LG Frankfurt – Az.: 2-24 S 195/18 – Urteil vom 21.02.2019
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 19. Juni 2018, Aktenzeichen 32 C 14/18 (22), teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 600 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.10.2017 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 600 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.10.2017 zu zahlen.
Das Amtsgericht hat der Klage in dem angefochtenen Urteil teilweise stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 400 Euro an die Klägerin zuzüglich Zinsen verurteilt. Ein Anspruch auf Zahlung von weiteren 200 Euro bestehe hingegen nicht, weil die maßgebliche Entfernung zwischen Lissabon und Frankfurt am Main nur zu einer Ausgleichshöhe gemäß Art. 7 I 1 lit. b) Fluggastrechte-VO führe.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.
Die Klägerin meint im Wesentlichen, dass für die Höhe der Ausgleichszahlung auf die Entfernung zwischen Miami und Frankfurt am Main abzustellen sei, weil die Beförderung zwischen diesen Orten letztlich Gegenstand einer einheitlichen Flugbuchung gewesen sei. Dies rechtfertige einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 I lit. c) Fluggastrechte-VO in Höhe von 600 Euro.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt vom 18. Juni 2018, Az. 32 C 14/18, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 600 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.10.2017 zu zahlen.
Das Gericht hat den Parteien mit Beschluss vom 5. Dezember 2018 (Bl. 74 d.A.) Gelegenheit zum abschließenden schriftsätzlichen Vortrag bis zum 1. Februar 2019 gegeben.
II.
Das Gericht konnte auf Grundlage des Art. 5 I Small Claims-VO nach einem schriftlich durchgeführten Berufungsverfahren entscheiden, in dessen Rahmen das Gericht den Parteien auf Grund des Beschlusses vom 5. Dezember 2018 Gelegenheit zum schriftsätzlichen Vortrag gegeben hat. Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen wird nämlich nach Art. 5 I Small Claims-VO schriftlich durchgeführt. Diese Vorschrift sieht dabei nach ihrem insoweit eindeutigen Wortlaut keine Einschränkung vor, wonach nur ein erstinstanzliches, nicht aber auch ein zweitinstanzliches, ebenfalls der Small Claims-VO unterliegendes Verfahren schriftlich durchzuführen wäre. Eine solche Einschränkung ist auch nach dem Regelungszweck der Small Claims-VO im Allgemeinen und Art. 5 I Small Claims-VO im Besonderen nicht gerechtfertigt. Es soll nämlich durch ein schriftlich durchgeführtes Verfahren ein Zeit- und Kostenaufwand vermieden werden, der die grenzüberschreitende Rechtsverfolgung über eine Bagatellforderung prohibitiv verteuern könnte (Hau, Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2017, EG-BagatellVO Art. 5 Rn. 1). Dies muss auch für die Rechtsmittelinstanzen innerhalb der nationalen Verfahrensordnungen gelten.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Denn die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung eines Ausgleichsbetrages in Höhe von 600 Euro nach Art. 7 I 1 lit. c) Fluggastrechte-VO.
Eine nach der Fluggastrechte-VO zur Ausgleichsleistung verpflichtende Leistungsstörung liegt vor, weil die Beklagte die Klägerin mit einer großen Ankunftsverspätung zu ihrem Endziel nach Frankfurt am Main beförderte (vgl. zur Ausgleichsleistung in solchen Fällen EuGH, Urteil vom 19. November 2009 in den verbundenen Rs. Sturgeon/Condor und Böck und Lepuschitz/Air France, NJW 2010, 43).
Die Höhe der Ausgleichsleistung bestimmt sich nach Art. 7 I 1 lit. c) Fluggastrechte-VO.
Diese Vorschrift sieht einen Ausgleichsbetrag von 600 Euro für Flüge vor, die nicht unter Art. 7 I 1 lit. a) und b) Fluggastrechte-VO fallen.
Um einen solchen Fall des Art. 7 I 1 lit. a) oder b) Fluggastrechte-VO geht es hier nicht.
Denn Art. 7 I 1 lit. a) Fluggastrechte-VO stellt auf eine Entfernung von 1.500 km oder weniger ab, Art. 7 I 1 lit. b) Fluggastrechte-VO auf innergemeinschaftliche Flüge über eine Entfernung von mehr als 1.500 km und auf alle anderen Flüge über eine Entfernung zwischen 1.500 km und 3.500 km. Hier geht es aber um einen Flug zwischen Miami und Frankfurt am Main, somit um einen nicht innergemeinschaftlichen Flug mit einer Entfernung über 3.500 km.
Für die Berechnung der Höhe der Ausgleichsleistung war auf die Entfernung zwischen Miami und Frankfurt am Main abzustellen, weil die Klägerin bei der Beklagten eine einheitliche Flugreise von Miami nach Frankfurt am Main buchte. Unerheblich ist es dabei, dass die Flugreise einen Zwischenstopp in Lissabon vorsah und die Beklagte den Zubringerflug von Miami nach Lissabon ordnungsgemäß ausführte, die streitgegenständliche große Ankunftsverspätung sich mithin erst durch den nicht ordnungsgemäß ausgeführten Anschlussflug von Lissabon nach Frankfurt am Main ergab.
Denn der Europäische Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Art. 7 I Fluggastrechte-VO dahin auszulegen ist, dass der Begriff „Entfernung“ im Fall von Flugverbindungen mit Anschlussflügen die Entfernung zwischen dem Ort des ersten Abflugs und dem Endziel umfasst, die nach der Großkreismethode zu ermitteln ist, unabhängig von der tatsächlich zurückgelegten Flugstrecke (EuGH, Urteil vom 7. September 2017, C-559/16 (Bossen u.a./Brussels Airlines SA/NV)). Tragendes Argument für den Europäischen Gerichtshof war hierbei, dass die Unannehmlichkeiten, die der Ausgleichsanspruch kompensieren will, jedenfalls bei einer einheitlich gebuchten Flugreise nicht davon abhängen, ob ein Fluggast eine Direkt- oder eine Anschlussverbindung gebucht hat.
Auf dieser Grundlage ist auch festzustellen, dass es zur Bestimmung der Anspruchshöhe des Ausgleichsanspruchs keine Rolle spielen kann, ob bei einem zusammengesetzten Flug eine zur Ausgleichszahlung verpflichtende große Ankunftsverspätung durch den Zubringer- oder den Anschlussflug veranlasst wird (vgl. ebenso Maruhn, in: BeckOK Fluggastrechte-Verordnung, 9. Aufl. 2019, Art. 7 Rn. 13d; Möllring, NJW 2019, 6 (8); zur erforderlichen Gesamtbetrachtung bei zusammengesetzten Flügen auch BGH, Urteil vom 7. Mai 2013, X ZR 127/11). Nach den Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs in seinem Urteil vom 7. September 2017 ist auch in solchen Fällen auf die Entfernung zwischen dem Ort des ersten Abflugs (hier Miami) und dem Endziel (hier Frankfurt am Main) abzustellen. Denn eine andere Beurteilung, die bei Auftreten einer Leistungsstörung nur im Zusammenhang mit dem Anschlussflug auf die Entfernung zwischen dem Abflugort des Anschlussfluges und dem Endziel abstellen würde, würde zu einer nicht sachgerechten Ungleichbehandlung von Fluggästen mit und Fluggästen ohne Direktverbindung führen. Eine solche Ungleichbehandlung ist aber nach den insoweit eindeutigen Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs in seinem Urteil vom 7. September 2017 nicht gerechtfertigt, wenn – wie hier – ein Fluggast eine einheitliche Flugreise bucht. Eine solche Ungleichbehandlung würde sich aber einstellen, wenn man bei einem zusammengesetzten Flug nur auf die Entfernung abstellen würde, die zwischen dem Abflugort des Anschlussfluges und dem Endziel besteht.
Die vorstehende Sichtweise wird auch durch dadurch bestätigt, dass die Fluggastrechte-VO ein hohes Schutzniveau für Fluggäste verwirklichen (vgl. nur Erwägungsgrund 1 dieser Verordnung) soll. Auch zu diesem Zweck soll der Ausgleichsanspruch in erster Linie Ärgernisse und Unannehmlichkeiten infolge von Zeitverlusten und hierdurch eingetretene Schäden in pauschalierter Weise reduzieren, die eine bestimmte, von der Verordnung erfasste Leistungsstörung begründet (vgl. etwa mit entsprechenden Nachweisen Keller, in: Staudinger/Keller, 2016, Art. 7 Rn. 13; Maruhn, in: BeckOK Fluggastrechte-Verordnung, 8. Edition 2018, Art. 7 Rn. 7). Aus der vor diesem Hintergrund maßgebenden Sicht des Fluggastes, der eine einheitliche Beförderung zwischen zwei Orten bucht, spielt es für das Ausmaß solcher Ärgernisse und Unannehmlichkeiten keine Rolle, ob sich eine große Ankunftsverspätung durch einen nicht ordnungsgemäß ausgeführten Zubringer- oder einen nicht ordnungsgemäß ausgeführten Anschlussflug ergibt. Denn bei einer einheitlich gebuchten Flugreise geht es einem Fluggast in berechtigter Weise darum, ordnungsgemäß an sein Endziel befördert zu werden. Gelingt dies letztlich nicht, weil der Fluggast erst mit einer großen Ankunftsverspätung an seinem Ziel ankommt, ist kein sachlich gerechtfertigter Grund ersichtlich, warum die Ärgernisse und Unannehmlichkeiten für den Fluggast geringer ausfallen sollen, falls sich diese Verspätung durch einen nicht ordnungsgemäß ausgeführten Anschlussflug und nicht durch einen nicht ordnungsgemäß ausgeführten Zubringerflug ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 17 II, 16 S. 1 Small Claims-VO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus Art. 15 I Small Claims-VO, was auch eine Abwendungsbefugnis der Beklagten als Vollstreckungsschuldnerin ausschließt (vgl. Hau, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2017, EG-BagatellVO Art. 15 Rn. 4).
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen (§ 543 II 1 Nr. 1 ZPO).