AG St. Ingbert, Az.: 23 OWi 66 Js 1126/19 (1845/19), Beschluss vom 08.08.2019
Das Verfahren wird gemäß § 47 Abs. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Es wird jedoch davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.
Gründe
Dem Betroffenen wurde mit Bußgeldbescheid vom 20.02.2019 eine gravierende vorsätzliche Überschreitung der innerhalb geschlossener Ortschaft zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/ um 71 km/h (nach Toleranzabzug) vorgeworfen. Hierfür wurde nach BußgeldkatalogVO und unter Berücksichtigung einer einschlägigen Voreintragung im Fahreignungsregister eine Geldbuße i.H.v. 1385,- € und ein Fahrverbot von 3 Monaten angeordnet. Die vorgeworfene Geschwindigkeit wurde gemessen mit von der PTB zugelassenem und gültig geeichtem Messgerät TraffiStar S 350, bei welchem sogenannte Rohmessdaten nach der Messung gelöscht werden. Wegen einer solchen Löschung von Messdaten hat der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes durch Urteil vom 05.07.2019 – Aktenzeichen: Lv 7/17 – entschieden, dass all diese Messungen gänzlich nicht verwertbar sind mit der Prämisse, dass die Löschung von Messdaten das Recht eines Betroffenen auf ein faires Verfahren verletze.
Nach Auffassung des Gerichts ist bei Geschwindigkeitsmessungen mit von der PTB zugelassenen und gültig geeichten Messgeräten, somit auch bei dem Messgerät TraffiStar S 350 – von einem sog. standardisierten Messverfahren mit verwertbarem Messergebnis, erlangt auf rechtsstaatlicher Basis, auszugehen, auch wenn Rohmessdaten nach der Messung gelöscht werden. Für diese Einschätzung entscheidend sind Sinn und Zweck des standardisierten Messverfahrens.
I.
Unter einem standardisierten Messverfahren ist ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 43, 277, 284).
Zu Sinn und Zweck hat das OG Düsseldorf (Beschluss vom14.07.2014, IV-1 RBs 50/14, 1 RBs 50/14) Folgendes ausgeführt:
Von der PTB zugelassene Systeme zur Geschwindigkeitsmessung sind grundsätzlich als standardisierte Messverfahren anzuerkennen (OLG Bamberg ZfSch 2013, 290; Cierniak ZfSch 2012, 664). Die hiergegen in Teilen der amtsgerichtlichen Rechtsprechung aufgekommenen Bedenken vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Sie geben vielmehr Anlass zu dem Hinweis, dass der Bundesgerichtshof in seinen grundlegenden Entscheidungen zum Begriff des standardisierten Messverfahrens gerade die amtlich zugelassenen Geräte zur Geschwindigkeitsermittlung im Blick hatte (BGHSt 39, 291, 297, 302 und BGHSt 43, 277, 284). Das – normierte – Prüfverfahren vor der eigens hierfür mit Sachmitteln und Fachpersonal ausgestatteten PTB bietet nämlich die bestmögliche Gewähr dafür, dass ein neu entwickeltes System zur Geschwindigkeitsmessung die in der Eichordnung (EO) festgelegten Anforderungen erfüllt, also die in Anlage 18, Abschnitt 11 zu § 33 EO festgelegten Verkehrsfehlergrenzen einhält und eine korrekte Zuordnung der Messwerte zu den jeweils abgelichteten Fahrzeugen gewährleistet.
Die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden verfolgt – ebenso wie die Berücksichtigung eines Toleranzabzugs für etwaige systemimmanente Messfehler – gerade den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalles freizustellen (so ausdrücklich BGHSt 39, 291, 297). Dies ist insbesondere im Bereich der Geschwindigkeitsüberwachung unbedenklich angesichts der Tatsache, dass nach erfolgter Zulassung eines Messverfahrens jedes zum Einsatz kommende Einzelgerät noch zusätzlich dem Erfordernis der regelmäßigen Eichung – mithin einer turnusmäßige Kontrolle der Gerätefunktionen und ihrer Konformität mit dem bei der PTB hinterlegten Baumuster durch eine unabhängige (Landes-) Behörde – unterliegt. Bedenkt man, dass schon in Strafsachen regelmäßig die Ergebnisse allgemein anerkannter kriminaltechnischer oder rechtsmedizinischer Untersuchungsverfahren verwertet werden, ohne dass die genaue Funktionsweise der verwendeten Messgeräte bekannt ist, so besteht kein Anlass für insoweit strengere Anforderungen in Bußgeldsachen, bei denen es lediglich um die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten geht und die im Hinblick auf ihre vorrangige Bedeutung für Massenverfahren des täglichen Lebens auf eine Vereinfachung des Verfahrensganges.
Für die Praxis sind diese Grundlagen unverzichtbar. Ansonsten könnten Ermittlungs- und Verwaltungsbehörden sowie die Fachgerichte die Verfahren betreffend massenhaft vorkommender Verkehrsverstöße innerhalb angemessener Frist – die absolute Verjährungsfrist beträgt 2 Jahre ab Tatzeitpunkt – nicht mehr bewältigen und ihre gesetzlichen Aufgaben nicht mehr erfüllen. Denn durch das gesetzlich vorgesehene, der Vereinfachung dienende Verfahren der PTB-Zulassung bzw. Konformitätsbescheinigung und der regelmäßigen Überprüfung der Messgeräte durch die Eichämter soll gerade vermieden werden, dass sich die Behörden und Gerichte aufwändig mit jedem einzelnen Messverfahren befassen müssen und jede einzelne Messung nochmals durch Sachverständige überprüft wird. Auf dieser Basis ist schließlich die personelle Ausstattung der Behörden und Gerichte konzipiert.
Nach einer Entscheidung des OLG Bamberg (vom 04.04.2016, 3 Ss OWi 1444/15) sind die Anforderungen an die tatrichterliche Untersuchung bei standardisierten Messverfahren geringer als dies sonst der Fall ist. Das Gericht muss in diesen Fällen nur dann Anhaltspunkten nachgehen, wenn sie sich aus den äußeren Umständen ergeben. Die Prüfung, ob derartige Anhaltspunkte gegeben sind, kann logischerweise nicht darauf hinauslaufen, dass die Messdatei mithilfe eines Sachverständigen überprüft werden müsste. Denn wollte man dies fordern, so wäre das standardisierte Messverfahren letztlich ad absurdum geführt.
Vielmehr kommt der PTB-Zulassung die Bedeutung eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu.
Der in Kenntnis aller maßgeblichen – insbesondere auch patent– und urheberrechtlich geschützten – Herstellerinformationen erfolgten Bauartzulassung durch die PTB kommt die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu, mit dem die generelle Zuverlässigkeit und Geeignetheit des Messgeräts verbindlich festgestellt ist und weitere Informationen zu seiner Funktionsweise entbehrlich sind. Auch wenn ein beauftragter Sachverständiger die genaue Funktionsweise nicht im Einzelnen nachvollziehen kann, bleibt kein Raum für die Annahme rechtlicher Unverwertbarkeit der ordnungsgemäß erfolgten Messung (Thüringer Oberlandesgericht, 17.05.2018, 3 OLG 151 SsBs 2/18).
II.
Die Löschung von Rohmessdaten bedeutet im Übrigen auch keinesfalls, dass eine Messung gar nicht mehr überprüfbar wäre. Hierzu hat sich die PTB in ihrer Stellungnahme vom 12.09.2016 wie folgt geäußert:
Weder in den zur Konformitätsbewertung heranzuziehenden allgemeinen Rechtsvorschriften, noch in den gerätespezifischen Bauanforderungen und Prüfvorschriften bestehen Forderungen nach „messtechnischen Zusatzdaten“ oder lassen sich Hinweise auf solche ableiten. Somit ist es aus Sicht der Konformitätsbewertungsstelle auch nicht erforderlich, messtechnische Zusatzdaten, die im eichrechtlichen Sinne „Hilfsgrößen“ darstellen, in den jeweiligen Falldatensätzen zu integrieren. Im Rahmen einer jährlichen Prüfung werden bei diesen Geräten sowohl die korrekte Funktionsweise als auch die Übereinstimmung mit dem bei der PTB geprüften und hinterlegten Muster, einschließlich der implementierten Gerätesoftware, von einer unabhängigen Stelle verifiziert. Zusätzlich verfügt das betreffende Messgerät gem. PTB Anforderungen über eine Vielzahl von geräteinternen Kontrollmechanismen, die im Fehlerfall zur Abschaltung bzw. Unterdrückung des Messbetriebs führen. Darüber hinaus wurde die Robustheit des Messgerätes gegenüber unkorrekter Aufstellung im Rahmen der Prüfungen zum Konformitätsbewertungsverfahren umfassend geprüft. Aus zulassungstechnischer Sicht ergibt sich somit keine Notwendigkeit der Integration von Zusatzdaten. Die in der Falldatei Ihres Gerätes auf freiwilliger Basis integrierten Zusatzdaten stehen dabei nicht im Widerspruch zu dieser Festlegung.
Das Fehlen von messtechnischen Zusatzdaten ist dabei nicht gleichzusetzen mit dem Fehlen einer nachträglichen Richtigkeitskontrolle der einzelnen Messung. Die Möglichkeit einer „Plausibilitätskontrolle“ ist sehr wohl gegeben und auch ausdrücklich im Eichrecht so vorgesehen. Bei begründeten Zweifeln an der Konformität des in Rede stehenden Gerätes mit den zulassungstechnischen Vorgaben der PTB oder bei Vermutung eines Gerätedefekts sehen die gesetzlichen Regelungen nämlich die Möglichkeit einer Befundprüfung durch die zuständige Eichbehörde oder eine staatlich anerkannte Prüfstelle vor. Mit einer Befundprüfung kann festgestellt werden, ob ein geeichtes bzw. eichfähiges Messgerät die Verkehrsfehlergrenzen einhält und den sonstigen Anforderungen der Zulassung entspricht. Hierbei ist weiterhin vorgesehen, dass die konkrete Verwendungssituation ausdrücklich zu berücksichtigen ist. Somit kann ausgehend von der Überprüfung der korrekten Funktionsweise des Messgerätes, ggf. unter Hinzunahme von Messprotokollen bzw. Aussagen des jeweiligen Mess- und Auswertepersonals, unmittelbar eine „Plausibilitätskontrolle“ für die betreffende Einzelmessung erfolgen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass beim Messgerät TraffiStar S350 die Möglichkeit einer nachträglichen Richtigkeitskontrolle – „Plausibilitätskontrolle“ – besteht. Diese beruht jedoch auf dem vom Gesetzgeber hierfür vorgesehenen Konzept einer Befundprüfung– unter ausdrücklicher Berücksichtigung der konkreten Verwendungswendungssituation im Einzelfall – und nicht auf der Verwendung von Zusatzdaten, die im eichrechtlichen Sinne lediglich metrologisch unbewertete „Hilfsgrößen“ darstellen.
III.
Zu bedenken ist ferner, dass die Behörden und Fachgerichte auch den Auftrag haben, die Belange und Rechte der anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber denjenigen, denen ein Verkehrsverstoß zur Last gelegt wird, zu beachten und zu wahren, insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Denn wohl unbestreitbar geht von Geschwindigkeitsüberschreitungen durch motorisierte Verkehrsteilnehmer eine nicht unerhebliche Gefahr für andere rechtstreue Verkehrsteilnehmer aus angesichts des täglichen großen Verkehrsaufkommens. Entgegen weit verbreiteter Meinung dienen die „Blitzer“, in der Boulevard-Presse gerne als Radar-Fallen bezeichnet, nicht vorrangig der Verbesserung des Staats- bzw. Kommunalhaushalts, sondern der Verkehrssicherheit. Stationäre „Blitzer“ sind vorwiegend installiert im Bereich von Kindergärten, Schulen, Sportstätten und Altenheimen, also dort, wo nicht-motorisierte und tendenziell schutzlose Verkehrsteilnehmer unterwegs sind. Mobile Geschwindigkeitskontrollen werden gezielt durchgeführt, wenn Unfallschwerpunkte ermittelt wurden oder sich Anwohner in Wohngebieten über „Raser“ beschwert haben.
Wenn nun die Bußgeldverfahren derart „aufgebläht“ werden, dass in jedem Einzelfall Rohmessdaten herangezogen werden müssen bzw. komplizierte technische Ausführungen von hierauf spezialisierten Sachverständigenbüros vorgelegt werden, die von Behörden und Gerichten im Regelfall mangels technischer Spezialkenntnisse nicht hinreichend sicher beurteilt werden können, ist dieser Auftrag, für die Sicherheit im Straßenverkehr Sorge zu tragen durch zeitnahe Ermittlung und Sanktion von Verkehrsverstößen, nicht mehr erfüllbar. Schon aus der bisherigen Gerichtspraxis ist bekannt, dass einige Sachverständigenbüros, vorgerichtlich von Betroffenen bzw. Verteidigern beauftragt, die Tendenz haben, das gesetzlich vorgesehene PTB-Zulassungsverfahren mit detailreichen technischen Ausführungen grundsätzlich in Frage zu stellen. Faktisch würde dies daher das Ende des standardisierten Messverfahrens – seit Jahrzehnten bewährt und praxistauglich – für das Saarland bedeuten.
IV.
Es stellt sich hierbei die Frage, ob angesichts des – weltweit wohl einzigartigen – hohen Standards betreffend Verwertbarkeit von Geschwindigkeitsmessungen die Rechte von Verkehrsteilnehmern, denen ein Geschwindigkeitsverstoß – und sei er noch so minimal – vorgeworfen wird, insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren, tatsächlich signifikant und rechtsstaatswidrig beeinträchtigt sind, wenn Rohmessdaten einer Messung nicht (mehr) vorhanden sind oder nicht herausgegeben werden, eine Messung mithin im Nachhinein nicht mehr mit allen messwertbildenden Daten durch seitens eines Betroffenen beauftragten Sachverständigen überprüft werden kann. Hierbei erscheint es im Übrigen fraglich, ob durch ein Mehr an zur Verfügung stehenden Daten ein Erkenntnisvorteil zur Beurteilung der Richtigkeit einer Messung gewonnen werden kann.
Diese Fragwürdigkeit ist erhellt in einem Aufsatz des Richters am OLG Frankfurt Dr. Teßmer unter dem Titel „Plausibilisierung – Eine Betrachtung aus juristischer Sicht“ in der Broschüre 60 Jahre „Blitzer“ in Deutschland – der aktuelle Stand PTB-Mitteilungen 129 (2019), Heft 2:
Im Zusammenhang mit amtlichen Verkehrsmessungen wird immer wieder die fehlende Überprüfbarkeit von Verkehrsmessgeräten gerügt und mit unterschiedlichen Begründungen „das Recht auf Plausibilisierung“ des Messwertes eingefordert. Dieser Satz enthält gleich zwei unwahre Tatsachen, die mit einer überraschenden Selbstverständlichkeit als allgemeine Wahrheit verkauft werden. Amtliche Verkehrsmessgeräte sind selbstverständlich überprüfbar. Das Mess- und Eichgesetz hat dazu zahlreiche Regelungen, die von der amtlichen Zulassung (Konformitätsbewertung) durch die PTB über die Eichung bis hin zur Befundprüfung durch die Eichämter die Messrichtigkeit innerhalb der gesetzlichen Fehlergrenzen garantieren und sicherstellen. Dass diese Überprüfung nicht jeder vornehmen kann, ist selbstverständlich und bedürfte an sich keiner näheren Erläuterung. Wie die rechtlichen Strukturen sind, wer was und auf welche Weise zu überprüfen hat, hat die obergerichtliche Rechtsprechung in unzähligen Entscheidungen dargelegt [1]. Dass bestimmte Gruppen von Gutachtern und Rechtsanwälten dies nicht zu Kenntnis nehmen wollen, hat nichts mit der bezweifelten Messrichtigkeit zu tun, sondern alleine mit den merkantilen Interessen dieser Gruppe. Wenn ein sogenannter Gutachter für 20 Seiten Gutachten ohne inhaltlichen Mehrwert für das Verfahren, das mit dem Fazit „kann ich gutachterlich die Richtigkeit des Messwertes nicht überprüfen“ endet, zwischen 1.500 Euro und 2.000 Euro in Rechnung stellt und ein Rechtsanwalt auf dieser Grundlage für die Sätze „erhebe ich Einspruch“ und „rüge ich materielles Recht“ zwischen 500 Euro und 750 Euro fordert, dann bedarf es für diese rechtliche Nichtleistung einer Begründung. Beim Oberlandesgericht Frankfurt ist in den letzten zehn Jahren kein einziges Verfahren mit dem Nachweis fehlerhafter Messung durch ein nach der Zulassung durch die PTB ordnungsgemäß verwendetes Messgerät aufgehoben worden.
Das Gesetz kennt auch kein Recht auf Plausibilisierung. Es ergibt sich auch weder aus dem „Recht auf Verteidigung“, noch aus dem „Grundsatz des fairen Verfahrens“, noch aus dem Grundsatz der „Waffengleichheit“. Man kann einen solchen Anspruch auch nicht aus dem Naturrecht oder den allgemeinen Verfahrensprinzipien ableiten. Warum ist das so? Plausibilisierung ist keine juristische Kategorie. Es ist nicht einmal eine juristische Hilfsgröße. Es ist nur ein rhetorisches Instrument. Plausibilisierung ist von dem gleichbedeutenden französischen Wort plausible übernommen, welches aus lateinisch plausibilis für „Beifall verdienend“, „auf Beifall berechnet“ stammt. Plausibilität wird in der Regel im Zusammenhang mit der Bewertung von Ereignissen und Aussagen verwendet. Plausibilität ist daher kein objektives Beurteilungskriterium, da es (was sich bereits etymologisch ergibt) nicht auf die objektive Richtigkeit, sondern auf die Wirkung beim Adressaten ankommt. Es geht nicht um die Richtigkeit oder gar die Wahrheit, sondern alleine um die Zustimmung beim Zuhörer. Plausibel ist daher ein Relationsbegriff, der eine gemeinsame Bezugsgröße (Verstehensumgebung) verlangt, mit dem Ziel eine „Mehrheitsfähigkeit vor einer bestimmten Verstehensumgebung“ zu erzeugen [2]. Bei einer juristischen Bewertung geht es hingegen nicht um die Zustimmung. Gerichtliche Entscheidungen ergehen aufgrund gesetzlicher Regelungen in einer freien Beweiswürdigung von Tatsachen, die durch
– Sachbeweise
>> z. B. Urkunden, Lichtbilder § 267 Abs. 1 S. 2 StPO (Messfoto)
– Zeugen, sogenannte persönliche Beweismittel (§ 48 ff StPO) >> z. B. deren konkrete Wahrnehmungen, der Glaubwürdigkeit ihrer Person und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen (Messbeamte);
– durch sachverständige Zeugen (§ 85 StPO) >> eigene Wahrnehmungen aufgrund besonderer Sachkunde – es gelten die Vorschriften über den Zeugenbeweis;
– durch Sachverständige (§ 72 ff StPO) >> z. B. naturwissenschaftlich-technische Beobachtungen, abstrakte wissenschaftliche Zusammenhänge und Wahrnehmungen im behördlichen Auftrag oder aufgrund einer gerichtlichen Bestellung in einer öffentlichen Hauptverhandlung ermittelt worden sind.
Dass das Gesetz das Mittel der Plausibilisierung zur Beweisführung nicht aufführt, ist daher keineswegs überraschend (soweit ersichtlich die einzige gesetzliche Ausnahme: § 2 Nr. 17 i. V. m. XVII Nr. 17 des Gesetzeskommentars [3], § 35 Abs. 1 Nr. 1; § 60 Abs. 2; § 75 Abs. 4 Messstellenbetriebsgesetz). Es ist für gerichtliche Entscheidungen nämlich völlig ungeeignet. Es ist insoweit auch nicht überraschend, dass sich in Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahren nicht selten sogenannte Gutachter zu Wort melden und dabei auf das nicht existierende „Recht auf Plausibilisierung“ verweisen. Diese sogenannten Gutachter sind in der StPO zu Recht ebenfalls als Beweismittel nicht aufgeführt. Sie sind entgegen ihrer eigenen Behauptung auch keine Sachverständige im strafrechtlichen Sinne, weil die StPO eindeutig und abschließend den strafrechtlichen Begriff des Sachverständigen beschreibt. Anders als die Aussagen der PTB und der Eichämter, die im gesetzlichen und damit behördlichen Auftrag und damit als Sachverständige tätig sind (§73 i. V. m. § 256 Abs. 1 S. 1a) StPO), ist eine vom Betroffenen in Auftrag gegebene gutachterliche Expertise nichts anderes als eine Argumentationshilfe des Betroffenen und damit nur Teil seiner Einlassung, und das auch nur dann, wenn sich der Betroffene diese „zu Eigen“ macht. Erst wenn das Gericht einen Gutachter nach § 73 StPO zu einem Sachverständigen bestellt und damit nach § 75 StPO für das Gericht verpflichtet und nach § 78 StPO unter dessen Leitungsbefugnis stellt, sind seine in der Hauptverhandlung gemachten Ausführungen Teil der Beweismittel, mit denen sich das Gericht in kritischer und eigenständiger Bewertung im Urteil auseinandersetzen muss. Bei fehlerhaften Sachverständigengutachten drohen dann über § 72 StPO die Folgen der §§ 48ff StPO.
Die Ausgangsfrage wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet.
Nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 27.04.2018 (Lv 1/18) verletzt die Nichtzugänglichmachung einer lesbaren Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie der Statistikdatei das Gebot eines fairen Verfahrens und das Gebot des rechtlichen Gehörs.
Demgegenüber wird von Oberlandesgerichten mit beachtlichen Gründen eine andere Auffassung vertreten (u.a. OLG Bamberg, Beschluss vom 13.06.2018, 3 Ss OWi 626/18, OLG Hamm, Beschluss vom 20.06.2018, III-4 RBs 163/18, OLG Koblenz, Beschluss vom 17.07.2018, 1 OWi 6 SsBs 19/18, OLG Oldenburg, Beschluss vom 23.07.2018, 2 Ss OWi 197/18).
Nach Auffassung des OLG Bamberg verletzt die Ablehnung eines Antrags des Betroffenen auf Beiziehung, Einsichtnahme oder Überlassung digitaler Messdateien oder weiterer nicht zu den Akten gelangter Messunterlagen verletzt weder das rechtliche Gehör noch das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren. Es handelt sich um einen Beweisermittlungsantrag, über den der Tatrichter unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 II StPO) zu befinden hat (entgegen VerfGH Saarbrücken, Beschl. v. 27.04.2018 – 1 Lv 1/18).
Es entspricht gefestigter Rspr. des Senats (vgl. nur OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016), der sich mittlerweile eine Reihe anderer Oberlandesgerichte – teilweise sogar unter ausdrücklicher Aufgabe ihrer bisherigen entgegengesetzten Rspr. – angeschlossen haben (vgl. nur OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 – 2 Ss [OWi] 40/17 = ZfS 2017, 469; OLG Hamm, Beschl. v. 10.03.2017 – 2 RBs 202/16 [bei juris] und 20.06.2017 – 4 RBs 169/17 [bei juris]; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 9.11.2017 – Ss Rs 39/2017 [bei juris] = BeckRS 2017, 131683; 25.10.2017 – Ss Rs 17/2017 [bei juris]; 15.11.2017 – 1 OWi 2 SsBs 52/17 [unveröffentlicht] und OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28.02.2018 – 1 OWi 2 SsBs 106/17 [bei juris]; zustimmend auch: König, DAR 2016, 362, 371), dass die Nichtüberlassung von Unterlagen, die sich nicht bei der Akte befinden, weder einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör noch gegen den fair-trial-Grundsatz darstellt. Vielmehr handelt es sich bei dem Antrag auf Beiziehung entsprechender Unterlagen um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung nur unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 II StPO) gerügt werden kann (OLG Bamberg, Beschl. vom 04.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17 [unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983 – 2 BvR 864/81 = BVerfGE 63, 45 = NJW 1983, 1043 = StV 1983, 177 = NStZ 1983, 273 = MDR 1983, 548 = EuGRZ 1983, 196; BGH, Urt. v. 26.05.1981 – 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500 = MDR 1981, 860]).
Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) durch die Ablehnung des Antrags auf Beiziehung der digitalen Messdatei und sonstiger nicht zu den Akten gelangter Unterlagen, scheidet von vornherein aus. Es entspricht seit Jahrzehnten gefestigter Rspr. des BVerfG und des BGH, dass die Nichtbeiziehung von Beweismitteln oder Unterlagen den Schutzbereich des rechtlichen Gehörs nicht berührt (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983 – 2 BvR 864/81 = BVerfGE 63, 45 = NJW 1983, 1043 = StV 1983, 177 = NStZ 1983, 273 = MDR 1983, 548; BGH, Urt. v. 26.05.1981 – 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500 = MDR 1981, 860). Das BVerfG (a.a.O.) führt insoweit aus, der Anspruch auf rechtliches Gehör solle verhindern, dass das Gericht ihm bekannte, dem Beschuldigten aber verschlossene Sachverhalte zu dessen Nachteil verwerte. Art. 103 I GG sei hingegen nicht verletzt, wenn es um die Frage gehe, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, erst zu verschaffen habe, weil es nicht Sinn und Zweck der Gewährleistung rechtlichen Gehörs sei, dem Beschuldigten Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen. Der BGH (a.a.O.), der im Ausgangsverfahren zum selben Ergebnis gelangt war, hatte insbesondere hervorgehoben, unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs sei nur das maßgeblich, was für das Urteil oder das Verfahren Bedeutung erlangt habe. Was darüber hinaus für die Sachentscheidung Bedeutung erlangen könnte, sei dagegen zunächst nur für die Frage der Aufklärungspflicht von Interesse.
Ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegt ebenfalls nicht vor. Auch dies entspricht mittlerweile gefestigter Rspr. des Senats, die ihrerseits basiert auf der Rspr. des BVerfG und des BGH (vgl. hierzu zuletzt OLG Bamberg, Beschl. v. 04.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17 [unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983 – 2 BvR 864/81 sowie BGH, Urt. v. 26.05.1981 – 1 StR 48/81, jeweils a.a.O.]). Hiernach ist der fair-trial-Grundsatz von vornherein nicht berührt. Es geht vielmehr allein um die Frage der Aufklärungspflicht nach § 244 II StPO und im Rahmen dessen hat, wie der Senat in seinem Beschluss vom 04.10.2017 (OLG Bamberg a.a.O.) aufgezeigt hat, ein Betr. ausreichende Möglichkeiten, sich anderweitig an der Wahrheitsfindung aktiv zu beteiligen, ohne dass ein Rückgriff auf das fair-trial-Prinzip geboten wäre.
Sind die Voraussetzungen für ein standardisiertes Messverfahren erfüllt, so kann das Messergebnis einer Verurteilung zu Grunde gelegt werden. … Es geht allein um die Frage, ob bei Einhaltung der Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens das Messergebnis unter Berücksichtigung der Toleranzabzüge hinreichende Verurteilungsgrundlage sein kann. Dies hat der BGH aber in seinen beiden grundlegenden Entscheidungen bejaht. Hiernach hat die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden ebenso wie die Reduzierung des gemessenen Wertes um einen – die systemimmanenten Messfehler erfassenden – Toleranzwert gerade den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalles freizustellen. Zwar hat der BGH auch konstatiert, es bestehe kein Erfahrungssatz, dass die gebräuchlichen Geschwindigkeitsmessgeräte unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefern. Vielmehr sei eine absolute Genauigkeit, d.h. eine sichere Übereinstimmung mit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit, nicht möglich. Allerdings könne den nach den jeweiligen technisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen möglichen Fehlerquellen hinreichend durch die Berücksichtigung von Messtoleranzen Rechnung getragen werden. Darüber hinaus müsse sich der Tatrichter nur dann von der Zuverlässigkeit der Messungen überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben seien. Wie der BGH in seiner Entscheidung vom 30.10.1997 nochmals ausdrücklich bestätigt hat, ist der Tatrichter nur dann gehalten, die Zuverlässigkeit von Messungen, die mit einem standardisierten Messverfahren gewonnen worden sind, zu überprüfen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler bestehen.
Nach einer Entscheidung des OLG Oldenburg (B. vom 23.07.2018, 2 Ss (OWi) 197/18) verletzt ein in der Hauptverhandlung durch Beschluss abschlägig beschiedener Antrag auf Herausgabe einer Kopie der Messdatei einschließlich etwaiger sogenannter Rohmessdaten, weder den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör, noch die Grundsätze des fairen Verfahrens… Soweit der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes einen Anspruch auf Herausgabe nicht bei der Akte befindlicher Messdaten annimmt und hierzu ausführt, dass sich ablehnende Stimmen nur „vereinzelt“ finden würden, weist das OLG Bamberg in seinem Beschluss vom 13.6.2018 zunächst zutreffend auf eine ganze Reihe von Entscheidungen der Oberlandesgerichte hin, die die Auffassung des OLG Bamberg teilen. Auch der Senat ist mit seinem Beschluss vom 13.3.2017 (a.a.O.) von seiner vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes mehrfach zitierten Entscheidung vom 6.5.2015 (DAR 2015, 406 – dieser Entscheidung lag, ebenso wie derjenigen des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes, die besondere Konstellation zugrunde, dass sich auch das Gericht gegenüber der Verwaltungsbehörde vergeblich um Herausgabe der Daten bemüht hatte) abgerückt, soweit es die Ablehnung eines in der Hauptverhandlung gestellten Antrages auf Beiziehung von Rohmessdaten betrifft.
V.
Unabhängig davon, ob ein Anspruch auf Herausgabe von Rohmessdaten besteht, ging es vorliegend um die Frage, ob ein standardisiertes Messverfahren vorliegt, wenn solche Daten nicht (mehr) vorhanden sind und eine Messung daher im Nachhinein nicht mehr mit allen messwertbildenden Daten durch einen weiteren beauftragten Sachverständigen überprüft werden kann. Hierzu ist durch die obergerichtliche Rechtsprechung bislang entschieden worden, dass die Löschung von Rohmessdaten das Messverfahren als standardisiert nicht in Frage stellt.
Nach einer Entscheidung des Oberlandesgericht des Saarlandes vom 07.01.2019 (Ss RS 28/2018 – 79/18 OWi – handelt es sich bei der Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät TraffiStar S 350 um ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren. …
Allein der Umstand, dass die Messung aufgrund Nichtspeicherung bestimmter Daten (möglicherweise) nicht auf ihre Plausibilität überprüft werden kann, führt bei einem Geschwindigkeitsmessgerät, das eine Bauartzulassung durch die PTB erhalten hat, – ebenso wie eine mangelnde Kenntnis der genauen Funktionsweise eines Geschwindigkeitsmessgeräts – auch nicht dazu, dass aufgrund dieses Umstandes nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren auszugehen ist.
Bei einer Geschwindigkeitsmessung mittels TraffiStar S 350 LIDAR- Messgerät handelt es sich (nach wie vor) um ein standardisiertes Messverfahren. Daran ändert der Umstand der fehlenden Speicherung von Zusatz- bzw. Messdaten nichts (OLG Rostock, Beschl. v. 22.01.2019 – 21 Ss OWi 251/18 (B).
VI.
Dies wurde ebenso entschieden zum Geschwindigkeitsmessgerät der Fa. Leivtec XV3, und zwar u.a. vom OLG Stuttgart (Beschl. v. 23.05.2018 – 4 Rb 16 Ss 380/18) mit folgender Begründung:
Durch die bloße Nichtüberlassung der Rohmessdaten des Messgeräts, die sich nicht bei den Akten befinden, wird der Anspruch auf rechtliches Gehör von vornherein nicht beeinträchtigt. Denn durch das Recht auf rechtliches Gehörs soll garantiert werden, dass einer Entscheidung nur Tatsachen zugrunde gelegt werden, zu denen der Betroffene Stellung nehmen konnte; einen Anspruch auf Aktenerweiterung vermittelt Art. 103 Abs. 1 GG dagegen nicht Da das Amtsgericht aber gemäß § 261 StPO ausschließlich auf der Grundlage des in der Hauptverhandlung ausgebreiteten und abgehandelten Tatsachenstoffs entschieden und der Betroffene insoweit hinreichend Gelegenheit hatte, sich über seinen Verteidiger zu diesem Tatsachenstoff umfassend zu äußern, ist durch die Nichtüberlassung digitaler Messdateien und sonstiger Unterlagen, die das Gericht zu seiner Überzeugungsbildung gerade nicht herangezogen hat, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gegeben.
Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1983 – 2 BvR 864/81, BVerfGE 63, 45, NJW 1983, 1043) und des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 1981 – 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131). Das BVerfG (aaO) führt insoweit aus, der Anspruch auf rechtliches Gehör solle verhindern, dass das Gericht ihm bekannte, dem Betroffenen aber verschlossene Sachverhalte zu dessen Nachteil verwerte. Der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG sei hingegen nicht berührt, wenn es um die Frage gehe, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, erst zu verschaffen habe, weil es nicht Sinn und Zweck der Gewährleistung rechtlichen Gehörs sei, dem Betroffenen Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen. Der BGH (aaO), der zum gleichen Ergebnis gelangt war, hat insbesondere hervorgehoben, unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs sei nur das maßgeblich, was für das Urteil oder das Verfahren Bedeutung erlangt habe. Was darüber hinaus für die Sachentscheidung Bedeutung erlangen könnte, sei dagegen zunächst nur für die Frage der Aufklärungspflicht von Interesse.
Ein Beweisverwertungsverbot folgt auch nicht daraus, dass möglicherweise durch die Softwareversion und die damit verbundene Löschung von Rohmessdaten eine Plausibilitätsprüfung der Messung nicht möglich ist. Die Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (vgl. http://www.leivtec.de/de/pdf/Zulassung_1ste_Neufassung_270520111.pdf) für das Messgerät Leivtec XV3 indiziert bei Einhaltung der Vorgaben der Bedienungsanleitung und Vorliegen eines geeichten Gerätes nämlich die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswertes, da ihr die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommt (OLG Celle, NZV 2014, 232). Dies gilt auch dann, wenn ein beauftragter Sachverständiger mangels Zugangs zu den patent- und urheberrechtlich geschützten Herstellerinformationen, die genaue Funktionsweise nicht im Einzelnen nachvollziehen kann.
So entschieden auch vom OLG Celle (B. vom 17.05.2017, 2 Ss OWi 93/17):
Ein Beweisverwertungsverbot folgt auch nicht daraus, dass möglicherweise durch die Softwareversion und die damit verbundene Löschung von Rohmessdaten eine Plausibilitätsprüfung nicht möglich ist. Die Bauartzulassung durch die PTB indiziert bei Einhaltung der Vorgaben der Bedienungsanleitung und Vorliegen eines geeichten Geräts nämlich die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswerts, da ihr die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommt. Die mangelnde Kenntnis der genauen Funktionsweise eines Geschwindigkeitsmessgeräts, das eine Bauartzulassung von der PTB erhalten hat, begründet weder eine rechtliche Unverwertbarkeit des Messergebnisses, noch bietet sie Anlass zu der Annahme, dass die Messung nicht mit einem anerkannten Gerät im weithin standardisierten Verfahren durchgeführt worden sei.
Ein weiteres Argument gegen die Notwendigkeit der Speicherung von Rohmessdaten lässt sich einer Entscheidung des Amtsgerichts Minden (Beschl. v. 26.07.2019 – 15 OWi -502 Js 2879/18- 504/18) entnehmen: Auch der Vergleich mit anderen Beweismitteln zeigt, dass es bei der Anforderung, dem Betroffenen Rohmessdaten zur Verfügung zu stellen, wenn deren Speicherung auch nur technisch möglich gewesen wäre, nicht um den „Mindestbestand an verfahrensrechtlichen Mitwirkungsbefugnissen des Angeklagten“ nach BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. August 2003 — 2 BvR 1071/03, geht, sondern eher um das maximal Mögliche.
So kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch abgelehnt werden, wenn durch das Erstgutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits ‚erwiesen ist: Diese Begrenzung des Einflusses, den der Angeklagte auf Inhalt und Umfang der gerichtlichen Sachaufklärung nehmen kann, ist verfassungsrechtlich hinnehmbar (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. August 2003 — 2 BvR 1071/03). Müsste das Gericht allen Anträgen des Angeklagten auf weitere Sachaufklärung nachgehen, gewänne der Angeklagte einen Einfluss auf Dauer und Umfang des Verfahrens, der über das zu seiner Verteidigung Gebotene hinausginge und dazu führen könnte, dass die rechtsstaatlich geforderte Beschleunigung des Strafverfahrens ernstlich gefährdet wäre (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. August 2003 — 2 BvR 1071/03).
VII.
Demgegenüber hat aber nun der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes auf Grund mündlicher Verhandlung am 09.05.2019 durch Urteil vom 09.07.2019 entschieden, dass die Löschung von Rohmessdaten die Ergebnisse des Messverfahrens wegen einer verfassungswidrigen Beschränkung des Rechts auf eine wirksame Verteidigung unverwertbar macht. Die zugrunde liegenden Entscheidungen des Amtsgerichts Saarbrücken vom 28.03.2017 und des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 26.06.2017 wurden aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof ist zwar auch der Auffassung, dass die Ergebnisse der Messgeräte zuverlässig sind und das PTB-Zulassungsverfahren hierfür hinreichend Gewähr bietet, meint jedoch, dass Rechtsuchende auf Gedeih und Verderb der amtlichen Bestätigung der Zuverlässigkeit eines elektronischen Systems und der es steuernden Algorithmen ausgeliefert wären, wenn die Datensätze nicht einer Nachprüfung durch die Verteidigung zugänglich sind. Hiergegen ist aus Sicht des Gerichts einzuwenden, dass alle Verfahrensbeteiligten im Bußgeldverfahren nicht minder sachverständigen Ausführungen zu einem elektronischen System „ausgeliefert“ sind, wenn nun noch ein weiteres Sachverständigengutachten, vom Betroffenen in Auftrag gegeben, gegenüber dem – antizipierten – der PTB vorliegt. Im Zweifel werden alle Verfahrensbeteiligten mangels erforderlicher Sachkunde die Ergebnisse solcher Gutachten nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilen können. Das Bußgeldverfahren betreffend Messungen würde folglich von technischen Sachverständigen dominiert und entschieden, was nach Einschätzung des Gerichts nicht zu einem höheren Maß an Rechtsstaatlichkeit führt, vielmehr den Rahmen eines angemessenen rechtsstaatlichen Verfahrens betreffend Delikte, für die das Gesetz lediglich vergleichsweise geringfügige Sanktionen vorsieht, sprengt. Es stellt sich die Frage, wie zu verfahren sein wird, wenn ein seitens des Betroffenen beauftragter Sachverständiger – nach seinen Kriterien – zu dem Ergebnis kommt, eine Messung sei fehlerhaft, dies gegenüber dem antizipierten Sachverständigengutachten der PTB. Wie soll dann in angemessener Zeit aufgeklärt werden (können), ob eine Messung nun richtig ist oder nicht.
Hierbei ist auch zu bedenken, dass es eine absolute Gewähr für die Richtigkeit von Messergebnissen mit technischen Geräten nach einer Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgericht vom 03.06.2010 (2 Ss OWi 110) nicht geben kann: Voraussetzung dafür, dass sich der Tatrichter vom Vorliegen eines korrekt ermittelten Messergebnisses überzeugt, ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und damit von niemandem anzweifelbare Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Dabei haben solche Zweifel außer Betracht zu bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich lediglich auf die Annahme einer bloß gedanklichen, abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen… Vor diesem Hintergrund muss der Tatrichter sich bei der Berücksichtigung der Ergebnisse von Geschwindigkeitsmessgeräten bewusst sein, dass Fehler nicht auszuschließen sind. Den nach den jeweiligen technisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen möglichen Fehlerquellen hat er insoweit grundsätzlich durch die Berücksichtigung von Messtoleranzen zu Gunsten des Betroffenen Rechnung zu tragen. Die bloße Annahme möglicher Messfehler kann jedoch nicht von vorn herein die Unverwertbarkeit des Messergebnisses zur Folge haben.
Die vorgeschriebenen Messtoleranzen/Verkehrsfehlergrenzen von 3 km/h bzw. 3 % können als äußerst großzügig betrachtet werden, stammt ihre Bestimmung doch aus Zeiten, in denen ausschließlich analog funktionierende, der digitalen Messtechnik unterlegene Messgeräte im Einsatz waren.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs hat nun eine uneinheitliche Rechtslage zur Konsequenz, je nachdem, ob eine Messung mit dem gleichen Messgerät im Saarland oder einem anderen Bundesland erfolgt ist. Denn nach einer Presseerklärung des Ministeriums für Verkehr in Baden-Württemberg unter dem Titel „Kein Freibrief für Temposünder im Land“ – betreffend Messgerät TraffiStar S 350 – bestehe für die Bußgeldbehörden des Landes kein Anlass, von der bisherigen Praxis der Geschwindigkeitsüberwachung abzuweichen. Demzufolge könnten die etwa 160 in Baden-Württemberg eingesetzten Geräte auch weiterhin betrieben werden.
VIII.
Das erkennende Gericht ist jedoch an die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs – entgegen eigener Überzeugung – gebunden.
Das Verfahren war mithin einzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 OWiG, 467 Abs. 4 StPO.