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Fahrzeugkaufvertrag – arglistige Täuschung bei Unfallverdacht

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 10 U 51/21 – Urteil vom 02.12.2021

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 04.06.2021, Az. 8 O 54/20, teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.194,61 € zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Pkw (a…), Fahrzeug-Ident-Nr. … an den Beklagten.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Beklagte. Von den Kosten der Berufungsinstanz tragen der Beklagte 91 % und die Klägerin 9 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf einen Gebührenwert bis 7.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen gebrauchten Pkw (a…).

Das streitgegenständliche Fahrzeug war von der Zeugin M… D… als Gebrauchtfahrzeug erworben worden. Als sie später beabsichtigte, den Pkw zu veräußern, wandte sie sich an die A… GmbH, die in B… ein Autohaus für Fahrzeuge der Marken (b…), (c…), (d…), (e…) und (f…) betreibt. Hier kam sie mit dem Beklagten in Kontakt, welcher gelernter Automobilkaufmann ist und bis zum …2019 als Autoverkäufer bei der Gesellschaft beschäftigt war. Der Beklagte veranlasste eine – unter der Firma der A… GmbH erstellte – Gebrauchtfahrzeugbewertung für das Fahrzeug, in welcher es unter anderem heißt: „unfallfrei = nein …reparierte Unfallschäden: 1“. Wegen der weiteren Einzelheiten der Bewertung wird auf die Anlage K3 (Blatt 110 ff. d.A.) verwiesen.

Der Beklagte schlug der Zeugin D… vor, das Fahrzeug zum Preis von 4.600 € an die Zeugin Dr. C… L… – seine Lebensgefährtin – zu veräußern. Er legte der Zeugin D… den Entwurf für eine entsprechende Vertragsurkunde vor, worin es unter anderem heißt: „Der Verkäufer erklärt, dass das Kfz in der Zeit, in der es sein Eigentum war … keinen Unfallschaden … erlitten hat … [und] dass das Kfz in der übrigen Zeit – soweit ihm bekannt – … folgende Unfallschäden od. sonstige Beschädigungen hatte: Frontseite links; Tür links nachlackiert“. Der Vertrag ist gemäß dem vom Beklagten gefertigten Entwurf am 21.02.2019 geschlossen worden.

Das Fahrzeug, welches bei Übergabe noch auf die Zeugin D… zugelassen war, wurde im Folgenden vom Beklagten auf das Wohngrundstück seiner Eltern in B… verbracht, abgemeldet und mit Vertrag vom 22.03.2019 von der Zeugin Dr. L… an den Beklagten veräußert.

Der Beklagte inserierte das Kfz über eine Online-Plattform zum Verkauf. Auf dieses Inserat hin besichtigte die Klägerin in Begleitung des Zeugen S… K… am 18.05.2019 den Pkw. Bei der Besichtigung war der Bruder des Beklagten, der Zeuge A… W…, anwesend. Nach anschließend mit dem Beklagten geführten Verhandlungen, deren Inhalt zwischen den Parteien im Einzelnen umstritten ist, einigten sie sich auf einen Verkauf des Fahrzeugs zu einem Preis von 5.800 €. In der noch am gleichen Tag errichteten Vertragsurkunde heißt es unter anderem: „Der Verkäufer erklärt, dass das Kfz in der Zeit, in der es sein Eigentum war … keinen Unfallschaden … erlitten [und] keine sonst. Beschädigungen (zum Beispiel Hagelschaden) erlitten hat … [und] dass das Kfz in der übrigen Zeit – soweit ihm bekannt – … folgende Unfallschäden od. sonstige Beschädigungen hatte: Nachlackierung möglich; Gebrauchsspuren dem Alter entsprechend“ sowie „Sondervereinbarung: Privatverkauf Ausschluss jeglicher Sachmängelhaftung!“. Wegen der weiteren Einzelheiten der Vertragsurkunde wird auf die Anlage K1 (Blatt 4 d.A.) verwiesen. Das Fahrzeug wurde der Klägerin nach vollständiger Zahlung des Kaufpreises einige Tage später mit einer Gesamtfahrleistung von 88.892 km übergeben.

Am 25.05.2019 wandte sich der Zeuge K… mit einer WhatsApp-Nachricht an den Beklagten, mit welcher er um Rückruf bat und Lichtbilder übersandte, die unter anderem einen Pannenbeleg der ADAC-Straßenwacht zeigten. Mit weiteren WhatsApp-Nachrichten vom 31.05.2019 machte der Zeuge gegenüber dem Beklagten geltend, dass das Fahrzeug nicht unfallfrei sei und deshalb zurückgegeben werden solle. Mit Anwaltsschreiben vom 03.06.2019 wurde gegenüber dem Beklagten unter der Behauptung einer arglistigen Täuschung über näher bezeichnete Fehlfunktionen am Motor und einer unzutreffenden Zusicherung der Unfallfreiheit des Fahrzeugs die Anfechtung des Kaufvertrages erklärt.

Fahrzeugkaufvertrag - arglistige Täuschung bei Unfallverdacht
(Symbolfoto: hedgehog94/Shutterstock.com)

Mit der Klage hat die Klägerin den Beklagten auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Sie hat behauptet, nach der Übergabe des Wagens damit den Heimweg nach Be… angetreten zu haben. Nach wenigen Kilometern Fahrt, noch innerhalb der Stadt B…, sei die Motorkontrollleuchte erst gelb und wenig später rot aufgeleuchtet. Der Pkw sei deshalb im Folgenden in eine (a…)-Werkstatt verbracht worden, wo mehrere technische Defekte festgestellt worden seien. Eine dort vorgenommene Einsichtnahme in die Reparaturhistorie des Wagens habe zudem ergeben, dass an diesem im Jahr 2009 ein Schweller ausgetauscht, eine Tür ersetzt und Seitenteile instandgesetzt worden seien. Diese Reparaturarbeiten, die tatsächlich ausgeführt worden seien, ließen auf einen erheblichen Unfallschaden schließen. Dieser Umstand sei dem Beklagten jedenfalls aus der von ihm selbst in seiner damaligen Funktion als Mitarbeiter der Firma A… GmbH eingeholten Gebrauchtfahrzeugbewertung positiv bekannt gewesen. Trotzdem habe er im Rahmen der Verkaufsverhandlungen am 18.05.2019 auf gezielte Nachfragen, die ihm mehrfach sowohl von der Klägerin als auch vom Zeugen K… gestellt worden seien, die Unfallfreiheit des Pkw versichert. Die Klägerin habe gesteigerten Wert auf ein unfallfreies Kfz gelegt; einen Unfallwagen würde sie nicht gekauft haben.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat geltend gemacht, dass es sich bei dem in der Gebrauchtfahrzeugbewertung sog. Unfallschaden um eine Nachlackierung handle. Weitere Schäden seien aus der Bewertung hingegen nicht ersichtlich. Insbesondere lasse sich dem Gutachten nicht entnehmen, dass an dem Fahrzeug eine Tür, eine Schwellerverkleidung und ähnliche Bauteile ausgetauscht worden seien. Die Nachlackierungen ließen auch nicht auf einen Unfall schließen, sondern könnten ebenso auf andere Ereignisse, beispielsweise Steinschläge, Rost oder – soweit es die Tür betrifft – auf einen Aufbruchschaden nach einem Diebstahlsversuch zurückzuführen sein. Die vom Beklagten im Rahmen der Vertragsverhandlung vom 18.05.2019 getätigte Äußerung, das Fahrzeug hätte keinen Unfallschaden erlitten, habe sich abgesehen davon nur auf den Zeitraum seines Eigenbesitzes bzw. Eigentums bezogen. Eine darüber hinausgehende Zusicherung der Unfallfreiheit habe er, wie auch der Kaufvertragsurkunde zu entnehmen sei, nicht abgegeben.

Das Landgericht hat der Klage nach Vernehmung der Zeugen K…, D…, Dr. L… und W… mit Urteil vom 04.06.2021 stattgegeben. Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises begründe sich aus § 433 Abs. 1, §§ 434, 437 Nr. 2, §§ 440, 280 Abs. 2 BGB. Der Beklagte könne sich nach § 444 BGB nicht auf den kaufvertraglich vereinbarten Ausschluss der Sachmängelhaftung berufen. Die Kaufverträge, die zwischen den Zeuginnen D… und Dr. L… am 21.02.2019 sowie zwischen Letzterer und dem Beklagten am 22.03.2019 geschlossen worden seien, verdeutlichten, dass ein Unfallschaden an der Frontseite links gegeben und die linke Tür nachlackiert worden sei. Hiervon habe der Beklagte Kenntnis gehabt. Dies ergebe sich bereits daraus, dass in der dem Vertrag vom 21.02.2019 zu Grunde liegenden Vertragsurkunde, welche der Beklagte entworfen habe, ein Unfallschaden an der Frontseite links und eine Nachlackierung der Tür aufgeführt werden. Indem der Beklagte diesen Umstand nicht in die dem Vertrag vom 18.05.2019 zu Grunde liegende Urkunde übernommen, sondern gegenüber der Klägerin lediglich eine mögliche Nachlackierung und altersentsprechende Gebrauchsspuren erwähnt habe, habe er den Unfallschaden durch Zurückhaltung seines Wissens verharmlost und damit die ihn treffende Pflicht verletzt, die Klägerin über den Schaden zu informieren. Diese Verharmlosung des Unfallschadens stelle eine arglistige Täuschung dar, aufgrund derer die Klägerin nach § 437 Nr. 2 BGB zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt gewesen sei.

Gegen das Urteil, auf das wegen der weiteren Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen und der tragenden Gründe Bezug genommen wird, wendet sich der Beklagte mit einer Berufung.

Er habe nicht über das Vorhandensein von Nachlackierungen getäuscht. Da derartige Reparaturen bei einem Gebrauchtfahrzeug keinen Sachmangel begründeten, habe ihn insofern keine Aufklärungspflicht getroffen, sodass die Angabe im Kaufvertrag, wonach das Vorhandensein von Nachlackierungen als (lediglich) möglich bezeichnet worden sei, jedenfalls keine Pflichtverletzung darstelle. Davon abgesehen habe der Beklagte – wie der Zeuge K… bestätigt habe – in den Vertragsverhandlungen ausdrücklich auf das Vorhandensein von Nachlackierungen hingewiesen, sodass ungeachtet der Formulierung in dem Vertrag bei der Klägerin keine diesbezügliche Fehlvorstellung entstanden sein könne.

Der dem angefochtenen Urteil zu Grunde liegenden Annahme, der Beklagte hätte einen Unfallschaden verharmlost bzw. verschwiegen, ermangele es bereits an einer tragfähigen Feststellung zum Vorhandensein eines Unfallschadens. Erst recht habe daher auf Grundlage der getroffenen Feststellungen eine Kenntnis des Beklagten von einem Unfallschaden nicht angenommen werden dürfen. Auch im Übrigen sei die gegenteilige Feststellung des Landgerichts zu beanstanden. Die Aussage der Zeugin D… erweise sich insofern als unergiebig, zumal der Beklagte seine Kenntnis von der Nachlackierung ihr gegenüber lediglich dazu genutzt gehabt habe, den Ankaufpreis „ein wenig abzusenken“. Die Richtigkeit der Reparaturhistorie sei streitig. Der Kaufvertragsurkunde vom 21.02.2019 sei lediglich zu entnehmen, dass die Frontseite Links und die Tür Links nachlackiert worden seien. Davon abgesehen habe die Beweisaufnahme nicht ergeben, dass der Beklagte Kenntnis von der Reparaturhistorie gehabt oder der Begutachtung des Fahrzeugs durch den Sachverständigen beigewohnt habe, sodass insofern nicht zu Gunsten der beweisbelasteten Klägerin davon ausgegangen werden könne, dass der Beklagte über Informationen verfügt habe, die über die Gebrauchtfahrzeugbewertung hinausgegangen seien.

Der Beklagte macht ferner geltend, dass die Klage im Falle der Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen der Nutzung des Fahrzeugs, dessen Gesamtlaufleistung – was unstreitig ist – 105.708 km betrage, jedenfalls in Höhe von 908,64 € abzuweisen sei.

Der Beklagte beantragt, die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Potsdam vom 04.06.2021, Az. 8 O 54/20, abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil mit näherer Darlegung. Ein Anspruch auf Nutzungsersatz sei nicht schlüssig dargelegt und könne davon abgesehen – ausgehend von einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km – allenfalls in Höhe von 479,64 € bestehen. Diesem Anspruch seien im Übrigen Aufwendungen der Klägerin in Höhe von 619,57 € gegenzurechnen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie der überreichten Unterlagen, im Übrigen auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die statthafte Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, hat in der Sache aber nur zu einem geringen Teil Erfolg.

1.

Der Klägerin steht nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 i.V.m. § 123 Abs. 1, § 142 Abs. 1 BGB – Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Kfz – ein Anspruch auf Zahlung von (noch) 5.194,61 € zu.

a)

Die von der Klägerin unstreitig auf der Grundlage des Vertrages vom 18.05.2019 an den Beklagten geleistete Kaufpreiszahlung ist im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB ohne Rechtsgrund erfolgt, weil die Klägerin ihre Vertragserklärung wirksam angefochten hat, sodass das Rechtsgeschäft gemäß § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen ist.

Die Klägerin war nach § 123 Abs. 1 BGB zur Anfechtung ihrer auf den Abschluss des Kaufvertrages gerichteten Vertragserklärung berechtigt, da sie vom Beklagten zur Abgabe dieser Erklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist.

Das durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen nach § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 241 Abs. 2 BGB entstehende Schuldverhältnis begründet zwar keine uneingeschränkte Pflicht, die andere Partei über alle für deren Vertragserklärung möglicherweise relevanten Umstände aufzuklären; Fragen der anderen Partei sind aber – zumindest wenn deren Beantwortung nicht eindeutig abgelehnt wird bzw. die Verweigerung der Antwort ein Frageverbot faktisch vereiteln würde – vollständig und richtig zu beantworten (st. Rspr., s. bereits RG, Urteil vom 18.10.1917 – VI 255/17 – RGZ 91, 80; BGH, Urteil vom 27.03.2009 – V ZR 30/08 – BGHZ 180, 205). Bei Verhandlungen über den Kauf eines (gebrauchten) Kfz ist daher jedenfalls auf eine Frage des Kaufinteressenten nach Unfallschäden vom anderen Teil vollständig Aufklärung zu geben (statt vieler Arnold, in: BeckOGK, Stand: 01.09.2021, § 438 BGB Rn. 192 m.w.N.). Diese Aufklärungspflicht besteht nicht nur für dem (späteren) Verkäufer positiv bekannte Unfallschäden, sondern ebenso für das Vorhandensein eines bloßen Unfallverdachts. Denn ein Kfz wird bereits bei einem Unfallverdacht – solange dieser nicht ausgeräumt wird – auf dem Markt mit einem geringeren Wert gehandelt. Jedenfalls mit der ausdrücklichen Frage nach Vorschäden gibt der Kaufinteressent daher unzweideutig zu erkennen, eine Aufklärung auch über diesbezügliche Verdachtsmomente zu erlangen, um diese die Wertbildung mitbestimmende Eigenschaft des Fahrzeugs in seine Kaufentscheidung einbeziehen zu können. Ein Verkäufer, der auf Grund konkreter Anhaltspunkte einen Unfallverdacht hegt, handelt daher arglistig, wenn er seinen Verdacht gegenüber dem Kaufinteressenten verschweigt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.10.2010 − 4 U 71/09 – NJW-RR 2011, 1070 m.w.N.). So liegt es im Streitfall.

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In der hier in Rede stehenden Gebrauchtfahrzeugbewertung heißt es, dass das Fahrzeug nicht unfallfrei sei, sondern einen reparierten Unfallschaden aufweise. Diese Aussage wird durch die weiteren in dem Schreiben diesbezüglich getätigten Angaben zwar nicht zweifelsfrei belegt, sondern lediglich auf Indizien, nämlich die Nachlackierung bestimmter Bauteile gestützt. Gleichwohl genügt diese Bewertung, einen konkreten Anhaltspunkt für einen Unfallverdacht zu begründen. Denn auch wenn die Nachlackierungen andere Ursachen haben können, ist die Möglichkeit eines Unfallschadens schon nach allgemeiner Lebenserfahrung zumindest sehr nahe liegend. Hierfür spricht zudem, dass auch der Ersteller der Gebrauchtfahrzeugbewertung offenbar allein aus den Nachlackierungen auf einen Unfallschaden geschlossen hat.

Diese Umstände waren dem Beklagten bei Abschluss des Kaufvertrages bekannt. Er hatte die Gebrauchtfahrzeugbewertung anlässlich des Verkaufsbegehrens der Zeugin D… selbst in Auftrag gegeben und das Ergebnis dieser Bewertung, das als Anlage K3 zur Akte gereichte Schreiben, zur Kenntnis genommen. Ihm war daher bekannt, dass das Fahrzeug in bestimmten Bereichen nachlackiert worden ist, und dass nach Einschätzung des Verfassers der Gebrauchtfahrzeugbewertung deshalb vom Vorliegen eines Unfallschadens auszugehen ist. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat er sich diese Einschätzung zudem gegenüber der Zeugin D… zu Eigen gemacht. Denn das Landgericht hat es im Ergebnis der Vernehmung der Zeugin D… für erwiesen erachtet, dass der Beklagte ihr gegenüber geäußert habe, bei dem Fahrzeug läge ein Unfallschaden vor. Die dieser Feststellung zu Grunde liegende Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. Der diesbezüglich von der Berufungsbegründung erhobene Einwand, die Zeugin hätte keine Aussage des Beklagten bekundet, wonach der Unfallschaden zur Nachlackierung der Tür geführt hätte, erweist sich als unerheblich.

Indem der Beklagte trotz Kenntnis von dieser Verdachtslage zumindest auf die Frage des Zeugen K… nach der Unfallfreiheit des Fahrzeugs – wie erstinstanzlich zuletzt unstreitig war – antwortete, dass das Fahrzeug einen Unfallschaden nicht erlitten hätte, hat er die Klägerin getäuscht. Auch ist anzunehmen, dass diese Täuschung für den Abschluss des Kaufvertrags ursächlich geworden ist. Hierfür spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins. Denn nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Klägerin den Vertrag bei Kenntnis des Unfallverdachts nicht, zumindest nicht zu den gleichen Bedingungen abgeschlossen hätte (vgl. Ellenberger, in: Palandt, BGB, 80. Auflage 2021, § 123 Rn. 24 m.w.N.).

Eine andere Würdigung ist entgegen dem Berufungsvorbringen nicht deshalb geboten, weil die Klägerin bzw. der Zeuge K…, der gewerblich Autostyling betreibt und die Klägerin bei der Kaufvertragsverhandlung mit dem Kläger und der Besichtigung des Fahrzeugs begleitet hatte, selbst aus dem Vorhandensein der Nachlackierung auf die Möglichkeit eines Unfallschadens hätten schließen können. Denn da – wie auch von der Berufung hervorgehoben wird – Nachlackierungen nicht notwendig auf einen Unfallschaden schließen lassen, sondern ebenso auf anderen Ursachen beruhen können, kam dem Umstand, dass vorliegend eine sachverständige Einschätzung vorlag, nach der ein Unfallschaden gegeben war, ein für die Bewertung des Fahrzeugs besonderes Gewicht zu. Aufgrund der fachlichen Autorität, die einer solchen Einschätzung im Allgemeinen beigemessen wird, war danach nämlich zumindest mit erhöhter Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen eines Unfallschadens auszugehen.

Schließlich fällt dem Beklagten auch Arglist im Sinne von § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB zur Last. Er hat zumindest die Möglichkeit erkannt und billigend in Kauf genommen, dass er bei der Klägerin, indem er sie lediglich über (mögliche) Nachlackierungen informierte statt über den in der Gebrauchtfahrzeugbewertung geäußerten Unfallverdacht, insofern einen Irrtum erregte, und dass die Klägerin, die durch die Nachfrage nach der Unfallfreiheit besonderes Interesse an dieser Eigenschaft des Fahrzeugs zu erkennen gegeben hat, aufgrund dieses Irrtums eine Vertragserklärung abgibt, die sie anderenfalls nicht abgegeben hätte. Dafür, dass der Beklagte insofern einem Rechtsirrtum unterlag, ist nichts ersichtlich. Dass der Beklagte nach seinen Bekundungen im Senatstermin am 04.11.2021 gelernter Automobilkaufmann ist und jedenfalls bis … 2019 als Autoverkäufer tätig war, lässt vielmehr auf überdurchschnittliche Kenntnisse der Rechtspflichten eines Kraftfahrzeugverkäufers schließen.

Die weiteren Anfechtungsvoraussetzungen sind ebenfalls gegeben. Insbesondere hat die Klägerin die Anfechtung ihrer Vertragserklärung vom 18.05.2019 mit dem Anwaltsschriftsatz vom 03.06.2019 gemäß § 143 Abs. 1 BGB und innerhalb der Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB erklärt. Die von der Berufung zuletzt aufgeworfene Frage, ob die Klägerin noch Eigentümerin des Pkws ist, ist für die Anfechtungsvoraussetzungen unerheblich und kann daher hier dahingestellt bleiben.

b)

Der mithin nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB in Höhe von 5.800 € begründet gewesene Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung des Kaufpreises ist allerdings teilweise, nämlich in Höhe von 605,39 €, nach § 389 BGB erloschen.

Dem Beklagten stand gegen die Klägerin nach § 818 Abs. 1, 2 BGB ein Anspruch auf Zahlung von Wertersatz für von der Klägerin gezogene Nutzungen zu. Der Wert dieser Nutzungen ist nach Auffassung des Senats gemäß § 287 ZPO zu schätzen, indem der von der Klägerin gezahlte Kaufpreis für das Fahrzeug durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt geteilt und dieser Wert mit den gefahrenen Kilometern multipliziert wird (vgl. etwa BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19 – NJW 2020, 2796). Für die Bestimmung der bei Vertragsabschluss voraussichtlichen Restlaufleistung des Fahrzeugs geht der Senat wiederum nach § 287 ZPO aufgrund einer Gesamtbetrachtung der für die Funktionsfähigkeit eines Fahrzeugs maßgebenden Kriterien von einer seinerzeit absehbaren Gesamtlaufleistung von 250.000 km aus. Die bei Vertragsschluss voraussichtliche Restlaufleistung belief sich demnach auf 161.108 km. Denn erstinstanzlich war unstreitig, dass das Fahrzeug bei Übergabe an die Klägerin eine Gesamtfahrleistung von 88.892 km aufwies und die hiervon abweichende Angabe in der Kaufvertragsurkunde vom 18.05.2019 auf einem Schreibversehen beruhte. Unstreitig ist ferner, dass die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs aktuell 105.708 km beträgt, sodass von einer während der Besitzzeit der Klägerin zurückgelegten Fahrstrecke von 16.816 km auszugehen ist. Der Beklagte konnte demnach ein Nutzungswertersatz in Höhe von 605,39 € (= 5.800 €/ 161.108 km × 16.816 km) beanspruchen.

Mit diesem Nutzungswertersatzanspruch hat der Beklagte hilfsweise, nämlich für den Fall der Rückabwicklung des Kaufvertrages, die Aufrechnung erklärt. Dieses Verständnis ergibt sich aus der gebotenen Auslegung des Beklagtenvorbringens, mit welchem unter Geltendmachung des Anspruchs für den genannten Fall die teilweise Abweisung der Zahlungsklage begehrt worden ist. Die Aufrechnungserklärung ist auch nach § 533 ZPO zulässig. Denn die Aufrechnung ist zur Vermeidung eines Rechtsstreits um den Wertersatzanspruch des Klägers sachdienlich; über die Aufrechnungsforderung kann aus den vorstehend dargelegten Erwägungen aufgrund der unstreitigen Tatsachen entschieden werden. Von daher vermag der Senat auch nicht der Auffassung der Klägerin beizutreten, wonach der Nutzungswertersatzanspruch nicht schlüssig dargelegt sei.

c)

Im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu berücksichtigen ist hingegen die erstmals im nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin vom 18.11.2021 erhobene Forderung nach Zahlung eines Wertersatzes für Aufwendungen in Höhe von 619,57 € gemäß der Rechnung des Autohauses … OHG vom 19.07.2019 (Anlage BK3), die die Klägerin dem Nutzungswertersatzanspruch „gegenzurechnen“ können meint. Denn eine Gegenaufrechnung kommt insofern nicht in Betracht, weil die zuvor erklärte Aufrechnung des Beklagten, auch wenn diese hilfsweise erfolgte, bei dem hier gegebenen Bedingungseintritt nach § 389 BGB zurück wirkt, sodass die Gegenaufrechnung ins Leere geht (vgl. KG, Urteil vom 16.02.2006 – 8 U 131/05 – BeckRS 2006, 3626 m.w.N.). Auch lässt sich dieser Erklärung bei der gebotenen Auslegung keine Erweiterung der Klage entnehmen, weil eine solche Klageerweiterung in der hier gegebenen Fallgestaltung mangels Einlegung einer Anschlussberufung unzulässig wäre (vgl. BGH, Urteil vom 07.05.2015 – VII ZR 145/12 – NJW 2015, 2812).

2.

Da der Kaufvertrag vom 18.05.2019 aufgrund der mithin wirksamen Anfechtung nach § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen ist, kommen kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche, von deren Bestehen das Landgericht ausgegangen ist, nicht mehr zum Tragen.

3.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 711, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben. Die Festsetzung des Streitwerts für die Berufungsinstanz folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 48 Abs. 1 Satz 1, § 45 Abs. 3 GKG, § 3 ZPO.

 

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