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Erb- und Pflichteilsverzichtsvertrag mit Kind – Sittenwidrigkeit

LG Nürnberg-Fürth, Az.: 6 O 6494/17,Urteil vom 23.03.2018

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

BESCHLUSS

Der Streitwert wird auf 100.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob ein Verzicht der Klägerin auf Pflichtteilsansprüche nach dem Tod ihres Vaters wirksam ist.

Die Klägerin ist die Tochter des am 25. Dezember 1919 geborenen und am 15. Dezember 2016 verstorbenen K. R. (i.F.: Erblasser). Der Beklagte zu 1) ist Sohn des Erblassers, der Beklagte zu 2) dessen Sohn. Beide sind aufgrund letztwilliger Verfügung Erben des Erblassers geworden. Neben der Klägerin und dem Beklagten zu 1) sind drei weitere Abkömmlinge des Erblassers vorhanden.

Erb- und Pflichteilsverzichtsvertrag mit Kind - Sittenwidrigkeit
Symbolfoto: style-photographs / Bigstock

Die am 25. November 1950 geborene Klägerin wurden mit Beschluss des Amtsgerichts – Vormundschaftsgericht – Forchheim, Zweigstelle Höchstadt/Aisch, vom 5. Oktober 1970 für volljährig erklärt (Gz. X 143/70); dem gingen ein von der Klägerin unterzeichneter Antrag vom 17. September 1970 und eine Einwilligungserklärung ihrer beiden Elternteile vom selben Tag voraus. Mit notarieller Urkunde vom 20. Oktober 1970, Notar Dr. Re., Höchstadt/Aisch, URNr. 2151/1970, verpflichtete sich die Mutter der Klägerin unter „A. Ausstattungsvertrag“ bei II., ein Grundstück an einem Ort nach Wahl der Klägerin zu erwerben und mit einem Zweifamilienhaus zu bebauen; die Klägerin sollte für den Kauf und den Bau jeweils 40.000,00 DM zuzahlen. Diese Verpflichtung sollte, falls die Mutter der Klägerin vor Erfüllung stirbt, den Erblasser treffen. Wiedergegeben ist ferner unter I., dass die Klägerin mit Rücksicht auf die geplante Verehelichung bereits eine vollständige Wohnungseinrichtung und Wäscheausstattung erhalten habe. Unter „B. Erb- und Pflichtteilsverzicht“ verzichtete die Klägerin auf ihr gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht nach dem Erblasser und nach ihrer Mutter. Schließlich traf die Klägerin unter „C. Erbvertrag“ zu Gunsten ihrer Abkömmlinge – und für den Fall der solche nicht vorhanden sind, zugunsten des Erblassers und ihrer Mutter – erbvertragliche Regelungen im Hinblick auf das Hausgrundstück, die für zehn Jahre gültig waren. Mit notariellem Vertrag vom 19. Dezember 1973, Notar L., Fürth/Bayern, URNr 1873 L 1973, übertrug die Mutter der Klägerin der Klägerin ein mit einem Zweifamilienhaus bebautes Grundstück in Zirndorf von 743 m². Als Rechtsgrund ist angegeben, dass die Überlassung unentgeltlich zur Ausstattung der Klägerin erfolge.

Die Klägerin war nach ihrer Schulausbildung zunächst im elterlichen Unternehmen beschäftigt. Sie schloss am 20. Oktober 1970 die Ehe; da der Ehemann in Nürnberg beschäftigt war und lebte, nahm sie in diesem Zeitraum eine neue Beschäftigung auf. Die Mutter der Parteien verstarb im Jahre 1970.

Die Klägerin hält den im Jahr 1970 erklärten Pflichtteilsverzicht für unwirksam, weil er als sittenwidrig anzusehen sei. Der notarielle Vertrag sei am Tag der Eheschließung geschlossen worden; das vorangegangene Volljährigkeitserklärungsverfahren sei ihr als solches nicht bewusst gewesen. Eine umfassende Information durch den Notar über die Wirkung eines Pflichtteilsverzichts sei unterblieben. Lebenserfahrung habe die Klägerin, die die Schulzeit im Mädcheninternat verbracht und anschließend im elterlichen Unternehmen mitgearbeitet habe, noch nicht besessen. Ihre Eltern, insbesondere der Erblasser, habe die Klägerin zu diesen Schritten gedrängt und generell Widerspruch nicht geduldet. Dies sei auch der Grund, weshalb sie erst nach dem Tod des Erblassers anwaltliche Beratung in Anspruch genommen und die Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichts geltend gemacht habe. Die Klägerin habe damals 670 DM im Monat verdient; das Arbeitsverhältnis im Betrieb der Eltern sei damals bereits beendet gewesen. Die in dem notariellen Vertrag zugesagte Zuwendung sei angesichts der Zuzahlungspflicht kein angemessener Ausgleich für den Pflichtteilsverzicht gewesen, da sie zum einen diesen Betrag nicht hätte aufbringen können und zum anderen das Unternehmen der Eltern bereits damals Umsätze und Gewinne in Höhe von Millionen erzielt habe.

Die Klägerin beantragt:

1. Die Beklagten werden verurteilt, Auskunft über den Nachlass des am 15.12.2016 verstorbenen [Erblasser] durch Vorlage eines kompletten Bestandsverzeichnis hinsichtlich des gesamten Nachlasses zu erteilen ist wie folgt:

  • Auskunft über vorhandene Immobilie nebst deren Wert,
  • Sachverständigengutachten hinsichtlich des Wertes der Immobilien vorzulegen,
  • Auskunft über Bank- und Sparguthaben,
  • Auskunft über Depots und Akten sowie Sachwert und ähnliche Vermögenswerte
  • Auskunft über sämtliches Mobiliar
  • Auskunft über gesellschaftsrechtliche Beteiligungen an Firmen und deren Wert
  • Auskunft über sämtliche Schmuck, Geldwerte und sonstiges Vermögen (PKW, Fernsehgeräte, Maschinen etc)
  • Auskunft über vorhandenes Bargeld
  • Auskunft der vorhandene Kleidung, insbesondere Kleidung von höheren Wert

zu erteilen.

2. Die Beklagten werden verurteilt, die Richtigkeit der Auskunft an Eides statt zu versichern.

3. Die Beklagten werden verurteilt, den sich aus der Auskunft ergebenden Pflichtteilsanspruch an die Klägerin auszukehren.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten halten den Pflichtteilsverzicht für wirksam. Die Klägerin sei nicht zuletzt aufgrund der vorangegangenen Volljährigkeitserklärung in der Lage gewesen, Bedeutung und Tragweite ihrer Verzichtserklärung zu erkennen. Sie weisen darauf hin, man dass der Klägerin damals die Vermögenssituation ihre Eltern bekannt gewesen sei. Es sei der Wunsch der Klägerin gewesen, heiraten zu können. Die bereits erhaltenen und die im Vertrag vorgesehenen Leistungen sei nicht unerheblich gewesen; auf die dort vorgesehene Zuzahlung sei später ohnehin verzichtet worden. Ferner erheben die Beklaget die Einrede der Verjährung und Verwirkung.

Das Gericht hat zur Sache mündlich verhandelt; hierbei hat es die Klägerin persönlich angehört. Im Übrigen wird zur Darstellung des Sachverhalts auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die Klägerin kann die gestellten Anträge im Wege der Stufenklage (§ 254 ZPO) als Sonderfall der objektiven Klagehäufung (§ 260 ZPO) in einem Verfahren stellen. Unerheblich ist, dass ein Teil der Aspekte, die sie im Rahmen des Antrags I. geltend macht, nicht den eigentlichen Auskunftsanspruch, sondern einen Wertermittlungsanspruch darstellen (§ 2314 Abs. 1 S. 1 bzw. § 2314 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB)

Auch bei der Stufenklage gilt jedoch, dass sämtliche Anträge abzuweisen sind, wenn das Gericht bereits bei der Befassung mit der ersten Stufe zum Ergebnis kommt, dass – insbesondere, weil ein Pflichtteilsrecht von vornherein nicht (mehr) besteht – sämtliche Ansprüche aus demselben Grund unbegründet sind (siehe nur MüKoZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl. 2016, ZPO § 254 Rn. 20). Dies ist vorliegend der Fall, weil die Klägerin aufgrund ihres Verzichts aus dem Jahr 1970 keine Pflichtteilsansprüche mehr hat und deshalb auch die Hilfsansprüche auf Auskunft, Wertermittlung und Versicherung der Richtigkeit an Eides Statt nicht bestehen.

II.

Der Pflichtteilsverzicht ist wirksam, insbesondere nicht wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) unwirksam. Der Klägerin stehen daher keine Ansprüche zu, die sich aus dem Pflichtteilsrecht ergeben.

1. Auszugehen ist von folgenden rechtlichen Grundsätzen:

a) Der in § 2346 Abs. 2 BGB geregelte Pflichtteilsverzicht ist – wie der in § 2346 Abs. 1 BGB geregelte Erbverzicht – ein zwischen dem Erblasser und einem Pflichtteilsberechtigten geschlossener Vertrag, durch den der Anfall des Pflichtteilsanspruchs (je nach konkretem Inhalt) ganz oder teilweise ausgeschlossen wird. Er ist ein erbrechtlicher Verfügungsvertrag rein negativen Inhalts und damit ein abstraktes Rechtsgeschäft. Nach heutigem Verständnis liegt dem Pflichtteilsverzichtsvertrag allerdings – stets oder jedenfalls zumeist – ein Grundgeschäft (causa) zugrunde, welches ggf. konkludent im Erbverzichtsvertrag enthalten ist. Jedenfalls dann, wenn der Pflichtteilsverzicht – wie vorliegend – gegen eine Abfindung gewährt wird, ist davon auszugehen, dass beide Geschäfte durch ein entsprechendes Kausalgeschäft verknüpft sind; auch in diesen Fällen liegt aber kein gegenseitiger Vertrag i.S.d. §§ 321 ff. BGB vor (vgl. zum Ganzen MüKoBGB/Wegerhoff, 7. Aufl. 2017, § 2346 Rn. 2 f.; Staudinger/Schotten (2016) BGB § 2346 Rn. 115 ff., 151; Zimmer, NJW 2017, 513 (514); OLG Hamm, Urteil vom 8. November 2016, Az. I-10 U 36/15, NJW 2017, 576, Rn. 28).

b) Die von § 138 Abs. 1 BGB ausgesprochene Nichtigkeitsandrohung trifft im Grundsatz sämtlich Rechtsgeschäfte des Privatrechts. Für zwei- und mehrseitige Rechtsgeschäfte ist zwischen der schon aus dem Geschäftsinhalt folgenden Sittenwidrigkeit (Inhaltssittenwidrigkeit) und der Umstandssittenwidrigkeit zu unterscheiden, bei der sich erst aus einer Zusammenfassung von Geschäftsinhalt, Beweggrund und Zweck sowie den zur Zeit des Geschäftsabschlusses bestehenden Umständen aufgrund einer Gesamtwürdigung die Sittenwidrigkeit ergibt. Die Sittenwidrigkeit kann sich außer aus dem Inhalt eines Rechtsgeschäfts aus dem Verhalten gegenüber dem anderen Geschäftspartner und aus einer Missachtung schutzwürdiger Belange von Dritten oder der Allgemeinheit ergeben (MüKoBGB/Armbrüster, 7. Aufl. 2015, BGB § 138 Rn. 9).

c) In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob und inwieweit demnach auch Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge und/oder das zugrunde liegende Kausalgeschäft einer gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen (vgl. zum Streitstand Staudinger/Schotten (2016) BGB § 2346 Rn. 197). Eine uneingeschränkte Übertragung der für den Bereich des Ehevertragsrechts entwickelten Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle nach Maßgabe der sogenannten Kernbereichslehre auf Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge ist nicht möglich, da die Rechtsinstitute unterschiedliche Schutzwecke und einen andersartigen Rechtscharakter aufweisen. Insbesondere ist die gewisse Versorgungs- und Alimentationsfunktion, die dem Pflichtteilsrecht zukommt, nicht mit der des Unterhaltsrechts vergleichbar, da sie nicht auf die Bedürftigkeit des Berechtigten abstellt. Zudem besitzen Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht von der gesetzgeberischen Konzeption her einen aleatorischen Charakter, indem jeder Beteiligte bewusst Unsicherheiten hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Entwicklung in der Person des Erblassers und des Verzichtenden auf sich nimmt, so dass sie wegen der damit verbundenen Risikozuweisung grundsätzlich auch dann Bestand haben soll, wenn später eine signifikante Änderung der Vermögenslage eintritt (a.A. insoweit Röthel, NJW 2002, 337 (338 f.); gegen sie zutreffend Zimmer, NJW 2015, 513 (515)). Wegen des Wesens als abstraktes Verfügungsgeschäft gilt für die Wirksamkeitskontrolle nach § 138 BGB, dass der vom Gesetzgeber in § 2346 zugelassene Verzicht als solcher wertneutral ist. Eine Unwirksamkeit kann sich gleichwohl aus dem Gesamtcharakter sowie aus Umständen, die eine dem Verzicht zugrunde liegende schuldrechtlichen Vereinbarung anhaften, ergeben.

d) Sittenwidrigkeit i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB ist nach allgemeinen Grundsätzen dann gegeben, wenn das Verhalten einer Vertragspartei dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Hierbei ist – wobei in den Details Uneinigkeit besteht – eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Momente heranzuziehen (vgl. im Einzelnen MüKoBGB/Armbrüster, 7. Aufl. 2015, § 138 Rn. 129 ff.). Die Prüfung am Maßstab der Sittenwidrigkeit ist damit, insbesondere im Fall der Inhaltskontrolle, ein Instrument, um groben Verstößen entgegenzutreten, dessen Anwendung auf evidente Ausnahmefälle begrenzt bleiben muss (allgemein Canaris, AcP 184 (1984), 201 (232, 236); J. Hager, JZ 1994, 373 (379); Röthel, NJW 2001, 1334 (1334), jeweils m.w.N.; speziell für den vorliegenden Kontext v. Proff, ZEV 2017, 301 (307)). Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Beurteilung ist dabei der, in dem das Rechtsgeschäft vorgenommen wird (MüKoBGB/Armbrüster, 7. Aufl. 2015, BGB § 138 Rn. 133 ff.). Später Umstände können daher grundsätzlich nicht berücksichtigt werden; sie können allerdings einen Rückschluss auf Umstände erlauben, die für die objektiven oder subjektiven Aspekte von Bedeutung sind, oder im Rahmen des § 141 BGB Bedeutung erlangen.

2. Nach diesen Maßstäben erweist sich der 1970 erklärte Verzicht und das zugrunde liegende Kausalgeschäft auch bei der gebotenen Gesamtschau (OLG Hamm, Urteil vom 8. November 2016, Az. I-10 U 36/15, NJW 2017, 576, Rn. 26) nicht als sittenwidrig und nichtig.

a) Ausgangspunkt muss sein, dass das BGB (im Gegensatz zu manchen anderen Rechtsordnungen, vgl. Röthel, NJW 2002, 337 (337) m.w.N.)) einen Erbverzicht und einem Pflichtteilsverzicht grundsätzlich zulässt. Auch wenn das Pflichtteilsrecht eine Mindestbeteiligung der Abkömmlinge, des Ehegatten und ggf. der Eltern am Nachlass sicherstellen will, räumt die Rechtsordnung dem Berechtigten ein, hierauf zu verzichten. Aufgrund der Ausgestaltung als abstraktes Verfügungsgeschäft bedarf es keines rechtlichen Grundes und damit auch keiner Vereinbarung einer Gegenleistung. Der Gesetzgeber hat es daher als schlichte Willensentscheidung des Berechtigten angesehen, auf Pflichtteilsansprüche gegenüber dem Erblasser vertraglich zu verzichten. Er hat lediglich – wohl als Schutz vor Übereilung und zur Dokumentation – die notarielle Beurkundung als Formvorschrift vorgesehen, die zugleich aufgrund der notariellen Belehrungserfordernisse einem Mindestmaß an Aufklärung mit sich bringt. Im Übrigen ging der Gesetzgeber aber davon aus, dass jede volljährige Person in der Lage ist, eine solche Erklärung – auch wenn sie erhebliche finanzielle Folgen nach sich ziehen kann – verbindlich abzugeben. Andernfalls wäre nicht zu erklären, dass der Gesetzgeber auf jegliche materiellrechtliche Voraussetzung verzichtet hat (vgl. v. Proff, ZEV 2017, 301 (302)).

b) Eine Sittenwidrigkeit kann zwar darin liegen, dass eine geschäftliche Unerfahrenheit oder Unkenntnis bewusst ausgenutzt wird. Von einer solchen Situation kann sich das Gericht jedoch nicht überzeugen.

(1) Die Klägerin hat in ihrer Anhörung angegeben, in der Familie hätte sie und die anderen Geschwister ihrem Vater nicht widersprechen dürfen und stets das tun müssen, was dieser vorgegeben hat. Sie hat ferner erklärt, dass ihr die Bedeutung und der Inhalt der beim Notar vorgenommenen Rechtsgeschäfte nicht klar gewesen sei. Wie es zu dem Antrag auf Volljährigkeitserklärung kam, konnte sie sich nicht erklären, auch wenn sie eingeräumt hat, den Antrag damals unterschrieben zu haben.

(2) Diese Angaben deuten zwar darauf hin, dass die Klägerin damals nicht nach gründlicher Überlegung und im vollen Wissen um die relevanten Aspekte gehandelt hat. Auf eine fehlende Möglichkeit, sich einen freien Willen zu bilden und danach zu handeln, reagiert die Rechtsordnung aber primär durch die Regeln zur Geschäftsfähigkeit (§§ 104 f. BGB) und zur Anfechtung wegen Irrtums, Drohung oder Täuschung (§§ 119 ff. BGB). Aufgrund der Volljährigkeitserklärung, die das Gericht als wirksam zugrunde zu legen hat, wurde unwiderleglich bewirkt, dass die Klägerin in der Lage war, selbständig Entscheidungen auch von großer Tragweite zu treffen, und eine entsprechende Fähigkeit vermutet. Dass die Klägerin sich vorübergehend in einem Zustand krankheitsbedingt verminderter geistiger Leistungsfähigkeit gehandelt hat, ist nicht erkennbar. Ein Irrtum über den Inhalt ihrer Erklärungen hätte die Klägerin zwar zur Anfechtung berechtigt, doch sind die hierfür vorgesehenen Fristen (§ 121 Abs. 1 bzw. 2 BGB, i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB) bereits lange verstrichen. Gleiches würde für eine Anfechtung nach § 123 BGB gelten ((§ 121 Abs. 1 bzw. 3 BGB, i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB). Damit Umstände, die unterhalb dieser Schwellen liegen, unter dem Aspekt der Sittenwidrigkeit eine Unwirksamkeit des vorgenommenen Rechtsgeschäfts begründen können, müssen – nicht zuletzt, um die speziellen Tatbestandsvoraussetzungen der genannten Rechtsinstitute nicht zu unterlaufen – weitere Umstände hinzukommen (ebenso v. Proff, ZEV 2017, 301 (305)).

(3) Eine Sittenwidrigkeit könnte damit nur darauf gegründet werden, dass der Erblasser entsprechende Verständnis-, Wissens- oder Aufmerksamkeitsdefizite bewusst ausgenutzt hat und/oder die Bedeutung der abgegebenen Erklärungen und der dadurch ausgelösten Rechtsfolgen bewusst herab gespielt oder sonst verharmlost hat („nur für die Akten“). Hierfür trägt aber die Klägerin selbst nicht vor. Allein der Umstand, dass ihre Eltern ein entsprechendes Verhalten von ihr – mehr oder weniger erst mit stark – erwartet haben, begründen keine Sittenwidrigkeit.

(4) Ebenso wenig ist erkennbar, dass der vorliegende Fall ein Ausnutzen einer Zwangslage darstellt. Zwar wollte die Klägerin offenbar zeitnah die Ehe schließen, was bei Berücksichtigung der damaligem Rechtslage und des Alters von knapp 20 Jahren entweder die Zustimmung der Eltern oder die vorzeitige Volljährigkeitserklärung voraussetzte, welche wiederum (vom Fall der gerichtlichen Ersetzung abgesehen) die Einwilligung der Eltern voraussetzte (§ 4 BGB in der bis 1.1.1975 gültigen Fassung). Die Klägerin behauptet aber nicht schlüssig, dass die Zustimmung zur Eheschließung und die Einwilligung in die Volljährigkeitserklärung von Zugeständnissen wie dem Pflichtteilsverzicht abhängig gemacht worden sei. Ihre Einlassung, sie habe die Bedeutung der damaligen Erklärungen nicht gekannt, schließt es praktisch aus, dass sie damals zu dem Pflichtteilsverzicht genötigt wurde, um diese zu erlangen; eine derartige Verknüpfung wäre sicher im Gedächtnis haften geblieben.

(5) Das Gericht kann auch nicht von einer Situation ausgehen, dass die Klägerin über die wesentlichen Umstände des von ihr abgeschlossenen Vertrags nicht vorher zutreffend informiert war (vgl. die mit der festgestellte Situation in OLG Hamm, Urteil vom 8. November 2016, Az. I-10 U 36/15, NJW 2017, 576, Rn. 41 ff.; grundsätzlich kritisch dazu, aus einem intellektuellen Ungleichgewicht eine Sittenwidrigkeit herzuleiten, aber v. Proff, ZEV 2017, 301 (306)). Zwar hat die Klägerin berichtet, dass sie in die rechtlichen Schritte nicht eingebunden war und nicht wusste, was erklärt wurde. Das Gericht konnte aber nicht die Überzeugung gewinnen, dass sich darauf beruhte, dass der Erblasser und oder ihre Mutter der Klägerin bewusst Inhalt und Bedeutung nicht mitgeteilt haben. Aufgrund des Eindrucks, in denen das Gericht von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, kann auch ein entsprechendes Desinteresse Grund gewesen sein, was zudem dann naheliegt, wenn man berücksichtigt, dass es der Klägerin damals primär darauf angekommen ist, die Voraussetzungen für die zeitnahe Heirat zu schaffen. Die Klägerin hat nicht angegeben, dass man ihr verzerrte oder fehlerhafte Angaben gemacht hat oder solche ausdrücklich verweigert habe. Nur dies würde jedoch für die Sittenwidrigkeit relevant sein; grundsätzlich ist nämlich jede Partei selbst dafür verantwortlich, dass sie sich die Informationen beschafft, die sie für die Entscheidungsfindung benötigt, und – falls sie diese nicht erhält – die Vornahme des Rechtsgeschäfts ablehnt.

(6) Ebenso unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem des OLG Hamm darin, dass ein Überrumpelungscharakter festgestellt werden konnte. Aufgrund der Notwendigkeit, zunächst das Volljährigkeitserklärungsverfahren zu durchlaufen, nahm der gesamte Vorgang mehrere Wochen ein. In dieser Zeit muss – auch wenn es der Klägerin damals (was allerdings sie selbst nicht vorträgt) primär darauf angekommen ist, möglichst schnell heiraten zu können – Gelegenheit bestanden haben, zu prüfen, welche Bedeutung die abverlangten Erklärungen besitzen.

(7) Ebenso wenig liegt eine Situation vor, bei der gesetzlich vorgesehene Schutzmechanismen gezielt umgangen worden. Zwar bedurfte der Pflichtteilsverzicht aufgrund der vorangegangenen Volljährigkeitserklärung keiner vormundschaftlichen Genehmigung mehr. Jedoch stellte auch das Volljährigkeitserklärungsverfahren eine Sicherungsmaßnahme dagegen dar, dass eine unerfahrene oder unreife Person wirksam Rechtsgeschäfte vornehmen, für die der Gesetzgeber damals noch an sich die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters und/oder eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung für erforderlich gehalten hat. Auch wenn das Verfahren sich, wovon das Gericht aufgrund des Akteninhalts ausgehen muss, auf eine grobe Prüfung der Selbstständigkeit beschränkte, stellte es doch sicher, dass ein Mindestmaß an geschäftlicher Erfahrung und Verständnisfähigkeit gegeben war. Dafür, dass eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung im vorliegenden Fall nur mit erheblichen Schwierigkeiten zu erlangen gewesen wäre, ist umgekehrt nichts erkennbar.

(8) Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, ihr habe es – da sie ihre Schulzeit in einem Internat der Englischen Fräulein verbracht und anschließend im Betrieb der Eltern eine Arbeit aufgenommen habe – an Lebenserfahrung und Urteilsvermögen gefehlt, führt dies aus zweierlei Gründen nicht zum Erfolg. Zum einen wäre aus den eingangs angeführten Gründen ein entsprechendes Rationalitätsdefizit unterhalb der Schwelle der §§ 104 f., 119 ff. BGB als solches nicht geeignet, einen Fall des § 138 Abs. 1 BGB zu begründen. Auch weitere Aspekte, die in einer Gesamtbetrachtung hierzu führen würden, sind nicht gegeben (dazu noch im Folgenden). Zum anderen kann das Gericht sich in tatsächlicher Hinsicht nicht der Argumentation anschließen, die Klägerin sei aufgrund des schulischen und beruflichen Werdegangs in einer wohlbehüteten Umgebung nicht selbstständig, erfahren und weltoffen gewesen. Unstreitige Umstände zeigen kein derart klares Bild. Die Klägerin war erkennbar in der Lage, ihren Entschluss, ihren Partner zu heiraten, umzusetzen, und dazu den Wohnort und den Arbeitsplatz zu wechseln. Insoweit konnte sie persönliche Entscheidungen von nicht unerheblicher Bedeutung durchaus autonom und ggf. entgegen der Vorstellung ihrer Eltern treffen.

c) Das Gericht kann auch aus den Umständen im Zusammenhang mit der in dem Vertrag vom 25. Oktober 1970 zugesagten Gegenleistung nichts für die Sittenwidrigkeit herleiten.

(1) Aufgrund des Charakters als abstraktes Verfügungsgeschäft hat die Frage, ob und welche Gegenleistung dafür erbracht wird, zwar keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Pflichtteilsverzichtsvertrags. Jedoch ist der Klagepartei im Ausgangspunkt dahin zu folgen, dass der Umstand, dass die Klägerin ohne Anlass einen solchen Pflichtteilsverzicht erklärt, ohne eine Kompensation zu erhalten, die im weitesten Sinn als Ausgleich für den Wegfall der Pflichtteilsansprüche angesehen werden könnte, grundsätzlich ein Indiz dafür bilden kann, dass sie damals nicht in der Lage war, Ihre Interessen adäquat zu wahren, was dann wiederum – zusammen mit anderen Umständen – eine Sittenwidrigkeit begründen könnte.

Das Gericht nimmt an dieser Stelle ausdrücklich zugunsten der Klägerin den (von den Beklagten bekämpften) Standpunkt ein, dass der Pflichtteilsverzicht der Klägerin in einem Konnex zu den zugesagten und den bereits erhaltenen Zuwendungen ihrer Eltern stand. Hierfür besteht nicht zuletzt aufgrund der Abfassung in ein und derselben Urkunde ein erster Anschein, der auch nicht durch andere Indizien entkräftet wird. Dafür, dass die Zuwendungen auch Abgeltung des Pflichtteilsrechts nach dem Tode des Erblassers sein sollte, spricht, dass dieser die Verpflichtung seiner Ehefrau gegenüber der Klägerin ausdrücklich subsidiär übernommen hat. Dafür, dass die Rechtsgeschäfte isoliert nebeneinander stehen sollten, sind keine Gründe ersichtlich oder vorstellbar.

Auch wenn man hiervon ausgeht, ergeben sich jedoch keine günstigen rechtlichen Folgerungen für die Klägerin:

(2) Der Klägerin wurde in dem Vertrag durch ihre Mutter zugesagt, dass sie gegen Zuzahlung von insgesamt 80.000,00 DM ein Grundstück mit einem Zweifamilienhaus an einen Ort Ihrer Wahl erhält. Mobiliar und anderen Hausrat hatte sie bereits erhalten. Infolge des Vertrags mit erlangte die Klägerin damit einen Stellung, die ihr – wenn auch gegen Zahlung von 80.000,00 DM – alle Voraussetzungen für ein künftiges Familienleben und laufenden Mieteinnahmen (aus der Vermietung der zweiten Wohnung) verschaffte. Auch wenn die Parteien nicht abschließend dazu vorgetragen haben und unterschiedliche Standpunkte dazu vertreten, wie weit die Zuzahlung den Wert des Grundstücks samt Zweifamilienhauses überstieg, lag darin eine nicht unerhebliche Zuwendung seitens der Mutter der Klägerin, die ggf. vom Erblasser zu erfüllen gewesen wäre. Bei Berücksichtigung der damaligen Wertverhältnisse sowie des Umstands, dass die Klägerin aufgrund ihrer Ausbildung im Betrieb der Eltern in der Lage war, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen (was sich auch daran zeigte, dass sie zeitlich nahtlos eine Beschäftigung in einem anderen Unternehmen aufnehmen konnte), konnte die Klägerin damit durchaus als „versorgt“ angesehen werden. Dass die Klägerin nach eigener – bestrittener – Behauptung nicht eine kaufmännische Lehre absolvieren durfte, sondern lediglich für Schreibarbeiten angelernt wurde, würde hieran nichts entscheidend ändern, weil auch solche Tätigkeiten damals ein Ein- und Auskommen sicherstellten. Ebenso wenig kommt es im Detail darauf an, wann das Beschäftigungsverhältnis tatsächlich geendet hat (d.h. wann die Klägerin das letzte Mal im elterlichen Unternehmen gearbeitet hat) und wann dieses rechtlich sein Ende gefunden hat. Auch kann dahinstehen, ob – wie klägerseits behauptet – zuvor der Arbeitslohn nicht ausbezahlt worden war, weil spätestens mit Aufnahme einer Tätigkeit außerhalb des elterlichen Unternehmens diese Situation weggefallen ist. Dafür, dass die Klägerin insoweit einer überoptimistischen Fehleinschätzung der Vermögens- und Beziehungsentwicklung unterlegen wäre (vgl. Röthel, NJW 2002, 337 (339), die hieraus ableiten will, dass die Möglichkeit zur Selbstbestimmung vermindert sei), ist nichts ersichtlich; sie macht insbesondere nicht geltend, dass die erhaltenen Zuwendungen weniger wert gewesen seien, als sie damals gedacht hatte, und deswegen eine von den Beteiligten erwartete Versorgungsfunktion nicht erfüllen konnten.

(3) Dafür, dass die Klägerin – unterstellt, dass das Netto-Vermögen des Erblassers damals bereits einen erheblichen Umfang hatte – keine treffende Vorstellung davon besessen hat, dass ihr als gesetzliche Erbin möglicherweise erhebliche Werte zu fallen würden, ist ebenso nichts ersichtlich. Der Klägerin muss bekannt gewesen sein, dass die Gesellschaft, an der ihr Vater beteiligt war und die von ihm geführt wurde, zum damaligen Zeitpunkt drei Betonwerke betrieb, was deutlicher Hinweis auf entsprechendes Vermögen – auch nach Abzug etwaiger Passiva – sein musste. Die Dimension der Geschäftstätigkeit muss der Klägerin, die ausweislich des Zeugnisses vom September 1970 an mehreren Stellen in dem Unternehmen, die einen Einblick in die wirtschaftliche Situation gestatten (Buchhaltung, Verkaufsabteilung), Schreibarbeiten geleistet hatte, bekannt und bewusst geworden sein.

(4) Hinzu muss kommen, dass aufgrund des aleatorischen Moments des Pflichtteilsverzichts auch eine objektive Unausgewogenheit auf Basis der Ist-Situation des Vermögens nicht zwingend Anzeichen für eine Unausgewogenheit sein muss (Zimmer, NJW 2015, 513 (515); vgl. auch v. Proff, ZEV 2017, 301 (302 f.)). Wie eingangs ausgeführt, zeigt regelmäßig erst die spätere Entwicklung, ob die damaligen Erwartungen zur Vermögensentwicklung in der Person des Erblassers zugetroffen haben und deshalb der Verzicht gegen Abfindung o.Ä. für die eine oder für die andere Seite günstig war. Für den Verzichtenden besteht immanent das Risiko, dass er „zu schlecht wegkommt“, weil er im Falle einer Pflichtteilsberechtigung von den Erben mehr verlangen könnte; damit ist aber auch die Chance verbunden, dass eine ihm unbedingt zugewandte Leistung wertmäßig höher ist als das, was er im späteren Erbfall als Pflichtteilsberechtigter beanspruchen könnte. Gerade bei einem selbständigen Unternehmer steht keineswegs fest, dass dieser dauerhaft ein signifikantes positives Vermögen besitzt, selbst wenn der gegenwärtige über ein solches verfügt. Dies gilt erst recht bei einer erkennbar längeren Zeit bis zum erwarteten Ableben (der Erblasser war bei der Pflichtteilsverzichtsvereinbarung 51 Jahre alt, so dass ein zeitnaher Tod nicht zu erwarten war). Auch dann, wenn ein Pflichtteilsberechtigter relativ wenig erhält, kann sich daher ein Verzicht in früheren Jahren später als vorteilhaft erweisen, weshalb selbst der sachlich Rechnende sich mit guten Gründen für eine solche Lösung entscheiden kann (vgl. Zimmer, NJW 2015, 513 (515)). Diese Risikoverteilung würde gestört, wenn man allein aufgrund der Wert Relationen zum Verdikt der Sittenwidrigkeit gelangen würde.

(5) Damit fehlt es jedenfalls an einer erkennbaren Unausgewogenheit zwischen dem Verzicht und dem, was in dem Geschäft als Gegenleistung vorgesehen war. Ein entsprechendes Indiz zugunsten der Klägerin liegt damit nicht vor.

d) Auch die gesamte Entwicklung und das Verhalten in der Folgezeit sprechen dagegen, dass die Klägerin damals in sittenwidriger Weise zu dem Verzicht bewogen wurde.

(1) Die Klägerin hat erstmals nach dem Tod des Erblassers und damit 46 Jahre nach Vornahme des Rechtsgeschäfts dessen Unwirksamkeit geltend gemacht. Das Gericht kann auch dann, wenn es die Behauptung zugrunde legt, der Erblasser sei die dominierende Person im Familienkreis gewesen, nicht nachvollziehen, dass die inzwischen über sechzig Jahre alte Klägerin zuvor nicht die Kraft besessen haben will, entsprechendes vorzubringen. Dies gilt auch für die Situation beim Tod der Mutter im Jahr 1976; auch nach damaligen Recht wäre die Klägerin damals bereits (ohne die Volljährigkeitserklärung) volljährig gewesen. Zu diesen Zeitpunkten war die Klägerin auch bereits verheiratet, lebte entfernt vom Haushalt des Erblassers und hatte eine Berufsanstellung außerhalb des elterlichen Betriebs; sie war damit bereits seit rund sechs Jahren aus dem Familienverband und der klägerseits behaupteten Dominanz des Erblassers herausgelöst. Ein „situationstypisches Durchsetzungsgefälle“, welches teils als Anlass für eine Intensivierung der Wirksamkeitskontrolle angeführt wird (Röthel, NJW 2002, 337 (338)), bestand damit zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Es wäre deshalb zu erwarten gewesen, dass sie es bereits damals unternommen hätte, ihre Rechte wahrzunehmen oder jedenfalls rechtlichen Rat einzuholen. Das Unterlassen entsprechender Schritte stellt demgegenüber ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass sie nicht in sittenwidriger Weise zu dem Verzicht verleitet worden war und sie dies auch 1976 nicht so empfunden hatte.

(2) Entsprechendes gilt im Hinblick auf den Notarvertrag vom 1973, in dem die vorangegangene Vereinbarung vollzogen wurde, was die Verschaffung des Hausgrundstücks anging.

(a) Dieser Vertrag kann zwar nicht ohne Weiteres als Bestätigung des vorangegangene Pflichtteilsverzichts i.S.v. § 141 BGB bewertet werden.

Über den Umstand, dass der Erblasser an diesem Vertrag nicht beteiligt war, käme man zwar mit der Überlegung hinweg, dass Rechtsprechung und Literatur für eine Bestätigung eines nichtigen Vertrags eine Mitwirkung bei der Teile zwar verlangen, bei den Nichtigkeit nur einer Willenserklärung aber die Erklärung dieser mit einem Partei genügen lassen (vgl. MüKoBGB/Busche, 7. Aufl. 2015, § 141 Rn. 11). Auch wenn die Nichtigkeit nach § 138 BGB das gesamte Rechtsgeschäft betrifft und sich nicht nur auf die Willenserklärung einer Partei erstreckt, ist es so, dass jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art (in denen eine Partei geltend macht, sie sei in unlauterer Weise zu dem Vertragsschluss veranlasst worden) die Rechtsfolge der Nichtigkeit ausschließlich im Interesse einer Partei liegt. Die Situation unterscheidet sich somit nicht erheblich von der, dass eine Willenserklärung nichtig ist. Zudem hat vorliegend der Erblasser die Verpflichtung seiner Ehefrau gegenüber der Klägerin ausdrücklich subsidiär übernommen. Das Gericht würde daher in entsprechender Anwendung der genannten Grundsätze die – auch formgerecht dokumentierte – Erklärung der Klägerin genügen lassen.

Diese Überlegungen können aber dahinstehen, weil nicht erkennbar ist, dass die Parteien die Unwirksamkeit des in der 1970 abgeschlossenen Vertrags gekannt oder zumindest für möglich gehalten haben (mit zu diesem Erfordernis vgl. MüKoBGB/Busche, 7. Aufl. 2015, § 141 Rn. 13 f.). Ein Bestätigungswille fehlt daher.

(b) Dies ändert jedoch nichts daran, dass es kaum zu erklären ist, dass die Klägerin an diesem Vertrag, der auch nach ihrer Vorstellung an die vorangegangenen Vereinbarung anknüpfte, uneingeschränkt mitgewirkt und die Leistung in Anspruch genommen hat, wenn sie die vorangegangene Vereinbarung für sittenwidrig und unwirksam gehalten hätte. Auch wenn der Klägerin möglicherweise nicht die Motive offengelegt worden, weshalb sie im Jahr 1973 sogar ohne die geschuldete Zuzahlung das Hausgrundstück erhielt, muss er bewusst gewesen sein, dass damit eine frühere Vereinbarung umgesetzt werden sollte; auch nach damaligem Recht wäre sie zu diesem Zeitpunkt als volljährig anzusehen gewesen. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Klägerin – drei Jahre nach ihrer Heirat und der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im elterlichen Betrieb – entsprechende Einwände erhoben hätte.

e) Das Gericht könnte aus den genannten Gründen jedenfalls nicht davon ausgehen, dass das erforderliche subjektive Moment in der Person des Erblassers und/oder der Mutter der Klägerin vorlag. Auch wenn es dem heutigen Verständnis nicht mehr entsprechen mag, waren die Leistungen, die die Klägerin erhalten hatte bzw. durch den Vertrag zugesagt erhielt, bei Berücksichtigung des jedenfalls damals typischen Rollenbildes einer jungen Frau in jeder Hinsicht ausreichend, um der Klägerin eine angemessene und gesicherte Zukunft auf überdurchschnittlichem Niveau zu garantieren. Es war zu erwarten, dass die Klägerin zeitnah (sogar unmittelbar anschließend) heiratete und entweder in dem Zweifamilienhaus die zu gründende Familie versorgte oder einer eigenen Erwerbstätigkeit nachgeht. Wird in jedem Fall konnten die Erträge aus der weiteren Wohnung als zusätzliches Einkommen dienen. Demgegenüber lag es – auch wenn die Klägerin eine kaufmännische Ausbildung absolviert hatte – fern, dass diese eine entscheidende Rolle in dem Unternehmen einnehmen werde. Das Ziel, das Unternehmen bzw. den Erben gegen Pflichtteilsansprüche und das damit verbundene Probleme, dass kurzfristig Liquidität beschafft werden müsste, abzusichern, ist nicht von vornherein als unlauter zu bezeichnen. Das mit dem Vertrag erzielte Ergebnis, um das einerseits die Klägerin gesichert eine über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegende Einkommens- und Vermögenssituation erhielt, anderseits der oder die Erben gegen Pflichtteilsansprüche abgeschirmt waren und so das Risiko einer Zwangsliquidation ausgeschlossen wurde, ist der Betrachtung aller Motive und Interessen nicht unbillig. Damit können weder eine Absicht, die Klägerin zu übervorteilen, nur Umstände festgestellt werden, bei denen sich bei verständiger Würdigung aufdrängen musste (vgl. MüKoBGB/Armbrüster, 7. Aufl. 2015, § 138 Rn. 131), dass das Rechtsgeschäft mit grundlegenden Wert- und Gerechtigkeitsvorstellungen nicht in Einklang steht.

f) Dahinstehen kann damit, ob die Geltendmachung der Sittenwidrigkeit der Verwirkung gem. § 242 BGB zugänglich ist. Die sich aus dem Pflichtteilsrecht ergebenden Zahlungs- und Hilfsansprüche können dabei nicht als solche verjährt oder verwirkt sein, da sie erst mit dem Tod des Erblassers entstanden sind. Denkbar wäre insoweit allerdings, dass das Recht, die Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichts einzuwenden, verwirkt ist; auch wenn grundsätzlich nur Ansprüche und Gestaltungsrechte verwirkt sein können, ist denkbar, dass die Befugnis, eine Unwirksamkeit geltend zu machen, verwirkt ist, oder dies auf die (sich aus dem Pflichtteilsrecht ergebenden) Ansprüche durchschlägt.

(1) Die Verwirkung eines Rechts infolge Zeitablaufs bedeutet, dass dem Inhaber eines Rechts dessen Ausübung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) versagt wird, weil er über einen längeren Zeitraum von seinem Recht keinen Gebrauch gemacht und dadurch bei der Gegenseite zurechenbar den Eindruck erweckt hat, mit der Inanspruchnahme des Rechts werde in Zukunft nicht mehr zu rechnen sein (sog. „illoyal verspätete Geltendmachung“ des Rechts). Entscheidend ist, ob sich ein Schuldner bei objektiver Beurteilung darauf einrichten durfte und tatsächlich eingerichtet hat, dass der Gläubiger sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Die Verwirkung ist damit ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen früheren Verhaltens (venire contra factum proprium). Die unerwartete Ausübung des Rechts nach längerer Zeit widerspricht dem Vertrauenstatbestand, den der Berechtigte durch die länger dauernde Nichtausübung des Rechts erzeugt hat (vgl. MüKoBGB/Roth/Schubert, 6. Aufl., § 242 Rn. 329 m.w.N.). Die Verwirkung eines Rechts setzt dabei nicht zwingend die Kenntnis des Berechtigten von seiner Berechtigung voraus (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2007, V ZR 190/06).

Für die Verwirkung durch Zeitablauf muss das betroffene Recht über eine längere Zeitspanne hinweg nicht geltend gemacht worden sein (sog. „Zeitmoment“). Weiter setzt die Verwirkung ein sog. „Umstandsmoment“ voraus. Es müssen neben den reinen Zeitablauf weitere Umstände hinzutreten, so dass bei einer Gesamtbetrachtung der Interessenlage die Versagung der Rechtsausübung gerechtfertigt ist bzw. im Interesse der Gegenpartei geboten erscheint. Der Zeitablauf kann dabei umso kürzer sein, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und umgekehrt muss die abgelaufene Zeit umso länger sein, je geringer die Umstände sind (vgl. MüKoBGB, aaO Rn. 336 m.w.N.). Zeit- und Umstandsmoment stehen somit in Wechselwirkung (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017, XI ZR 393/16).

(2) Vorliegend bedürfte es keiner weiteren Begründung, dass das Zeitmoment nach 47 Jahren erfüllt ist. Das Umstandsmoment kann daraus abgeleitet werden, dass die Klägerin an der Erfüllung des Vertrags durch ihre Mutter mitgewirkt, also die zugesagte Leistung entgegengenommen, hat. Dies kann als schutzwürdige Disposition der Mutter der Parteien begriffen werden, was dem Beklagten zu 1) als deren Rechtsnachfolger zugutekäme. Zugleich würde dies wegen der Übernahme der Verpflichtung durch den Erblasser diesem zugutekommen und damit wiederum den Beklagten. Die Frage bedarf jedoch keiner weiteren Aufklärung, da das Gericht bereits nicht von einer Unwirksamkeit ausgehen kann.

Die Klägerin hat damit sämtliche Pflichtteilsansprüche einschließlich der Nebenansprüche verloren. Die Klage ist daher als unbegründet abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung beruht auf § 709 S. 1 ZPO.

Beim Streitwert folgt das Gericht dem Vorschlag der Klagepartei. Andere Anhaltspunkte, die eine bessere Erkenntnis verschaffen könnten, sind nicht erkennbar.

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