare Rechtsfolgen, namentlich die Ausnahme von anderenfalls geltenden bundes- und landesrechtlichen Ge- und Verboten knüpft (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 14. März 2022 – 14 ME 175/22 –, juris Rn. 37; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 18. März 2022 – 14 ME 153/22 –, juris Rn. 16).
Der Antragsteller kann sein (Haupt-)Begehren auch nicht mittels einer allgemeinen Leistungsklage verfolgen (vgl. hierzu auch VG Stade, Beschluss vom 14. März 2022 – 6 B 247/22 –, juris Rn. 44, 49). Dem Gesundheitsamt dürfte es an der Zuständigkeit für die Ausstellung des begehrten Genesenennachweises fehlen (vgl. hierzu VG Freiburg, Beschluss vom 11. März 2022 – 1 K 315/22 –, juris Rn. 9; VG Berlin, Beschluss vom 20. September 2021 – 14 L 512/21 –, juris Rn. 14).
Schließlich hat der Antragsteller auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (vgl. zur fehlenden Ermächtigungsgrundlage hinsichtlich der Ausstellung eines Genesenennachweises VG Freiburg, Beschluss vom 11. März 2022 – 315/22 –, juris Rn. 7 ff.).
II. Der Hilfsantrag ist bei der nach §§ 122, 88 VwGO gebotenen sachdienlichen Auslegung gemäß § 123 VwGO statthaft (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 14. Februar 2022 – 14 E 414/22 –, juris; Bayerischer VGH, Beschluss vom 03. März 2022 – 20 CE 22.536 –, openjur.de) und auch im Übrigen zulässig, er bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
1. Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, insbesondere auch, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist danach ein Anordnungsgrund, das heißt die Eilbedürftigkeit der Sache, sowie ein Anordnungsanspruch, das heißt ein Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO sind die einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund begründenden Tatsachen glaubhaft zu machen. Grundsätzlich ausgeschlossen – da mit dem Wesen einer einstweiligen Anordnung nicht vereinbar – ist es, eine Regelung zu treffen, die rechtlich oder zumindest faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausläuft. Ausnahmen von diesem Verbot kommen nur in Betracht, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist.
Für eine endgültige Vorwegnahme der Hauptsache bestehen daher hohe Anforderungen auch an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes in dem Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung: Es ist erforderlich, dass dem Antragsteller durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre; der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes ist Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2008 – 2 BvR 338/08 –, juris Rn. 3; Beschluss vom 25. Oktober 1988 – 2 BvR 745/88 –, juris Rn. 17; BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 2011 – 7 VR 6.11 –, juris Rn. 6; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Juli 2018 – 9 S 1272/18 –, juris Rn. 3 m.w.N.; zuletzt mit Blick auf den Genesenennachweis OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01. Februar 2022 – OVG 9 S 5/22 –, juris Rn. 17).
2. Der Antragsteller hat wohl bereits einen Anordnungsgrund nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht (a)). Jedenfalls aber fehlt es an einem Anordnungsanspruch (b)).
a) Der Antragsteller hat unter Berücksichtigung der hier wegen der in der begehrten Feststellung liegenden Vorwegnahme der Hauptsache geltenden hohen Anforderungen bereits keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Er begehrt die Vorwegnahme der Hauptsache, weil er – auch mit seinem Hilfsantrag – eine Aufrechterhaltung seines Status als Inhaber eines Genesenennachweises in dem Sinne von § 2 Nr. 5 SchAusnahmV für die Dauer von sechs Monaten begehrt, wie er sich bei Anwendung der vormaligen Fassung dieser Vorschrift ergäbe. Dieser Zeitraum würde nach seinem Vortrag sowie seinem ausdrücklichen Antrag am 6. Juni 2022 enden. Bis dahin könnte bei realistischer Betrachtung eine Hauptsacheentscheidung nicht ergehen.
Sein Vorbringen in der Antragsschrift und seiner eidesstattlichen Versicherung genügt den oben genannten Anforderungen jedoch nicht. Der Antragsschrift ist nämlich nicht hinreichend konkret zu entnehmen, inwieweit sich der Antragsteller durch einen lediglich auf einen Zeitraum von drei Monaten (bis zum 4. April 2022) begrenzten Genesenenstatus in seinen Rechten beeinträchtigt sieht. Für eine entsprechende Glaubhaftmachung reicht es nicht aus, – wie hier – lediglich pauschal anzugeben, dass er von seinem Genesenenstatus Gebrauch machen und Einrichtungen und Veranstaltungen besuchen möchte, die „einer 2G oder 2G+ Zugangsbeschränkung unterliegen, so insbesondere zum Beispiel [Hervorhebung durch das Gericht] Schwimmbad/Spa, Restaurants, Kino, körpernahe Dienstleistungen, Bars/Diskotheken, kulturelle und sportliche (Groß-)Veranstaltungen und Indoor-Sport- und Spielanlagen“. Abgesehen davon, dass in Baden-Württemberg für solche Angebote derzeit größtenteils die 3G-Regel gilt, hätte der Antragsteller statt der beispielhaften und keinesfalls abschließenden Auflistung einer Zugangsbeschränkung unterliegender Angebote der gesellschaftlichen und sozialen Teilhabe zum Beleg der besonderen Eilbedürftigkeit konkret darlegen müssen, inwiefern gerade er aktuell von diesen Beschränkungen betroffen ist. Er hätte also ausführen und substantiieren müssen, dass und wann er an (Groß-)Veranstaltungen teilnehmen beziehungsweise die (noch) von Zugangsbeschränkungen betroffenen Einrichtungen aufsuchen möchte (so auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 14. März 2022 – 14 ME 175/22 –, juris Rn. 35).
Schließlich hat der Landtag Baden-Württemberg am 23. März 2022 entschieden, nicht auf der Grundlage der „Hotspot-Regelung“ im neuen Infektionsschutzgesetz 3G-Zugangsregeln über den 2. April 2022 hinaus zu verlängern. Angesichts dessen ist zweifelhaft, dass überhaupt und wenn ja welche Einschränkungen nach dem 4. April 2022 für den Antragsteller bestehen werden.
b) Der Antragssteller hat jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sein Vorbringen bezieht sich im Wesentlichen auf die bis einschließlich 19. März 2022 geltende Rechtslage. Der Bundestag hat indes am 18. März 2022 den Gesetzentwurf (20/958) der Koalitionsfraktionen zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) beschlossen (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw11-de-infektionsschutzgesetz-freitag-881812; Gesetz vom 18. März 2022, BGBl. I, S. 466). Nach der gesetzlichen Neuregelung ergibt sich die Gültigkeitsdauer des Genesenennachweises nunmehr unmittelbar aus dem Gesetz; sie beträgt nach § 22a Abs. 2 Nr. 2 IfSG höchstens 90 Tage. Zwar kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats hiervon unter bestimmten Voraussetzungen im Verordnungswege abweichen (§ 22a Abs. 4 Nr. 2 IfSG). Eine solche Verordnung liegt aber derzeit nicht vor.
Damit wurden die von dem Antragsteller in nachvollziehbarer Weise geltend gemachten (verfassungsrechtlichen) Bedenken gegen die nach der zuvor geltenden Rechtslage vorgesehene „doppelte dynamische Verweisung“ – also die Delegation vom Gesetzgeber auf den Verordnungsgeber und die Subdelegation vom Verordnungsgeber auf das Robert-Koch-Institut – (vgl. zu dieser Problematik statt vieler BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris Rn. 14; Bayerischer VGH, Beschluss vom 03. März 2022 – 20 CE 22.536 – openjur.de Rn. 20 ff.) ausgeräumt.
Der Antragsteller macht darüber hinaus geltend, dass die Verkürzung der Dauer des Genesenenstatus auf 90 Tage – wie es auch der derzeit geltenden Rechtsage entspricht – rechtswidrig sei und greift diese Verkürzung auch in der Sache an. Die Rechtsänderung hat damit aus seiner Sicht jedenfalls keine vollständige Erledigung des Rechtsstreits herbeigeführt. Im Rahmen der allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist aber nicht mit der gebotenen hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass für die Begrenzung des Genesenenstatus auf 90 Tage keine hinreichende wissenschaftliche Grundlage vorhanden ist. Damit kann offenbleiben, in welchem Umfang die Entscheidung des Gesetzgebers über die Dauer des Genesenenstatus einer Überprüfung durch das Gericht unterliegt.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. Mangels hinreichender Anhaltspunkte für die Bemessung des wirtschaftlichen Interesses hat die Kammer vorliegend den Auffangwert zugrunde gelegt. Weil Haupt- und Hilfsantrag bei wertender Betrachtung auf dasselbe Rechtsschutzziel gerichtet sind, führt die Antragshäufung gemäß § 45 Abs. 1 S. 3 GKG nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts. Für eine Herabsetzung des Streitwerts im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Sinne von Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache kein Anlass (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. Januar 2022 – 1 S 89/22 –, juris Rn. 133; Bayerischer VGH, Beschluss vom 03. März 2022 – 20 CE 22.536 –, openjur.de Rn. 27).