Klage nach Sturz auf Trampolin abgewiesen: Keine Pflichtverletzung der Aufsichtspflicht
Das Landgericht Lübeck hat in seinem Urteil vom 25.04.2022 (Az.: 10 O 238/20) die Klage eines Klägers abgewiesen, der nach einem Sturz während einer ärztlich verordneten Rehasport-Übung auf einem Trampolin Schmerzensgeld und die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftigen immateriellen Schadens vom Beklagten, einem Verein für Prävention und Rehabilitation, gefordert hatte. Das Gericht fand keine Verletzung der Verkehrssicherungs- oder Aufsichtspflicht durch die Übungsleiterin, da der Kläger mit dem Gebrauch des Trampolins vertraut war und die Übungsleiterin angemessen auf die Situation reagierte.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Klage des Klägers wurde abgewiesen, da keine Pflichtverletzung seitens des Beklagten festgestellt wurde.
- Der Kläger musste die Kosten des Rechtsstreits tragen und das Urteil wurde vorläufig vollstreckbar erklärt.
- Der Unfall ereignete sich während einer ärztlich verordneten Rehasport-Übung auf einem Trampolin.
- Es bestanden keine Schadensersatzansprüche gegen den Verein aus vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnissen.
- Die Übungsleiterin verletzte ihre Aufsichtspflicht nicht; der Kläger war mit dem Trampolin vertraut.
- Sachverständigengutachten und Zeugenaussagen stützten die Entscheidung des Gerichts.
- Ein Anspruch auf Schadensersatz bestand auch nicht nach § 831 BGB, da keine Pflichtverletzung der Übungsleiterin nachgewiesen wurde.
- Das Interesse des Klägers an der Feststellung des Rechtsverhältnisses wurde anerkannt, jedoch war der Feststellungsantrag unbegründet.
Übersicht:
Unfallhaftung im Rehasport
Bei Rehasport handelt es sich um ein ärztlich verordnetes Bewegungsprogramm, das die Genesung von Patienten unterstützen soll. Doch was passiert, wenn es während einer solchen Übung zu einem Unfall kommt? Welche Haftungsansprüche bestehen dann?
Diese Fragen sind nicht nur für Betroffene, sondern auch für Übungsleiter und Veranstalter relevant. Denn bei einem Rehaunfall können verschiedene rechtliche Aspekte eine Rolle spielen, etwa die Verkehrssicherungspflicht oder die Aufsichtspflicht. Welche Sorgfaltspflichten bestehen im Einzelnen und wer haftet bei einem Verschulden? Ein aktuelles Urteil des Landgerichts Lübeck gibt Aufschluss über die Rechtslage und verdeutlicht die Herausforderungen bei der Sturzunfallhaftung während ärztlich verordneter Rehasport-Übungen.
Der Fall, der das Landgericht Lübeck beschäftigte, drehte sich um einen Sturzunfall während einer ärztlich verordneten Rehasport-Übung auf einem Trampolin, der zu einer rechtlichen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger, einem jungen Teilnehmer des Rehasports, und dem Beklagten, einem Verein für Prävention und Rehabilitation, führte. Der Kläger forderte Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftigen immateriellen Schadens infolge des Unfalls, der sich am 12. April 2018 ereignete.
Die Grundlage des Rechtsstreits
Die ärztliche Verordnung für den Rehabilitationssport enthielt spezifische Ziele wie Verbesserung der motorischen Funktion, Gewichtsreduktion und Verbesserung der Wahrnehmung. Der Unfall ereignete sich, als der Kläger im Rahmen des Gruppenunterrichts das Gleichgewicht verlor und mit dem Kinn aufdie Haltestange des Mini-Trampolins aufschlug, was zur Beschädigung seiner Zähne führte. Die Haftungsfrage konzentrierte sich darauf, ob die Kursleiterin ihre Aufsichtspflicht verletzt hatte, indem sie den Kläger das Trampolin benutzen ließ und ob der Beklagte für die Verletzungen verantwortlich gemacht werden kann.
Rechtliche Bewertung und Beweisaufnahme
Das Gericht setzte sich intensiv mit der Frage der Verkehrssicherungspflicht und der Aufsichtspflicht auseinander. Ein zentrales Element der Beweisaufnahme war das Sachverständigengutachten, das Auskunft darüber gab, wie gefährlich das benutzte Trampolin tatsächlich war und ob der Einsatz im Rahmen des Rehabilitationssports angemessen erfolgte. Hierbei wurde auch die Frage behandelt, ob die Kursleiterin die Teilnehmer ausreichend über den sicheren Umgang mit dem Trampolin instruiert hatte.
Entscheidung des Landgerichts Lübeck
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass keine Pflichtverletzung seitens der Kursleiterin und somit auch kein Verschulden des Beklagten vorlag. Es wurde festgestellt, dass der Kläger mit dem Gebrauch des Trampolins vertraut war und dass die Kursleiterin durch ihr Eingreifen einen Sturz verhindert hat. Daraus folgte, dass der Kläger keinen Anspruch auf Schadensersatz hat, weder aus vertraglichen noch aus gesetzlichen Schuldverhältnissen. Die Klage wurde daher in allen Punkten abgewiesen, und der Kläger wurde zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits verpflichtet.
Sachliche Betrachtung der Verantwortung im Rehabilitationssport
Dieser Fall beleuchtet die Komplexität der Verantwortungszuschreibung bei Unfällen im Rahmen von ärztlich verordneten Rehasport-Übungen. Es verdeutlicht, dass die Grenzen der Aufsichtspflicht und der Verkehrssicherungspflicht genau betrachtet werden müssen und dass eine gründliche Beweisaufnahme unerlässlich ist, um zu einer gerechten Entscheidung zu kommen.
Das Urteil des LG Lübeck unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls und stellt klar, dass die Verantwortung für die Sicherheit im Rehabilitationssport eine gemeinsame Aufgabe von Anbietern und Teilnehmern ist.
Das Landgericht Lübeck wies die Klage ab, da keine Verletzung der Aufsichts- oder Verkehrssicherungspflicht durch den Beklagten festgestellt werden konnte.
✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
Wie wird die Aufsichtspflicht bei Rehasport-Übungen definiert?
Die Aufsichtspflicht bei Rehasport-Übungen ist ein wesentlicher Aspekt, der sowohl die Sicherheit der Teilnehmenden als auch die rechtlichen Verpflichtungen der Übungsleiter betrifft. Übungsleiter und Trainer im Rehasport müssen eine Lizenz besitzen, um ihre Tätigkeit ausüben zu dürfen. Diese Lizenz beinhaltet in der Regel auch eine Ausbildung in Erster Hilfe, um im Notfall angemessen reagieren zu können. Die Aufsichtspflicht umfasst die Verantwortung, die Teilnehmenden vor Schäden zu schützen, sowohl in Bezug auf Sportunfälle als auch auf andere Gefahren. Übungsleiter sind verpflichtet, die Teilnehmenden zu beaufsichtigen und sicherzustellen, dass sie sich nicht selbst oder andere gefährden.
Die Aufsichtspflicht beginnt in dem Moment, in dem die Teilnehmenden die Sportstätte betreten, und endet mit der Übergabe an die Eltern oder Erziehungsberechtigten, falls es sich um Minderjährige handelt. Dies bedeutet, dass die Aufsichtspflicht auch vor und nach der eigentlichen Übungseinheit besteht. Bei Verletzungen oder Unfällen während der Übungsstunde kann die Frage der Haftung aufkommen. Übungsleiter und Vereine sind nur dann haftbar, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Aufsichtspflicht verletzt wurde. Eine sorgfältige Dokumentation und Einhaltung der Aufsichtspflicht kann dazu beitragen, das Risiko einer Haftung zu minimieren.
Es ist wichtig, dass Übungsleiter ihre Aufgaben und Pflichten kennen und diese ernst nehmen, um die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten und rechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Die Qualifikation und die Einhaltung der Aufsichtspflicht sind somit zentrale Elemente in der Durchführung von Rehasport-Übungen.
Inwiefern sind Anbieter von Rehasport-Übungen für Unfälle während der Übungsstunden haftbar?
Anbieter von Rehasport-Übungen können für Unfälle während der Übungsstunden haftbar gemacht werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass eine Verletzung der Aufsichtspflicht oder eine unzureichende Hilfestellung durch den Übungsleiter vorliegt. Die Haftung erstreckt sich auch auf den Verein, falls der Übungsleiter nicht ausreichend qualifiziert ist und dadurch ein Schaden entsteht. Rechtlich betrachtet, ist der Übungsleiter als sogenannter „Verrichtungsgehilfe“ des Vereins anzusehen, wodurch der Verein für Pflichtverletzungen des Übungsleiters haften muss.
Die Pflicht des Vereins besteht darin, durch angemessene Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen sicherzustellen, dass der Übungsleiter über die erforderliche Sachkunde verfügt. Dies beinhaltet auch, dass der Übungsleiter in der Lage sein muss, die Teilnehmenden angemessen zu beaufsichtigen und zu unterstützen, um Verletzungen zu vermeiden.
Im Falle eines Unfalls oder einer Verletzung während der Übungsstunde ist eine sorgfältige Dokumentation von entscheidender Bedeutung. Diese kann dazu beitragen, das Risiko einer Haftung zu minimieren, indem sie als Nachweis dient, dass die Aufsichtspflicht eingehalten wurde.
Es ist daher für Übungsleiter und Vereine unerlässlich, ihre Aufgaben und Pflichten ernst zu nehmen und sicherzustellen, dass alle Teilnehmenden vor Schäden geschützt sind. Dies umfasst auch die Verpflichtung, im Notfall angemessen reagieren zu können, wofür in der Regel eine Ausbildung in Erster Hilfe erforderlich ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Haftung bei Unfällen während Rehasport-Übungen von der Einhaltung der Aufsichtspflicht und der Qualifikation des Übungsleiters abhängt. Eine sorgfältige Dokumentation und die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben sind entscheidend, um das Haftungsrisiko zu minimieren.
Das vorliegende Urteil
LG Lübeck – Az.: 10 O 238/20 – Urteil vom 25.04.2022
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert wird auf 6.880 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der am x. Dezember 2011 geborene Kläger nimmt den Beklagten, einen Verein für Prävention und Rehabilitation, wegen eines am 12. April 2018 bei Nutzung eines Sprungtrampolins erlittenen Unfalls auf Zahlung von Schmerzensgeld und auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftigen immateriellen Schadens aus dem Unfall in Anspruch.
Die Gemeinschaftspraxis Dr. med. A., Dr. med. F. beantragte am 6. Dezember 2016 für den Kläger die Kostenübernahme für Rehabilitationssport in Form von Bewegungsspielen im Umfang von 50 Übungseinheiten in 18 Monaten (Anlage B 1, Blatt 22 f. der Akte), welche antragsgemäß bewilligt wurde. Im einzelnen enthielt die diesem Antrag zugrunde liegende „Ärztliche Verordnung für Rehabilitationssport/Funktionstraining“ die Diagnosen F82.0 G (Umschriebene Entwicklungsstörung der Grobmotorik), E66.99 G (Übergewicht), nannte als Grund für die Beantragung „Umsch[riebene] Entwicklungsstörung der Grobmotorik, sensormotorische Wahrnehmungsstörungen“ und formulierte als Ziel des Rehabilitationssports/Funktionstrainings eine „Verbesserung der motorischen Funktion“, „Gewichtsreduktion“ und „Verbesserung der Wahrnehmung“. Die Bewegungsspiele sollten beim Beklagten durchgeführt werden.
Der Kläger erhielt beim Beklagten Einzeltherapie sowie Gruppenunterricht unter der Leitung der Zeugin B. Der Kläger wechselte nach Beendigung der Einzeltherapie in eine andere „höhere“ Gruppe unter Leitung der Zeugin R.
In einem Arztbrief des Instituts für Neuro- und Sozialpädiatrie H. vom 21. August 2017 wird der Kläger als fünf Jahre und acht Monate altes Kind in gutem Allgemein- und adipösem Ernährungszustand (Körperlänge 125 cm, Körpergewicht 36,5 kg) und Brillenträger beschrieben. Unter der Rubrik „Koordinationsprüfung“ führt der Arztbericht folgendes aus:
„Monopedales Stehen beidseits nur ganz kurz möglich. Bipedales Hüpfen okay, monopedales Hüpfen vor: beidseits einige kurze plumpe Hüpfbewegungen möglich, rückwärts höchstens eine Hüpfbewegung möglich. Seiltänzergang vorwärts sehr instabil, rückwärts und blind nicht möglich. Zehen- und Hackengang ok. Finger-Daumen-Opposition und Diadochokinese ok, Ballfangen gut, -werfen zu kurz, -schießen unauffällig.“
Wegen der weiteren Einzelheiten des Arztbriefes vom 21. August 2017 wird auf die Anlage K 2 (Blatt 6, 6R der Akte) verwiesen.
Am 30. Januar 2018 unterzeichnete die gesetzliche Vertreterin des Klägers eine Mitgliedschaftsvereinbarung mit dem Beklagten für den Rehasportkurs „Die Fl.“. In allgemeinen Vertragsinformationen zu dieser Vereinbarung wurde auf die vom Beklagten abgeschlossene Sportunfallversicherung hingewiesen. Wegen der Einzelheiten der Mitgliedschaftsvereinbarung und der allgemeinen Vertragsinformationen wird auf die Anlage B 2 (Blatt 24 f. der Akte) Bezug genommen.
Am 12. April 2018 stürzte der Kläger im Rahmen des Gruppenunterrichts unter Umständen, deren Einzelheiten unter den Parteien strittig sind, bei der Benutzung eines Mini-Trampolins SP-T-110 (mit Haltestange) und schlug sich dabei zwei Zähne aus. Wegen der Einzelheiten des zahnärztlichen Befundes wird auf die Stellungnahme des Dr. M. vom 13. Dezember 2018 (Anlage K 1, Blatt 5 der Akte) verwiesen.
Mit dem Schreiben des jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 19. Februar 2019 (Anlage K 3, Blatt 7, 7R der Akte) forderte dieser die Haftpflichtversicherung des Beklagten dazu auf, ihm bis zum 4. März 2019 ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 Euro zu zahlen. Die Versicherung des Beklagten wies die geltend gemachten Ansprüche mit Schreiben vom 5. Juli 2018 (Anlage B 3, Blatt 26 der Akte) zurück.
Der Kläger behauptet, er habe vor dem Unfalltag lediglich einmal ein Trampolin unter der Aufsicht der Zeugin B. benutzt gehabt. Unter deren Leitung sei nur ein einziges Trampolin verwendet worden, welches die Kinder der Gruppe nacheinander hätten nutzen können. Am Unfalltag sei ein Trampolin zum Einsatz gekommen, das für Kinder unter sechs Jahren nicht empfohlen werde. Gleichwohl habe die Kursleiterin R. den beiden einzigen anwesenden Kindern jeweils ein Mini-Trampolin zur Verfügung gestellt. Als die Kinder bereits begonnen hätten, auf den Trampolinen zu springen, habe R. ihnen den Rücken zugewandt gehabt, weil sie ein von der Decke der Turnhalle herunterhängendes Seil zu sichern versucht habe. Der Kläger habe nach einigen Sprüngen auf dem Trampolin das Gleichgewicht verloren, sei mit dem Oberkörper nach vorn gekippt und mit dem Kinn auf die Haltestange des Trampolins aufgeschlagen. R. habe in das Geschehen nicht eingreifen können, da sie mit dem Rücken hierzu gestanden habe.
R. habe ihre Verkehrssicherungs- und Aufsichtspflicht in erheblicher Weise verletzt. Sie hätte den Kläger aufgrund der bekannten Entwicklungsstörungen der Grobmotorik das Trampolin nicht benutzen lassen dürfen. In jedem Fall habe sie ihn in der Weise überwachen müssen, dass sie ihn bei einem Gleichgewichtsverlust hätte auffangen können. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie zwei Kinder parallel auf zwei Trampolinen hätte absichern können. Der Kläger hält ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 4.000 Euro für angemessen. Da eine endgültige Versorgung der Zahndefekte erst nach Abschluss des Zahnwechsels erfolgen solle, sei mit weiteren Schäden zu rechnen, sodass er ein Interesse an der Feststellung habe, dass der Beklagte auch künftigen immateriellen Schaden wegen des Unfalls zu ersetzen habe.
Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. März 2019 zu zahlen,
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger künftigen immateriellen Schaden aus dem Unfall vom 12. April 2018 zu ersetzen,
3. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit (23. Mai 2019) zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Kursleiterin R. habe im Kurs am 12. April 2018 für die beiden allein anwesenden Kinder Trampoline SP-T-110 aufgebaut. Der Kläger habe sich, wie erforderlich, an der Haltestange festgehalten und zu springen begonnen. Aufgrund einer extrem unkontrollierten Bewegung und damit verbundenen Gewichtsverlagerung des Klägers sei das Trampolin ins Wanken geraten. R. habe unmittelbar daneben gestanden und eingegriffen und den Kläger vor einem Sturz bewahrt. Dieser sei jedoch unglücklicherweise mit den Zähnen auf die Stange aufgeschlagen und habe sich dadurch die Verletzungen zugezogen. Das eingesetzte Trampolin mit Haltestange sei für die durchgeführte Übung nicht ungeeignet gewesen, sondern habe vielmehr den Vorteil, dass das Kind sich bei Sprüngen auf dem Trampolin an der Haltestange festhalten könne, was die Koordination fördere und die Kraft stärke. Es gebe bei der Nutzung von Sportgeräten keine 100-prozentige Gewissheit, sich bei unkontrollierten Bewegungen nicht zu verletzen. Weder sei damit zu rechnen gewesen, dass das Trampolin durch einen unkontrollierten Sprung des Klägers leicht ins Schwanken gerate, noch dass der Kläger keine ausreichende Kraft besessen habe, sich durch weiteres Festhalten an der Haltestange auf Distanz zu dieser zu halten. Beides habe auch nicht verhindert werden können. Dass R. einen Sturz des Klägers und ein vollständiges Kippen des Trampolins vermeiden konnte, indem sie das Trampolin festgehalten habe, zeige, dass sie unmittelbar neben dem Trampolin gestanden und das Geschehen im Blick gehabt habe.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen B. und R. sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Anhörung des Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21. März 2022 (Blatt 279 ff., Band II der Akte) und auf das schriftliche Gutachten des Privatdozenten Dr. S., …, vom 3. September 2021 (Blatt 206 ff. der Akte) Bezug genommen. Das Amtsgericht Z hat die Mutter des Klägers vor der Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Lübeck persönlich angehört. Auf die Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts Z vom 22. Oktober 2019 (Blatt 62 ff. der Akte) wird insoweit Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist zulässig.
1. Insbesondere ist das Landgericht Lübeck gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig, da sich der Unfall im Bezirk des Landgerichts ereignet hat.
2. Der auf die Zahlung eines angemessenen, nicht konkret bezifferten Schmerzensgeldbetrages gerichtete Klagantrag ist hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Ein nicht bezifferter Zahlungsantrag ist nach ganz überwiegender Ansicht jedenfalls dann hinreichend bestimmt, wenn die Höhe des Anspruchs von einer gerichtlichen Schätzung nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO abhängt und der Kläger die für die Schätzung maßgebliche Tatsachengrundlage darlegt sowie die ungefähre Größenordnung, in der er sich vorstellt, ein Schmerzensgeld zu beanspruchen, angibt.
3. Das für den Feststellungsantrag gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche, nicht nur ausschließlich wirtschaftliche Interesse an der Feststellung des Rechtsverhältnisses liegt vor. Denn dem subjektiven Recht des Klägers droht eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch, dass der Beklagte dieses ernsthaft bestreitet. Das erstrebte Urteil ist infolge seiner Rechtskraft geeignet, die Unsicherheit zu beseitigen. Außerdem steht dem Kläger keine bessere Rechtsschutzmöglichkeit, insbesondere die Leistungsklage, zur Verfügung, da nach seinem Vortrag die zumindest entfernte Möglichkeit besteht, dass weitere Schadensersatzansprüche entstehen, auch wenn Eintritt, Art und Umfang der Ansprüche noch ungewiss sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2001 – VI ZR 381/99 – NJW 2001,1431, Rn. 7; Zöller/Greger, Zivilprozessordnung 33. Aufl. 2020 § 256 Rn. 7a).
II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
1. Der Kläger hat gegen den Beklagten weder einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus § 831 BGB noch aus § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Mitgliedervertrag. Schadensersatzansprüche aus einem vertraglichen (hierzu a) oder gesetzlichen Schuldverhältnis (hierzu b) sind nicht gegeben.
a) Vertragliche oder vertragsähnliche Schadensersatzansprüche gemäß § 249, 253 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB bestehen nicht. Es kann dabei offenbleiben, ob vertragliche oder nur vertragsähnliche Ansprüche gegen den beklagten Verein in Betracht kommen, weil in diesem Rechtsstreit nicht aufgeklärt worden ist, ob R. von dem Verein als Übungsleiterin angestellt war oder die Übungen als ehrenamtlich tätiges Vereinsmitglied mit besonderer Erfahrung und Befähigung durchführte; wäre R. lediglich einfaches Vereinsmitglied gewesen, begründete das Mitgliedschaftsverhältnis nämlich Treue- und Förderpflichten mit der Verpflichtung des Beklagten, bei der Auswahl der Übungsleiter die verkehrsübliche Sorgfalt zu beachten, also fachlich und persönlich geeignete Personen dafür heranzuziehen; eine Haftung wäre somit gleichwohl möglich (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. Mai 2011 – 19 U 171/10 -, Juris Rn. 12).
Allerdings ist weder R. eine Pflichtverletzung bei der Aufsicht des Klägers noch dem Beklagten ein Verschulden bei der Auswahl und Kontrolle der Übungsleiterin vorzuwerfen. Dass sich R. vor Durchführung der Übung nicht in erforderlichem Maße über die Fähigkeiten des Klägers erkundigt und ihn nicht in die Anwendung der Haltestange eingewiesen hat, wirkte sich hinsichtlich des Unfalls nicht aus (hierzu aa). R. hat den Kläger ausreichend beaufsichtigt (hierzu bb). Sie war in der konkreten Situation nicht verpflichtet, mäßigend auf den Kläger einzuwirken (hierzu cc).
aa) Welcher Pflichtenumfang für Aufsichtspersonen in einer konkreten Situation zugrunde zu legen ist, lässt sich nicht allgemeingültig formulieren, sondern ist vom Einzelfall abhängig. Eine Anweisung und Aufsicht ist nur soweit erforderlich, wie die Gefahr im Bereich des Vorhersehbaren liegt (vgl. OLG Hamm a. a. O. Juris Rn. 16; LG Kaiserslautern, Urteil vom 4. April 2006 – 1 S 145/05 -, Juris Rn. 7).
Wie der Sachverständige S. bei mündlicher Erstattung und Ergänzung seines Gutachtens ausgeführt hat, geht von jedem Übungsgerät eine gewisse Gefahr aus, sei es ein Ball, ein Band oder eben ein Trampolin. Bei einem Trampolin handele es sich zwischen einfach und komplex gelagerten Geräten sicherlich nicht um ein so einfach gelagertes Gerät wie ein Seil, es gehe eine gewisse Gefährlichkeit von ihm aus. Das von R. eingesetzte Sprungtrampolin SP-T-110 biete mit seiner Haltestange einerseits Sicherheit für den Anwender, während von der Haltestange andererseits auch Gefahren ausgingen. Aufgabe der Übungsleiterin sei somit, dass sie einem Anwender das Gerät zeige, die Übung demonstriere und den Teilnehmer anschließend unter seiner Aufsicht an das Gerät lasse. Dies werde nicht in jeder Stunde neu demonstriert, sondern man könne nach einem gewissen Verlauf davon ausgehen, dass die Lernwerte vorhanden seien.
Nach der Beweisaufnahme ist unstrittig, dass R. den Kläger weder mit dem Übungsgerät Trampolin als solches noch insbesondere mit der Haltestange beim Sprungtrampolin SP-T-110 vertraut machte. Die Beweisaufnahme hat jedoch ebenfalls ergeben, dass der Kläger die erforderlichen Fähigkeiten zum Trampolinspringen hatte und keiner weiteren Einweisung bedurfte.
So bekundete die Zeugin B., dass sie sich an den Kläger erinnere, der als 5 Jahre alter Junge durch seine Adipositas und eine schlechte Fein- und Grobmotorik aufgefallen sei. Der Kläger habe zudem einen Bedarf bei der Körperwahrnehmung gehabt. Unter ihrer Aufsicht habe der Kläger 20 Behandlungen zu je 20 Minuten Einzeltherapie erhalten und dabei durchaus gute Fortschritte gemacht. Zudem habe der Kläger an ihrer Gruppe für drei- bis sechsjährige Kinder teilgenommen, deren Niveau bald nicht mehr dem des Klägers entsprochen habe, sodass dieser in den höheren Kurs zu R. gewechselt habe. Jedenfalls in der Gruppe der Zeugin B. sei das Trampolin zum Einsatz gekommen, ob dies auch in der Einzeltherapie mit dem Kläger der Fall gewesen sei, erinnere die Zeugin nicht mehr. Sie könne aus der Erinnerung auch nicht angeben, wie geübt der Kläger im Springen auf dem Trampolin gewesen sei. Es sei aber gewiss, dass der Kläger das Trampolin in dem Gruppenkurs genutzt und keine physische Hilfestellung benötigt habe. Er habe frei und allein auf dem Trampolin springen können. Den Kindern sei die Regel nahegebracht worden, nur mittig auf dem Trampolin, nicht an dessen Rand, zu springen. Habe sich ein Kind hieran nicht gehalten, sei es erneut darauf hingewiesen worden. Das Trampolin, das bei ihr zum Einsatz gebracht worden sei, habe den gleichen Durchmesser wie das Sprungtrampolin SP-T-110 gehabt, jedoch nicht über einen Haltegriff verfügt.
Angesichts des Umstands, dass der am Trampolin geübte Kläger fließend von B.s Gruppe in jene R.s wechselte, hat das Gericht unter Beachtung des oben dargelegten Maßstabes keinen Zweifel daran, dass der Kläger mit einem Mini-Trampolin hinreichend vertraut war und es keiner weiteren Einweisung durch R. bedurfte. Das Gericht ist ferner davon überzeugt, dass es keiner Einweisung in den Gebrauch des Haltegriffs bedurfte. Auch wenn das Springen auf einem Trampolin mit Haltegriff eine weitere Besonderheit darstellte, bot dieser nach den Angaben des Sachverständigen insbesondere eine zusätzliche Sicherheit. Der Kläger habe sich durch Festhalten an dem Griff, den R. nach ihren Bekundungen zuvor der Körpergröße des Klägers angepasst hatte, stabilisieren können. Bei einem sachgemäßen Umgang mit dem Trampolin ist der Haltegriff daher durchaus eine Unterstützung für den Anwender. Das Gerät ist für den Gebrauch durch den Kläger – so der Sachverständige – angesichts der Koordinationsprüfung im Rahmen der kinderärztlichen Untersuchung vom 21. August 2017 und der kleinen Gruppengröße geeignet gewesen. Darauf, dass die Hinweise des Herstellers für die private Nutzung ein Mindestalter von 14 Jahren voraussetzten, komme es im Rahmen des beaufsichtigten Rehabilitationssportes nicht an.
Unerheblich ist dabei, dass R. selbst von einer anderen Nutzungsweise des Haltegriffs ausging. Nach ihren Angaben hätten die Kinder sich an dem Haltegriff nicht festhalten, sondern nur ihre Unterarme darauf aufstützen sollen. Sie sei jedoch nicht mehr dazu gekommen, den Kindern diese Art des Gebrauchs zu erklären. Da der Kläger den Haltegriff in der von dem Sachverständigen für richtig gehaltenen Weise nutzte, kommt es nicht darauf an, welche Vorstellung R. von einer sachgemäßen Handhabung hatte.
Dass R. sich vor dem Einsatz des Trampolins als Übungsgerät nicht über die Fähigkeiten des Klägers erkundigte und ihm den Einsatz des Gerätes nicht demonstrierte, entspricht zwar auch nicht den Anforderungen, wirkte sich aber gleichfalls nicht auf den Unfall aus. Der Kläger war, wie ausgeführt, mit dem Gebrauch eines Trampolins aufgrund der vorhergehenden Übungen bei der Übungsleiterin B. hinreichend vertraut. Nach den nicht bestrittenen Angaben seiner Mutter im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Z hatte der Kläger bei einer weiteren Therapeutin darüber hinaus auch schon ein Trampolin mit Haltegriff genutzt.
bb) R. hat den Kläger ausreichend beaufsichtigt. Es mag sein, dass der Kläger und das zweite Kind die Trampoline bestiegen, während R. noch damit beschäftigt war, von der Decke hängende Seile höher zu ziehen oder wegzuräumen, wie die Mutter des Klägers in ihrer Anhörung vor dem Amtsgericht Z angegeben hat. Auch R. hat in ihrer Vernehmung ausgeführt, dass zunächst zwei Trampoline so aufgestellt worden seien, dass sie mit den Haltestangen zueinander wiesen und dass von der Decke wohl noch ein Seil herunterhing, welches sie zur Seite geschoben habe. Sie sei jedoch anschließend um den Kläger herumgelaufen, so dass sie sich genau zwischen den beiden Trampolinen befunden habe. Der Abstand zwischen den Trampolinen habe ein bis zwei Meter betragen, damit die Zeugin gut dazwischen stehen und auf etwaige Vorkommnisse reagieren konnte. In dem Moment, in dem der Kläger drohte, mit dem Trampolin zu kippen, da er sich an der Stange festgehalten und ausgiebig gesprungen sei, sei es ihr gelungen, das Trampolin im Umkippen an der Haltestange festzuhalten; sie selbst habe – wie sie finde – recht geistesgegenwärtig reagiert.
Nach der Überzeugung des Gerichts stand R. damit im entscheidenden Moment an der richtigen Stelle, mag sie auch zuvor, als sie noch mit den Seilen beschäftigt war, ihrer Aufsichtspflicht nicht genügt haben. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass gegen den zeitgleichen Gebrauch zweier Trampoline durch zwei verschiedene Kinder aus fachlicher Sicht keine Bedenken sprechen, wenn der Übungsleiter sich mittig postiert, um ggf. auf jedes der Kinder reagieren zu können.
cc) R. war in der konkreten Situation nicht verpflichtet, mäßigend auf den Kläger einzuwirken. Zwar schilderte bereits die Zeugin B. den Kläger als einen Jungen, der sich von Gleichaltrigen leicht anstecken oder aufstacheln ließe. So habe sie bemerkt, dass er sich dann, wenn ein bestimmter gleichaltriger Junge in der Gruppe erschienen sei, von diesem habe mitreißen lassen. R. gab, durchaus im Einklang hiermit, an, dass beide Kinder „immer wilder“ geworden wären und sie zu einer Einweisung in das Gerät deswegen nicht mehr gekommen sei, weil diese „schneller“ gewesen seien. Sie bezeichnete die Dauer der Nutzung des Trampolins mit zwei bis drei Minuten bis sie ihren Standort zwischen den Trampolinen erreicht hatte; dann habe sie gemerkt, dass es „wirklich doll“ werde. Die Mutter des Klägers hat in ihrer Anhörung ausgesagt, die Kinder seien immer schneller gesprungen und hätten sich gegenseitig animiert und ihre Sprunghöhe aneinander gemessen.
Unzweifelhaft ist es die Aufgabe von Übungsleitern, auch dann zu reagieren, wenn Regelverletzungen bemerkt werden (vgl. AG Viersen, Urteil vom 27. März 2012 – 32 C 194/10 -, das aus einer erhöhten Geräuschkulisse in der Umkleidekabine auf eine Aufsichtspflicht schließt, wenn ein Übungsleiter diese wahrnehme). Der Sachverständige ließ keinen Zweifel daran, dass ein Therapeut ggf. bremsen und darauf einwirken müsse, dass die Übung so durchgeführt werde, dass möglichst keine Gefahr von ihr ausgehe. Letztlich ist für das Gericht jedoch nicht erwiesen, dass R. ausreichend Anlass und Gelegenheit hatte, den Kläger vor dem Unfallereignis in seiner Lebhaftigkeit zu begrenzen. Vielmehr stellt sich für das Gericht der Ablauf so dar, dass der Übungsleiterin in Anbetracht des schnellen Ablaufs der Ereignisse keine Zeit blieb, den Kläger zu mäßigen, bevor es zu dem Unfall kam.
b) Ein Anspruch auf Schadensersatz besteht auch nicht gemäß § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB. R. ist als Verrichtungsgehilfin im Sinne der genannten Vorschrift anzusehen. Die deliktische Vorschrift setzt jedoch ebenfalls eine Pflichtverletzung R.s voraus, die nicht nachgewiesen ist.
2. Mangels Bestehens eines zur Leistung verpflichtenden Hauptanspruches ist auch der Feststellungsantrag des Klägers unbegründet.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
III. Wegen der Festsetzung des Streitwerts wird auf die Ausführungen im Beschluss des Amtsgerichts Z vom 27. Dezember 2019 zur vorläufigen Festsetzung des Streitwerts (Blatt 86 der Akte) Bezug genommen.