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Strafbarkeit eines Ausbremens bis zum Stillstand

OLG Rostock, Az.: 1 Ss 63/96 I 19/96, Urteil vom 14.08.1996

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Stralsund vom 17.01.1996 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte einer vollendeten Nötigung schuldig ist.

Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.

Die Kosten der Revision sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Revisionsverfahren hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Stralsund hatte den Angeklagten wegen zweier Vorfälle, die sich am Abend des 10.02.1995 auf der Bundesstraße 96 zugetragen hatten, wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB sowie wegen versuchter Nötigung gem. §§ 240 Abs. 1 und 3 StGB angeklagt. Das Amtsgericht Greifswald hatte daraufhin den Angeklagten mit Urteil vom 07.09.1995 wegen zweifachen – in natürlicher Handlungseinheit begangenen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315 b Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe zu 60 Tagessätzen zu jeweils 50,00 DM verurteilt.

Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft, die nunmehr hinsichtlich des zweiten Vorfalls eine Verurteilung wegen eines tatmehrheitlich begangenen weiteren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie ferner auch die Entziehung der Fahrerlaubnis erstrebte, hat das Landgericht Stralsund den Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil hinsichtlich des zweiten Vorfalls vom Vorwurf der versuchten Nötigung bzw. des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr freigesprochen, hinsichtlich des ersten Vorfalls wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315 b Abs. 4 StGB auf eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu jeweils 30,00 DM erkannt, darüberhinaus gegen den Angeklagten ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt und im Übrigen die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen.

Gegen dieses am 17.01.1996 verkündete Urteil richtet sich die am 22.01.1996 bei Gericht eingegangene Revision der Staatsanwaltschaft, die sie nach Zustellung des Urteils am 12.02.1996 mit Schriftsatz vom 01.03.1996 – bei Gericht eingegangen am 05.03.1996 – unter Anbringung der Revisionsanträge begründet hat. Die Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung materiellen Rechts. Sie erstrebt nunmehr hinsichtlich des ersten Vorfalls eine Verurteilung wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit vollendeter Nötigung gem. § 240 StGB und darüber hinaus hinsichtlich des zweiten Vorfalls eine Verurteilung wegen eines weiteren vorsätzlich begangenen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision zunächst in vollem Umfang beigetreten, jedoch hat der Sitzungsvertreter in der Hauptverhandlung beantragt, die Revision hinsichtlich des zweiten Vorfalls zu verwerfen.

II.

Nach den Feststellungen des Landgerichts befuhr der 30jährige, bislang nicht straf- oder straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getretene Angeklagte am 10.02.1995 gegen 18.30 Uhr mit seinem Fahrzeug, einem Nissan Pabrol Geländewagen, die Bundesstraße 96 aus B kommend in Richtung G. Hinter der Ortschaft M fuhr vor ihm der stark beladene Opel-Kadett der Eheleute Hans-Joachim und Kerstin G, die auf dem Rücksitz ihre 3jährige Tochter bei sich hatten. Hinter dem Ortsausgangsschild befand sich seinerzeit eine schlecht beleuchtete Baustelle. Um nicht mit einer Barke, die er wegen der infolge der starken Beladung des Pkw falsch eingestellten Scheinwerfer erst später erkannt hatte, zu kollidieren, musste der Zeuge G stark bremsen. Daraufhin musste auch der Angeklagte seinerseits stark abbremsen, worüber er verärgert war. Nachdem beide Fahrzeuge den Baustellenbereich verlassen hatten, überholte der Angeklagte die Eheleute G, indem er sein Fahrzeug zunächst stark beschleunigte, sich sodann unmittelbar – ohne den Sicherheitsabstand einzuhalten – vor dem Fahrzeug der Eheleute G einordnete und anschließend sein Fahrzeug bis zum Stillstand abbremste. Damit wollte er erreichen, dass auch der Zeuge G zu einer Vollbremsung gezwungen wurde, um sich so für dessen nach seiner Meinung verkehrswidrige Bremsung vor der Baustelle zu revanchieren. Dem Angeklagten war dabei bewußt, daß die Insassen des anderen Fahrzeugs an Leib und Leben gefährdet würden; er vertraute jedoch darauf, dass „der Opelfahrer hinter ihm aufpasste und auch noch rechtzeitig abbremste“.

Nach diesem Vorfall setzte der Zeuge G als erster die Fahrt fort und fuhr an dem noch stehenden Geländewagen des Angeklagten vorbei. Nunmehr setzte sich der Angeklagte hinter das Fahrzeug des Zeugen G. Auf einer Strecke von mehreren hundert Metern betätigte er mehrfach sein Fernlicht sowie die Zusatzscheinwerfer seines Geländewagens. Dadurch wollte er dem Zeugen G zeigen, „wie es ist, wenn einem ein Fahrzeug mit aufgeblendeten Scheinwerfern hinterherfährt“. Dabei war der Angeklagte der Meinung, der Zeuge G sei ihm hinter der Baustelle in M mit Fernlicht gefolgt, als er diesen überholt hatte. Noch vor der Ortschaft R geriet der Zeuge G, weil er die Fahrbahnbegrenzungslinie infolge der Blendwirkung, die das helle Licht des Fahrzeugs des Angeklagten in seinem Rücken erzeugte, schlecht erkennen konnte, auf die Gegenfahrbahn, wo er „vor einem Straßenbaum sein Fahrzeug anhalten musste“.

III.

Strafbarkeit eines Ausbremens bis zum Stillstand
Symbolfoto: N_Defender/Bigstock

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden, mithin zulässig. Sie hat im Ergebnis jedoch keinen Erfolg.

Die Feststellungen tragen weder hinsichtlich des ersten Vorfalls noch hinsichtlich der späteren Vorgänge eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.

Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass ein Vergehen nach § 315 b Abs. 1 StGB einen von außen kommenden, verkehrsfremden Eingriff in die Sicherheit des Straßenverkehrs voraussetzt, während ein verkehrsordnungswidriges Verhalten im Straßenverkehr, d. h. ein Vorgang im fließenden Verkehr, grundsätzlich nicht von § 315 b StGB, sondern allein von § 315 c StGB erfasst wird, sofern die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.

Letzteres ist – wovon offensichtlich auch die Revision ausgeht – nicht der Fall. Zwar ist der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen hinter der Baustelle in M zunächst unmittelbar und ohne den Sicherheitsabstand einzuhalten vor dem Fahrzeug der Eheleute G eingeschert. Die nachfolgende „Vollbremsung“ des Zeugen Hans-Joachim G mit der dadurch möglicherweise eingetretenen Gefährdung der Insassen dieses Fahrzeugs war jedoch – wovon der Senat nach den getroffenen Feststellungen auszugehen hat – nicht deshalb erforderlich, sondern allein, weil der Angeklagte anschließend zusätzlich stark abbremste. Zwar stand auch dieses Verhalten wegen der engen zeitlichen Abfolge noch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Überholvorgang, jedoch lag das Schwergericht des Geschehens nicht in der Mißachtung des Sicherheitsabstandes, sondern in dem nachfolgenden abrupten Abbremsen, d. h. in dem aus dem fließenden Verkehr heraus bereiteten Hindernis.

Allerdings entspricht es einhelliger Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte, dass auch ein Verkehrsteilnehmer unter bestimmten Voraussetzungen tauglicher Täter eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sein kann. Danach sind auch Vorgänge im fließenden Verkehr dann als ein „Hindernisbereiten“ im Sinne von § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB zu werten, wenn der Täter von vornherein vom Verhalten eines „normalen“ Verkehrsteilnehmers dadurch abweicht, dass er durch Zuwiderhandeln gegen Verkehrsvorschriften die Schaffung eines Hindernisses beabsichtigt, d. h. wenn die Behinderung des Verkehrs nicht nur Folge, sondern gerade Zweck des verbotswidrigen Verhaltens ist (so BGHSt 21, 301/302 und zuletzt BGH VRS 90, 31/32). In gleicher Weise erfüllt ein Verkehrsteilnehmer das Merkmal eines „ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriffs“ im Sinne von § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB, wenn er das von ihm gesteuerte Fahrzeug „in verkehrsfeindlicher Einstellung“ bewusst zweckwidrig einsetzt (so BGHSt 28, 87/88; BGH VRS 90, 32/33). Er muss in die Sicherheit des Straßenverkehrs eingreifen wollen. Der Täter muss mithin nicht nur einen grob verkehrswidrigen Verstoß im Sinne von § 315 c Abs. 1 StGB begehen, sondern einen verkehrsfremden (verkehrsfeindlichen) Eingriff im Sinne von § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB vornehmen und dadurch einen Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr „pervertieren“ (so BGH VRS 77, 359; BGH NZV 90, 77; ebenso OLG Hamm NJW 69, 1976).

Dementsprechend hat der BGH mehrfach entschieden, dass sich nach § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar macht, wer – ohne durch die Verkehrslage hierzu veranlasst worden zu sein scharf abbremst (BGHR StGB § 315 b Abs. 1 Nr. 2 Hindernisbereiten Nr. 1; BGH VRS 53, 355; BGH NZV 92, 325). Diesen vom BGH entschiedenen Fällen ist indes gemein, dass der jeweilige Täter gehandelt hat, um einen Auffahrunfall zu verursachen, etwa um einen Versicherungsfall herbeizuführen. Soweit nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (VRS 73, 41; NZV 88, 149; NZV 89, 441) darüber hinausgehend der Tatbestand des § 315 b StGB bereits dann erfüllt war, wenn es dem Täter darauf ankam, auch den Fahrer des nachfolgenden Fahrzeugs zu einer Vollbremsung zu zwingen, ist diese Rechtsprechung durch die zitierten Entscheidungen des BGH möglicherweise überholt.

Weiterhin hat der BGH mehrfach (BGHSt 22, 365, 366/367; 26, 176/178; 28, 87/89 und zuletzt in VRS 90, 31, 34/35) entschieden, dass in derartigen Fällen nicht jede Behinderung des fließenden Verkehrs durch ein bereitetes Hindernis – und auch nicht jeder ähnliche Eingriff – tatbestandsmäßig im Sinne von § 315 b Abs. 1 Nr. 2 oder 3 StGB ist, sondern nur dann, wenn eine „grobe Einwirkung von einigem Gewicht“ erfolgt ist. Dabei bestimmt sich die Frage, wann eine Behinderung „von Gewicht“ ist, unabhängig von der Tatfolge. Die tatsächlich eingetretene Gefahrenlage ist danach allenfalls ein Indiz fur die Erheblichkeit der Einwirkung, was namentlich dann in Betracht kommt, wenn dem Verhalten „in spezifischer Weise das Risiko anhaftet, zu einer konkreten Gefährdung im Sinne der Strafvorschrift zu führen“ (BGH VRS 90, 31, 35).

Ausgehend von dieser Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, ist vorliegend eine Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht möglich.

Abgesehen von den vorstehend genannten Bedingungen für eine Anwendung des § 315 b StGB auf Vorgänge im fließenden Verkehr setzt eine Strafbarkeit nach § 315 b StGB – ebenso wie nach § 315 c StGB – voraus, dass durch das bereitete Hindernis oder den anderen, ebenso gefährlichen Eingriff Leib oder Leben eines anderen oder zumindest fremde Sachen von bedeutendem Wert tatsächlich konkret gefährdet worden sind. Eine konkrete Gefahr ist dabei nur dann anzunehmen, wenn die Sicherheit der betroffenen Rechtsgüter durch das Fahrverhalten des Täters so stark beeinträchtigt ist, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob die Rechtsgutsverletzung eintritt oder nicht (vgl. BGH VRS 44, 422, 423; OLG Düsseldorf NStE 94, Nr. 11 zu § 315 b StGB = NJW 1993, 3212). Die konkrete Gefahr besteht danach in einer „erkennbar eskalierten Krise“ für die unversehrte Existenz der geschützten Rechtsgüter, so dass bei normalem Verlauf eine reale Verletzung ernsthaft zu besorgen ist (BGHSt 26, 176/178; OLG Düsseldorf a. a. O.). Der Eintritt der „hochgradigen Existenzkrise“ muss dabei vom Tatrichter durch präzise und nachvollziehbare Feststellungen belegt werden. Die Verwendung inhaltsleerer und eher wertender Begriffe reicht zur plausiblen Umschreibung der brisanten Situation nicht aus. Insbesondere sind Begriffe wie „Notbremsung“, „Vollbremsung“ oder „scharfes Abbremsen“ schon im Hinblick auf ihre inhaltliche Unbestimmtheit nicht hinreichend aussagekräftig. Erforderlich sind vielmehr nähere Angaben zum Fahrverhalten der Fahrzeuge, zu Reaktionen des betroffenen Fahrers oder wahrnehmbare Veränderungen des verkehrstypischen Geschehensablaufs (z. B. quietschende oder qualmende Reifen, Ausbrechen bzw. Schlingern oder Schleudern des Fahrzeugs in einer näher beschriebenen Art und Weise, Umherfliegen von Gegenständen in der Fahrgastzelle, Verletzungen von Insassen, oder jedenfalls das Ansprechen von Sicherheitsgurten (so ausdrücklich OLG Düsseldorf a. a. O.). Auch ist zu berücksichtigen, dass ein Abbremsen in plötzlich auftretenden gefährlichen Verkehrslagen eine einem jeden Kraftfahrer vertraute Reaktion ist, die nicht ohne Weiteres zu gravierenden Beeinträchtigungen führt. Deshalb kann aus einem abrupten Abbremsen ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht zwangsläufig auf eine naheliegende, nur noch vom Zufall abhängende Schädigung geschlossen werden (OLG Düsseldorf a.a.o.).

Diese – restriktive – Rechtsprechung hat in der Literatur Zustimmung gefunden (vgl. Dreher-Tröndle, Anmerkung 7 zu § 315 b StGB; Janiszewski NStZ 94, 272) und wird auch vom Senat geteilt, um einer ansonsten zu befürchtenden ausufernden Anwendung des § 315 b Abs. 1 StGB zu begegnen. Sie entspricht insbesondere auch der Rechtsprechung des BGH, der – wie dargelegt – die Ausnahmen von dem Grundsatz, dass § 315 b StGB nur verkehrsfremde Einwirkungen auf die Sicherheit des Straßenverkehrs von außen erfasst, auf gravierende Fälle beschränkt wissen will.

Hieran gemessen reichen die hierzu getroffenen Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht aus. Sie lauten: „Der Angeklagte … bremste sein Fahrzeug bis zum Stillstand ab. Damit wollte er erreichen, dass auch G zu einer Vollbremsung gezwungen werde … Dass die Insassen des Opels dadurch an Leib und Leben gefährdet wurden, war ihm klar …“ (UA, S. 4 d. A.). Im Übrigen werden lediglich die Einlassung des Angeklagten – der eingeräumt hat, sein Fahrzeug „abgebremst“ zu haben, „aber nicht abrupt bis zum Stillstand“ – sowie die Angaben der Eheleute G wiedergegeben, wonach der Angeklagte „kurz vor ihrem Pkw eingeschert sei und eine Vollbremsung vollzogen“ habe und der Zeuge G „nur durch Geistesgegenwart, Reaktionsschnelligkeit und fahrerisches Geschick ein Auffahren habe vermeiden können“ (UA, S. 4 d. A.). Dass das Landgericht dieser Aussage gefolgt ist, ergibt sich allein aus dem Sinngehalt der Urteilsgründe und der getroffenen Entscheidung; eine Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten enthalten die Urteilsgründe nicht.

Danach bleibt offen, worin das Landgericht die konkrete Gefahr gesehen hat. Insbesondere bleibt offen, ob die Sicherheit der betroffenen Rechtsgüter tatsächlich in der Weise beeinträchtigt war, wie dies nach der genannten Rechtsprechung Voraussetzung für einen Schuldspruch nach § 315 b StGB ist. Nach den getroffenen Feststellungen muss der Senat vielmehr davon ausgehen, dass es nicht zu der erforderlichen „Existenzkrise“ gekommen ist, der Zeuge G vielmehr in der Lage war, die Situation zu meistern und so den Eintritt der konkreten Gefahr für sich selbst, seine Familienangehörigen und sein Fahrzeug zu verhindern.

Weiterhin setzt eine Verurteilung des Angeklagten wegen einen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach der oben zitierten Rechtsprechung des BGH, wonach eine Anwendung des § 315 b StGB auf Vorgange im fließenden Verkehr nur dann in Betracht kommt, wenn der Täter in der Absicht gehandelt hat, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in die Sicherheit des Straßenverkehrs „zu pervertieren“, voraus, dass die Herbeiführung der konkreten Gefahr vom Vorsatz des Angeklagten erfaßt war. Eine bloß fahrlässige Begehung (315 b Abs. 5 StGB), aber auch eine nur fahrlässige Herbeiführung der konkreten Gefahr (§ 315 b Abs. 4 StGB), genügt in derartigen Fallen nicht (BGH NJW 69, 1444/1445; BGHSt 28, 87/89 und zuletzt BGH VRS 90, 31, 36; im Ergebnis ebenso OLG Köln NZV 1991, 319/320; NZV 1992, 80/81).

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Das Landgericht ist – wie sich allein aus dem Hinweis auf § 315 b Abs. 4 StGB (UA S. 5 oben) ergibt – indes davon ausgegangen, dass der Angeklagte vorsätzlich ein Hindernis bereitet und dabei die Gefahr lediglich fahrlässig verursacht hat, was – wie dargelegt – für eine Verurteilung nicht ausreichen würde. Aber auch ein Schuldspruch wegen vorsätzlicher Tatbegehung im Sinne von § 315 b Abs. 1 StGB wie ihn die Staatsanwaltschaft erstrebt – ist nach den getroffenen Feststellungen nicht möglich. Die Urteilsgründe verhalten sich zu den Beweggründen des Angeklagten und seine Vorstellungen in der konkreten Situation wie folgt: „Damit (durch das abrupte Abbremsen bis zum Stillstand) wollte er (der Angeklagte) erreichen, dass auch G zu einer Vollbremsung gezwungen werde, um sich für dessen nach seiner Meinung verkehrswidrige Bremsung vor der Baustelle zu revanchieren. Dass die Insassen des Opel dadurch an Leib und Leben gefährdet wurden, war ihm klar; er vertraute aber darauf, dass der Opelfahrer hinter ihm aufpaßte und auch noch rechtzeitig abbremste“ (UA S. 4).

Diese Feststellungen – an die der Senat ebenfalls gebunden ist – belegen, dass der Angeklagte zwar die Möglichkeit eines Schadenseintritts gesehen, jedoch auf einen folgenlosen Ausgang seines Bremsmanövers vertraut hat. Damit hat er hinsichtlich einer konkreten Gefährdung des nachfolgenden Fahrzeugs – so sie denn eingetreten wäre – allenfalls bewußt fahrlässig, nicht jedoch bedingt vorsätzlich gehandelt. Gegen einen entsprechenden Vorsatz spricht im Übrigen die Lebenserfahrung. Mit dem Bremsmanöver war zwangsläufig auch eine – abstrakte – Gefährdung der eigenen Person und des eigenen Fahrzeugs verbunden. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte auch insoweit die Möglichkeit eines Schadenseintritts in Kauf genommen haben könnte, oder gar einen Unfall herbeiführen wollte, enthalten die Urteilsgründe nicht.

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils rechtfertigen jedoch eine Verurteilung wegen vollendeter Nötigung. Dass ein willkürlich scharfes Abbremsen aus hoher Geschwindigkeit, um den nachfolgenden Kraftfahrer zu einer Vollbremsung zu zwingen, den Tatbestand der Nötigung erfüllt, entspricht einhelliger Rechtsprechung (vgl. hierzu Dreher/Tröndle, Anmerkung 28 zu § 240 StGB; OLG Düsseldorf vRS 73, 41/42 BGH VRS 90, 37). Ein solches Verhalten ist „Gewalt“ i. S. d. Nötigungstatbestandes. Diese Rechtsfrage wird von der Rechtsprechung des BVerfG, das den Strafgerichten in der Entscheidung NJW 95, 1141/1143 aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Eingrenzung des Gewaltbegriffs in § 240 StGB aufgegeben hat, nicht berührt (so ausdrücklich BGH NZV 95, 325/326). In den Fällen eines absichtlichen „Ausbremsens“ beschränkt sich das Verhalten des Täters – anders als in den Fällen einer Sitzblockade – nicht auf seine bloße Anwesenheit auf der Straße; auch geht von seinem plötzlich abgebremsten Fahrzeug nicht nur eine psychische Zwangswirkung aus. Der Täter wirkt vielmehr auf die Entschlußfreiheit des nachfolgenden Fahrers jedenfalls auch durch die Errichtung eines physischen Hindernisses ein. Dieser wird seinerseits – wie beabsichtigt – zu einem Abbremsen und mithin zu einer Handlung gezwungen, um einen Auffahrunfall zu vermeiden. Dass die damit verfolgte Absicht, den nachfolgenden Fahrer wegen seines vorausgegangenen Verhaltens zu disziplinieren, wegen der mit einer Vollbremsung verbundenen abstrakten Gefahr und angesichts des regelmäßig nichtigen Anlasses als sozialwidrig oder gar sozial unerträglich anzusehen ist, steht außer Zweifel, so dass die Anwendung der Gewalt auch als verwerflich und die Nötigungshandlung mithin als rechtswidrig i. S. v. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen ist. Von einer nur geringfügigen Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Zeugen G, die aus verfassungsmäßigen Gründen zu einer anderen Beurteilung führen könnte, kann angesichts der abstrakten Gefahr für die Insassen des nachfolgenden Fahrzeugs keine Rede sein. Auch hinsichtlich der Vorgänge auf der Weiterfahrt und insbesondere der Ereignisse vor der Ortschaft R tragen die Urteilsfeststellungen den von der Staatsanwaltschaft erstrebten Schuldspruch wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315 b Abs. 1 Mr. 3 StGB nicht.

Diese gehen zum objektiven Tatbestand allein dahin, dass der Zeuge G infolge der Blendwirkung auf die Gegenfahrbahn geriet und „vor einem Straßenbaum sein Fahrzeug anhalten mußte“ (UA S. 4), was schon für den erforderlichen Nachweis einer konkreten Gefahr im Sinne dieser Vorschrift nach der zitierten Rechtsprechung nicht ausreicht.

Zu den Vorstellungen des Angeklagten und insbesondere seinen Beweggründen hat das Landgericht festgestellt, er habe dem Zeugen G durch das Betätigen des Fernlichtes zeigen wollen, „wie es ist, wenn einem ein anderes Fahrzeug mit aufgeblendetem Scheinwerfer hinterherfährt“ (UA S. 4). Dass der Angeklagte die Folgen seines Verhaltens vorausgesehen oder gar beabsichtigt hatte, wird damit nicht belegt. In diesem Zusammenhang ist schließlich auch zu berücksichtigen, dass es für einen Verkehrsteilnehmer keineswegs eine außergewöhnliche Erfahrung darstellt, von hinten geblendet zu werden, und der Zeuge G die Möglichkeit hatte, die eigene Geschwindigkeit herabzusetzen und anzuhalten, um einer Gefährdung durch die Blendwirkung zu entgehen.

Die Erwägungen der Revision, die sich im Wesentlichen mit der abstrakten Gefährlichkeit eines derartigen Verhaltens befassen und für eine Vergleichbarkeit mit dem Bereiten eines Hindernisses streiten, lassen den subjektiven Tatbestand und insbesondere die nach der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze außer Betracht. Die auf die Sachrüge hin vom Senat vorgenommene weitergehende Überprüfung des Urteils deckt keine weiteren Rechtsfehler auf.

Das Verhalten des Angeklagten auf der Weiterfahrt nach Reinberg erfüllt insbesondere auch nicht den Tatbestand einer – versuchten – Nötigung, wovon noch die Anklage ausgegangen ist. Nach den Urteilsfeststellungen wollte der Angeklagte den Zeugen G durch dieses Verhalten nicht zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen zwingen, sondern sich „lediglich“ für das vermeintliche Aufblenden nach dem Überholvorgang revanchieren. Anders als in den Fällen der Nötigung im Straßenverkehr durch Betätigen der Lichthupe ging es dem Angeklagten erkennbar nicht darum, den Zeugen G zu einem bestimmten Fahrverhalten zu veranlassen. Mit Recht hat das Landgericht somit dieses Verhalten des Angeklagten nicht als versuchte Nötigung gewertet.

Soweit dem Angeklagten hier eine Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 17, 17 Abs. 2 Satz 3 StvO zur Last fällt, ist diese verjährt (§§ 26 Abs. 3, 24 Abs. 1 StVG). Auch wegen der am 10.02.1995 begangenen Ordnungswidrigkeit ist der Angeklagte mit Schreiben vom 14.02.1995 (B1. 3 d. A.) angehört worden. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stralsund vom 24.05.1995 ist am 16.06.1995 beim Amtsgericht Greifswald eingegangen (B1. 13 R d. A.). Zwischenzeitlich waren keine die dreimonatige Verfolgungsverjährung unterbrechenden Handlungen erfolgt.

Zu Recht hat das Landgericht schließlich auch davon abgesehen, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen. Ein Regelfall des § 69 Abs. 2 StGB liegt nicht vor. Auch im Übrigen ergeben die Urteilsfeststellungen keine Hinweise dafür, dass der Angeklagte bei einer Gesamtwürdigung der Umstände der Tat und seiner Persönlichkeit als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet angesehen werden muss. Für die Beurteilung eines Eignungsmangels kommt es auf den Zeitpunkt der – letzten Hauptverhandlung an (BGHSt 7, 165). Dabei ist zu berücksichtigen, dass für den Angeklagten nach den Feststellungen des Landgerichts weder im Bundeszentralregister noch im Verkehrszentralregister Eintragungen enthalten waren, seit Begehung der Verkehrsstraftat nahezu ein Jahr vergangen war und – jedenfalls nach den Urteilsfeststellungen – auch danach keine weiteren, insbesondere einschlägigen Verkehrsverstöße des Angeklagten bekannt geworden sind.

Der Senat schließt aus, dass in einer erneuten Hauptverhandlung nach nunmehr über 1 1/2 Jahren die für eine Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr erforderlichen Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand noch getroffen werden können, die über die Feststellungen des angefochtenen Urteils hinausgehen. Für eine Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Landgerichts war mithin kein Raum.

Der Senat hat deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst entschieden und hinsichtlich des Vorfalls an der Baustelle hinter der Ortschaft M die erforderliche Schuldspruchberichtigung vorgenommen. Insoweit lagen vollständige und tragfähige Urteilsfeststellungen vor. Auch geht der Senat davon aus, dass der Angeklagte sich in einer erneuten Hauptverhandlung auf einen rechtlichen Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO gegen den Vorwurf der vollendeten Nötigung nicht anders und erfolgreicher hätte verteidigen können. Dies gilt auch hinsichtlich der Strafzumessung. Der Strafrahmen des § 240 Abs. 1 StGB entspricht dem Strafrahmen des vom Landgericht dem Schuldspruch zugrundegelegten § 315 b Abs. 4 StGB. Auch lassen die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts keinen Rechtsfehler erkennen; sie werden der Persönlichkeit des Angeklagten, wie sich aus den Urteilsfeststellungen ergibt, und insbesondere auch den Umständen der Tat – unabhängig von ihrer rechtlichen Einordnung – gerecht.

Im Übrigen war die Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO. Soweit die Staatsanwaltschaft mit der Revision eine Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr erstrebt hat, ist ihr Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben. Die vom Senat vorgenommene Schuldspruchberichtigung ändert hieran nichts.

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