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Herabstufung von der Pflegestufe III in die Pflegestufe II

BUNDESSOZIALGERICHT

Az: B 3 P 21/00 R

Urteil vom 22.08.2001


Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. August 2001 für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16, Juni 2000 geändert. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 9. November 1999 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß nur die anteiligen vertraglichen Leistungen der Pflegestufe III über den 30. Juni 1998 hinaus zu zahlen sind.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in allen Rechtszügen zu erstatten.

Gründe:

Gegenstand des Rechtsstreits ist die vorübergehende Herabstufung des in der privaten Pflegepflichtversicherung versicherten Klägers von der Pflegestufe III in die Pflegestufe II.

Der 1936 geborene Kläger leidet seit 1966 an einer Multiplen Sklerose. Seine Beine sind gelähmt, die linke Hand ist gebrauchsunfähig, die rechte Hand eingeschränkt gebrauchsfähig. Es besteht eine Neigung zu Verstopfungen sowie eine Sehschwäche, die zum Teil an Blindheit grenzt. Als Ruhestandsbeamter der Bundesbahn ist der Kläger beihilfeberechtigt; wegen der Restkosten ist er in der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (KVB) krankenversichert. Wegen des Pflegerisikos hat er eine beihilfekonforme private Versicherung bei der Gemeinschaft privater Versicherungsunternehmen (GPV), der Beklagten, abgeschlossen.

Rollstuhl im AlterDer Kläger beantragte im März 1995 die Gewährung von Pflegegeld. Nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens der M GmbH, welches Pflegebedürftigkeit iS des § 1 Abs 6 der Musterbedingungen der Pflegeversicherung (MB/PPV 1996) nach Pflegestufe II feststellte, gewährte die KVB ab April 1995 ein monatliches Pflegegeld von 800 DM (Schreiben vom 25. Juli 1995). Nachdem der Kläger mit einem Rollstuhl versorgt werden mußte, gelangte die KVB aufgrund einer Untersuchung im Juni 1997 zum Ergebnis, daß nunmehr die Pflegestufe III gerechtfertigt sei. Durch Schreiben vom 18. Juli 1997 gewährte sie mit Wirkung ab dem I.Juni 1997 entsprechend der Pflegestufe III ein monatliches Pflegegeld von 1.300 DM.

Im Juni 1998 ließ die KVB den Kläger erneut untersuchen. Der ärztliche Gutachter hielt zum Untersuchungszeitpunkt nur noch die Pflegestufe II für gerechtfertigt, weil für die Grundpflege nur ein Zeitbedarf von 198 Minuten und für die hauswirtschaftliche Versorgung ein solcher von 60 Minuten bestehe. Die KVB teilte dem Kläger daraufhin unter dem 16. Juni 1998 mit, es werde als Pflegestufe die Stufe II festgesetzt. Der „Bescheid“ vom 18. Juli 1997, mit dem Pflegeleistungen zugesagt worden seien, werde hiermit bezüglich der Pflegestufe und der Höhe der Leistung aufgehoben. Der Kläger erhob hierauf „Widerspruch“ mit der Begründung, sein Gesundheitszustand habe sich seit der letzten Untersuchung in keiner Weise gebessert, Die KVB holte zur weiteren Aufklärung ein sog Obergutachten ein. Hierin wurde der Hilfebedarf des Klägers aufgrund der Untersuchung im Juli 1998 auf nunmehr 166 Minuten Grundpflege und 60 Minuten hauswirtschaftliche Versorgung geschätzt. Die KVB teilte dem Kläger alsdann mit, daß sie an ihrer Entscheidung festhalte.

Im nachfolgenden Klageverfahren gegen die KVB wurde der Kläger vom Sozialgericht (SG) aufgefordert, die Klage gegen die GPV zu richten. Dem ist der Kläger nicht nachgekommen. Das SG hat die Klage daraufhin von Amts wegen in diesem Sinne geändert. Sodann hat es Beweis erhoben, insbesondere durch ein Gutachten der Dipl.-Sozialpädagogin R.. .Die Sachverständige kam zu der Einschätzung, daß der Zeitaufwand im Bereich der Grundpflege insgesamt 177 Minuten betrage. Durch Urteil vom 9. November 1999 hat das SG die GPV dennoch verurteilt, das Pflegegeld für Pflegebedürftige der Pflegestufe III zu bezahlen. Zur Begründung hat es auf die §§ 45 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), in erster Linie auf § 48 SGB X verwiesen. Der Kläger könne sich bei unverändertem Gesundheitszustand auf Vertrauensschutz berufen; eine Möglichkeit zur Kürzung oder Entziehung der Leistungen sei weder im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) noch in den Versicherungsbedingungen der Beklagten vorgesehen. Im Berufungsverfahren hat die GPV geltend gemacht, das SG sei zu Unrecht von einem gleich gebliebenen Gesundheitszustand des Klägers ausgegangen; das Krankheitsbild des Klägers sei schubförmig verlaufen. Wie in 80 % derartiger Krankheitsfälle habe eine Rückbildung der Symptome erreicht werden können. Ausweislich der erhobenen Gutachten dränge es sich daher auf, daß der Kläger zum Zeitpunkt der Voruntersuchung mit dem Ergebnis der Pflegestufe III einen anderen Gesundheitszustand aufgewiesen habe als zum Zeitpunkt der nachfolgenden Untersuchungen, die zur Rückstufung in die Pflegestufe II geführt hätten. Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil durch Urteil vom 16. Juni 2000 aufgehoben und die Klage abgewiesen: Die §§ 45 ff SGB X könnten auf die private Pflegeversicherung nicht angewendet werden. Der Pflegeversicherungsvertrag unterfalle dem Zivilrecht. Maßgebend seien daher die Vereinbarungen der Vertragspartner. § 6 Abs 2 MB/PPV 1996, wonach die Pflegebegutachtung in angemessenen Abständen zu wiederholen sei, zeige, daß im Rahmen des privaten Pflegeversicherungsrechts eine gewährte höhere Leistung nach entsprechenden Feststellungen eines Arztes jederzeit ohne Änderung des Gesundheitszustandes für die Zukunft reduziert werden könne. Der Versicherte sei gegen solche Feststellungen durch das von den privaten Pflegeversicherungsunternehmen vorgesehene interne Überprüfungsverfahren sowie durch die Klagemöglichkeit nach .endgültiger Ablehnung hinreichend geschützt.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung der Vorschriften über die private Pflegeversicherung im Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß sich privat Pflegeversicherte nach einer Leistungszusage durch den Versicherer nicht auf Vertrauensschutz berufen könnten.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Juni 2000 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 9. November 1999 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend, rügt jedoch vorsorglich, das LSG habe die unzutreffende Auffassung des SG, der Umfang des Pflegebedarfs des Klägers habe sich zwischen der Zuerkennung der Pflegestufe III im Juli 1997 und der Rückstufung im Juni 1998 nicht geändert, zu Unrecht als wahr unterstellt.

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger auch ab dem 1. Juli 1998 anteiliges Pflegegeld nach der Pflegestufe III anstelle der Pflegestufe II in vertragsgemäßer Höhe zu zahlen.

1. Die Passivlegitimation der GPV ist nicht zu beanstanden. Zwar war die vom SG gegen den Willen des Klägers vorgenommene Änderung des Beklagten nicht zulässig, weil auch bei Geltung des Amtsermittlungsprinzips dem Kläger allein das Recht zusteht, über den Streitgegenstand zu verfügen (sog Dispositionsmaxime, vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl. 1998, Vor § 60 RdNr 3). SG und LSG sind im übrigen auch zu Unrecht davon ausgegangen, „richtige“ Beklagte sei nur die GPV. Der Senat hat mit Urteil vom 30. März 2000 (B 3 P 21/99 R = BSGE86, 94= SozR 3-3300 §77 Nr3) entschieden, daß die Postbeamtenkrankenkasse in gewillkürter Prozeßstandschaft Beklagte in einem Rechtsstreit aus dem privaten Pflegeversicherungsverhältnis der jeweiligen Kläger mit der GPV ist. Dasselbe muß für die KVB gelten, die wie die Postbeamtenkrankenkasse beauftragt worden ist, die private Pflegepflichtversicherung für ihre Beamten durchzuführen (vgl §23 Abs 4 Nr 3 SGB XI). Die Stellung der KVB als gewillkürter Prozeßstandschafterin schließt die daneben bestehende Passivlegitimation der GPV als materiell Betroffene jedoch nicht aus. Der von der Sache nicht gebotene, gegen den Willen des Klägers in jedem Fall unzulässige Parteiwechsel durch das Gericht ist zwar ein Verfahrensfehler, der aber nur auf eine entsprechende Rüge zu beachten ist, die hier nicht erhoben worden ist.

2. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Regelungen über die Aufhebung von Verwaltungsakten, insbesondere von Leistungsbescheiden, nach den §§ 45 ff SGB X auf die private Pflegeversicherung weder unmittelbar noch mittelbar durch Übertragung der in ihnen enthaltenen Rechtsgedanken anwendbar ist. Eine unmittelbare Anwendung der §§ 45 ff SGB X käme nur in Betracht, wenn die Unternehmen der privaten Krankenversicherung mit der Pflegeversicherung eine hoheitliche Aufgabe etwa als beliehene Unternehmen vornähmen. Daß dies nicht der Fall ist, hat der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 30. März 2000 (aaO) entschieden. Auch das Bundesverfassungsgericht ist im Urteil vom 3. April 2001 (1 ByR 2014/95 = NJW2001, 1709) davon ausgegangen, daß die private Pflegeversicherung auf privatrechtlicher Grundlage nach den normativen Vorgaben des Privatversicherungsrechts betrieben wird. Dies schließt eine Übernahme des Regelungskonzeptes des SGB X über die Aufhebung von Leistungsbescheiden bei ursprünglicher Unrichtigkeit bzw bei Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nicht grundsätzlich aus. Erforderlich wäre jedoch eine entsprechende Vereinbarung der Partner des Versicherungsvertrages, woran es hier fehlt; die Notwendigkeit, aus verfassungsrechtlichen Gründen – vor allem im Hinblick auf den Gleichheitssatz – den privat Pflegeversicherten entsprechende Rechtspositionen einzuräumen, besteht nicht, weil die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen dem Versicherten den erforderlichen Rechtsschütz gewähren.

3. Entgegen der Auffassung des LSG lassen die hier maßgebenden zivilrechtlichen Vorgaben die Pflicht der Beklagten, Pflegegeld nach der Pflegestufe IM zu zahlen, nicht ohne weiteres entfallen. Eine Legitimation zur Reduzierung des Umfangs der Leistungspflicht ergibt sich nicht, wie das LSG angenommen hat, aus § 6 Abs. 2 M B/P P V 1996, wonach die Pflegebegutachtung in angemessenen Abständen zu wiederholen ist. Diese Regelung bedeutet nicht, daß nachträgliche Begutachtungen jederzeit möglich sind und besagt erst recht nichts über die Auswirkungen, die das Ergebnis einer erneuten Begutachtung auf eine zuvor vom Versicherer abgegebene Leistungszusage hat. Dies richtet sich vielmehr nach allgemeinen zivilrechtlichen bzw. privatversicherungsrechtlichen Vorschriften.

Bereits der – vom LSG nicht erwähnte – allgemeine Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) enthält den nicht ausdrücklich erklärten, aber den Ausnahmeregeln zu entnehmenden Grundsatz, daß mit Rechtsbindungswillen abgegebene Willenserklärungen bindend sind. Ihre Wirksamkeit kann bei gleichbleibenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen nur unter bestimmten Voraussetzungen – insbesondere wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung (§§ 119, 123 BGB) – durch Anfechtung beseitigt werden. Daneben kann die Bindung an eine Willenserklärung bei einem Dauerschuldverhältnis durch eine Änderung oder den Wegfall von Umständen entfallen, die beide Vertragspartner bei Abgabe der Willenserklärung vorausgesetzt haben (sog Wegfall der Geschäftsgrundlage). Letzteres setzt jedoch eine nach Abgabe der Willenserklärung eingetretene Änderung der Verhältnisse voraus.

Die Erklärung der Beklagten, Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu zahlen, ist eine Willenserklärung, weil ihr ein rechtlicher Bindungswillen zu entnehmen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs <BGH> (BGHZ 66, 250) stellt zwar die bloße Mitteilung des Versicherers, daß er aufgrund eines Versicherungsfalls eine Leistung in bestimmter Höhe erbringen werde, im Regelfall weder ein abstraktes noch ein vertraglich bestätigendes (deklaratorisches) Schuldanerkenntnis dar. Es handele sich vielmehr um ein „Anerkenntnis“, das keinen besonderen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen des Schuldners verkörpere, das der Schuldner vielmehr zu dem Zweck abgebe, dem Gläubiger seine Erfüllungsbereitschaft mitzuteilen und ihn von weiteren Maßnahmen, etwa der Klageerhebung, abzuhalten. Solche Bestätigungserklärungen enthielten keine materiellrechtliche (potentiell konstitutive) Regelung für das Schuldverhältnis, sondern bewirkten als „Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst“ im Prozeß allenfalls eine Umkehrung der Beweislast. Die Annahme eines Schuldbestätigungsvertrags sei nur dann berechtigt, wenn die Parteien einen besonderen Anlaß zu seinem Abschluß gehabt hätten. Da der vertragstypische Zweck darin liege, das Schuldverhältnis – ganz oder teilweise – dem Streit oder der Ungewißheit der Parteien zu entziehen, setze der bestätigende Schuldanerkenntnisvertrag auch notwendig einen vorherigen Streit oder zumindest eine (subjektive) Ungewißheit der Parteien über das Bestehen der Schuld oder über einzelne rechtlich erhebliche Punkte voraus (Hinweis auf Erman/Hense BGB, Kommentar, 6. Auf!, § 781 RdNr5; Marburger, Das kausale Schuldanerkenntnis als einseitiger Feststellungsvertrag, 1971, S 104 f). Von diesen rechtlichen Vorgaben ausgehend, denen sich der erkennende Senat anschließt, hat der BGH im Bereich der privaten Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Tarif BUZ) die Erklärung des Versicherers über die Erbringung der bedingungsgemäßen Leistungen, die wie bei der Pflegeversicherung nach Auswertung medizinischer Unterlagen und im Regelfall einer medizinischen Begutachtung erfolgt, als Leistungsanerkenntnis mit Bindungswillen angesehen (BGH VersR 1993, 562, 563). Auch nach den MB/PPV 1996 soll, wie sich insbesondere aus deren § 6 ergibt, die vor einer Leistungsgewährung zwingend erforderliche ärztliche Begutachtung die Ungewißheit darüber beseitigen, ob beim Versicherten die Voraussetzungen des Versicherungsfalls vorliegen und ggf den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers, der in der Pflegeversicherung von der Pflegestufe abhängt, klären.

Das deklaratorische Schuldanerkenntnis ist ein Vertrag, dessen Zustandekommen von der Annahme des Gläubigers abhängt. Indessen kann diese Annahme auch konkludent erfolgen; eines Zugangs der Annahmeerklärung bedarf es dabei nicht (§ 151 BGB). Vorliegend ist die Annahmeerklärung in dem unwidersprochenen Empfang der Leistungen zu sehen. Wegen des vergleichsartigen Charakters eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses kommt eine Anfechtung wegen Irrtums über solche Umstände, die durch das Anerkenntnis gerade außer Streit gestellt werden sollten, nicht in Betracht (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 60. Aufl. 2001, § 779 RdNr26; BSG, Urteil vom 22. August 2001 – B 3 P 4/01 R – zur Veröffentlichung vorgesehen).

Die Beklagte war damit an ihre Leistungszusage bis zu einer Änderung der Verhältnisse gebunden, weil die private Pflegeversicherung ein Dauerschuldverhältnis begründet. Die Änderung der Verhältnisse ist zunächst durch Einholung eines sog Schiedsgutachtens zu. belegen. Das ergibt sich aus § 64 VVG. Diese Vorschrift ist auch in der Kranken- und Pflegeversicherung anwendbar, soweit der Versicherungsschutz iS des § 178a Abs 2 VVG nach den Grundsätzen der Schadensversicherung gewährt wird. Für die Schadensversicherung ist kennzeichnend, daß die Versicherungsleistung von der Höhe eines Schadens abhängt. Nur soweit im Versicherungsfall die Zahlung pauschalierter Beträge ohne Rücksicht auf die Höhe des Schadens vereinbart ist, handelt es sich um eine Summenversicherung (vgl. Hohlfeld, in: Honsell, Berliner Kommentar zum VVG, 1999, § 178a RdNr 1). Die Pflegeversicherung ist auch insoweit Schadensversicherung, als es wie hier um die Zahlung von Pflegegeld geht. Dieses ist zwar eine pauschale Leistung; doch hängt ihre Höhe von der Zuordnung zu einer Pflegestufe und damit vom Ausmaß der Pflegebedürftigkeit ab.

Nach § 64 Abs 1 Satz 1 VVG sind Versicherer und Versicherungsnehmer an die Feststellungen des Sachverständigen zu den Voraussetzungen des Anspruchs aus der Versicherung oder zur Höhe des Schadens grundsätzlich gebunden, wenn dies – wie hier (§ 6 Abs 2 MB/PPV 1996)- vertraglich vereinbart ist. Die Feststellungen des Sachverständigen sind nur dann nicht verbindlich, wenn „sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen“, wobei nur auf den Sachstand und die Erkenntnismittel zur Zeit der Begutachtung abzustellen ist (vgl Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl 1998, § 64 RdNr 44). Die Beklagte hat nicht geltend, gemacht, daß das Gutachten, das sie im Juli 1997 zur Leistungsgewährung veranlaßte, iS des § 64 Abs 1 Satz 1 VVG offenbar unrichtig gewesen sei.

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Die später eingeholten Gutachten kamen zwar zu einem anderen Ergebnis; das bedeutet aber nicht, daß das Gutachten vom Juni 1997 „offensichtlich unrichtig“ gewesen ist. Die Frage kann letztlich dahinstellen; denn der Beklagten ist nach ihrer Leistungszusage auch dieser Einwand abgeschnitten. Ein deklaratorisches Anerkenntnis schließt den Schuldner mit allen Einwendungen aus, die er bei seiner Abgabe kannte oder zumindest kennen mußte (Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl 1998, § 64 RdNr 6).

Wegen der Bindung an das der Leistungszusage zugrunde gelegte Gutachten steht es der Beklagten nicht frei, jederzeit ein neues Sachverständigengutachten einzuholen. Ein solches wäre nämlich nicht nur ungeeignet, sich von der Leistungszusage zu lösen, sondern für den Pflegebedürftigen auch ein unzumutbarer Eingriff in seine durch Art 1 und 2 Grundgesetz geschützte Intimsphäre (vgl BSG, Urteil vom 13. März 2001 -B3P 20/00 R – zur Veröffentlichung vorgesehen). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 6 Abs 2 MB/PPV 1996. Eine Nachuntersuchung ist bei gesetzeskonformer Auslegung nur dann „angemessen“, wenn Gründe für die Annahme bestehen, der Umfang der Pflegebedürftigkeit könne sich in einem für die Einstufung relevanten Umfang verändert haben. Vorübergehende Besserungen von weniger als sechs Monaten Dauer bleiben von vornherein außer Betracht (vgl § 1 Abs 2 MB/PPV 1996; BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 1).

Der Behauptung der Beklagten, eine nachhaltige Besserung des Zustandes des Klägers sei zu erwarten gewesen und für einen längeren Zeitraum auch tatsächlich eingetreten, war in diesem Verfahren nicht weiter nachzugehen. In den eingeholten außergerichtlichen und gerichtlichen Gutachten wird dazu schon deshalb nichts ausgeführt, weil die Sachverständigen nicht danach gefragt worden sind.

Die Sache war deswegen nicht zu weiterer Sachaufklärung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Denn für eine gerichtliche Sachaufklärung durch Einholung von Gutachten besteht erst dann Veranlassung, wenn das nach den MB/PPV 1996 vorgesehne Schiedsgutachten zur Frage einer Verminderung des Pflegebedarfs eingeholt worden, aber offensichtlich unrichtig ist. Ausnahmsweise reicht es auch aus, wenn die Sachverständigen die Feststellungen nicht treffen können oder wollen oder sie verzögern (§ 64 Abs 1 Satz 3 VVG). Auch dies setzt aber voraus, daß die Sachverständigen zumindest um die Erstellung eines Gutachtens über die relevante Frage gebeten worden sind. Das ist bislang nicht der Fall gewesen. Es kann von der Beklagten grundsätzlich noch nachgeholt werden. Soweit sich Sachverständige dann aber wegen des Zeitablaufs nicht mehr in der Lage sehen sollten, rückblickend das jeweilige Ausmaß der Pflegebedürftigkeit und damit auch die Frage einer Änderung zu beurteilen, wäre dies allerdings kein Grund, im Sinne von § 64 Abs 1 Satz 3 VVG ein Unvermögen der Sachverständigen anzunehmen und nunmehr gerichtliche Sachverständige einzuschalten. Denn diese Unmöglichkeit wäre darauf zurückzuführen, daß die Beklagte ihre Rechte nicht zeitnah sachgerecht wahrgenommen hat; diesen Beweisnachteil hätte sie ohne weiteres hinzunehmen.

Die Anwendbarkeit des § 64 VVG führt bei Streitigkeiten über die Leistungspflicht in der privaten Pflegeversicherung somit im Ergebnis zu einer Einschränkung des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle. Hieran ändert das im Sozialgerichtsprozeß geltende Amtsermittlungsprinzip nichts. Denn der Umfang der Amtsermittlung richtet sich nach den jeweils maßgebenden materiell-rechtlichen Vorgaben. Sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsnehmer können im Prozeß eine Oberprüfung des Gutachtenergebnisses nur auf der Grundlage des § 64 VVG verlangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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