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Betreuungsfreibetrag – Übertragung auf den anderen Elternteil 

BFH

Az: III R 71/04

Urteil vom 18.05.2006


Gründe:

I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist seit 1992 von seiner Ehefrau geschieden. Die gemeinsame im Februar 1988 geborene Tochter S lebte bei ihrer Mutter und war ausschließlich dort melderechtlich erfasst.

Im Einkommensteuerbescheid 2000 berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) für die Tochter des Klägers nach § 32 Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Familienförderungsgesetzes vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2552, BStBl I 2000, 4) den Kinderfreibetrag in Höhe von 3 456 DM sowie den Betreuungsfreibetrag in Höhe von 1 512 DM.

Im Januar 2002 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid 2000 nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und gewährte den Betreuungsfreibetrag nicht mehr, da die geschiedene Ehefrau des Klägers gemäß § 32 Abs. 6 Satz 7 Halbsatz 2 EStG beantragt hatte, ihr den Betreuungsfreibetrag zu übertragen.

Mit dem Einspruch machte der Kläger geltend, da er seinen zivilrechtlichen Unterhaltsverpflichtungen nachgekommen sei, dürfe der Betreuungsfreibetrag nicht ohne seine Zustimmung übertragen werden. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) hob den geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 auf. Es führte aus:

Die Übertragung des Kinderfreibetrags (§ 32 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 EStG) setze nach § 32 Abs. 6 Satz 7 Halbsatz 1 EStG voraus, dass der andere Elternteil seinen Unterhaltspflichten nicht nachkomme. In diesem Fall sei eine Übertragung gegen den Willen des anderen Elternteils sachlich gerechtfertigt, da er keine seine Leistungsfähigkeit schmälernden Aufwendungen getätigt habe und daher keiner steuerlichen Entlastung bedürfe.

Erfülle ein Elternteil aber seine Unterhaltspflichten, so habe er Anspruch auf steuerliche Entlastung durch Gewährung der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG. Da der Betreuungsfreibetrag auch dem Elternteil zustehe, in dessen Haushalt das Kind nicht lebe, sei es sachlich nicht gerechtfertigt, diesen Freibetrag ohne Angabe von Gründen gegen den Willen des Klägers auf die geschiedene Ehefrau nur auf deren Antrag hin zu übertragen.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

Das FG hat zu Unrecht die Übertragung des Betreuungsfreibetrags von der Nichterfüllung der Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seinem Kind bzw. der Erteilung seiner Zustimmung abhängig gemacht.

1. Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer wird für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 3 456 DM für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie für jedes Kind, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert ist, zusätzlich ein Betreuungsfreibetrag von 1 512 DM vom Einkommen abgezogen (§ 32 Abs. 6 Satz 1 EStG).

Nach § 32 Abs. 6 Satz 7 Halbsatz 1 EStG wird abweichend von § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG bei einem unbeschränkt steuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, auf Antrag eines Elternteils der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertragen, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt. Nach § 32 Abs. 6 Satz 7 Halbsatz 2 EStG wird der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, zustehende Betreuungsfreibetrag auf Antrag auf den anderen Elternteil übertragen.

Nach dem Gesetzeswortlaut hängt die Übertragung eines Kinderfreibetrags davon ab, dass der Elternteil, dessen Kinderfreibetrag übertragen werden soll, seine Unterhaltspflichten verletzt. Dagegen reicht für die Übertragung des Betreuungsfreibetrags, der dem Elternteil zusteht, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, ein Antrag des anderen Elternteils auf Übertragung aus. Durch diese Regelung sollte eine Übertragung des Betreuungsfreibetrags abweichend vom Kinderfreibetrag ermöglicht werden (BTDrucks 14/1513, 15).

2. Im Streitfall war S im maßgeblichen Zeitraum nicht beim Kläger, sondern in der Wohnung der Mutter gemeldet. Da die Mutter die Übertragung des Betreuungsfreibetrags auf sich beantragt hatte, stand dem Kläger kein Betreuungsfreibetrag mehr zu.

3. Die Vorschrift ist verfassungsgemäß.

a) In der Literatur sind Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit erhoben worden, weil nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Beschluss vom 10. November 1998 2 BvR 1057/91 u.a. (BStBl II 1999, 182) die betreuungsbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit unabhängig von der Art der Betreuung des Kindes und den konkreten Aufwendungen zu berücksichtigen sei (Heuermann, Deutsches Steuerrecht 2000, 1546; Schmidt/Glanegger, EStG, 23. Aufl., § 32 Rz. 56).

b) Der Senat teilt diese Bedenken nicht.

aa) Der Gesetzgeber durfte typisierend davon ausgehen, dass das Kind in dem Haushalt des Elternteils, bei dem es gemeldet ist, aufgenommen ist und von diesem Elternteil umfassend betreut wird. Daher ist es sachgerecht, den Betreuungsfreibetrag auf Antrag ausschließlich diesem Elternteil zu gewähren.

Im Übrigen hat der Kläger auch nicht geltend gemacht, dass ihm über die zivilrechtliche Barunterhaltsverpflichtung hinaus gegenüber seiner Tochter Betreuungsaufwand entstanden sei. Der dem Streitfall zugrunde liegende Sachverhalt entspricht somit der vom Gesetzgeber angenommenen typischen Betreuungssituation.

bb) Die Übertragung des Betreuungsfreibetrags gegen den Willen des Elternteils, bei dem das Kind nicht gemeldet ist, steht auch nicht in Widerspruch zu dem Beschluss des BVerfG in BStBl II 1999, 182.

Das BVerfG hat in dieser Entscheidung ausgeführt, der Betreuungsbedarf als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums müsse einkommensteuerlich unbelastet bleiben unabhängig davon, in welcher Weise dieser Bedarf gedeckt werde. Das EStG habe den Betreuungsbedarf eines Kindes stets zu verschonen ohne Rücksicht darauf, ob die Eltern das Kind persönlich betreuten, eine zeitweilige Fremdbetreuung des Kindes –zum Beispiel im Kindergarten– pädagogisch für richtig hielten oder sich beide für eine Erwerbstätigkeit entschieden und deshalb eine Fremdbetreuung in Anspruch nähmen.

Die Ausführungen des BVerfG beziehen sich in erster Linie darauf, dass der bei einem Kind anfallende Betreuungsbedarf dem Grunde nach als Bestandteil des familiären Existenzminimums unbelastet bleiben muss. Aussagen bzw. Vorgaben dahin gehend, wie der Betreuungsbedarf bei getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten aufzuteilen sei, fehlen.

Entscheidend ist demnach, dass auch bei getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten der gesetzlich vorgesehene Betreuungsfreibetrag in vollem Umfang gewährt wird. Dies hat der Gesetzgeber sichergestellt.

cc) Die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Übertragung des Kinderfreibetrages und des Betreuungsfreibetrags sind auch im Hinblick auf das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unbedenklich.

Der Kinderfreibetrag stellt nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG das sächliche Existenzminimum des Kindes frei. Damit wird die geminderte Leistungsfähigkeit der Eltern durch den Unterhalt für das Kind berücksichtigt. Es ist daher sachgerecht, die Übertragung des Kinderfreibetrages von der Nichterfüllung bzw. Erfüllung der Unterhaltspflichten abhängig zu machen. Ob beide Elternteile entsprechend ihrer zivilrechtlichen Verpflichtung für den Unterhalt des Kindes aufkommen, ist ein objektives und leicht nachprüfbares Kriterium.

Der Betreuungsfreibetrag wird gewährt, weil die Eltern in ihrer Leistungsfähigkeit gemindert sind durch die Erfüllung ihrer Betreuungspflichten, die „ihre Arbeitskraft oder ihre Zahlungsfähigkeit beanspruchen“. Ob derjenige Elternteil, bei dem das Kind nicht gemeldet ist und bei dem es somit typischerweise nicht in den Haushalt aufgenommen ist, auch Betreuungsleistungen erbringt, ist dagegen objektiv nicht leicht erkennbar bzw. nachprüfbar. Vielmehr bedürfte es im Einzelfall umfangreicher in das Privatleben der Familien hineinreichender Überprüfungen von entsprechenden Behauptungen des anderen Elternteils. Ferner liegt der Betreuungsaufwand für das Kind –ggf. an Wochenenden und Feiertagen oder auch in den Schulferien– bei dem Elternteil, bei dem es nicht gemeldet ist, im Regelfall im Umfang wesentlich unter dem Betreuungsaufwand, den der Elternteil erbringt, bei dem das Kind gemeldet ist. Die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Übertragung von Kinderfreibetrag und Betreuungsfreibetrag sind daher sachlich gerechtfertigt.

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dd) Die Anknüpfung an die Eintragung im Melderegister ist gleichfalls verfassungsrechtlich unbedenklich.

Nach § 32 Abs. 7 EStG wird die Gewährung des Haushaltsfreibetrags ebenfalls davon abhängig gemacht, wo das Kind gemeldet ist. Der Senat hat im Urteil vom 30. Juni 2005 III R 55/01 (BFH/NV 2005, 1992) die Anknüpfung an die melderechtlichen Verhältnisse zur Vermeidung von Nachweisschwierigkeiten für zulässig gehalten. Dieselben Erwägungen gelten für § 32 Abs. 6 Satz 7 Halbsatz 2 EStG.

ee) Durch das zweite Gesetz zur Familienförderung vom 16. August 2001 (BGBl I 2001, 2074, BStBl I 2001, 533) ist § 32 Abs. 6 EStG geändert worden. Neben dem Kinderfreibetrag wird nunmehr ein Freibetrag von 1 080 EUR für den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf des Kindes abgezogen, der bei minderjährigen Kindern wie bisher auf Antrag demjenigen Elternteil übertragen wird, bei dem das Kind gemeldet ist. Die Frage, ob auch dieser sog. „Sammelfreibetrag“ gegen den Willen des Elternteils, bei dem das Kind nicht gemeldet ist, übertragen werden kann (für „zwangsweise“ Übertragung z.B. Schmidt/ Glanegger, a.a.O., § 32 EStG Rz. 56; Pust in Littmann/Bitz/ Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 32 Rn. 931, 932; zweifelnd Blümich/Heuermann, § 32 EStG Rz. 231; a.A. Greite in Korn, § 32 EStG Rz. 122), ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

4. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung ist daher aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.

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