HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT
Az.: 12 W 9/97
Beschluß vom 26.06.1997
Vorinstanz: LG Hamburg – Az.: 322 O 267/96 – Beschluss vom 17.04.1997
In dem Rechtsstreit hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 12. Zivilsenat, auf die Beschwerde am 26. Juni 1997 beschlossen:
Die Beschwerde der Zeugin Walther gegen den Beschluß des Landgerichts Hamburg vom 16. April 1997 (Aktenzeichen: 322 O 267/96) wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Die Beschwerdeführerin ist selbständige Maklerin in Hamburg. Am 16. April 1997 war sie zum zweiten Mal im Rahmen des vor dem Landgericht Hamburg geführten Rechtsstreits, Aktenzeichen 322 O 267/96, als Zeugin geladen; Ladungstermin war 14.30 Uhr.
Als während ihrer Vernehmung ihr Handy klingelte, wurde sie vom Gericht angewiesen, das Telefon auszuschalten. Die Beschwerdeführerin nahm jedoch den Anruf entgegen und verließ sodann entgegen weiterer Weisung des Gerichts den Sitzungssaal, um das Telefonat zu führen. Dabei entfernte sie sich auf dem Gerichtsflur vor dem Sitzungssaal außer Sichtweite. Fünf Minuten später kam sie wieder zurück in den Sitzungssaal. Nach dem Hinweis des Gerichts, daß ein Ordnungsgeldbeschluß gegen sie vorbehalten bleibe, wurde die Vernehmung fortgesetzt. Die ausführliche Aussage der Beschwerdeführerin wurde auf drei maschinengeschriebenen Seiten protokolliert. Um 16.13 Uhr wurde die Beschwerdeführerin entlassen.
Am Ende der Sitzung hat dann das Landgericht die Beschwerdeführerin wegen Ungebühr gemäß § 178 GVG zu einem Ordnungsgeld in Höhe von DM 300,–, ersatzweise für den Fall der Nichtbeitreibung zu einer Ordnungshaft von zwei Tagen, verurteilt.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Beschwerdeführerin die Aufhebung des Beschlusses.
Sie ist der Meinung, ihr Verhalten könne nicht als Ungebühr angesehen werden. Dazu trägt sie vor, ihr sei zu keiner Zeit mitgeteilt worden, daß Handys im Gerichtsgebäude nicht mitgeführt werden dürften. Außerdem habe sie mehr als 1 1/2 Stunden auf ihre Vernehmung warten und deshalb zwei Termine verschieben müssen. Wer in derselben Sache bereits zum zweiten Mal aussagen müsse, könne aber wohl davon ausgehen, daß das Gericht die Sache überblicke und eine genauere Terminierung vornehme. Schließlich könne man von ihr nicht erwarten, daß sie sämtliche geschäftlichen Aktivitäten einstelle, zumal sie als Freiberuflerin ihren tatsächlichen Verdienstausfall nicht ersetzt erhalte.
II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das Landgericht hat die Beschwerdeführerin zu Recht gemäß § 178 GVG zu einem Ordnungsgeld in Höhe von DM 300,–, ersatzweise für den Fall der Nichtbeitreibung zu einer Ordnungshaft von zwei Tagen, verurteilt.
Die Beschwerdeführerin hat sich in der Sitzung des Landgerichts einer Ungebühr im Sinne des § 178 GVG schuldig gemacht.
Die Anwendbarkeit des § 178 GVG entfällt auch nicht wegen Vorrangigkeit des § 380 ZPO. Zwar findet. sich in der Kommentar-Literatur der Hinweis, daß die eigenmächtige Entfernung von Zeugen dem Nichterscheinen gleichstehe und deshalb unter § 380 ZPO falle, wohingegen § 178 GVG nicht anwendbar sei Zöller/Gummer, ZPO, 20. Aufl. 1997, § 178 GVG Rdnr. 3). Dies ist auch zutreffend, sofern sich das Verhalten des Zeugen in -der eigenmächtigen Entfernung erschöpft, also etwa wenn der Zeuge nach Aufruf der Sache, bevor er zur Vernehmung in den Saal gebeten wird, das Gerichtsgebäude wieder verläßt. In derartigen Fällen geht § 380 ZPO als speziellere Norm dem § 178 GVG vor.
Das Verhalten der Beschwerdeführerin geht jedoch über ein bloßes Sich-Entfernen hinaus, da sie die Durchführung der Verhandlung aktiv gestört und sich in der Sitzung über die Anordnungen des Gerichts hinweggesetzt hat. Insoweit sind hier § 178 GVG und § 380 ZPO nebeneinander anwendbar.
Ungebühr ist vielfach verstanden worden als Verletzung der Würde des Gerichts. Richtigerweise ist bei der Begriffsbestimmung kein allzu moralisierendes Verständnis, sondern eine funktionale Betrachtungsweise zugrundezulegen. Entscheidend ist, ob das betreffende Verhalten geeignet ist, die Rechtspflegeaufgaben des Gerichts durch Störung der Ordnung der
Gerichtsverhandlung zu behindern, und in diesem Sinne eine grobe Mißachtung des Gerichts darstellt.
Dies ist im vorliegenden Fall zu bejahen.
Daß angeschaltete Handys nicht in Gerichtssitzungen mitzubringen sind, weil ihr Rufzeichen ausgesprochen geeignet ist, die Aufmerksamkeit der Beteiligten und damit den Ablauf der Gerichtsverhandlung zu stören, versteht sich von selbst. Insofern greift auch nicht der Einwand der Beschwerdeführerin, niemand habe sie hierauf hingewiesen.
Gleichwohl wird man in dem Mitführen eines angeschalteten Handys in den Sitzungssaal allein noch nicht ohne weiteres eine Ungebühr sehen können, da dieses Verhalten auch auf einem bloßen Versehen beruhen und es insoweit am mißachtenden Charakter des Verhaltens fehlen kann. Zumindest wird die Verhängung eines Ordnungsgeldes gemäß § 178 GVG gegen denjenigen, der sein während der Sitzung klingelndes Handy unverzüglich abschaltet, in der Regel unverhältnismäßig sein.
Indem sie jedoch das während ihrer Vernehmung klingelnde Handy nicht sofort ausgeschaltet, sondern das Gespräch angenommen und den Sitzungssaal verlassen hat, hat die Beschwerdeführerin den ordnungsgemäßen Ablauf der Gerichtsverhandlung und dadurch das Gericht bei der Wahrnehmung seiner Rechtspflegeaufgaben empfindlich gestört. Dieses Verhalten, zumal es gegen die ausdrückliche Weisung des Gerichts erfolgt ist, stellt eine grobe und unangemessene Mißachtung des Gerichts dar. Denn mit ihrem Verhalten hat die Beschwerdeführerin die Verhandlung nicht nur ganz kurzfristig gestört, sondern eine Unterbrechung der Sitzung erzwungen. Allen anderen Beteiligten wurde zugemutet, darauf zu warten, daß die Beschwerdeführerin ihr Gespräch beendet und zur Fortsetzung der Vernehmung bereit ist. Hierin drückte sich zugleich die Haltung der Beschwerdeführerin aus, daß ihre individuellen Belange grundsätzlich vorrangig gegenüber den öffentlichen Belangen der Rechtspflege seien.
Es kann hier dahingestellt bleiben, inwieweit in besonderen Ausnahmefällen eine andere Beurteilung angemessen erscheint. So mag zum Beispiel der Vorwurf der Ungebühr entfallen, wenn ein Zeuge die Geburt seines Kindes oder ein ähnlich gravierendes Ereignis erwartet und in dieser Situation im Gerichtssaal ein Telefonat entgegennimmt. Das Vorliegen derartiger Umstände
hat die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht. Allein der Hinweis auf geschäftliche Aktivitäten kann nicht zu einer abweichenden Beurteilung führen, zumal auch nicht etwa deren Unaufschiebbarkeit dargelegt wurde.
Auch der Umstand, daß die Beschwerdeführerin offenbar längere Zeit auf ihre Vernehmung warten mußte, kann ihr Verhalten in der Sitzung nicht entschuldigen.
Zum einen dürfte die Wartezeit entgegen den Angaben der Beschwerdeführerin unter 1 1/2 Stunden gelegen haben. Zwar geht aus dem Protokoll der Zeitpunkt des Beginns ihrer Vernehmung nicht hervor. Da sie aber um 14.30 Uhr geladen war und bereits um 16.13 Uhr entlassen wurde, würde eine Wartezeit von mehr als 1 1/2 Stunden voraussetzen, daß die Vernehmung einschließlich der fünfminütigen Unterbrechung weniger als 13 Minuten in Anspruch genommen hat. Dies erscheint angesichts der längeren Aussage der Beschwerdeführerin, die auf drei Seiten protokolliert wurde, äußerst unwahrscheinlich.
Aber selbst wenn die Wartezeit über 1 ½ Stunden gelegen haben sollte, würde nichts anderes gelten. Zwar wird in der Rechtsprechung und Literatur zu § 380 ZPO vertreten, daß bei einer unangemessenen Wartezeit die grundsätzlich bestehende Wartepflicht eines Zeugen, entfallen kann (vergl. Münchener Kommentar/Damrau, Bd. 2, 1. Aufl. 1992, § 380 ZPO Rdnr. 2 m.w.N.). Hieraus folgt aber keine Entbindung- von Verhaltensregeln in der Sitzung, wenn es gleichwohl zu einer Vernehmung kommt.
Die Beschwerdeführerin hat ferner nicht dargelegt, daß das Telefonat verabredet war und der Zeitpunkt bewußt so gewählt wurde, daß er normalerweise nach dem Ende der Vernehmung gelegen hätte.
Die Verhängung eines Ordnungsgeldes in Höhe von DM 300,–, ersatzweise einer Ordnungshaft von zwei Tagen, entspricht auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Das Gericht hat die Beschwerdeführerin ausdrücklich zum Abschalten des Handy aufgefordert und ihr ebenfalls untersagt, das Gespräch zu führen und zu diesem Zweck den Sitzungssaal zu verlassen. Insbesondere weil sich die Beschwerdeführerin bewußt über die Anordnungen des Gerichts hinweggesetzt hat, ist hier schon aus Präventionsgründen eine Reaktion geboten. Ein milderes Mittel als die Verhängung eines Ordnungsgeldes ist nicht ersichtlich.
Das verhängte Ordnungsgeld erscheint auch in der Höhe angemessen. § 178 GVG sieht die Verurteilung zu einem Ordnungsgeld von DM 5,– (Art. 6 Absatz i Satz 1 EGStGB) bis zu DM 2.000,– vor. Bei dem Verhalten der Beschwerdeführerin handelt es sich nicht um den schlimmsten vorstellbaren Fall einer Ungebühr, aber auch nicht um eine eher geringfügige Störung der Ordnung. Mit DM 300,– liegt das verhängte Ordnungsgeld nicht im untersten, aber doch noch im unteren Bereich, und ist insofern im Verhältnis zum Fehlverhalten angemessen.