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Parkplatzunfall – Haftung des Ausparkenden

LG Osnabrück – Az.: 4 S 219/18 – Beschluss vom 29.11.2018

I. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung durch nicht anfechtbaren einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Es wird Gelegenheit gegeben, zu diesem Hinweisbeschluss binnen 2 Wochen Stellung zu nehmen.

Gründe

II. Die Kammer lässt sich bei ihrer Absicht nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Erwägungen leiten:

Die Parteien machen wechselseitig Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 31.03.2017 auf dem Parkplatz der Firma L. an der M.-Straße in O. ereignet hat. Der Drittwiderbeklagte zu 2) fuhr mit dem der Klägerin gehörenden und bei der Drittwiderbeklagten zu 3) haftpflichtversicherten PKW, Toyota Avensis, rückwärts aus einer Parklücke aus. Die Beklagte zu 1) befuhr mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten VW Polo die Fahrspur dieses Parkplatzes. Dabei kam es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge, wobei beide Fahrzeuge beschädigt wurden.

Die Klägerin hat erstinstanzlich eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von insgesamt 2.315,71 € sowie Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten beantragt und behauptet, der Drittwiderbeklagte zu 2) habe langsam, bei stetiger Rückschau und bei ständiger Bremsbereitschaft rückwärts ausgeparkt. Als er das Fahrzeug der Beklagten zu 1) wahrgenommen habe, habe der Drittwiderbeklagte zu 2) sofort gebremst. Als es zur Kollision gekommen sei, habe der Drittwiderbeklagte zu 2) bereits mehrere Sekunden gestanden. Die Beklagte zu 1) sei unaufmerksam und mit unangemessener Geschwindigkeit gegen den stehenden PKW der Klägerin gefahren.

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und behauptet, dass sich das klägerische Fahrzeug in der Rückwärtsbewegung befunden habe, als es zur Kollision gekommen sei. Der Drittwiderbeklagte zu 2) habe schnell zurückgesetzt und sei in den PKW der Beklagten zu 1) gefahren. Die Beklagte zu 1) sei mit Schrittgeschwindigkeit und ständig bremsbereit gefahren.

Das Amtsgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner dazu verurteilt,

1. an die Klägerin 463,14 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.06.2017 zu zahlen und

2. an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 85,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.06.2017 zu zahlen

und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Zur Begründung hat es angeführt, dass die Beklagten im Ergebnis nur für 20 % des durch den Verkehrsunfall entstandenen Schaden haften. Der Verkehrsunfall habe für keine der Parteien ein unabwendbares Ereignis dargestellt, sodass es auf eine Abwägung im Rahmen des § 17 Abs. 1, 2 StVG ankomme.

Insoweit stände auf Seiten der Klägerin eine durch einen Verstoß gegen §§ 1 Abs. 2, 9 Abs. 5 StVO deutlich erhöhte Betriebsgefahr. Der Anscheinsbeweis spreche dafür, dass der Drittwiderbeklagte zu 2) gegen §§ 1 Abs. 2, 9 Abs. 5 StVO verstoßen habe. Beim Rückwärtsfahren müsse sich mittelbar über § 1 StVO auch auf Parkplätzen so verhalten werden, dass eine Gefährdung anderer Teilnehmer ausgeschlossen sei. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen sei ausgeschlossen, dass der Drittwiderbeklagte zu 2) gestanden habe; es sei vielmehr nachzuweisen, dass er sich in einer rückwärtigen Fahrbewegung befunden habe. Die Aussage des Zeugen O. stünden dieser Annahme nicht entgegen.

Auf Seiten der Beklagten hingegen stehe wegen eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 2, 3 StVO eine erhöhte Betriebsgefahr. Die Beklagte zu 1) habe den Fahrstreifen ausweislich des Sachverständigen und des Zeugen mit 15 bis 20 km/h befahren, was angesichts der auf Parkplätzen vorherrschenden Verkehrsverhältnisse eine überhöhte Geschwindigkeit darstelle.

Die Abwägung der Verursachungsbeiträge müsse berücksichtigen, dass den Rückwärtsfahrenden eine vergleichsweise höhere Sorgfaltspflichtverletzung als den Vorwärtsfahrenden treffe, da die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gerade ausgeschlossen sein müsse. Hinzu komme, dass sich die Kollision mit einem Abstand von 2,3 Meter zur rechts gelegenen Parkbucht ereignet habe. Die Geschwindigkeit des Beklagten sei zwar vorschriftswidrig, aber nicht übermäßig erhöht. Die Betriebsgefahr des Beklagten zu 1) trete jedoch nicht vollständig zurück, da auch dieser den Unfall durch Bremsen hätte vermeiden können. Daher sei eine Quote von 80/20 zu Lasten der Klägerseite angemessen.

Gegen das am 12.06.2018 verkündete und dem Klägervertreter am 15.06.2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 11.07.2018 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 10.08.2018 eingegangenem Schriftsatz begründet und unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klageanträge weiterverfolgt.

Zur Begründung führt die Klägerin zunächst an, dass das Amtsgericht widersprüchlich annehme, dass eine erhöhte Betriebsgefahr zu Lasten der Beklagten bestehe, dann aber nur eine Quote in Höhe von 20 % und damit in Höhe der normalen und nicht erhöhten Betriebsgefahr angenommen werde. Die normale Betriebsgefahr sei im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG immer zu berücksichtigen. Sie trete nicht automatisch vollständig zurück. Hierfür sei vielmehr eine gesonderte Begründung erforderlich. Eine solche Begründung habe das Gericht nicht vorgenommen. Auf Seiten der Beklagten sei daher neben der normalen Betriebsgefahr gefahrerhöhend zu berücksichtigen gewesen, dass die Beklagte die Schrittgeschwindigkeit um mehr als das Doppelte überschritten habe. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte nicht auf den von rechts kommenden Verkehr geachtet habe und somit nicht vorausschauend gefahren sei. Das Amtsgericht habe nämlich eine Aussage der Beklagten zu 1) im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 20.03.2018 völlig unberücksichtigt gelassen. Diese habe dort angegeben: „Ich war um die Kurve gefahren und hatte mich nach links orientiert, da knallte es dann schon.“ Aus dieser Aussage gehe hervor, dass die Beklagte den von rechts kommenden Verkehr keineswegs beachtet habe. Auch für die Beklagten gelte das Gebot der erhöhten Vorsicht und gegenseitigen Rücksichtnahme. Daher sei eine Quote von jeweils 50 % angemessen.

Dem kann im Ergebnis nicht gefolgt werden.

Das Amtsgericht hat zunächst zutreffend festgestellt, dass wegen des Verkehrsunfalls sowohl auf Kläger-, als auch auf Beklagtenseite dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. 115 VVG besteht. Das Amtsgericht hat ferner zutreffend ausgeführt, dass eine Unvermeidbarkeit nach § 17 Abs. 3 StVG für keine der Parteien in Betracht kommt, da der hinzugezogene Sachverständige H. positiv festgestellt hat, dass der Unfall für beide Parteien vermeidbar gewesen ist.

Parkplatzunfall - Haftung des Ausparkenden
(Symbolfoto: Von frantic00/Shutterstock.com)

Zutreffend ist insoweit auch eine Haftungsquotelung im Sinne des § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmen. Die vom Amtsgericht vorgenommene Quotelung von 80 % zu Lasten der Klägerin und von 20 % zu Lasten der Beklagten ist nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden. Die Abwägung aller im konkreten Fall vorliegenden Umstände führt zu keiner abweichenden Bewertung durch die Kammer. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs war wegen des schwere wiegenden Sorgfaltspflichtverstoßes der Klägerin gegenüber der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeuges deutlich erhöht.

Nach § 9 Abs. 5 StVO muss sich der Rückwärtsfahrende so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Aus dem Rückwärtsfahren folgt auch auf Parkplätzen eine besondere Gefährlichkeit für den rückwärtigen Verkehr, da das Sichtfeld des Rückwärtsfahrenden erheblich eingeschränkt ist (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14 in NJW-RR 2015, 223, beck-online). Während des Rückwärtsfahrens hat er daher sorgfältig darauf zu achten, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer von der Seite oder von hinten in den Gefahrenraum gelangt (BHHJJ/Burmann StVO § 9 Rn. 67-70, beck-online). Der Rückwärtsfahrende muss sich in Folge dessen so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann (BGH, Urteil vom 26.1.2016 – VI ZR 179/15 in NJW 2016, 1100, beck-online; OLG Saarbrücken, Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14 in NJW-RR 2015, 223, beck-online; BHHJJ/Burmann StVO § 9 Rn. 67-70, beck-online). Die Vorschrift erlangt auf dem hier geltenden Parkplatz über § 1 StVO jedenfalls mittelbar Bedeutung (BGH, Urteil vom 26.1.2016 – VI ZR 179/15 in NJW 2016, 1100, beck-online; BGH, Urteil vom 11.10.2016 – VI ZR 66/16 in BGH NJW 2017, 1175). Auch bei Unfällen auf Parkplätzen spricht dabei ein Anscheinsbeweis der schuldhaften Unfallverursachung gegen den Rückwärtsfahrenden (BGH, Urteil vom 26.1.2016 – VI ZR 179/15 in NJW 2016, 1100, beck-online; BGH, Urteil vom 11.10.2016 – VI ZR 66/16 in BGH NJW 2017, 1175).

Zutreffend hat das Amtsgericht dargelegt, dass durch die nachvollziehbaren Äußerungen des Sachverständigen H. ausgeschlossen werden konnte, dass das Fahrzeug der Klägerin im Kollisionszeitpunkt stand. Dabei hat das Amtsgericht auch zutreffend die Aussage des Zeugen O. einbezogen. An den Drittwiderbeklagten zu 2) waren damit äußerste Sorgfaltsanforderungen zu stellen. In dem Verstoß gegen diese Sorgfaltsanforderungen liegt grundsätzlich ein grober Verstoß, so dass grundsätzlich eine volle Haftung des Rückwärtsfahrenden besteht, sofern dem Unfallgegner nicht selbst auch Sorgfaltsverstöße vorzuwerfen sind (so wohl auch: OLG Saarbrücken, Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14 in NJW-RR 2015, 223, beck-online).

Die Haftungsquote auf Seiten der Beklagten ist auf 20 % festzusetzen, da den Beklagten ebenfalls ein – wenn auch nach Auffassung der Kammer erheblich geringerer – unfallursächlicher Verkehrsverstoß anzulasten ist. Die Beklagte zu 1) hat ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen H. die auf Parkplätzen üblicherweise gebotene Schrittgeschwindigkeit nicht eingehalten, indem sie die Fahrspur des Parkplatzes jedenfalls mit 15 km/h befuhr. Auf Parkplätzen muss grundsätzlich stets mit ausparkenden und rückwärts fahrenden Fahrzeugen gerechnet werden und daher vorsichtig gefahren werden (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 6/15 in NJW 2016, 1098, beck-online mit weiteren Nennungen), sodass die Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit regelmäßig geboten ist. Auch dem Beklagten ist daher ein Sorgfaltsverstoß, nämlich ein Verstoß gegen §§ 1 Abs. 2, 3 StVO anzulasten. Das Amtsgericht hat insoweit jedoch auch zutreffend ausgeführt, dass die gebotene Schrittgeschwindigkeit von dem Beklagten zu 1) zwar nicht eingehalten wurde, die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit aber nicht in einem solchen Maße erhöht war, dass eine über 20 % liegende Quote auf Seiten des Beklagten zu berücksichtigen wäre. Dem schließt sich die Kammer an. Unter Berücksichtigung der gefahrenen Geschwindigkeit von 15 km/h erscheint eine für den Beklagten zu berücksichtigende Quote von 20 % – auch unter Berücksichtigung der an den Rückwärtsfahrenden gestellten äußersten Sorgfaltsanforderungen – angemessen. Der der Beklagten vorzuwerfende Sorgfaltsverstoß wiegt im Verhältnis zu der der Klägerin vorzuwerfenden Verletzung der äußersten Sorgfaltspflicht erheblich geringer. Bei der Kollision zwischen einem rückwärts aus einer Parklücke fahrenden Fahrzeug mit einem auf der Fahrspur für die Verhältnisse zu schnell fahrenden Fahrzeug überwiegt regelmäßig die Haftung des rückwärts Ausparkenden (AG Stuttgart, Urteil vom 25.11.2005, 8 C 2254/05; AG Osnabrück, Urteil vom 29.11.2007, 43 C 327/07; LG Heidelberg, Urteil vom 20.02.2015, 3 O 93/14 – zitiert nach juris). Insofern ist darüber hinaus ebenso zu berücksichtigen und in die Bewertung einzubeziehen, dass sich die Kollision etwa 2,3 Meter von den rechten Parkbuchten entfernt zugetragen hat. Die Beklagte hat somit ausreichend Abstand zu gegebenenfalls ausparkenden Fahrzeugen gehalten.

Dem Amtsgericht ist auch kein Fehler dahingehend vorzuwerfen, dass kein weiterer Verkehrsverstoß der Beklagten berücksichtigt wurde. Aus dem von der Beklagten zu 1) geäußerten Satz „Ich war um die Kurve gefahren und hatte mich nach links orientiert, da knallte es dann schon.“ kann jedenfalls nicht zweifelsfrei geschlossen werden, dass die Beklagte zu 1) gegebenenfalls ausparkenden Fahrzeuge überhaupt nicht beachtet habe und nicht vorausschauend gefahren sei. Vielmehr wird hierdurch gerade deutlich, dass sich die Beklagte zu 1) gegebenenfalls ausparkender Fahrzeuge bewusst war und sich deshalb eher links des Fahrstreifens orientierte. Diese Orientierung wird durch die Feststellungen des Sachverständigen H. gestützt, nach der die Kollision etwa 2,3 Meter rechts der Parkbuchten stattgefunden hat. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte zu 1), dem Verlauf der Fahrspur folgend, kurz vor der Kollision nach links abbog und somit auch auf gegebenenfalls von links kommenden Verkehr achten musste.

Nach umfassender Würdigung aller Verursachungsbeiträge der Parteien, schließt sich die erkennende Kammer daher hinsichtlich der nach § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der vom Amtsgericht gewählten Quote in Höhe von 80 % zu Lasten der Klägerin und 20 % zu Lasten der Beklagten an.

III.

Die zur Entscheidung stehende Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Urteilsentscheidung ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO. Ein rechtlich relevanter neuer Tatsachenvortrag i.S.d. § 531 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor. Das angefochtene Urteil beruht aus den genannten Gründen nicht auf einer falschen Rechtsanwendung.

Eine mündliche Verhandlung i.S.v. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO ist nicht geboten.

 

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