OLG Oldenburg, Az.: 3 U 20/16, Beschluss vom 28.04.2016
Die Berufung des Klägers gegen das am 28. Januar 2016 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt bis zu 45.000,- Euro.
Gründe
I.
Die Parteien nahmen an einem sogenannten Liverollenspiel („Live Action Role Playing“, LARP) Ende April 2013 in der Nähe von Osnabrück teil. Der Kläger verlangt von dem Beklagten (u. a.) Schmerzensgeld und den Ersatz erlittenen Verdienstausfalls, weil dieser ihn während der Veranstaltung am Kopf verletzt habe.
Nach dem vorgesehenen „Plot“ wurde bei dem Spiel ein mittelalterliches Dorf von einer Räuberbande überfallen. Der Kläger gehörte zu den Verteidigern, der Beklagte zu der angreifenden Gruppe. Wie bei diesen Spielveranstaltungen üblich, waren die Teilnehmer mit Schaumstoffwaffen ausgerüstet.
Der „Kampf“ bei einem LARP wird auch mit gezielten Schlägen gegen den Körper des Gegners ausgefochten. Schläge gegen den Kopf waren dagegen jedenfalls im vorliegenden Fall ausdrücklich verboten. Die geltenden Regeln waren den Parteien bekannt.
Der Beklagte sah sich im Laufe des Spiels dem Kläger und mindestens einer weiteren Person aus der Gruppe der Dorfbewohner, dem Zeugen …, allein gegenüber. Der Ablauf des folgenden Kampfes ist streitig.
Jedenfalls ging der Kläger irgendwann zu Boden und musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden.
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe ihm mit seiner Schaumstoffkeule („Streitkolben“) gezielt und bewusst gegen den Kopf geschlagen. Er habe dadurch eine Verletzung am linken Auge erlitten; seine Sehkraft belaufe sich infolgedessen auf diesem Auge auf nur noch 55 %. Hinzukämen weitere Beeinträchtigungen.
Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 40.000,00 Euro, einen Verdienstausfall in Höhe von 2.443,51 Euro und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 Euro, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. Juli 2015, zu zahlen sowie festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden zur ersetzen, der ihm aus dem Vorfall vom 20. April 2013 noch entsteht, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen ist.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat geltend gemacht, dass der Kläger in Anbetracht der Hektik und Unübersichtlichkeit des Kampfgeschehens auch von einem anderen verletzt worden sein könne. Er habe jedenfalls erst im Nachhinein davon erfahren, dass er den Kläger derart verletzt haben solle. Wenn er tatsächlich verantwortlich sei, sei es versehentlich geschehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
Das Landgericht hat die Parteien persönlich angehört und diverse Zeugen zu dem Geschehen vernommen. Auf dieser Erkenntnisgrundlage hat es die Klage abgewiesen. Zwar hat es sich davon überzeugen können, dass der Beklagte den Kläger mit seiner Waffe am Kopf getroffen habe. Jedoch stehe nicht fest, dass der Schlag mit dem „Streitkolben“ gezielt geführt worden sei.
Mit seiner Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen. Er beanstandet die Beweiswürdigung des Landgerichts, das seiner Auffassung nach von einem bewussten Schlag gegen seinen Kopf hätte ausgehen müssen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und der Klage entsprechend seinen erstinstanzlich gestellten Anträgen stattzugeben.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
II.
Der Senat weist die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Beschluss zurück, weil sie offensichtlich unbegründet ist. Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss vom 4. April 2016 Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
In seinem Hinweisbeschluss hat der Senat Folgendes ausgeführt:
„Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.
Die Berufung hat auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1.) Es bestehen keine Bedenken, mit dem Landgericht die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur Verschuldenshaftung bzw. zum Verschuldensmaßstab bei Kampfsportarten, wie etwa Fußball, auf das hier in Frage stehende Liverollenspiel („Live Action Role Playing“) zu übertragen. Hier wie dort kämpfen gegnerische Mannschaften nach einem Regelwerk in einer Weise gegeneinander, die auch bei regelgerechtem Verhalten die Gefahr von Verletzungen der Spieler mit sich bringt (vgl. LG Bremen, VersR 1995, 1109 zum „Gotcha-Spiel“; dazu auch Wagner, in: MüKo BGB, 6. Aufl., § 823 Rn. 568).
a) Daraus folgt in einem ersten Schritt, dass eine Haftung des Schädigers ausscheidet, wenn die Verletzung Folge von regelkonformen Verhalten ist. Denn derjenige, der sich auf ein verletzungsträchtiges Spiel einlässt, kann von seinen Mitspielern nur erwarten, dass (auch) diese die Regeln einhalten. Kommt es trotz Einhaltung der Regeln zu einer Verletzung, besteht kein Ersatzanspruch, weil es dann von vorneherein an einer Verletzung von Sorgfaltspflichten im Sinne von § 276 BGB fehlt (vgl. BGHZ 63, 140, 146; 154, 316, 323; VersR 2009, 1677, Juris Rn. 10; OLG Koblenz VersR 1991, 1067; Wagner a. a. O., Rn. 566 m. w. N. in Fn. 2547).
b) Aber auch dann, wenn eine Regelverletzung zu bejahen ist, scheidet eine Haftung für solche Schäden aus, die durch lediglich leichte, nicht vorsätzliche oder grob fahrlässige Verstöße gegen die Spielvorgaben verursacht wurden, also im „Eifer des Gefechts“, aus übermäßigem Ehrgeiz, spieltechnischer Inkompetenz oder Erschöpfung hervorgerufen werden (vgl. BGHZ 154, 316, 324; BGH NJW-RR 2006, 813, Juris Rn. 15; NJW 1976, 957; Wagner ebenda, m. w. N. in Fn. 2557).
Dies lässt sich zum einen gemäß § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr rechtfertigen (vgl. BGH, a. a. O.). Zum anderen kann und muss aber zur Konkretisierung des Begriffs der Sorgfaltspflichtverletzung neben den expliziten Spielregeln auch auf die Erwartungen der betroffenen Akteure abgestellt werden, mithin darauf, was vernünftige Spielteilnehmer berechtigterweise voneinander verlangen und erwarten können, damit unnötige Verletzungen vermieden werden. Diese Erwartungen zielen lediglich auf die Vermeidung grober Regelverstöße und mutwillig zugefügter Verletzungen, wie etwa beim Fußball Faustschläge oder Fußtritte außerhalb des Kampfes um den Ball (vgl. OLG Hamburg, VersR 2002, 500).
c) Die Sorgfaltspflichtverletzung im vorstehend beschriebenen Sinne ist von dem Geschädigten in vollem Umfang zu beweisen (vgl. BGHZ 63, 140, 148; VersR 2009, 1677, Juris Rn. 11).
2.) An diesen rechtlichen Vorgaben gemessen, ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden.
Es steht außer Frage, dass nach den geltenden Regeln des Rollenspiels jedenfalls im vorliegenden Fall Schläge gegen den Kopf der Gegenspieler verboten waren. Jedoch kann nicht festgestellt werden, dass der vom Landgericht nach dem Ergebnis seiner Beweiswürdigung bejahte Schlag des Beklagten auf den Kopf des Klägers zumindest eine grob fahrlässige Pflichtverletzung beinhaltete. Dem Kläger ist die ihm obliegende Beweisführung nicht gelungen.
a) Das Landgericht hat sich nach dem Ergebnis seiner Beweiswürdigung und den expliziten Ausführungen in seinen Entscheidungsgründen (nur) nicht davon überzeugen können, dass ein „gezielter“, m. a. W. ein vorsätzlicher Schlag gegen den Kopf des Klägers vorlag. Dabei hat es sich unter Berücksichtigung der – von der Berufung in den Vordergrund ihrer Argumentation gestellten – Aussage des Zeugen … vor allem auf die eigenen Angaben des Klägers in seiner Anhörung als Partei gestützt. Dieser hat u. a. erklärt, nicht sagen zu können, ob der Beklagte ihn „gezielt an den Kopf geschlagen“ habe. Der Zeuge … hat demgegenüber von einem „ausholenden Schlag“ des Beklagten gesprochen und geäußert, er „glaube nicht“, dass der Hieb von der Rüstung des Klägers gegen dessen Kopf abgeprallt sei.
Dass das Landgericht die eher vagen Angaben des von ihm als glaubwürdig beurteilten Zeugen … auch unter Berücksichtigung der schwerwiegenden Folgen des Schlages letztlich nicht als hinreichend angesehen hat, um ein gezieltes Vorgehen des Beklagten anzunehmen und auf die Hektik des Kampfgeschehens verwiesen hat, ist zumindest gut vertretbar.
Im Übrigen ist die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts für den Senat nur eingeschränkt überprüfbar. Die der Tatsachenfeststellung dienende Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des erstinstanzlichen Tatrichters. Der Senat als Berufungsgericht überprüft nur, ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, und ob sie bei Abwägung aller Gesichtspunkte inhaltlich überzeugt.
Das ist hier der Fall.
b) Den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung kann der Senat darüber hinaus entnehmen, dass dem Beklagten auch kein grob fahrlässiges Verhalten im Sinne der unter 1.) b) zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgeworfen werden kann.
aa) Die Parteien wie auch die vernommenen Zeugen haben übereinstimmend angegeben, dass bei Liverollenspielen Schläge gegen den Kopf durchaus vorkämen, auch wenn sie ausdrücklich verboten seien. Der Kläger selbst hat erklärt, bereits bei vergangenen Spielveranstaltungen („ab und zu“) Schläge gegen den Kopf erhalten zu haben. Dass solche Schläge möglich sind, ist folglich den Spielteilnehmern bewusst. Die Erwartung der Teilnehmer eines Liverollenspiels an ihre Mitspieler geht deshalb (lediglich) dahin, dass Schläge gegen den Kopf nicht gezielt bzw. nicht als Folge einer besonders schweren Sorgfaltspflichtverletzung geführt werden.
bb) Im vorliegenden Fall bleibt es nach dem Ergebnis der nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung des Landgerichts unklar, wie es zu dem Schlag gegen den Kopf des Klägers gekommen ist. Möglich bleibt, wenn man nach der Aussage des Zeugen … einen abgelenkten bzw. abgeprallten Schlag für ausgeschlossen halten will, jedenfalls eine (stressbedingte) Fehleinschätzung der Situation „im Eifer des Gefechts“ durch den Beklagten, der sich (mindestens) zwei Angreifern gegenüber sah. Dabei könnte ein an sich gegen einen anderen Körperteil des Klägers oder aber auch gegen den zweiten Angreifer, den Zeugen …, gezielter Hieb mit der Schaumstoffwaffe letztlich versehentlich den Kopf des Klägers getroffen haben. Der Zeuge … hatte nach seinen Angaben unmittelbar vor der Verletzung des Klägers von dem sich verteidigenden Beklagten bereits einen Schlag mit dem „Streitkolben“ auf seinen Schild bekommen.
Ein solcher Ablauf ließe sich mit dem von dem Zeugen … beschriebenen „Ausholen“ des Beklagten mit der Waffe vor dem Hieb gegen den Kopf des Klägers durchaus in Übereinstimmung bringen. Dabei muss auch die Dynamik des Kampfgeschehens berücksichtigt werden, bei der die Spieler ständig in Bewegung sind, vorpreschen, ausweichen etc. Der Beklagte, der in der Situation von seiner Gruppe („Räuberbande“) getrennt war, hat in seiner Anhörung vor dem Landgericht plausibel ausgeführt, vorgehabt zu haben, sich zu seiner „Truppe“ zurückzuziehen und das Geschehen aus seiner Sicht als „sehr hektisch“ beschrieben, nachdem Angehörige der „Heldengruppe“, jedenfalls der Kläger und der Zeuge …, „durchgebrochen“ waren und auf ihn zukamen. Dazu mag auch beigetragen haben, dass der Beklagte, den insbesondere auch der Zeuge … in seiner Aussage ausdrücklich als Bogenschützen apostrophiert hat, genötigt war, wegen des beginnenden „Nahkampfes“ schnell die Waffen zu wechseln.
Insgesamt ist damit nicht ausgeschlossen, dass der Vorgang, der zu dem Treffer am Kopf des Klägers mit seinen schwerwiegenden Folgen führte, noch im Rahmen dessen lag, mit dem die Teilnehmer eines Liverollenspiels üblicherweise rechnen bzw. rechnen müssen, ohne dass dem Verursacher eine besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne grober Fahrlässigkeit vorzuwerfen wäre.
Das geht zum Nachteil des beweisbelasteten Klägers.“
An diesen Ausführungen hält der Senat auch nach erneuter Prüfung und Beratung unter Berücksichtigung der Ausführungen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 27. April 2016 fest.
Es ist zwar richtig, dass es beim Liverollenspiel anders als zum Beispiel beim Fußball nicht auf ein bestimmtes Ergebnis ankommt. Daraus folgt für die rechtliche Betrachtung jedoch kein entscheidender Unterschied. Denn hier wie dort handelt es sich um eine kampfbetonte Auseinandersetzung nach einem bestimmten Regelwerk, bei der zwei gegnerische Mannschaften aufeinandertreffen. Der Kläger selbst hat in seiner Klageschrift ausgeführt, dass der „Kampf“ beim LARP „mit gezielten präzisen Schlägen gegen den Körper ausgetragen“ werde. Damit besteht – wie etwa beim Fußball – trotz der Verwendung von Waffen mit Schaumstoffummantelung immer die Möglichkeit von Verletzungen. Auch die mit der Klageschrift vorgelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen für LARP-Veranstaltungen sprechen u. a. von „Risiken (…Kämpfe mit Polsterwaffen…)“, „körperlichen Belastungen“ und „gefährlichen Situationen“ für die Teilnehmer, die zudem grds. mindestens sechzehn Jahre alt sein sollen.
Im Übrigen wiederholt der Senat, dass das Landgericht gemäß seiner nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung einen gezielten Schlag des Beklagten gegen den Kopf des Klägers als nicht bewiesen angesehen hat.
Ebenso ist unklar, ob der Schlag mit dem Streitkolben wenigstens „in Kopfhöhe des Klägers gezielt“ (Schriftsatz vom 27. April 2016) ausgeführt worden ist, so dass auch mit dieser Argumentation kein (zumindest) grobfahrlässiges Verhalten des Beklagten festgestellt werden kann.
Es bleibt dabei, dass der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Möglichkeit eines versehentlichen Treffers an seinem Kopf, insbesondere als Folge der Hektik und Dynamik des Kampfgeschehens, nicht widerlegt hat.
Letztlich will der Kläger seine Würdigung an die Stelle jener des Landgerichts setzen. Damit kann er seinem Rechtsmittel jedoch nicht zum Erfolg verhelfen.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf § 97 Abs. 1 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.