Beweislast und Rücktritt: Ein tiefgehender Blick in die Rückabwicklung von Fahrzeugkaufverträgen
Der Streitpunkt in diesem Fall dreht sich um die Rückabwicklung eines Kaufvertrages für ein Fahrzeug, genauer gesagt einen Ford Edge Vignale. Die Klägerin, die das Auto über einen Leasingvertrag erworben hatte, behauptet, dass das Fahrzeug Mängel in der Beschleunigung und im adaptiven Fernlicht aufwies. Nach mehreren erfolglosen Reparaturversuchen durch die Beklagte, versuchte die Klägerin, vom Kaufvertrag zurückzutreten und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises. Das Hauptproblem in diesem Fall ist die Frage, wer die Beweislast für das Vorliegen der behaupteten Mängel trägt und ob die Bedingungen für einen wirksamen Rücktritt vom Kaufvertrag erfüllt sind.
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Übersicht:
Die Klägerin und ihre Argumentation
Die Klägerin argumentierte, dass die Mängel bereits bei der Übergabe des Fahrzeugs vorhanden waren. Sie behauptete, dass die Reparaturversuche der Beklagten fehlgeschlagen seien und setzte eine Frist für die Nachbesserung. Als diese Frist verstrich, erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Rückzahlung des Kaufpreises. Sie berief sich auch darauf, dass die Verjährungsfrist für Sachmängelgewährleistungsansprüche durch die Reparaturversuche gehemmt worden sei.
Die Beklagte und ihre Verteidigung
Die Beklagte wies die Vorwürfe zurück und argumentierte, dass das Fahrzeug bei der Übergabe mangelfrei gewesen sei. Sie stellte die Behauptung auf, dass die Mängel technisch nicht bei der Übergabe vorhanden sein konnten. Darüber hinaus berief sich die Beklagte auf die Einrede der Verjährung und argumentierte, dass die gesetzlichen Sachmängelgewährleistungsansprüche verjährt seien.
Sachverständigengutachten und Beweislast
Ein Sachverständiger wurde hinzugezogen, um das Fahrzeug zu überprüfen. Obwohl er einige der behaupteten Mängel nicht bestätigen konnte, konnte er auch nicht definitiv sagen, dass diese Mängel bei der Übergabe nicht vorhanden waren. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Klägerin die Beweislast für das Vorliegen der Mängel bei der Übergabe trägt, und dass sie diese Beweislast nicht erfüllt hat.
Das Urteil und seine Implikationen
Das Gericht wies die Klage ab und entschied, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises hat. Der Rücktritt vom Kaufvertrag wurde als nicht wirksam erachtet. Das Urteil unterstreicht die Bedeutung der Beweislast in Fällen, die die Rückabwicklung von Kaufverträgen betreffen, insbesondere wenn es um technisch komplexe Produkte wie Fahrzeuge geht.
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Beweislast bei Fahrzeugmängeln im Kaufvertrag – kurz erklärt
Bei Fahrzeugmängeln im Kaufvertrag ist die Beweislast in Deutschland grundsätzlich geregelt durch die gesetzliche Gewährleistung. Innerhalb der ersten 12 Monate nach dem Kauf liegt die Beweislast beim Verkäufer. Das bedeutet, sollte in diesem Zeitraum ein Mangel am Fahrzeug auftreten, wird gesetzlich vermutet, dass dieser Mangel bereits zum Zeitpunkt der Übergabe vorhanden war. Der Verkäufer muss in diesem Fall beweisen, dass das Fahrzeug bei Übergabe mängelfrei war.
Nach Ablauf der ersten 12 Monate kehrt sich die Beweislast um. Ab diesem Zeitpunkt muss der Käufer nachweisen, dass der Mangel bereits bei der Übergabe des Fahrzeugs vorhanden war. Diese Regelung gilt für den Handel zwischen Unternehmen und Verbrauchern. Im B2B- oder C2C-Handel muss der Käufer von Anfang an den Nachweis erbringen, dass ein Mangel bei der Übergabe vorlag.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Beweislastregelungen im Rahmen der gesetzlichen Gewährleistung gelten und nicht für zusätzliche Garantien, die der Verkäufer eventuell anbietet. Garantien sind freiwillige Leistungen des Verkäufers und haben eigene Bedingungen.
Die Beweislastumkehr nach § 477 BGB gilt grundsätzlich auch beim Kauf eines älteren Gebrauchtwagens. Das heißt, auch hier muss der Verkäufer im ersten Jahr nach dem Kauf beweisen, dass das Fahrzeug bei Übergabe mängelfrei war, sofern ein Mangel auftritt. Siehe auch: Gewährleistung und Sachmängelhaftung beim Autokauf.
Das vorliegende Urteil
LG München I – Az.: 23 O 5773/19 – Endurteil vom 19.01.2021
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 46.347,05 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Fahrzeug.
Die … (später firmierend unter … die Leasinggeberin) erwarb von der Beklagten den Pkw Ford Edge Vignale für 46.347,05 €. Die Leasinggeberin schloss am 17.12.2016 mit der Klägerin einen Leasingvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug ab. In Ziff. XIII. 1. der Leasingbedingungen trat sie sämtliche Rechte und Ansprüche aus dem Kaufvertrag mit dem ausliefernden Händler, also der Beklagten, wegen Sachmängeln an die Klägerin ab.
Der Geschäftsführer der Klägerin, … nutze das Fahrzeug seit der Auslieferung am 12.09.2017 circa ein ¾ Jahr mit einer Laufleistung von ungefähr 30.000 km. Im Juni 2018 zeigte das Fahrzeug wiederholt eine Fehlermeldung im Zusammenhang mit dem adaptiven Fernlicht an. Des Weiteren war die Beschleunigung, insbesondere zwischen 50 und 80 km/h nicht gleichmäßig, sondern ruckartig, schlagend und vibrierend. Diese Mängel monierte … am 30.07.2018 bei der Beklagten. Die Beklagte führte im August 2018 zwei vergebliche Reparaturversuche aus.
Während einer nächtlichen Fahrt am 25.09.2018 schwenkten die Scheinwerfer des Fernlichts ohne Vorwarnung so nach unten, dass nur noch circa 5 Meter vor dem Auto ausgeleuchtet wurden. … konnte die Funktion des Fernlichts nicht wiederherstellen und fuhr in Schrittgeschwindigkeit und mit Warnblinklicht weiter. Das Autohaus … in … unternahm einen weiterer vergeblichen Reparaturversuch des adaptiven Fernlichtes am 26.09.2018.
Mit Schreiben vom 22.10.2018 setzte die Klägerin der Beklagte eine Nachbesserungsfrist bis zum 06.11.2018 und kündigte an „Sollte bis zu diesem Datum das Fahrzeug nicht wieder in einem vertragsgemäßen Zustand sein, trete ich vom Kaufvertrag zurück und kündige mit diesem Schreiben obigen Leasingvertrag …“.
Am 05.11.2018 brachte … das streitgegenständliche Fahrzeug zur Reparatur in die Werkstatt der Beklagten. Im Januar 2019 teilte die Beklagte ihm mit, dass die Reparatur aufgrund eines fehlenden Ersatzteiles frühestens Ende Januar, eher aber später, erfolgen könne.
Mit Schreiben vom 18.01.2019 an die Beklagte bestätigte die Klägerin ihre Kündigung vom 22.10.2018.
Die Klägerin verlangt nach Rücktritt vom Kaufvertrag im Rahmen der Rückabwicklung des Kaufvertrages aus abgetretenem Recht die Zahlung des Kaufpreises an die Verkäuferin.
Sie trägt vor, dass das Fahrzeug bezüglich der Beschleunigung sowie des adaptiven Fernlichts bei Gefahrübergang mangelhaft gewesen sei.
Sie habe mit Schreiben vom 22.10.2018 wirksam den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Der Rücktritt sei aufschiebend bedingt gewesen für den Fall, dass das Fahrzeug nicht innerhalb der auf den 06.11.2018 gesetzten Frist repariert sei. Jedenfalls sei ihr Schreiben vom 18.01.2019 als Rücktrittserklärung zu werten.
Der Sachmängelgewährleistungsanspruch sei zum Zeitpunkt des Rücktritts nicht verjährt, die Verjährungsfrist sei wegen der Reparaturversuche durch Verhandlungen gehemmt gewesen.
Die Klägerin beantragt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die … 46.437,05 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung abzüglich der vom 12.09.2017 bis zum 21.10.2018 entstandenen Gebrauchsvorteile in Höhe von 5.584,82 € sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.531,90€ zu bezahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass die Erklärungen der Klägerin vom 22.10.2018 sowie hilfsweise vom 18.01.2019 gegenüber der Beklagten eine wirksame und berechtigte Rücktrittserklärung darstellen, durch die der Kaufvertrag über den Pkw Ford Edge Vignale, Fahrzeug-IDNr. … zwischen der Beklagten und der … aufgehoben ist.
Die Beklagte beantragt: die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet, dass das streitgegenständliche Fahrzeug bei Gefahrübergang mangelhaft gewesen sei. Da die Klägerin ca. ein ¾ Jahr eine Strecke von 30.000 km zurückgelegt habe, ohne dass Probleme auftraten, sei das Fahrzeug im Zeitpunkt des Gefahrübergangs mangelfrei gewesen sei. Aus technischer Sicht sei es ausgeschlossen, dass die gerügten Mängel bei Gefahrübergang vorhanden bzw. angelegt waren.
Die Voraussetzungen für einen Rücktritt seien nicht gegeben. Die Reparaturleistungen seien aufgrund einer bestehenden zweijährigen Fahrzeuggarantie durchgeführt worden, daher fehle es an einem Nachbesserungsversuch.
Die Beklagte beruft sich auf die Einrede der Verjährung. Sie ist der Ansicht, dass die gesetzlichen Sachmängelgewährleistungsansprüche aufgrund ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen binnen eines Jahres ab der Übergabe des Fahrzeuges am 12.09.2017, somit seit dem 12.09.2018 verjährt seien.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschrift vom 22.10.2019.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing (FH) … vom 18.08.2020 sowie auf seine schriftliche Stellungnahme vom 09.11.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufvertrages an die Leasinggeberin. Der Rücktritt von dem Kaufvertrag ist nicht wirksam.
1. Die Klägerin ist aufgrund der Abtretung in den Leasingbedingungen berechtigt, Gewährleistungsrechte wegen Sachmängeln aus dem Kaufvertrag zwischen der Käuferin und Leasinggeberin und der Beklagten geltend zu machen.
2. Der von der Klägerin erklärte Rücktritt vom Kaufvertrag ist jedoch nicht wirksam. Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass die Voraussetzungen für einen Rücktritt wegen Sachmängeln vorliegen.
Ist eine Sache mangelhaft, kann der Käufer nach § 437 Nr. 2 BGB vom Vertrag zurücktreten. Nach § 346 Abs. 1 BGB sind im Falle eines wirksamen Rücktritts die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren und gezogene Nutzungen herauszugeben. Nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn sie eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die ein Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen des Sachmangels ist der Gefahrübergang, das ist in der Regel die Übergabe der Sache (Weidenkaff, in Palandt, 80. Auflage 2021, § 434, Anm. 8).
Die Klägerin trägt die Beweislast, dass das Fahrzeug wegen einer ruckelnden Beschleunigung und wegen einem defekten adaptiven Fernlicht nicht zur gewöhnlichen Verwendung geeignet ist, und dass diese Mängel bei Gefahrübergang, d.h. spätestens bei der Auslieferung an sie, vorlagen. Diesen Nachweis hat sie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung des Gerichts erbracht.
Der Sachverständige Dipl.-Ing (FH) … hat das Fahrzeug untersucht und in dem Zeitraum vom 03.08.2020 bis zum 06.08.2020 tagsüber, bei Dunkelheit, im innerstädtischen Bereich sowie auf Bundesstraßen und Autobahnen umfangreiche Testfahrten durchgeführt.
Bei diesen Testfahrten konnte der Sachverständige die von der Klägerin monierten ruckartigen und mit Vibrationen verbundenen Beschleunigung nicht feststellen. Er konnte auch nicht beurteilen, ob die Ursache für die von der Klägerin im Juli 2018 erstmals gegenüber der Beklagten gerügte ruckartig und mit Vibrationen verbundene Beschleunigung bereits bei der Übergabe des Fahrzeuges am 12.09.2017 angelegt war. Auch nach Auswertung der Diagnoseprotokolle konnte er keine Aussage machen, ob diese Beanstandung des Klägers bereits bei der Übergabe in dem Fahrzeug angelegt war.
Bei den Testfahrten funktionierten das adaptiven Fernlicht und der Fernlichtassistent ordnungsgemäß. Der Sachverständige konnte auch nach Auswertung der Diagnoseprotokolle nicht bestätigen, dass der Ausfall des adaptiven Fernlichts im September 2018 bereits bei der Übergabe in dem Fahrzeug angelegt war.
Ebenso wenig konnte er bestätigen, dass ein sonstiger Defekt der Lichtanlage bereits bei der Übergabe in dem Fahrzeug angelegt war.
Zwar erschien bei den Testfahrten viermal die Fehlermeldung „Adapt. Scheinw. überprüfen siehe Handbuch“. Diese Meldung konnte jedoch immer mit der Taste „o. k.“ quittiert werden, wonach das adaptiven Lichtsystem jeweils störungsfrei funktionierte.
Nach dem Abschluss der Probefahrten konnte der Sachverständige bei dem Auslesen des Fehlerspeichers zwar einen Fehler im Steuergerät des rechten Scheinwerfers auslesen. Er führt die Fehlermeldungen während der Testfahrten auf diesen Defekt zurück. Dass dieser Defekt bereits bei der Übergabe des Fahrzeuges angelegt war, konnte er jedoch wiederum nicht bestätigen.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 91 Abs. 1 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 S. 1 ZPO.